Haben Sie ein Telefon? Gut, damit lässt sich arbeiten

Haben Sie ein Telefon? Gut, damit lässt sich arbeiten

Die Tagespolitik ist mit Corona beschäftigt. Ich bin in freiwilliger Quarantäne, habe also Gelegenheit mich um das große Thema Klimaschutz zu kümmern und zu überlegen, was ich beitragen kann, damit die zahlreichen Wahlen, die in diesem Jahr auf uns zukommen, Fortschritte im Klimaschutz bringen.
Klar ist: wir brauchen angesichts der Lage deutlich mehr Abgeordnete in den Parlamenten, die sich wirklich engagiert für Klimaschutz einsetzen. Denn die täglich veröffentlichten Messwerte und Befunde verheißen nichts Gutes. Solche Abgeordnete gibt es in allen Parteien, außer der AfD, denn die hat sich klar gegen Klimaschutz ausgesprochen.

Was also kann jetzt im Januar getan werden?
Man kann sich 1. zunächst einen Überblick verschaffen, zu welchem Bundestagswahlkreis mein Wohnort gehört. Dann kann man sich 2. – online natürlich – bei den jeweiligen Parteien erkundigen, wer inzwischen nominierter Wahlkreiskandidat (-in) ist und sich eine kleine private Liste mit den Telefonnummern, Mail Adressen etc. anlegen 3. Kontakt zu den KanditatInnen aufnehmen (per Telefon oder mail oder Post oder wie auch immer). 4. sind die Kandidaten zu befragen. Diese Fragen können sorgfältig, vielleicht sogar in einer kleinen privaten Wählerinitiative vorbereitet werden. Unser Netzwerk Fuer-unsere-Enkel.org hat sich bei allen zurückliegenden Wahlen auch als solche Wählerinitiative verstanden, die ihren Beitrag dazu geleistet hat, dass das Thema Klimaschutz immer weiter auf der Prioritätenliste nach oben gerückt ist. Da unser Netzwerk europäisch (vor allem Deutschland, Österreich, Schweiz) arbeitet, haben wir, je nach Wahltermin, verschiedene Schwerpunktzeiten. Diesmal nun ist vor allem Wahlzeit in Deutschland, die Termine sind bekannt.

Die „neuen Medien“ geben uns bei der Vorbereitung der Wahlen gute neue Möglichkeiten an die Hand. Vorstellbar sind zum Beispiel online-Kandidaten-Befragungen durch eine private Wählerinitiative, die man anschließend in den jeweiligen Netzwerken verbreiten und so für mehr Klarheit sorgen kann. Oft wird ja geklagt, man kenne die Kandidaten gar nicht – dem kann man ja abhelfen. Die Bundestagswahl ist im September. Wir haben also genügend Zeit, uns vorzubereiten.

Eins noch: die mittlerweile (seit 2017) https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.bundestagswahl-senioren-erstmals-groesste-waehlergruppe.7fa8b7a7-d281-490c-82f2-d53ca5415c87.html wichtigste Wählergruppe ist die der Gruppe der ab 55-Jährigen. Sie ist wahlentscheidend.
Wenn diese Gruppe für ihre Kinder und Enkel wählt und diejenigen unterstützt, die sich wirklich glaubwürdig für engagierten Klimaschutz einsetzen – dann ist die Wahl gelaufen.

Es ist an der Zeit, dass die Eltern und Großeltern für ihre Kinder und Enkel entscheiden.

Irrtümer. Die Bundestagswahlen des Jahres 1990. Notizen aus meinem Diensttagebuch.


Es ist an der Zeit, die alten Notizen wieder zur Hand zu nehmen und zu kommentieren, sonst werden sie immer schwerer verständlich und die Nachgeborenen können nicht mehr recht verstehen, was da notiert wurde. Deshalb nehme ich meine alten Dienst-Tagebücher nun wieder zur Hand, sehe sie durch und veröffentliche die eine oder andere Notiz, weil sie historisch interessant sein könnte. Ich war im Jahre 1990 Geschäftsführer des „Vereins für Politische Bildung & Soziale Demokratie e.V.“, der Vorläuferorganisation für die Friedrich-Ebert-Stiftung im Gebiet der ehemaligen DDR. Meine Diensttagebücher der Jahre 1990 bis 1995 sind komplett und vollständig und jetzt eine gute Grundlage für eine präzise Erinnerung.

