Im Nachdenken über die aktuellen globalen Krisen, in denen wir stecken, und auf der Suche nach gehbaren Auswegen begegnet mir heute dieser Text von Martin Buber von 1963, den ich wegen seiner Bedeutung für uns gern weitergebe:
„Ich werde immer wieder gefragt, woran – nicht in einer bestimmten geschichtlichen Situation, sondern ganz allgemein – die civil disobedience ihre Legitimität erweisen kann. Darauf weiß ich zunächst nichts anderes zu antworten: Ungehorsam solcher Art ist dann rechtmäßig, wenn er in Wahrheit Gehorsam ist, Gehorsam einer höheren Instanz gegenüber als der man jetzt und hier nicht gehorcht, genauer: Gehorsam der höchsten Instanz gegenüber.
Nun aber wird mir mit einer neuen Frage entgegnet: Woher ich denn das Gebot der höchsten Instanz für diese Situation jetzt und hier kenne.
Man kann diese Frage in die Sprache des evangelischen Gleichnisses etwa so übersetzen: „Wo ist die Grenze dessen, was ich je und je Cäsar zu geben habe?“
Jeder Versuch, diese Frage auf der Ebene einer allgemeingültigen Begrifflichkeit unangreifbar zu beantworten, muß fehlschlagen.
Das Absolute kann sich in unserer Welt nicht als allem Relativen unbedingt überlegen erweisen, weil die stimmmächtigen Affen des Absoluten ihre Ansprüche, jeder den seinen, mit den erforderlichen dialektischen Mitteln wirksam darzutun verstehen, um den Ungehorsam zu brandmarken.
Jeder Cäsar, jede Cäsarität, gleichviel, in welcher Form sie erscheint, jede geschichtliche konsistente Macht, figuriert den ihr Untergebnen gegenüber als von Gottes Gnaden bestehend, gleichviel, welchen Namen der Gott führen mag.
Wir werden somit schließlich doch wieder genötigt, dem Fragen und Antworten in allgemeinen Begriffen ein Ende zu machen und unmißverständlich deutlich zu machen, daß man fragend und antwortend die Situation unablässig im Auge behalten muß.
Nicht wo zu allen Zeiten und in allen Räumen legitimerweise mein gehorchender Ungehorsam beginnt, habe ich zu sagen, sondern wo er jetzt und hier beginnt.
Das aber ist in der Situation, in der wir leben, leichter zu sagen geworden als in irgendeiner früheren des Menschengeschlechts.
Denn der Mensch ist drauf und dran, sich durch seine eigenen Handlungen seinen Anteil an der Bestimmung seines Schicksals entgleiten zu lassen.
Die heute allumfassende Vorbereitungen treffen, verweigern sich der Vorstellung, welche Möglichkeit sich durch eben diese Vorbereitungen eröffnet.
Es ist die Möglichkeit, daß im Gang der einander überbietenden wechselseitigen kriegerischen Überraschungen von seiten der beiden Partner sozusagen – bei scheinbarer Fortdauer der menschlichen Anordnungen – das gefährlichste unsrer Gemächte das Spiel autonom fortsetzt, bis es ihm gelingt, den menschlichen Kosmos in ein Chaos zu verwandeln, über das hinaus wir nicht mehr zu denken vermögen.
Können die Gebieter der Stunde dem Getriebe, das sie nur zum Schein beherrschen, Halt gebieten?
Werden sie noch rechtzeitig den pantechnischen Krieg verhüten können?
Mit anderen Worten: Werden sie statt des üblichen „politischen“ Aneinandervorbeiredens über mächtige Fiktionen zueinander über die Wirklichkeit reden lernen, das heißt miteinander die wirklichen beiderseitigen Interessen klären, die gegensätzlichen und die gemeinsamem vergleichen und aus diesem Vergleich die Folgerungen ziehen, die heute schon jeder unabhängig Denkende zu ziehen vermag?
Können aber, wie ich meine, die Gebieter der Stunde das nicht, wer soll hier noch rechtzeitig einspringen, wenn nicht die „Ungehorsamen“, die der irregehenden Macht als solcher personhaft entgegentreten?
Muß nicht eine planetarische Front solcher civil disobedients bereitstehn, bereit nicht wie sonst Fronten zum Kampf, sondern zum rettenden Gespräch?
Wer aber sind diese, wenn nicht diejenigen, welche die Stimme hören, die sie aus der Situation, der Situation der menschlichen Krisis, anspricht und ihr gehorchen?
(Martin Buber. Nachlese. Verlag Lambert Schneider, Heidelberg 1966, S. 215 ff).
Ich zitiere daraus gleich mal 🙂
dafür ist es gedacht -:)
Ein wirklich passender Text, de uns an wichtiges erinnert.