Sollen sie doch in der Wüste verrecken! Was Malta bedeutet


Heute, am 3. Februar 2017 haben die europäischen Staats- und Regierungschefs beschlossen, in Libyen „Auffang-Lager“ für Flüchtlinge zu errichten. Man will mit dieser „Maßnahme“ (eigentlich handelt es sich um ein ganzes Maßnahmepaket von 10 Punkten) die „Mittelmeerroute schließen“. Man will also verhindern, dass die Flüchtlinge nach Europa kommen.
Was aber bedeutet der Beschluss?
Ich will mich in diesem kurzen Beitrag nur auf einen Gesichtspunkt konzentrieren, der in der Debatte bislang nicht berücksichtigt wird:
Wir wissen, dass Nordafrika (und Libyen liegt bekanntlich in Nordafrika) schon in wenigen Jahren unbewohnbar sein wird. Und zwar deshalb, weil dort die Temperaturen in Hitzeperioden auf 50 Grad Celsius und mehr ansteigen werden. Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und Professor am Cyprus Institute in Nikosia hat auf diese Zusammenhänge hingewiesen und sie auch publiziert.
Diese heute beschlossenen „Auffang-Lager“ für Flüchtlinge werden also nicht nur in einem jetzt schon politisch höchst instabilen Staatsgebilde errichtet, sondern zudem in einer Region, die in absehbarer Zeit unbewohnbar sein wird.

Regierungschefs müssen diese Zusammenhänge wissen. Und sie wissen sie auch.
Aber sie haben dennoch beschlossen, diese „Auffang-Lager“ eben genau dort zu errichten.

Ihr Beschluss bedeutet deshalb im Kern: „Sollen die Flüchtlinge doch in der Wüste verrecken! Hauptsache, sie kommen nicht zu uns.“
Auf Folgendes sei noch hingewiesen: die Klimaforschung geht bislang davon aus, dass diese Entwicklung etwa „ab Mitte des Jahrhunderts“ eingetreten sein wird, also etwa ab dem Jahre 2040, in etwa 20 Jahren also. Es wird aber schneller gehen.
Denn die neue US-Administration hat vom ersten Tag an deutlich gemacht, dass sie eine veränderte Energie-Politik durchsetzen will. Und die bedeutet einen noch stärkeren Anstieg der Emissionen. Das in Paris vereinbarte Ziel, den Anstieg der Durchschnittstemperatur auf 2 Grad zu begrenzen, ist nach Auskunft vieler Forscher nicht mehr erreichbar. Wir steuern gegenwärtig auf plus 3 Grad zu.
Mit anderen Worten: die Veränderungen werden nicht erst „in der Mitte des Jahrhunderts“ eintreten, sondern früher.
Und diese Veränderungen insbesondere in Nordafrika werden zu einem starken Anstieg der Zahl der Klimaflüchtlinge führen.
Man kann Menschen, die keine Lebensgrundlage mehr haben, nicht in „Auffang-Lagern“ einsperren. Entweder, sie sterben dort, oder sie machen sich auf den Weg, um einen Ausweg zu finden.
Mauern, Zäune und Lager sind keine Lösung.
Europa muss legale Fluchtwege einrichten und Einwanderungsgesetze beschließen, die Menschen in Not eine tatsächliche Lebens-Möglichkeit eröffnen.
Und zwar jetzt.

Tag 23. Berlin – Prag – ….. Aleppo. Wieder zurückkehren auf den Weg.


Es war wie so oft: etwas ist dazwischen gekommen. Das Wochenende nämlich.
Ich war „mit anderem beschäftigt“.
Aber: der Civil March to Aleppo war dennoch weiter gegangen, trotz der längeren Station in Prag.
Und, dank facebook & Co kann ich nachlesen, was da vor sich gegangen ist.
„Volles Programm“ sozusagen. Viele Veranstaltungen. Viele Gespräche. Neue Kontakte sind entstanden.

Ich lese nach, was da war und klinke mich nun nach dem Wochenende sozusagen wieder ein, gehe nun wieder weiter mit.
Von Berlin Richtung Aleppo.
Die Station am 17. Januar führt von Prag nach Ricany.
Hält das Winterwetter weiter so an, wird die Gruppe immer tiefer in die Kälte vordringen.
Ich nehme es als ein Bild für das, was da kommen wird. Denn, je weiter die Gruppe nach Süden zieht, um so näher kommt man den Flüchtlings-Lagern, aus denen uns in den vergangenen Tagen schon die Bilder erreicht haben.