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Dieses Foto zeigt meine Notizen während einer Veranstaltung in der heutigen Gewerkschaftsschule Bernau am 19. 7. 1990. Es ging darum, für die SPD den Bundestagswahlkampf zu planen. Versammelt waren Vertreter der Bundes-SPD und vor allem die Geschäftsführer der ostdeutschen SPD-Bezirke (die damals noch im Entstehen waren). Die Ost-SPD hatte ja keinerlei Strukturen zur Verfügung.  Die Friedrich-Ebert-Stiftung beteiligte sich an der Veranstaltung nicht, ich war sozusagen als „Beobachter“ dabei. Gottfried Timm hatte den Vorsitz der Versammlung, eine Werbeagentur (Rudolf Schäfer) war anwesend und Erik Bettermann von der „Deutschen Welle“ war als PR-Profi dazu gekommen.  Die von ihm referierten ZDF-Umfrage-Zahlen zeigten: „Die SPD liegt vorn“ und „Parteien aus dem Westen werden bevorzugt“. Die PDS lag damals bei 5% in den Umfragen, wie das Foto vom Protokoll belegt. Eins war klar: der Osten war ein besonderes „Problem“ in diesem Wahlkampf, mit dem keiner so richtig umgehen konnte. Wichtig sei, wie die SPD „in den elektronischen Medien“ (damit waren Radio und Fernsehen gemeint) vorkäme. Man wolle „Zeitungsanzeigen. Auch in der BILD-Zeitung“ schalten, pro SPD-Bezirk seien „100 Großtafeln“ geplant. Die ganze Unternehmung würde etwa „7 Millionen“ kosten, in den 4 letzten Wochenenden vor der Wahl solle es „Sonderzeitungen“ geben, man wolle „besonders in der DDR Grundbotschaften vermitteln“.

Die „inhaltlichen Schwerpunkte, Stand Juli 1990“ seien:
1. der Ökologische Umbau der Wirtschaft
2. für Soziale Gerechtigkeit
3. für sichere Arbeitsplätze
4. für gute Wohnung
5. für sichere Renten

Der „rote Faden“ solle sein: „Wir sind die erfahrenen Krisenmanager“ (die von der SPD regierten 7 Bundesländer seien allesamt „Krisengebiete“).

Und dann hat man sich allen Ernstes die Frage gestellt (rechts im Foto zu erkennen): „Womit fängt die SPD an, wenn sie die Regierung bildet?“
Hinzugefügt wurde: „Bis Anfang August ist Oskars Konzept fertig“. Die Rede war von Oskar Lafontaine, damals Ministerpräsident des Saarlandes und Kanzlerkandidat der SPD. Seine „Grundphilosophie“ sei: „keine konsumtiven Investitionen, sondern strukturförderne, innovative Investitionen“.

Ich erinnere mich noch ziemlich genau: die Vertreter der Ost-Bezirke der SPD hörten sich das alles ziemlich still an. „Der Westen“ redete. Er bezahlte die Sache schließlich auch.

Bei der Bildung der Wahlkreise wusste man im Juli 1990 noch nichts Genaues. Klar war nur, das Präsidium der Volkskammer bereite dafür ein Gesetz vor. Reinhard Höppner war der wichtige Mann dafür. Gleichzeit war jedoch zu erfahren, dass das Statistische Bundesamt im Auftrage des Bundesinnenministeriums bereits an dieser sensiblen Frage arbeite. Im Hintergrund wurden die Fäden gezogen. „Sollte es Schwierigkeiten mit den Wahlkreiszuschnitten geben“ meinte Bettermann, „müsse das mit Reinhard Höppner diskutiert werden.“

Dann wurde der „Rednereinsatz“ geplant. Sachsen-Anhalt (Höppner) und Brandenburg (Stolpe) sollten „direkt auf Landesebene koordinieren“. Für den „Osten insgesamt und für NRW“ sei Willy Brandt vorgesehen.
Man wolle „keine Riesenveranstaltungen“ im Osten machen, sondern „Pressebesuche in den Redaktionen; Betriebsbesuche in den Betrieben (die grade krachen gegangen waren ….), man solle bei den Veranstaltungen im Osten auch „Zeit für Fragen“ berücksichtigen.

