Im vergangenen Jahr gab es weltweit 60 Millionen Flüchtlinge. Das war der höchste Stand seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
In zweieinhalb Legislaturperioden, also in etwa 10 Jahren, werden es 250 Millionen sein. So sagt es das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR.
Man weiß auch: einer der wichtigsten Treiber dieser Entwicklung ist der Wandel des Klimas.
Ein geringer Teil dieser gegenwärtig 60 Millionen erreicht Europa. Ein noch kleinerer Teil davon Deutschland. Und dennoch sind Reaktionen bereits jetzt enorm. Rechtsradikalismus macht sich breit, Gewalt nimmt zu. Der sächsische Polizeipräsident warnt öffentlich vor einer gefährlichen Pogromstimmung.
Gegenwärtig, also im Jahre 2016, schlagen nun einige vor, Menschen, die zu uns kommen, als „ultima ratio“ „mit dem Einsatz von Waffengewalt“ abzuwehren.
Erstens kann bei diesem Vorschlag von „ratio“ keine Rede sein und zweitens werden selbst diese Leute einsehen, dass man 250 Millionen Menschen nicht einfach erschießen kann.
Die Kanzlerin hat früh erkannt, dass die „Flüchtlingsfrage“ eine globale Frage ist, auf die Europa als Kontinent und politische Gemeinschaft eine Antwort entwickeln muss, weil Nationalstaaten dazu nicht mehr in der Lage sind.
Wir erleben jedoch gegenwärtig überall in Europa eine Zunahme nationalstaatlichen Denkens, was aber den „Problemen“, die da auf uns zu kommen, nicht angemessen ist.
Willy Brandt hat vor langen Jahren davon gesprochen, man müsse „mehr Demokratie wagen.“ Er hat die Republik damit zukunftsfähiger gemacht.
Mir scheint die Zeit gekommen zu sein, wo man sagen muss:
„Wir müssen mehr internationale Kooperation wagen„.
Denn: wenn schon in zehn Jahren 250 Millionen Menschen auf der Flucht sein werden – nicht nur aus Gründen von Konflikten und Kriegen, sondern eben auch, weil sich das Klima so verändert, dass viele Menschen zu Hause „nichts mehr haben“, wie gerade jetzt in Äthiopien, wo die schlimmste Dürre seit 30 Jahren herrscht – dann wird man nur durch mehr internationale Kooperation zu angemessenen Lösungen kommen.
Die Kanzlerin hat die Dimension der Fragestellung verstanden, weshalb sie konsequent versucht, eine europäische Lösung zu finden.
Man wird ihr eines Tages noch sehr dankbar sein, dass sie so weitsichtig war und sich davon auch nicht abbringen läßt.
Dass alle diejenigen, die nun von „mehr Kontrollen“, „besser geschützten Grenzen“, gar vom „Einsatz von Schusswaffen“ reden, viel zu kurz springen, ist offensichtlich, wenn man die Trends ansieht, die ja bekannt sind. Sogar auf dem gerade erst zu Ende gegangenen Weltwirtschaftsforum in Davos hat man sich mit der Angelegenheit befasst, weil sie sich nicht „wegdiskutieren“ lässt.
Also: etwa 250 Millionen in den nächsten zehn bis 15 Jahren.
Nun sagt aber die Klimaforschung – der Weltklimagipfel in Paris hat das ja weltöffentlich gemacht – die eigentliche Herausforderung kommt erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.
Denn: allein mehr als eine Milliarde Menschen lebt in Küstengebieten.
Die Zahl der Umweltflüchtlinge wird also weiter stark ansteigen.
Da helfen auch keine Zäune und keine Kontrollen. Und: man kann diese Menschen nicht einfach erschießen, wie die AfD vorschlägt und das auch noch „ultima ratio“ nennt.
Was ist zu erwarten und was bleibt zu tun?
Diese abzusehende Entwicklung kann zu mehr Nationalismus führen.
Das tritt dann ein, wenn die Hetzer gewinnen und die Menschen „ihr letztes Hab und Gut“ gegen andere „verteidigen“ wollen.
Das wäre der Zerfall Europas und das würde Kriegsgefahr bedeuten. Auch in Europa.
Diese abzusehende Entwicklung kann aber auch zu mehr Kooperation führen.
Denn eine“Krise“ ist immer auch eine Chance.
Die Krise kann „zum Tode“ führen, wie bei einer ernsten Erkrankung, sie kann aber auch zur Heilung führen, wie bei einer ernsten Erkrankung.
Leadership, also wirklich weitsichtige politische Führung, müsste die Chance zu mehr internationaler Kooperation zum Leitbild machen.
Und zwar sehr viel deutlicher als bislang.
Denn es genügt ja bei Weitem nicht, wenn Landes- und Bundes- und Europapolitik sich immer nur auf den status quo und die jeweils gerade im Kalender stehenden Wahltermine orientiert. Das wäre viel zu kurz gesprungen.
Zehn Jahre sind nicht lang.
Das sind nur zweieinhalb Legislaturperioden.
Jetzt sind es 60 Millionen Flüchtlinge weltweit, dann sind es 250 Millionen.
Und dreißig Jahre sind auch nicht lang. Gerade mal so eine Generation. dann kommt die eigentliche Herausforderung.
Ich weiß auch, Politik ist vor allem Tagesgeschäft. Es geht um das möglichst schnelle Lösen von aktuellen Konflikten.
Dennoch muss ein Denken über den Tag hinaus möglich sein.
Dummerweise lassen sich die Ursachen der abzusehenden Entwicklung – also der Klimawandel beispielsweise – nicht „einfach abstellen“. Und zwar deshalb nicht, weil das Klima langsam reagiert.
Deshalb muss gegenwärtig beides gelingen:
Die Versorgung der Flüchtlinge aktuell. Und zwar europäisch und wesentlich kooperativer als bislang. Darin ist die Kanzlerin unbedingt zu unterstützen.
Gleichzeitig jedoch muss mit starker Energie die internationale Kooperation in Sachen Klimavorsorge und Flüchtlingsfürsorge vorangetrieben werden. Denn im Klimawandel liegt eine der Hauptursachen für die abzusehende Entwicklung.
Ich weiß nicht, ob es gelingt, diese große Herausforderung zu bewältigen.
Falls es nicht gelingt, wird es Krieg geben. Auch in Europa.
Es gibt aber Hinweise dafür, dass es gelingen kann. Weil die Zahl der Menschen wächst, die bereit sind, über den Tag hinaus zu denken. Das hat man beim Weltklimagipfel in Paris sehen können.
Wir müssen mehr Kooperation wagen, denn die Zahl der Menschen, die gegen Kooperation und für mehr nationalstaatliche Lösungen argumentieren, wächst leider gegenwärtig auch in ganz Europa.
Aber dieses Wagnis zu mehr Kooperation müssen wir eingehen.
Nicht allein der Flüchtlinge wegen, sondern auch um unser selbst willen.