Hohenschönhausen zwischen 1933 und 1945. (3) Die Akte ELAB 35/5155

Hohenschönhausen zwischen 1933 und 1945. (3) Die Akte ELAB 35/5155

ELAB 35/5155 ist die Personalakte des Konsistoriums zu Pfarrer Neuberg der zwischen 1935 und 1945 Pastor in Hohenschönhausen war. Er war Mitglied bei den „Deutschen Christen“ und aller Wahrscheinlichkeit nach auch „P.g.“, „Parteigenosse“, also Mitglied der NSDAP (das lasse ich momentan im Bundesarchiv prüfen). Ein Hinweis von Kurt Scharf in der Akte, Neuberg sei „P.g.“ gewesen und könne deshalb (nach dem Krieg) nicht wieder in Hohenschönhausen anfangen, nehme ich ernst. Neuberg galt auch in Gesprächen, die ich vor einiger Zeit mit älteren Gemeindemitgliedern in Hohenschönhausen führen konnte, als „besonders scharfer Hitler-Unterstützer“. Ich habe die Akte am 8.5.2023 eingesehen.
Im Folgenden gebe ich die wesentlichen Stationen von Neuberg zunächst weitgehend unkommentiert wieder, die sich aus der Lektüre der Akte ELAB 35/5155 ergeben.


Emil Hugo Albrecht Neuberg,
Geb. 24.3.1901 in Zwickau (Sachsen)
getauft am 28. April 1901
1905 Umzug nach Berlin
Ostern 1907“ kam er in die Schule, zunächst die drei Klassen der Dorfschule des Helmholtz-Realgymnasiums zu Berlin-Schöneberg,
„bis ich Ostern 1910 umgeschult wurde, da meine Eltern nach Berlin-Steglitz verzogen. Ich wurde in die Sexta des dortigen Gymnasiums aufgenommen“.

konfirmiert am 19. März 1916 in der Kirche Berlin-Steglitz.
Reifezeugnis („aufgrund des Ministerialerlasses vom 1. August 1914 – U II 1955 – wurde er der Notreifeprüfung unterzogen“ am 23. August 1918.
„Er hat sich im landwirtschaftlichen Hilfsdienst als Jungmannenführer vorzüglich bewährt.“
Das Turn-Zeugnis vermerkt: „Er hat sich als Mitglied der Jugendkompagnie gut bewährt“.
Neuberg verlässt nun das Gymnasium Steglitz, „um sich zunächst dem Vaterländischen Hilfsdienst zu widmen und späterhin Theologie zu studieren“. Im Namen der Königlichen Prüfungskommission unterzeichnet Direktor Dr. Lück, Königlicher Kommissar i.V. und Dr. Kroymann als Direktor des Gymnasiums.
30. 1. 1919 Immatrikulation an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin
4.5.1919 Neuberg meldet sich als „Freiwilliger“ (obwohl der Krieg zu Ende ist!). Scheidet „auf eigenen Wunsch“ am 12.8.1919 wieder aus.
7. März 1921 Abgangszeugnis der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin
(„gez. Seeberg“) Mit Vorlesungsverzeichnis. Alte Geschichte hat er bei von Harnack gehört, neuere Kirchengeschichte bei Holl; Genesis bei Kurt Eissfeld; Neutestamentliche Theologie bei Seeberg;
1. März 1922 Abgangszeugnis der Universität Greifswald mit Vorlesungsverzeichnis
19. April 1922. Immatrikulation an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin mit Vorlesungsverzeichnis und Abschlusszeugnis.
27. – 30. Oktober 1923. Erste Theologische Prüfung Berlin „im Ganzen gut“
(eine schriftliche Arbeit hatte er über „die katholische Lehre vom Bußsakrament“ abzuliefern). Das Fach Philosophie hat er mit „nicht völlig genügend“ absolviert, deutsche Sprache: im Ganzen gut; Exegese des AT „im Ganzen gut“; Exegese des NT „im Ganzen gut“; Kirchen und Dogmengeschichte „bestanden“, Dogmatik und Symbolik „bestanden“, Ethik „bestanden“, Praktische Theologie „im ganzen gut“.
„Der Kandidat hat sich zur zweiten Prüfung nicht vor dem 30. April 1925 und spätestens an dem 30. Oktober 1927 zu melden.“