Es war „etwas dazwischen gekommen“. Anderes hatte sich in den Vordergrund gedrängt.
Das bedeutet aber nicht, dass es „die andere Wirklichkeit“, die mit den Lagern nämlich, nicht mehr gäbe…..

Tag 20. Erfolge und Stationen


Zwei Tage haben wir gebraucht, um via Internet und social media einen Brief an den Präsidenten der EU-Kommission mit den gewünschten 100% zu unterzeichnen. Die Initiative dazu war von Amnesty International Österreich ausgegangen und Deutschland hat seinen Beitrag geleistet. Ein schönes Beispiel internationaler Kooperation über Grenzen hinweg.
Gleichzeitig aber erreichten uns immer weitere Bilder von den katastrophalen Zuständen in den winterlichen Flüchtlings-Camps in Italien, in Griechenland und in Serbien.
Es geht jetzt darum, die EU-Kommission und die nationalen Regierungen zu einem sofortigen Handeln zu bewegen. Es geht um Nothilfe.
Niemand hat das Recht, Menschen an den Grenzen Europas einfach erfrieren zu lassen.
Noch gibt es keinerlei öffentliche Hinweise darauf, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs auf eine solche Soforthilfe verständigen wollen.
Aber der Winter wartet nicht. Bei zweistelligen Minusgraden und katastrophalen humanitären Bedingungen zählt jede Stunde.
Die Gruppe, die nach Aleppo geht, ist heute kurz vor Prag eingetroffen.
Der Wegabschnitt lag zwischen Veltrusy und Roztoky u Prahy.
Morgen wird man Prag erreichen. Man wird dort erwartet. Es wird Gespräche geben, Begegnungen, Diskussionen. Das Programm des Tages ist vielfältig.
Der Vernetzungsprozess wird weiter voran gehen. Die Sache wird immer mehr bekannt.
Morgen dann beginnt die neue Woche. Es ist Sonntag.

Tag 19. Fortschritte und Rückschritte. Der Weg nach Aleppo


Der Tag war ermüdend. Nicht nur für diejenigen, die da von Berlin nach Aleppo gehen und kurz vor Prag angekommen sind.
Aber es geht voran.
Der Brief an den Präsidenten der EU-Kommission, der gestern via Amnesty Österreich die deutschen Rechner erreichte und den ich mit sehr guter Resonanz – mehr als 340 mal geteilt! verschickt hatte, hat mittlerweile 87% der angestrebten Unterschriftenzahl erreicht. Vermutlich kann das Projekt heute Nacht noch abgeschlossen werden. Das ist die gute Nachricht.
Eine weitere gute Nachricht: die Gruppe der Marschierenden wir immer internationaler. Man nutzt live-streaming, heute sogar mit einem arabisch-sprachigen Beitrag; man nutzt die Netzwerke, macht sehr gute Öffentlichkeitsarbeit, was der weiteren Vernetzung sehr dienlich ist. All das ist sicher nicht einfach zu bewerkstelligen, wenn man müde und „abgelaufen“ ist.
In Deutschland wird die Lage am Beginn des Wahljahres immer komplizierter. Heute entbrannte innerhalb der Partei der Grünen ein Streit zwischen Bundestagsfraktion und der Mehrheit der Landesverbände um die Frage der Abschiebung nach Afghanistan. Derzeit sieht es so aus, als würde sich auch die Mehrheit der grünen Landesverbände für eine solche Abschiebung aussprechen, zwar unter vom Bund leicht zu erfüllenden Bedingungen, aber eben doch.
Das ist insofern bedrückend, weil nun in allen Parteien ein Rechtsruck wahrnehmbar ist, der sich an der „Flüchtlingsfrage“ entzündet. Dieser in allen Parteien – bei den Linken ist es die Auseinandersetzung vor allem mit Sarah Wagenknecht – zu beobachtende Rechtsruck insbesondere in der „Flüchtlingsfrage“ führt bei nicht wenigen dazu, dass sie ratlos werden.
Ist denn unter diesen Umständen überhaupt noch eine Partei wählbar?
Diese Frage wird nun in den kommenden Monaten immer drängender werden.
Aber: der Weg geht weiter. Der Marsch nach Aleppo ebenso, wie der Weg, den wir hier in Deutschland zu gehen haben. Und zu den Erfahrungen auf diesen Wegen gehört eben auch: es gibt Tage, da gibt es nicht nur Fortschritte, selbst, wenn man weitergeht.
Übermorgen wird die Gruppe in Prag ankommen. Und man kann auf der Projektseite sehen, dass man dort von einer recht großen Zahl von Menschen erwartet wird.
Das ist die gute Nachricht des heutigen Tages.