So war die Planung am 19. Juli 1990 in Bernau.
Rausgekommen ist was andres: Kohl gewann die Wahl, die ganz im Zeichen der Feierlichkeiten anlässlich der „Wiedervereinigung“ am 3. Oktober 1990 stand. Er hatte mit dem „Druck auf den 3. Oktober“, den richtigen Riecher.

Jetzt sind Eltern und Großeltern dran: Europawahl. FridaysForFuture, wir haben verstanden!


Europawahl ist Klima-Wahl

„Wir haben verstanden!“ Das muss und wird die Antwort der stimmberechtigten Eltern und Großeltern bei der Europawahl an die Kinder und Jugendlichen von #FridaysForFuture sein.

Am 24. Mai wird FridaysForFuture in ganz Europa nochmal massiv auf die Straßen gehen und klar machen, worum es geht. Und am 26. Mai wird gewählt.

Worum geht es?
Noch etwa 10 Jahre – dann muss der Ausstieg aus der Verbrennung Fossiler Energien unumkehrbar organisiert sein. So sagt es die Klimawissenschaft. Noch etwa 10 Jahre – also im Jahre 2030 muss der Ausstiegsprozess unumkehrbar sein.

Das jetzt zu wählende Europäische Parlament wird die Hälfte dieser entscheidenden Zeit politisch wesentlich mitbestimmen – deshalb kommt es sehr darauf an, wer ins Parlament gewählt wird.

Die Kohle-Parteien haben offenbar mitbekommen, dass sich der Wind gerade mächtig gedreht hat. Sogar der sächsische Ministerpräsident Kretschmer (CDU), findet die Streiks der Schüler richtig, sie seien ein „jugendlicher Ausdruck“ dessen, was die Jugendlichen wollen. Noch unglaubwürdiger kann man allerdings kaum sein, war doch Kretschmer einer der Ministerpräsidenten, die für einen möglichst langen Gebrauch der Braunkohle bis in die vierziger Jahre eingetreten ist.

Die jungen Leute schert das glücklicherweise nicht. Sie tun, was sie tun können: sie mobilisieren Öffentlichkeit. Sie tun das weltweit. Sie machen das auf eine bemerkenswert professionelle Weise nur ausgerüstet mit ihren Laptops und Smartphones.

Nun aber muss die Antwort der Eltern und Großeltern kommen.
Und diese Antwort muss eine politische sein.

Am 26. Mai wählt Europa ein neues Parlament.
Diese Wahl muss und wird zur Klima-Wahl werden. Jeder kann sich daran beteiligen. Sprechen Sie in der Familie darüber, reden Sie mit den Nachbarn, nutzen Sie Ihre Netzwerke,nehmen Sie Ihren guten alten E-Mail-Verteiler zu Hilfe. Es geht nicht um uns. Es geht um unsere Kinder und Enkel. Deshalb engagieren sich große Netzwerke wie Europäische Energiewende und Fuer-unsere-Enkel.org gemeinsam mit anderen für diese so besondere Europa-Wahl.

Und Sie? Nun sind Sie dran!

Gehen Sie zur Europa-Wahl am 26. Mai 2019 und geben Sie Ihre Stimme Kandidatinnen und Kandidaten, die wirklich authentisch und überzeugend für einen wirksamen Klimaschutz auf europäischer Ebene eintreten.