1.12.1923 – 30.11.1924 Lehrvikar in Berlin-Friedenau bei Pfarrer Vetter. Dort bekommt er am
29. Dezember 1924 von seinem Lehrpastor ein handschriftliches Zeugnis. „Der cand. theol. Albrecht Neuberg aus Steglitz, Beymestr. 3 ist vom 1. Dezember 1923 bis 30. November 1924 Lehrvikar in Friedenau gewesen. Er wohnte bei seinen Eltern in Friedenau, kam aber jede Woche 5 mal, dann 4 mal, ….außer sonnabends zu mir“. „Cand. theol. Neuberg ist überdurchschnittlich begabt, dabei sehr fleißig und von großem Eifer….“

1.12.1924 – 15.5.1925 Mitarbeit im Evangelischen Pressverband

6. Juni 1925 „Zeugnis“ vom Evangelischen Pressverband für Deutschland e.V., für den ja auch Jochen Klepper in Breslau gearbeitet hat. Dort steht zu lesen:
„Herr Vikar Neuberg war vom 1. Dezember 1924 bis 15. Mai 1925 im Evangelischen Pressverband für Deutschland tätig. Er sich überraschend schnell in die mancherlei Aufgaben kirchlicher Redaktionsarbeit eingelebt und insbesondere bei der Herausgabe der Berliner Beilage des „Evangelischen Deutschland“ wertvolle von uns dankbar geschätzte Hilfe geleistet. Sein Austritt erfolgte auf eigenen Wunsch zum Zwecke der Ableistung des 2. Theologischen Examens.“ Unterschrieben von Direktor Hinderer.

9.- 12. Januar 1926 Zweite Theologische Prüfung in Berlin „im Ganzen gut“.
(Die Akte 35/5155 enthält alle Prüfungsarbeiten aus dem Ersten und Zweiten Theologischen Examen in handschriftlicher Form; das macht die Akte sehr umfänglich, ist aber im Zusammenhang wenig ergiebig.)

14. Februar 1926 Ordination in Berlin-Schöneberg, Kirche zum Heilsbronnen“. (Heute hier: https://heilsbronnen.de/page/1828/impressum)

Urlaub vom 5. – 18. Juli 1926.
18. Juli bis 14. August 1927 Urlaub.

seit 15.4. 1928 Pfarrer in Neuhardenberg
Evangelisches Konsistorium der Mark Brandenburg. Berlin SW, 26. April 1928 (maschinenschriftlich) an „Herrn Stadtvikar Neuberg, Hochehrwürden zu Berlin-Steglitz, Beymestraße 3“:

„Wir haben Ihre Berufung zum Inhaber der Pfarrstelle in Neuhardenberg
[1], Kirchenkreis Müncheberg, bestätigt und Herrn Superintendenten Beckmann in Müncheberg mit Ihrer Einführung beauftragt. …..Abschrift der von dem Patronat unter dem 15. April 1928 ausgestellten Berufung liegt bei. Tunlichst bald nach Ihrem Dienstantritt wollen Sie sich Ihrem zuständigen Herrn Generalsuperintendenten persönlich vorstellen“

Als Gehalt bezieht er 391,67 RM monatlich (Grundgehalt jährlich 4700 RM).

12. Juni 1928 Heirat mit Herta Neuberg, geb. Gaedtke (geb. 1. 11. 1905).

23. 6. 1936 Berufung in die Pfarrstelle Hohenschönhausen

21. April 1937 „Dem Evangelischen Konsistorium der Mark Brandenburg teile ich mit, daß ich eine Kriegsbeorderung für den 6. Mobilmachungstag vom Wehrbezirksamt Berlin-Weissensee erhalten habe. Heil Hitler! Neuberg“

30.5.1941  „Hierdurch zeige ich an, dass ich heute einen Einberufungsbefehl zum 7. Juni d. J. erhalten habe. Heil Hitler!“ Vertretung ist an Herrn Pfarrer Knick übertragen.

5.6.1941 „Hierdurch zeige ich an, dass mein am 8. Mai d. J. geborener Sohn Wolfgang am 24. Mai gestorben ist. Geburts- und Sterbeurkunde liegen bei. Bemerken darf ich, dass das Sterbedatum auf der Sterbeurkunde – 25. Mai – auf Grund eines Versehens des Paul-Reyher-Krankenhauses in Berlin-Weissensee nicht richtig ist. Zur Berichtigung des Sterbedatums soll ich demnächst vor das zuständige Standesamt geladen werden. Heil Hitler! Neuberg“

17. 12. 1942 Anzeige der Geburt einer Tochter Christa.
Neuberg dient da als „Gefreiter Neuberg“ in Teltow bei Berlin. (Kopie).

