Das Lied hat, genau genommen, ungefähr zwei Akkorde. Viel mehr ist es nicht.
Der Rest ist Plastik.
Und der Hauptgewinn in einem europäischen Wettbewerb.
Die FAZ schreibt in ihrer Online-Ausgabe, „Lena wird vor allem für das bewundert, was nicht individuell an ihr ist….“.
Das also wäre ein Kriterium?
Massentauglich also.
„Nicht individuell“.
Das garantiert „Erfolg“ im Jahre 2010.
Die Massen jublilieren, wenn so ein Plastiklied „Erfolg“ hat.
Ich wünsche der Abiturientin, die jenes Liedchen gesungen hat – übrigens auch in einem merkwürdigen Plasikenglisch vorgetragen -, daß sie nicht untergeht in dem Meer von öffentlichem Interesse, in das sie nun geraten ist. Denn: „Erfolg“ macht etwas mit der Seele eines Menschen.
Meist nichts Gutes.
Deshalb wünsche ich ihr, daß sie „über Wasser bleibt“ und ihre Seele nicht verlorengeht.
Und ich denke ein wenig nach über das kleine Wörtchen „Erfolg“, das die Zeit, in der ich lebe, so fürchterlich bestimmt.
Der „KLUGE“, das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache, gibt sich mehr als dürr und stellt lediglich fest: bei dem Wort „Erfolg“ handele es sich um eine „Rückbildung“ (17. Jhdt). aus dem Wörtchen „erfolgen“, im Sinne von „erreichen, erlangen“, „vielleicht unter dem Einfluss von frz. succèder und succéss“.
„Erfolg“ ist also eine „Rückbildung“.
Etwas mehr gibt der Text über das Wörtchen „folgen“ her. Zu dessen Grundbedeutung das Abstraktum „Folge“ gehört; „zu der damit zusammenhängenden Bedeutung „gehorsam sein“ gehört vor allem das Adjektiv „folgsam“ (KLUGE, 24. Auflage, 307).
Ein Assoziationshof bildet sich nun um das Wort.
Färbt jene „Rückbildung“ ein, die beinahe zum Synonym für die Leistungsgesellschaft geworden ist, unter der so viele Menschen leiden und der sie dennoch „folgen“.
Ein Mensch bekommt in der Gesellschaft, in der ich lebe, Anerkennung, wenn er „Erfolg“ hat. Wenn er also etwas „bekommt“, wie der KLUGE weiß.
Ein solcher Mensch wird interviewt, ein solcher Mensch verdient womöglich viel Geld – und läßt andere, die ihn zum „Erfolg“ geführt haben, ebenfalls viel „verdienen“. Eine ganze Industrie verdient daran: Plattenfirmen, Studios, Fernsehsender. Es ist ein großes „business“ um diesen Liederwettbewerb.
Es ist schön, wenn ein Mensch Anerkennung erfährt.
Wenn er wahrgenommen wird, in der Art, wie er lebt.
Wenn andere Menschen empfänglich sind für seine Weise, die Welt zu sehen und zu deuten.
Vielleicht erklärt sich die „Euphorie“ nach jenem Plastikliedchen auch aus dem Umstand, daß viele Menschen sich selbst nicht wahrgenommen fühlen und nun eine Projektionsmöglichkeit haben, an einem „Erfolg“ teilzuhaben, so, als wäre es ihr eigener? Vielleicht verbirgt sich hinter dem „Massenerfolg“, den jenes Liedchen „eingebracht“ hat, eine Sehnsucht nach wahrgenommen und erkannt werden?
Mag sein.
Ich denke einen Moment an die Menschen, die keinen „Erfolg“ haben in ihrem Leben.
An die „Nicht-Erfolgreichen“.
Was ist eigentlich mit ihnen?
Fühlen sie sich irgendwie nicht zu Hause, wenn sie in einer Welt leben müssen, in der „Erfolg haben“ fast zu einem Synonym für „gelingendes Leben“ geworden ist?
Bedeutet jenes Denken in Kategorien des „Erfolges“, daß ein nicht erfolgreicher Mensch kein gelingendes Leben führen kann?
Erich Fromm hat in „Haben oder Sein“ Maßgebliches dazu notiert.
Es lohnt sich immer wieder, bei diesem alten Meister nachzuschlagen und nachzulesen:
Der Wert eines Menschen bestimmt sich nicht aus dem, was er „erlangt“; bestimmt sich nicht aus seinem „Erfolg“, sondern aus dem was er „ist“.
Die Qualität gelingenden Lebens leitet sich nicht daraus ab, ob man „ERfolg“ hat, also etwas „erreicht“ – denn: das gibt der Assoziationshof des Wortes „Erfolg“ her: es könnte sogar sein, daß jener „Erfolg“ einen Menschen zu einem „gehorsamen“ Menschen verkümmern läßt, der vom „Erfolg“ abhängig wird.
Erfolgsabhängige Menschen wissen, wenn sie wach bleiben gegenüber sich selbst, wie gefährlich diese Droge werden kann.
Sie verlangt nach immer „mehr“ und immer „besser“ und immer „höher“ – so, wie es jede andere Droge auch tut.
Und – wie bei jeder anderen Droge auch: wenn ein „Erfolg“ eingetreten ist, wenn man etwas „erlangt“ hat, bleibt immer öfter ein schales Gefühl zurück, eine Ahnung von einer inneren Leere, die sichtbar wird, wenn der „Erfolg“ ausbleibt.
Der unmenschlich gewordene Wettlauf um den „größten Erfolg“ und die „größte Anerkennung“ bekommt in der spätkapitalistischen Gesellschaft, in der ich lebe, religiöse Züge.
„Grand Prix Pilger feiern ihre Erlöserin“ überschreibt spiegel-online einen Artikel zum Thema.
Das macht mich sehr nachdenklich.
Denn ich weiß um die gewaltige Kraft, die religiöse Sprache entfalten kann.
Wenn ich jene, sicherlich flott aufs Papier geworfene Überschrift auf mich wirken lasse bekomme ich eine Ahnung, wie fundamental jenes Leistungsdenken, das nur noch in Kategorien von „Erfolg“ denken kann, unsere Gesellschaft in den Grundfesten zerstört hat.
Ich stimme dem KLUGE zu: das Wort „Erfolg“ ist in der Tat eine „Rückbildung“.
Wer sein Leben abhängig macht vom „Erfolg“, wird es vermutlich verfehlen.
Deshalb wünsche ich der jungen Abiturientin, die jenes kleine Plastikliedchen vorgetragen hat, daß sie ihre Seele nicht verliert, wenn sie nun eintaucht in jenes Meer von öffentlicher Anerkennung, das in einer massenmedial inszenierten „Kultur“-Industrie über ihr zusammen zu schlagen droht.
Und ich wünsche mir, daß mein Bewußtsein dafür wach bleibt: bei dem Wörtchen „Erfolg“ handelt es sich um eine „Rückbildung“ aus dem 17. Jahrhundert……