Tag 18. Call to action. Auf dem Weg nach Aleppo


Egal, was ich an diesem Tag tue, immer weiß ich, dass die Menschen da auf dem Weg nach Aleppo weitergehen. Sie gehen sozusagen neben mir durch meinen Tag.
Heute früh um neun Uhr sind sie in Litomerice gestartet und heute Abend werden sie nach 20 Kilometern Fußmarsch in Roudnice nad Labem sein. Ihre einzelnen Etappen sind ja auf der Homepage gut kommuniziert.
Wieder erreichen mich während des Tages diese fürchterlichen Bilder aus den völlig verfrorenen Flüchtlingscamps an Europas Grenzen. Bilder aus Griechenland, aus Serbien, aus Mazedonien. Es gibt erste Todesopfer.
Die Deutsche Welle schickt erneut einen kurzen Film mit solchen Bildern, auch mit Interviews von Ärzte ohne Grenzen. Die Lage ist fürchterlich.
Zeitgleich kommt die Nachricht: Bund, Länder und Kommunen in Deutschland haben im Jahr 2016 19 Milliarden Euro Überschuss erzielt, davon der Bund allein ein Drittel, 6,2 Milliarden. Zeitungen und Fernsehsender berichten davon.
Wie geht das alles zusammen?
Überfluss auf der einen Seite, lebensbedrohliche Umstände auf der anderen Seite der europäischen Grenzen?
Dies kann nicht so bleiben. Denn es ist ungerecht, widerspricht selbst den Mindeststandards an Humanität, den Menschenrechten der Vereinten Nationen ohnehin.
Wer könnte etwas ändern?
Die Europäische Kommission muss sich mit den Regierungen der Mitgliedsstaaten zusammensetzen und eine Sofortlösung finden. Man darf die Menschen an den Grenzen Europas nicht erfrieren lassen.
Auf den gleichen Gedanken war auch Amnesty International Österreich gekommen. Die schicken gegen Mittag einen Brief, den man unterzeichnen kann. Einen Brief an den Präsidenten der Europäischen Kommission, eben genau eine solche Sofortlösung gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten zu entwickeln. Diesen „call to action“ teile ich per facebook und bitte meine Kontakte darum, dies ebenso zu tun und die Sache weiterzugeben. Und die Resonanz ist hervorragend.

Die etwa 50 Menschen, die da bei dem Civil March to Aleppo unterwegs sind, werden heute wieder lange und mühsam durch zunehmend winterliches Wetter gegangen sein. Die Fotos von gestern erzählten ja schon davon. Sie werden auf ihrem Weg auch in die Länder im Balkan-Gebiet kommen, in denen die Flüchtlingscamps liegen, aus denen uns die Bilder und Berichte erreichen.
Und wir hier in unseren warmen Zimmern gehen in Gedanken mit und beteiligen uns, so gut wir können daran, dass sich die katastrophalen Zustände ändern.
Auf diese Weise gehen wir gemeinsam nach Aleppo. Schritt für Schritt.

Am Abend dieses Tages


Die Elbphilharmonie in Hamburg ist eröffnet, der kommende amerikanische Präsident hat eine Pressekonferenz abgehalten,  der bisherige amerikanische Präsident hat sich verabschiedet, das Tagewerk ist getan, für morgen Nacht ist stürmisches Winterwetter angekündigt, der Tag neigt sich.
Ich halte inne.