Die Geburtsurkunde vom Standesamt Berlin-Wedding Nr. 6256 besagt:
Christa Renate Neuberg ist am 4. Dezember 1942 in Berlin im Rudolf-Virchow-Krankenhause geboren.
Vater: Pfarrer Emil Hugo Albrecht Neuberg, evangelisch; Mutter: Herta Viktoria Neuberg, geborene Gaedtke, evangelisch. Berlin, 8. Dezember 1942, der Standesbeamte. Gebühren bezahlt.

In der Akte ELAB 15/5156 findet sich ein weiterer Personalbogen, aus dem hervorgeht, daß Neuberg weitere Kinder hatte:
1. Brigitte * 12 November 1932
2. Gertraud *9. September 1936
3. Wolfgang * 8. Mai 1941; + 24. Mai 1941
4. Christa *4. Dezember 1942

Wehrdienst: 7. Juni 1941 bis 22. Juli 1945: Entlassung aus sowj. Kriegsgefangenschaft (eine für russische Verhältnisse sehr kurze Kriegsgefangenschaft!).  

Neuberg tastet nach dem Kriege beim Konsistorium vor, ob er wieder als Pfarrer in Hohenschönhausen arbeiten könne, aber das Konsistorium bedeutet ihm, es sei wohl besser, wenn er sich woanders umsähe.

Schreiben 29. August 1945 Konsistorium an Pfarrer Neuberg in Blönsdorf Krs. Wittenberg
„Wir übertragen Ihnen bis auf weiteres kommissarisch die Verwaltung der Pfarrstelle Niedergörsdorf (über Jüterbog 2). Tag des Dienstantritts soll 1. August 1946 sein.

24. Februar 1950 Brief Neuberg an Konsistorium
„Als ich Ende Juli 1945 aus Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, stand ich vor der Tatsache, dass all mein äusseres Hab und Gut durch die Ereignisse der letzten Kriegstage in Berlin-Hohenschönhausen so gut wie vollständig verloren gegangen war[2]. Bei meinem Einzug in Kaltenborn wurde mir ein Schlafzimmer zur Verfügung gestellt. Nach der Währungsreform[3] musste ich dieses Schlafzimmer für 800 DM kaufen, da die bisherige Besitzerin Geld brauchte und es sonst anderweitig verkauft hätte. Die letzten Raten von 200 DM habe ich noch nicht bezahlt. Ausserdem habe ich in Jüterbog durch Vermittlung des Herrn Superintendenten und des Herrn Pfarrer Berzer alte, aber brauchbare Möbel kaufen können im Betrage von 490 DM, die teilweise auch noch nicht bezahlt sind. Natürlich bin ich jetzt nicht etwa luxuriös, sondern äusserst einfach eingerichtet. Jetzt wird in nächster Zeit der Fall eintreten, dass ich die wenigen Möbelstücke meines Amtszimmers, die von 1939 – 1946 unbenutzt und verkommend in einem Schuppen standen, kaufen muss. Die Möbelstücke, die ich vor der Währungsreform kaufen konnte, erwähne ich nicht. Alle diese Möbelkäufe nach der Währungsreform – bisher ca. 1300 DM – wollte ich gern mit meinem Gehalt bestreiten. Ich muss jetzt einsehen, dass das leider nicht geht und sehe mich daher genötigt, das Evangelische Konsistorium zu bitten, mir eine entsprechende Unterstützung gütigst gewähren zu wollen. Gehorsamst Neuberg, Pfarrer“.
(Neuberg bekommt daraufhin 350 DM einmalige Beihilfe).

Am 6. Juni 1950 bekommt Neuberg eine neue Gehaltsbescheinigung, aus der hervorgeht, daß er nun 597,10 DM bekommt.  

1. Januar 1952 Dienstantritt als Pfarrer einer Pfarrstelle in Bad Freienwalde/Oder, Kirchenkreis Bad Freienwalde.

21. April 1952 neue Gehaltsbescheinigung: 710 DM.
Aus einer Erklärung gegenüber dem Konsistorium für das Rechnungsjahr 1952 (Kindergeld) geht hervor, daß Tochter Brigitte, (geb. 12. 11. 1932) seit 1. 10. 1950 am Seminar für kirchlichen Dienst in Dahme/Mark in Ausbildung ist.