Mir gehen jene Männer und Frauen nicht aus dem Sinn, die da in Tschechien zu Fuß durch den Winter gehen. Ihr Ziel ist Aleppo, jene einst so wundervolle antike Stadt in Syrien, die zum Symbol des Versagens der Weltgemeinschaft wurde. Sie waren am zweiten Weihnachtstag in Berlin aufgebrochen. Die junge polnische Journalistin Anna Alboth hatte per facebook mitgeteilt, sie werde nach Aleppo gehen, ob jemand mitkommen wolle. Deutschlandradio Kultur hat sie kurz vor dem Beginn der Kampagne interviewt.
Was ist es eigentlich, das mich an diesem „Civil March for Aleppo“ fasziniert, also fesselt?
Gibt es nichts Wichtigeres, das einen kümmern sollte? Was soll an den etwa 50 Menschen interessant sein, die sich da in 20-Kilometer-Tagesetappen von Berlin nach Aleppo auf den Weg gemacht haben, insgesamt etwa 3.100 Kilometer?
Ich verfolge das Projekt aus der Ferne. Nehme nur die Nachrichten wahr, die über die Homepage oder via facebook von der Projektseite zu mir gelangen. Ich habe mir vorgenommen, das Projekt nicht nur finanziell, sondern auch mit eigener Internet-Arbeit zu unterstützen.
Was also ist es, das mich so anspricht?
Ist es der beinahe wahnwitzige Mut dieser jungen Mutter, einfach loszugehen und sich ein paar Verbündete zu suchen, unabhängig davon, wie viele es sein würden?
Ist es die angesichts der aktuellen Flüchtlingspolitik der Europäischen Union beinahe grenzenlose Hoffnung, so eine Handvoll Leute könnte irgend etwas ausrichten gegenüber Ministerien und Kommissionen, gar gegen Staatsinteressen?

Es ist wohl vor allem eines: da sind ein paar wenige Menschen unterwegs, die, jeder für sich, Verantwortung übernehmen. Sie schielen nicht nach Mehrheiten, sie schauen nicht, ob ihnen „Tausende“ folgen. Nein, sie tun das, was sie für richtig halten.
Sie tun es.
Sie tun es mit ihrem Körper, sie tun es mit ganzem Einsatz, diese Wintermärsche, die sie quer über den Balkan führen werden, sind nicht mal einfach so ein Sommerspaziergang.
Es gibt Teilnehmer in dieser Gruppe, die haben sogar ihren Job gekündigt, damit sie fünf Monate Zeit haben, um diesen Marsch zu gehen, so lange etwa werden sie unterwegs sein.
Das, was diese Menschen treibt, ist das Gegenteil von dieser verdammten Gleichgültigkeit, die sich immer rasanter ausbreitet wie eine Seuche.
Das ist der Punkt.
Das „spricht mich an“.
Dass sich da Menschen nicht mehr länger davon beeindrucken lassen, was „alle“ machen, sondern das tun, was ihr Gewissen von ihnen verlangt.
Am Abend einer solchen Tages-Etappe kommt es zu Begegnungen. Neue Kontakte entstehen. Von dem Marsch erfahren immer mehr Menschen. Die Sache wird bekannt.
Dieser Marsch wird nicht nur die Menschen verändern, die für einen Tag, zwei Tage, eine Woche oder gar fünf Monate an ihm teilnehmen. Er wird auch die Menschen verändern, die den Marschierenden begegnen. Und diejenigen, die davon lesen.
Das ist die Hoffnung.
Und von der ist zu erzählen.
Deshalb, genau deshalb sitze ich nun am Abend dieses Tages und schreibe diese Zeilen.
Meine Gedanken sind bei den Menschen, die sich da auf den Weg gemacht haben. Sie gehen die „Balkan-Route“ in umgekehrter Richtung, von Nord nach Süd.
Sie gehen den Flüchtlingen entgegen.