Am 22. November 1952 fragt Neuberg beim Konsistorium an, ob er Beihilfe bekommen kann, denn: „Meine Frau und ich tragen sich mit dem Gedanken von einer Witwe aus einer meiner früheren Gemeinden, die 8 Kinder hat, von denen ich 3 konfirmiert habe, ein Kind in Pflege zu nehmen. Die 3 Mädchen dieser Witwe, die ich konfirmiert habe, wollen sämtlich Diakonisse oder Katechetin werden und wir möchten gern, daß wenigstens eines von diesen Kindern einige Jahre in einem evangelischen Pfarrhaus zubringt, bevor die eigentliche Ausbildung beginnt. …..Für den Fall, daß diese Pläne sich verdichten sollten, darf ich anfragen, ob mir dann auch für eins dieser Kinder Kinderbeihilfe und Lohnsteuerermäßigung zustehen würde……“
Das Konsistorium antwortet, die Voraussetzungen dafür seien „nicht gegeben“.

Neuberg wohnt 1952 in Bad Freienwalde, Uchtenhagenstraße 4/5

Dann taucht ein Zeitungsartikel in der Personalakte auf, der dem Konsistorium „zugesandt“ worden war, aus dem hervor geht, daß „Herr Pfarrer Neuberg“ kräftig geholfen habe, ein völlig verunkrautetes Rübenfeld wieder zu säubern.
„Herr Pfarrer Neuberg aus Bad Freienwalde erklärte, daß es für ihn eine Selbstverständlichkeit war, die in Bedrängnis geratenen Staatsorgane durch seinen persönlichen Einsatz zu unterstützen[4]. Etwas unverständlich ist ihm jedoch die Zurückhaltung vieler Freienwalder Einwohner, von denen einige lieber einen Ausflug gemacht haben, als der Landwirtschaft in der Notlage zu helfen……..“ (im Konsistorium eingegangen am 14. Juli 1953)

Konsistorium an Neuberg in Bad Freienwalde: die Tochter Brigitte ist nun Katechetin und bekommt ab 1.9.1954 ein eigenes Gehalt, weshalb der Kinderzuschlag für sie entfällt

Im Januar 1955 beantragt er „zusätzlichen Urlaub“, den der Superintendent Dr. von Arnim genehmigt.

28.1.1955
Antrag des Konsistoriums auf eine „Erholungsmöglichkeit in einem Ihrer westdeutschen Heime“ an das „Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland Hauptbüro Brandenburg zu Händen von Frau Dr. Urban, Berlin-Zehlendorf, Teltower Damm 93“ Es geht um Neuberg, der „vor Jahren eine inaktive Tbc durchgemacht“ habe und nun prophylaktisch eine 6-8wöchentliche Kur benötige.

1. Juli 1956
Der Bischof zu Greifswald (Krummacher) schreibt an den „lieben Bruder Scharf“ in Berlin:
„….Nun macht mich Bruder Rieck auf einen Bruder Neuberg aus Bad Freienwalde aufmerksam, der in Ahlbeck als Kurpfarrer gewesen ist und vielleicht für das Pfarramt in Ahlbeck in Frage käme. Würden Sie mir freundlichst – zunächst vertraulich und persönlich – ein Urteil über Bruder Neuberg geben? …..“
Im Mai 1958 jedenfalls ist Neuberg immer noch in Bad Freienwalde und bittet um eine Urlaubsbeihilfe.
               Dann gibt’s eine anonyme Anzeige aus Bad Freienwalde gegen Pfarrer Neuberg.
Das Konsistorium reagiert und bittet ihn zur Anhörung. Anwesend sind Rechtsanwalt Vogel als Untersuchungsführer und Frau Annemarie Brümmer als Protokollführerin.
24. Juni 1959:
„Es erscheint gemäß Schreiben von 28. Mai 1959 Herr Superintendent Dietmar Voigt, Bad Freienwalde, und erklärt zu der anonymen Anzeige, soweit sie sich auf Pfarrer Albrecht Neuberg bezieht, folgendes:
Mir ist seit geraumer Zeit bekannt, daß Pfarrer Neuberg gelegentlich zuviel Alkohol trinkt. Ich hab darüber schon im vergangenen Jahre mit Herrn OKR Dr. Fichtner gesprochen. Wir sind damals dahin übereingekommen, daß ich zunächst durch persönliche Vermahnungen versuchen sollte, Pfarrer Neuberg zu einem vernünftigen und pflichtgemäßen Verhalten zu veranlassen. Dies ist geschehen und ich habe auch feststellen können, daß nach zwei Gesprächen, die ich mit Pfarrer Neuberg wegen seines Alkoholgenusses geführt habe, eine wesentliche Besserung eintrat.
Davon, daß Pfarrer Neuberg betrunken auf dem Marktplatz aufgefunden worden ist, weiß ich nichts. Ich werde versuchen, hierüber näheres zu erfahren. Richtig ist an der Anzeige, daß Pfarrer Neuberg auch bei einem Konfirmandenunterricht einmal angetrunken erschienen ist. Dies liegt aber bereits ein Jahr zurück und war mit Anlaß zu meinem Besuch bei Herrn OKR Dr. Fichtner. Sowohl die Amtsbrüder im Kirchenkreis als auch die Ältesten haben mich in dieser Sache mehrfach angesprochen, wir sind aber alle darüber einig gewesen, daß man zunächst versuchen sollte Pfarrer Neuberg durch persönliche Vorhaltungen auf einen rechten Weg zu bringen.
Ich habe auch mit Frau Pfarrer Neuberg wegen der verschiedenen Vorkommnisse gesprochen; sie erklärte mir, daß ihr Mann den Alkoholgenuß übertreibe, weil er sich in seiner Amtsstellung nicht voll befriedigt fühle.
Zu dem weiteren Inhalt des anonymen Schreibens, soweit er Vorwürfe gegen mich enthält, werde ich schriftlich Stellung nehmen.
Pfarrer Neuberg wurde Abschrift des anonymen Schreibens ausgehändigt; er wurde gebeten, sofern möglich, Name und Anschrift der Absenderin festzustellen. Berlin 24. Juni 1959.