Und immer wieder Klemperer


Victor Klemperers „LTI – Sprache des Dritten Reiches“ (erschienen 1947) gehört zu den Büchern, die mein Leben maßgeblich geprägt haben. Immer und immer wieder ziehe ich es zu Rate. Nicht nur aus historischen Gründen, sondern, um die eigene Aufmerksamkeit zu trainieren. Ich kann mir mein politisches Leben ohne dieses Buch nicht vorstellen. Es ist zum Fundament meines Denkens geworden.
Was ist die Botschaft dieses Buches?
Achtet auf die Sprache! Denn an der Sprache zeigt sich, was kommen wird. An der Sprache kann man ein Beben erkennen, bevor es eingetreten ist. Sprache ist wie ein Seismograph. Ändert sich die Sprache, wird sich bald das Handeln ändern. Klemperer hat die Notizen zur Sprache des Nationalsozialismus in der Not geschrieben, um sich als Linguist, der er war, sinnvoll zu beschäftigen, trotz Arbeitsverbot.
Dieses Buch hat nicht nur mir geholfen, während der Zeit des DDR-Sozialismus die „offiziellen Verlautbarungen“, wie sie zum Beispiel im „Neuen Deutschland“ zu lesen waren, zu decodieren. Dieses Buch hat nicht nur mir die Augen geöffnet für die eigentlich gemeinte Wirklichkeit hinter der veröffentlichten Sprache.
Dieses Buch ist auch eine Anregung, mit der Gegenwartssprache aufmerksam zu sein.
Besonders wichtig ist die genaue Beobachtung der Sprache im Themenkomplex, der sich um die Worte „Flüchtlinge“, „Asyl“, „Asylrecht“ etc. abbildet.
Denn in kaum einem Politikfeld ist die Sprache so verschleiernd, so vernebelnd, so unklar wie in diesem Themenbereich. Und das hat Gründe.
Da ist zum Beispiel davon die Rede, Afghanistan sei „hinreichend sicher“, um Flüchtlinge dorthin „abzuschieben“. („Abschiebung“ übrigens ist ein Wort der LTI).
Es ist offenkundig, dass Afghanistan kein sicheres Land ist. Eher im Gegenteil. Die Unsicherheit im Lande nimmt Tag für Tag zu, die Belege dafür sind zahlreich. Dennoch hört man aus dem Bundesinnenministerium, das Land sei „hinreichend sicher„. Der Bundesinnenminister ist sich auch nicht zu schade, der Öffentlichkeit zu erklären, „ein Drittel“ der gestern von Frankfurt aus nach Afghanistan abgeschobenen Menschen sei „kriminell“ gewesen. Die Botschaft solcher öffentlichen Rede soll sein: „Im Grunde sind sie alle so“.
Die ZEIT hat in einem längeren Text die Genese solcher verschleiernden Begriffe aufgezeigt. Wer diesen Text aufmerksam liest, teilt vielleicht meine Erschütterung. In den Tiefen eines Bundesministeriums, in den Referaten und Abteilungen kommen solche „Wortdrechseleien“, solche verschleiernden Worte aufs Papier. Irgendein Referatsleiter denkt sich eine solche Formulierung aus, damit möglichst freundlich, möglichst elegant klingt, was nicht freundlich und schon gar nicht elegant ist. Der Minister achtet mit der gesamten Leitung des Ministeriums auf eine entsprechende „Sprachregelung„. Ich weiß, wovon ich rede.

Um zu verhindern, dass insbesondere aus Afrika Menschen zu uns kommen, schließt die Bundesregierung nun mit nicht wenigen Staaten Abkommen ab. Solche Abkommen sind im Munde der Bundeskanzlerin „Migrationspartnerschaften„.  Gemeint aber sind politische Deals. Europa gibt Geld, damit afrikanische Regierungen dabei helfen, dass Afrikaner in Afrika bleiben und sich nicht auf den Weg nach Europa machen.
Alle diese verschleiernden Worte dienen der Abwehr von Flüchtlingen. Man muss keine Mauern bauen, um Flüchtlinge „abzuwehren“.
Worte genügen.

Dahinter tritt ein Denken zu Tage, das nur ein Ziel hat: die Abwehr.
Das Wort „Flüchtling“ ist auf diese Weise, Schritt für Schritt, Wort um Wort, Veröffentlichung um Veröffentlichung für nicht wenige Menschen zu einem Synonym für „Bedrohung“ geworden.
So entstehen Feindbilder.
Und wer auf Wilhelm Heitmeyer hört, der wird die Gefahr erkennen, die in solcher „gruppenbezogenen Fremdenfeindlichkeit“ liegt: am Ende richtet sich die Kraft einer Gesellschaft gegen die schon längst von der Sprache ausgemachten „Feinde“.

Stefan Zweig hat darauf hingewiesen, dass die Veränderungen, die am Ende zur Katastrophe führten, während der Zeit des Nationalsozialismus „Schritt für Schritt“ kamen. Es waren leise Veränderungen. Ein Raunen nur. Eine kaum merkliche Veränderung der Sprache. Kaum hatte man sich an eins dieser Wörter gewöhnt, kam die nächste Eskalation. Bis man sich auch daran gewöhnt hatte.
Heitmeyer spricht deshalb von „Gewöhnungsgewinnen„.
Diese Gewöhnung an die „neue Sprache“ – die ist eines der größten Probleme.
Wer sich anschaut, wie sich die veröffentlichte und mittlerweile öffentliche Sprache im Zusammenhang mit dem Thema Flucht und Migration seit dem öffentlichen Auftreten von AFD, von Pegida & Co verändert hat, der bekommt ein ungefähres Gefühl dafür, was da kommt.
Wenn auch die sogenannten etablierten Parteien mittlerweile völlig unverblümt von „Asylmissbrauch“ sprechen und damit „Abschiebungen“ begründen, dann sieht man, wie das gegangen ist: von ganz rechts außen kam das Wort. Und nun ist es mitten im alltäglichen Sprachgebrauch.
Die unterlegte, (noch) nicht ausgesprochene Grundthese dabei lautet: „die sind alle kriminell. Die missbrauchen alle unsere Großzügigkeit. Die gehören alle „abgeschoben““. Das genau ist die Absicht derjenigen, die ihre „gruppenbezogene Fremdenfeindlichkeit“ längst in Hass gewandelt haben.

Wenn aber die veröffentlichte Sprache solche Rede übernimmt, ohne zu reflektieren, was da eigentlich vor sich geht – dann zieht der Hass ein in die ganze Gesellschaft. Und dieser Hass richtet sich dann stets gegen die Schwächsten, gegen die, die Hilfe brauchen.
Es beginnt mit der Sprache.

Dimensionen des Wandels. Es gibt keine Ausreden mehr


Alte Schlehen-Hecke bei Güterberg (Uckerland)
Alte Schlehen-Hecke bei Güterberg (Uckerland)

Wir pflanzen auf unserem Land. Aus guten Grund.
Denn der Klimawandel geht mit einem Tempo vor sich, dass einem der Atem stocken könnte. Wir sind verpflichtet zu handeln. Wir sind es unseren Kindern und Enkeln schuldig. Es gibt keine Ausreden mehr. 
Morgens ist in Uckerland Lektüre-Zeit. Deshalb habe ich mir eine Studie angesehen, die das Max-Planck-Institut für Chemie (Deutschland) und das Cyprus-Institut in Nicosia (Griechenland) veröffentlicht hat.
Zwei Annahmen liegen der Prognose bis 2050 zugrunde (das ist schon in 34 Jahren!)
a) Es gelingt der Weltgemeinschaft tatsächlich, die CO2-Emissionen so zu begrenzen, das die weltweite Durchschnittstemperatur nicht mehr als 2 Grad ansteigt. Selbst dann wäre die beschriebene Region von katastrophalen Hitzewellen heimgesucht.
b) alles läuft weiter wie bisher: dann steigt die Durchschnitts-Temperatur um 4 Grad.
Das aber hält der Mensch nicht mehr aus.

Das aber macht große Teile Nordafrikas und des Nahen Ostens unbewohnbar.
500 Millionen Menschen leben in dieser Region. Und sie werden sich auf den Weg machen.
Israel wird betroffen sein: all die Jahrzehnte, die der Jüdische Nationalfonds in mühsamer Arbeit in Bewaldung investiert hat – vergeblich.
Jordanien wird betroffen sein. Dort sind die Bedingungen schon jetzt katastrophal.
Nordafrika – von dort kommen jetzt schon die boat people.

2050.
Das ist in 34 Jahren. Eine winzige Zeitspanne. Ein Wimpernschlag.
Unsere Gesellschaften aber dümpeln vor sich hin, nur mit sich selbst beschäftigt, nur auf den eigenen Wohlstand bedacht – dass einen das blanke Entsetzen packen kann.

Ich weiß wohl, dass sich auch etwas tut in der Welt.
Die divestment-Bewegung macht Fortschritte. Mehrere Billionen (!) Dollar sind bereits aus Kohle-Investments abgezogen worden, obwohl die weltweite Kampagne noch relativ jung ist.
Erneuerbare Energien werden – auch in China und Indien – in großem Maßstab eingesetzt. Selbst Saudi-Arabien bereitet sich auf den Ausstieg aus dem Ölgeschäft vor.