Seite 2 (Abschrift)
„Es erscheint auf das Schreiben vom 28. Mai 1959 hin Herr Pfarrer Albrecht Neuberg und erklärt folgendes:
Es trifft nicht zu, daß ich auf dem Marktplatz aufgelesen worden bin und betrunken nach Hause gebracht worden sei und zwar trifft das weder für Mai 1959 noch für einen anderen Zeitpunkt zu.
Es ist richtig, daß ich manchmal Schnaps getrunken habe. Dies hielt ich für notwendig, weil ich mir in der Gefangenschaft eine Ruhrerkrankung zugezogen habe, an deren Folgen ich immer noch leide. Ich habe mich auch schon nach den Gesprächen mit Herrn Superintendent Voigt bemüht, jeden Alkoholmißbrauch zu vermeiden. Seit Erhalt des Schreibens vom 28. Mai 1959 habe ich mit Ausnahme eines Glases Wein überhaupt keinen Alkohol mehr getrunken.
Unrichtig ist auch, daß ich vor Konfirmanden angetrunken erschienen bin, jedenfalls ist mir nicht bekannt, daß darüber Beschwerde geführt worden ist. Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, daß man auch bei geringem Alkoholgenuß leicht den Eindruck erwecken kann, als ob man viel getrunken habe.
Ich verspreche, in Zukunft jeden Alkoholmißbrauch während der Dienstzeit zu unterlassen.
Berlin, den 24. Juni 1959“

Die Sache zieht sich jedenfalls über das Jahr 1959.
Am 10. Juli 1959 schreibt Superintendent Voigt in der Sache nochmals an Rechtsanwalt Vogel, mit dem er am 24. 6. die Angelegenheit schon einmal „erörtert“ hatte.

Und am 11. August 1959 notiert das Konsistorium „In der Hauskonferenz am 10. August 1959 ist beschlossen worden, von weiteren Ermittlungen abzusehen. Die bisherigen Ermittlungen haben keinen hinreichenden Verdacht für einen disziplinaren Tatbestand ergeben. Es spricht aber viel dafür, daß Pfarrer Neuberg mehrfach zuviel Alkohol genossen hat. Es ist dementsprechend beschlossen worden, Pfarrer Neuberg nochmals vorzuladen und ihn ernstlich zu vermahnen, jeglichen Alkoholmißbrauch zu unterlassen, da sonst ein Disziplinarverfahren unvermeidlich wäre.“
Jedenfalls musste Neuberg nochmal in der Jebensstraße am Montag, dem 24. August 1959 in der Suff-Angelegenheit antanzen.

Mit Datum 11. März 1965 ist vom Evangelischen Konsistorium Berlin-Brandenburg in einem Schreiben an den Gemeindekirchenrat des Pfarrsprengels Bad Freienwalde zu erfahren:

„Wir haben Herrn Pfarrer Albrecht Neuberg auf Grund von § 59 Abs. 1 des Pfarrerdienstgesetzes[5]
vom 11. 11. 1960
zum 30. Juni 1965 in den Ruhestand versetzt.
Hinsichtlich der Wiederbesetzung der Pfarrstelle ergeht zu gegebener Zeit besondere Verfügung“.