Allerdings: die Zeit reicht voraussichtlich nicht mehr. Denn Investitionen in Erneuerbare benötigen ebenso Zeit wie gesellschaftliche Prozesse des Umdenkens.
Pflanzungen benötigen ebenfalls Zeit, bis sie ihre volle Wirkung entfalten können. Etwa 20 – 30 Jahre braucht eine neue Pflanzung dafür.

Wer eher pessimistisch veranlagt ist, wird angesichts dieser gewaltigen Dimensionen des Wandels sagen: Die Erneuerbaren, die Aufforstung, das Divestment – alles gut gemeint, aber: Zu spät.
Lasst uns noch ein paar Jahre feiern. Nach uns die Dürre.

In trüben Momenten fliegen mich derlei Gedanken auch an, ich sag es offen.
Dann allerdings gehe ich zurück in den gegenwärtigen Moment. Den nur den „haben“ wir, flüchtig, wie er ist.
Was also kann ich heute tun? Gestern ist vergangen und was morgen sein wird, kann ich nicht wissen. Ich habe nur den heutigen Tag. Was also kann ich tun?
Ich kann die Pflanzungen weiter vorbereiten, die für den Herbst auf Kirchenland vorgesehen sind.
Denn: wir haben Verantwortung. Es gibt keine Ausreden mehr.
Wer sich beteiligen will, kann das hier tun.

Wenn euch jemand befiehlt „Helm auf!“ – nehmt den grünen.


Als mich Dr. Rupert Neudeck vor einigen Jahren fragte, ob ich für das Kuratorium der Grünhelme zu gewinnen sei, habe ich ihm sofort zugesagt.
Der Grund dafür war simpel:
Das Kuratorium ist überkonfessionell und überparteilich zusammengesetzt.
Und wir brauchen dringend Menschen, die Gräben zuschütten.
Menschen, die Gräben ausheben und vertiefen, gibt es schon genug.
Die Grünhelme folgen einer alten Idee von John F. Kennedy. Es geht darum, in Krisengebieten mit kleinen Aufbauteams, die möglichst überkonfessionell zusammengesetzt sind, konkrete gemeinsame Aufbauarbeit zu leisten: Schulen, Krankenhäuser, feste Böden für Zelte (wie gerade in Idomeni), Ausbildung von Handwerkern.

Wenn man in diesen Tagen die Nachrichten aufmerksam liest und sich auf die Seele fallen lässt, könnte man verzagen. Denn diejenigen, die von „Abgrenzung“ oder gar „Ausgrenzung“ reden, sind viel  zu laut.
Die Eine Welt braucht aber vor allem Zusammenarbeit, nicht Auseinandersetzung.
Und deshalb sind die Grünhelme nötiger denn je.
Ich habe eine sehr große Achtung vor den jungen Menschen, die als Tischler, Maurer, Elektriker und aus anderen Gewerken einfach „raus gehen“. Für drei Monate zunächst. Für ein Taschengeld und eine kleine Versicherung.
Das sind Menschen, die brauchen keine „Selfies“, weil sie für andere Menschen in Not konkret anpacken.
Das sind Menschen, die reden auch nicht lange, sondern packen an.
Einige von diesen besonderen jungen Menschen habe ich persönlich kennengelernt bei einem Workshop der Grünhelme in der Nähe von Bonn vor einigen Jahren. Und mir hat die unaufgeregte, konkrete und sachliche Art sehr gefallen, mit der diese jungen Leute da ihre Aufgabe wahrnehmen.
Freiwillige allesamt.
Da ist keiner, der ein „Amt“ will, keiner, der die Öffentlichkeit sucht.
Keiner, dem es um Selbstdarstellung ginge.
Bescheidene, engagierte, gut ausgebildete junge Leute, Handwerker zumeist, die ihre Gaben und Fähigkeiten für eine gemeinsame Sache zur Verfügung stellen, die Gräben zwischen Religionen und Konfessionen überwinden durch konkrete, gemeinsame Arbeit.
So kann Frieden wachsen.
Und diese jungen Leute geben mir Hoffnung.
Deshalb unterstütze ich die Grünhelme gern. Und ich wünsche mir, dass der Kreis der Unterstützerinnen und Unterstützer weiter wächst.
Man findet sie nicht nur über ihre Homepage, sondern natürlich auch auf facebook.
Und: Weitersagen hilft ihnen.