Eine letzte Aktennotiz des Konsistoriums Berlin-Brandenburg vom 16. Februar 1971
„Betr. Pfarrer i.R. Albrecht Neuberg, 1501 Elsholz (bei Beelitz)
Zur dortigen Information teilen wir mit, daß der Obengenannte im Februar dieses Jahres verstorben ist. Seine hinterbliebene Ehefrau Herta Neuberg erhält von uns ab 1. März 1971 Witwengeld.“


Soweit die personenbezogenen Daten, die sich aus der Akte ELAB 35/5155 zu Pastor Neuberg ergeben. Die Daten zu „Deutschen Christen“, „NSDAP“ etc. werden nach und nach ergänzt, soweit sie aktenkundig sind.
Anmerkung: Ein „Entnazifizierungsverfahren“ – nach kirchlichem Sprachgebrauch ein Kammerspruchverfahren – hat es nach dem Krieg gegen Neuberg nicht gegeben, jedenfalls kennen die erhalten gebliebenen Akten der Spruchkammerverfahren den Namen „Neuberg“ nicht. Offenbar hat es der Kirchenleitung genügt, ihn in eine entfernte Pfarrstelle zu versetzen.
In einem späteren Arbeitsgang will ich diese Daten mit den bereits ermittelten Daten aus dem Schriftwechsel der Kirchgemeinde Hohenschönhausen mit dem Konsistorium ergänzen und sie auch in den allgemeinen politischen Kontext jener Jahre stellen, damit sich so, Arbeitsgang für Arbeitsgang, allmählich ein Gesamtbild der gesellschaftlichen, kirchlichen und politischen Gegebenheiten in Hohenschönhausen in den Jahren 1933 – 1945 ergeben kann.
Für diese Arbeitsweise habe ich mich entschieden, damit Leserinnen und Leser mit hoher Transparenz sehen können, wie ich vorgehe.
Für Anregungen und Kommentare bin ich immer dankbar, dafür ist ein e-mail-Kontakt im blog eingerichtet.


[1] Der Patron der Pfarrstelle Neuhardenberg, Carl-Hans Graf von Hardenberg, wird schon bald versuchen, Neuberg wieder loszuwerden. Die eng nationalsozialistische Gesinnung des Pastors gefällt ihm nicht – Neuberg kommt nach Hohenschönhausen. Vgl. dazu https://www.academia.edu/8593812/ein_deutscher_Christ_in_Lichtenberg?fbclid=IwAR2FGu98HFtRl8XVMZL10XelnBXGMPw_VAr1d2fwAuGHmrmSC5sDN9bo2LA
und weil Neuberg „vom nationalsozialistischen Gedankengut stark geprägt war“ (Horst Mühleisen, Patrioten im Widerstand. Carl-Hans Graf von Hardenbergs Erlebnisbericht, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 41, 1993, 419-477, 424); siehe auch: Klaus Gerbet, Carl-Hans Graf von Hardenberg, 1993, 41. EvDR 5, 18.19.1936 [9].

[2] Das Haus in der Hauptstraße 39 war aber intakt, was da „verloren gegangen“ sein könnte, muss genauer recherchiert werden. Offenbar hatte er z.B. die Möbel seines Amtszimmer „in einem Schuppen untergestellt“.

[3] In Ostdeutschland 22. Juni 1948, nachdem die Westzonen schon eine Reform durchgeführt hatten. https://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%A4hrungsreformen_in_Deutschland#1948_in_der_Sowjetischen_Besatzungszone

[4] Das riecht mir etwas zu sehr nach Anpassung an den neuen Staat, denn es waren die Jahre des Kirchenkampfes.

[5] in der geltenden Neufassung des Pfarrerdienstrechts der EKD geht es in § 60 um „vorläufige Untersagung der Dienstausübung“  https://www.kirchenrecht-ekd.de/document/14992#s47000207


Die Tabor-Kirchgemeinde Berlin-Hohenschönhausen zwischen 1933 und 1945. Ein Beitrag zur Regionalgeschichte (2)

Die Tabor-Kirchgemeinde Berlin-Hohenschönhausen zwischen 1933 und 1945. Ein Beitrag zur Regionalgeschichte (2)

Am 30. 1. 1933 war Hitler Reichskanzler geworden. In großer Eile gingen die Nazis daran, demokratisch gewählte Vertretungen (Gewerkschaften, Parteien etc.) entweder zu verbieten, ihre Funktionäre in Gefängnisse und KZs zu stecken – oder sie „gleichzuschalten“. Das betraf auch die Evangelische Kirche. Durch Erlaß des „Staatskommissars“ für Kirchenfragen (August Jäger) vom 25. Juni 1933 galten die kirchlichen, demokratisch gewählten Körperschaften wie die Gemeindekirchenräte als „aufgelöst“, wie das folgende Dokument auch für Hohenschönhausen zeigt:

Quelle: Evangelisches Gemeindeblatt vom 1. Juli 1933 für Hohenschönhausen; aufbewahrt im Stadtmuseum Lichtenberg

Pastor Dr. Kurth bestellte den Land- und Amtsgerichtsrat Dr. Bork und den Diplomingenieur Dierstein mit in die Leitung der Kirchgemeinde, bis die „Körperschaften neu gewählt“ sein würden. Sowohl mit Dr. Bork – mit dem besonders – als auch mit Herrn Dierstein hat Dr. Kurth schwerste Auseinandersetzungen geführt. Beide Herren setzten alles daran, Dr. Kurth „loszuwerden“, aber dazu kommen wir noch ausführlicher in einem späteren Beitrag.
Am 28. Juli 1933 werden die kirchlichen Körperschaften neu „gewählt“. Von freien Wahlen konnte allerdings überhaupt gar keine Rede sein, sogar Hitler selbst hatte noch am Vorabend der Wahlen über den Rundfunk zugunsten der „Deutschen Christen“ gesprochen. Entsprechend gingen diese „Wahlen“ aus: in Hohenschönhausen setzten sich die nationalsozialistisch gesinnten „Deutschen Christen“ zu 100% durch. Im evangelischen Gemeindeblatt heißt es lapidar: „Kampflos ist in unserem Ort die Kirchenwahl verlaufen. Bereits bei der vorigen Wahl hatte die Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ die absolute Mehrheit erhalten…….“

Quelle: evangelisches Gemeindeblatt für Hohenschönhausen, 1. 7. 1933, Stadtmuseum Lichtenberg.
Für unsere Untersuchungen sind nun die Namen der „Gewählten“ interessant. Zwei Gremien waren zu bestimmen: der „Gemeindekirchenrat„, also der eigentliche, innere Kern der Gemeindeleitung und zusätzlich die „Gemeindeverordneten„, die eine breite „Absicherung“ der Kirchgemeinde in der Gesamtgesellschaft in Hohenschönhausen sicherstellten.
Zum engeren Leitungskreis um Pastor Dr. Kurth gehörten nun (allesamt „D.C.“)
1. Fritz Dierstein
2. Friedrich Hagen
3. Hannes Haak
4. Dr. Günther Bork
5. Fritz Koch
6. Emil Briesemeister
7. Johannes Moll
8. Heinrich Haehn
9. Hugo Trembinski
10. Johannes Leutke
11. Wilhelm Müller
12. Curt Papsdorf
Von den Gemeindevertretern will ich die Nr. 21 hervorheben: Richard Vahlberg. Das war der Ortsgruppenleiter der NSDAP in Hohenschönhausen. Vahlberg gehörte zu den „alten Kämpfern“ um Adolf Hitler. Er war schon 1931 „Sektionsleiter“ der NSDAP in Hohenschönhausen, wie das folgende Dokument nachweist: (Auszug aus der „Geschichte der NSDAP in Weißensee“. Aus der Festschrift zu 700 Jahre Weißensee im Jahre 1937, S. 97)

Nr. 25 unter den neu bestimmten „Gemeindevertretern“ findet sich Willi Hausen, war „Gemeindegruppenleiter der Deutschen Christen“, wie aus folgendem Dokument hervorgeht, auf das wir noch gesondert zu sprechen kommen: es handelt sich dabei um eine „Unterschriftenliste“, die Dr. Bork, ein Intimfeind von Pastor Dr. Kurth, im Jahre 1935 gegen den Pastor gesammelt hat, um seine Versetzung in den Ruhestand zu erzwingen. (Quelle: Kirchliches Zentralarchiv ELAB 14/5222)

Im nächsten Blog-Beitrag will ich etwas näher auf die „gesellschaftlichen Verhältnisse“ im Hohenschönhausen jener Jahre eingehen, weil sie für das Verständnis der vorliegenden Dokumente notwendig sind.