Über den Tag hinaus….. Teil 2


Computer machen es möglich, längere Trends in wenigen Minuten zu verdeutlichen. Das erleichtert es, einen gewissen Überblick zu behalten über das, was wichtig und das, was weniger wichtig ist.

Heute morgen kam via vox.com ein 5-Minuten-Video, das das Wachstum der Weltbevölkerung zeigt. Die Jahre 0 bis 2050 in 5 Minuten.
Man kann es hier anschauen.

Nach dem Ansehen dieses Videos ist eines sehr deutlich: die Weltbevölkerung wächst schneller, als es für den Planeten gut ist und kann deshalb nicht so weiter gehen.

Das Problem ist schon länger bekannt und die Staaten – insbesondere in Asien – haben allerlei versucht, angemessen damit umzugehen, allerdings mit wenig Erfolg. Die Weltbevölkerung wächst weiter rasant.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.
Wenn man über dieses Video die entsprechenden Grafiken zum Klimawandel legt (die zum Meeresspiegelanstieg beispielsweise), dann sieht man: die Küsten sind besonders betroffen, weil in einem Küstenstreifen von etwa 100 Kilometern etwa ein Drittel der Weltbevölkerung lebt. In den Mega-Cities der Welt (und sehr viele davon liegen an Küsten) lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung.

Da rasen also zwei ICEs aufeinander los.

Das UNHCR rechnet wegen dieser Entwicklungen mit einer stark ansteigenden Zahl von Umweltflüchtlingen. Von etwa 250 Millionen bis 2050 ist die Rede (gegenwärtig sind es 60 Millionen weltweit, Kriegsflüchtlinge eingerechnet).
Da sind Großstädte umzubauen in höheres Gelände; da fehlt es einerseits an der Versorgung mit frischem Trinkwasser (sowohl in den Städten als auch auf dem Land); da wird das Wachstum der Städte weiter zunehmen (weil Menschen vom Land in die Städte fliehen in der Hoffnung, dort noch „etwas“ zu finden).
Gleichzeitig stehen die Küsten-Städte aber vor enormen Herausforderungen, die von der Meerseite aus kommen.

All das deutet auf die Zunahme von Konflikten hin.
Weshalb nicht nur das Auswärtige Amt, sondern auch die Regierungen der USA, Englands und anderer Staaten den Klimawandel als Sicherheitsrisiko betrachten. Über die entsprechenden Studien (die vom AA stammt schon von 2006) hatte ich ja hier schon geschrieben.

Nur diese beiden Trends (es gibt auch noch andere Indikatoren) bedeuten eines ganz sicher: die in Europa gegenwärtig geführte Debatte um „Obergrenzen“, „Zäune“, „Schießbefehle“ etc. ist schlicht lächerlich.

Wir reden über den Zeitraum bis 2050. Das ist in 35 Jahren. Der Fall der Mauer liegt 25 Jahre hinter uns und wir wissen, das ist, als sei es gestern gewesen.
35 Jahre sind eine verflixt kurze Zeit.

Nun hat die Völkergemeinschaft zwar in Paris beschlossen, beim Klimawandel etwas zu tun, aber klar ist auch: selbst wenn es gelingt, die dort vereinbarten Ziele tatsächlich zu erreichen, führt das bestenfalls zu einer Verlangsamung des Zusammenpralls beider „Züge“, um im Bild zu bleiben. Verhindern kann man den Zusammenprall nicht, denn beide Systeme reagieren ausgesprochen träge.

Man kann deshalb- aus klar erkennbaren Gründen – mit einer Zunahme der weltweiten Gewalt rechnen. Weil diejenigen, die noch etwas „haben“, eben diesen Wohlstand „gegen“ die anderen, die weniger oder nichts haben, verteidigen wollen.
Dieses Gewaltpotenzial lässt sich vermindern.
Wenn man einsieht, dass der Wohlstand in den Industrieländern auf dem gegenwärtigen Stand nicht zu halten sein wird.
Beide hier im Text skizzierten Trends bedeuten eines: die Welt wird lernen müssen, die knappen Ressourcen, die angesichts des Wachstums der Weltbevölkerung und angesichts des Klimawandels überhaupt noch zur Verfügung stehen, zu teilen. 
Ob das gelingt, ist offen.