Die Tabor-Kirchgemeinde Berlin- Hohenschönhausen zwischen 1933 und 1945. Ein Beitrag zur Regionalgeschichte (1)

Die Tabor-Kirchgemeinde Berlin- Hohenschönhausen zwischen 1933 und 1945. Ein Beitrag zur Regionalgeschichte (1)

Kirchengeschichte ist Teil der allgemeinen Geschichtsschreibung. Will man die Geschichte eines ehemaligen Dorfes im ehemaligen Landkreis Barnim in den Jahren zwischen 1933 und 1934 erkunden, muss man sich mit den Ereignissen in der evangelischen Kirchgemeinde befassen, denn sie waren wesentlicher Teil der Ereignisse im Dorf. Die Kirchgemeinde hatte in jenen Jahren immer noch großen Einfluss und es war nicht unerheblich für das gesamte Dorf Hohenschönhausen (seit 1920 Teil Berlins), wie der Pastor und der Gemeindekirchenrat dachten und sich verhielten.
Umgekehrt ist die Darstellung der Verhältnisse in der evangelischen Kirchgemeinde auch Spiegelbild der allgemeinen Verhältnisse im ehemaligen barnimschen Dorf Hohenschönhausen, das 1933 seit 13 Jahren zu Berlin gehörte.
Wesentlich waren in den zu beschreibenden Jahren zwei Pastoren:
Dr. Julius Kurth und Pfarrer Albrecht Neuberg.
Julius Kurth (von 1910 bis 1935 Pastor in Hohenschönhausen) gehörte seit 1933 zu den „Deutschen Christen“, Albrecht Neuberg (1936 – 1945 Pastor in Hohenschönhausen) galt im Urteil von Gemeindegliedern, mit denen ich Anfang der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts sprechen konnte, zu den „scharfen NS-Unterstützern.“ Wir werden uns im Folgenden mit beiden Pastoren, aber auch mit dem Gemeindekirchenrat und den kirchlichen Gruppen innerhalb der Gemeinde beschäftigen und versuchen, möglichst exakte Dokumente beizufügen. Wichtigste Quelle sind bislang die Unterlagen über die Kirchgemeinde im Zentralarchiv der Landeskirche und im Lichtenberger Stadtmuseum.
Beginnen wir mit den Pastoren und ihren Porträts. Beide sind in der Sakristei der Tabor-Kirche aufbewahrt.

Dr. Julius Kurth war ein national gesinnter, konservativ eingestellter Privatgelehrter, der sich mit Fragen antiker Kunst bestens auskannte und dazu auch publiziert hat. Grosse-Leege hatte ihn – in seiner Eigenschaft als Patron der Kirchgemeinde – noch berufen.

Kurth ging mit einem Riesenkrach aus der Gemeinde Hohenschönhausen in Pension. Lange Jahre schon gab es Intrigen gegen ihn, er hat das Konsistorium – also seine vorgesetzte kirchenleitende Behörde – mehrfach schriftlich „um Schutz“ gebeten. In seinen letzten Berufs-Jahren 1933 – 1935 waren es vor allem Nationalsozialisten im Gemeindekirchenrat, die ihn „weghaben“ wollten, obwohl er zu den „Deutschen Christen“ gehörte, der hitlertreuen Mehrheit der Berliner Pastoren also. Allen voran ein Dr. Bork, der damals im Rathaus Hohenschönhausen wohnte. Aber auch der Ortsgruppenchef der NSDAP, Vahlberg, war Mitglied im Gemeindekirchenrat und arbeitete gegen Dr. Kurth. Wir werden dem im Einzelnen noch nachgehen.
Zum Gemeindekirchenrat lässt sich sagen: er war schon im Sommer 1933 zu 100% deutsch-christlich, also „hitlertreu“. Allerdings muss man auch da genauer hinschauen. Das werden wir anhand der Dokumente tun.
Der Ortsteil Berlins, um den es geht, war allgemein-politisch eher links: Kommunisten und Sozialdemokraten stellten bis 1933 die Mehrheiten. Das änderte sich allerdings mit der „Machtergreifung“ schlagartig. Ähnlich wie im „roten Wedding“ wurde, was ehemals „rot“ war, überraschend schnell „braun“. Die Rolle der Kirche dabei war nicht unerheblich. Denn man sprach im Dorf über das Verhalten, die Veröffentlichungen und auch die Predigten des Pastors und die Ereignisse im Gemeindekirchenrat.
Das oben als Header eingefügte Titelbild stammt aus dem Jahre 1944. Ich habe es dem Band „1945. Nun hat der Krieg ein Ende. Erinnerungen aus Hohenschönhausen“, zusammengestellt und eingeleitet von Thomas Friedrich und Monika Hansch, herausgegeben vom Museum Hohenschönhausen 1995, auf Seite 145 entnommen.
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