Die Europawahl im Mai entscheidet, ob wirksamer Klimaschutz noch gelingt


Notwendige CO2-Reduktion, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen. Grafik: Rahmstorf

„Wir werden die Europawahl zu einer Abstimmung über Klimaschutz machen“ sagen die jungen Leute von #FridaysForFuture. Und wir vom Netzwerk Fuer-unsere-Enkel.org werden sie dabei unterstützen.
Denn die Zeit wird sehr knapp. Noch knapp zehn Jahre stehen zur Verfügung, um die CO2-Emissionen drastisch zu senken, dann ist das Budget, zu dem sich Deutschland im Paris-Vertrag verpflichtet hat, aufgebraucht. Professor Stefan Rahmstorf hat schon Ende 2018 in einer anschaulichen Grafik aufgezeigt, um was es geht (vgl. Bild oben). Hätte die Regierung im Jahre 2000 begonnen, CO2 wirksam zu reduzieren, hätte ein Minus von 4% pro Jahr ausgereicht. Mittlerweile müsste Deutschland 18% jährlich CO2 reduzieren und die Kurve wird immer steiler, je länger man zuwartet und nicht handelt. „Das Handlungsfenster schließt sich“ warnt UN-Generalsekretär Antonio Guterres unermüdlich. Zur im September stattfindenden UN-Sonderkonferenz zum Klimawandel sollten die Regierenden „nicht Reden, sondern Pläne mitbringen“, hat er kürzlich öffentlich gemahnt.

Im Mai wird gewählt. Das dann neu zusammengesetzte Europäische Parlament wird die europäische Energie- und Klimaschutzpolitik in den Jahren 2019 bis 2023 mitbestimmen. Das ist beinahe die Hälfte der Zeit, die für engagierten Klimaschutz noch bleibt. 

Deshalb ist diese Europa-Wahl so besonders.
Und deshalb muss es gelingen, diese Wahl zur Abstimmung über den Klimawandel zu machen.

FridaysForFuture hat kürzlich konkrete Forderungen an die Politik veröffentlicht. Diese Forderungen sind im sehr engen Dialog mit der Fachwissenschaft entstanden, sie sind keineswegs „blauäugig“, sondern realistisch erreichbar, wenn man die politische Kraft dafür aufbringt. Deshalb ist es sehr sinnvoll, bei dieser besonderen Wahl die Parteien daraufhin zu befragen, was sie im Europäischen Parlament konkret zu tun gedenken, um die Ziele des Paris-Vertrages zu erreichen. Man kann die Wahlprogramme dazu nachlesen, man soll aber auch die Kandidaten direkt befragen.
Wer nicht wirklich überzeugend für engagierten Klimaschutz auf europäischer Ebene eintritt, ist nicht wählbar.

Bei dieser Wahlentscheidung geht es nicht um die jetzt Älteren, sondern es geht um die Kinder und Jugendlichen, die sehr zu Recht gemeinsam mit über 30.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von der Politik einfordern:
Handelt endlich!

Heute (10.4.2019) findet die erste Sitzung des „Klimakabinetts“ statt. Bundeskanzlerin Merkel wird die Sitzung selber leiten. Sie hat in den zurückliegenden Tagen zum wiederholten Male die jungen Leute auf den Straßen ermutigt und geäußert, sie fände es „gut, daß ihr uns so einen Druck macht“. Wir werden nun sehen, ob das nur freundliche Worte waren, oder ob nun Taten folgen.
Es ist ihre letzte Legislatur. Sie hat mit dem Klimakabinett die Chance, nun endlich Führungsstärke zu beweisen. Sie muss sich durchsetzen vor allem gegen Industrieinteressen im Verkehrssektor, sie muss auch nicht berechtigte Ansprüche aus der Kohleindustrie zurückweisen. Sie muss die Rechte (!) der jungen Generation als Maßstab ihres Handelns anerkennen.  Gelingt das nicht, dann wird diese Regierung mit allem Fug und Recht bei der nächsten Wahl abgewählt.

 

Du sollst nicht gehorchen


Mein halbes Leben habe ich in einer Diktatur gelebt.
Die tägliche Frage war: mache ich mit oder sage ich „nein“?
Die Dauerfrage war: gehorche ich oder gehorche ich nicht?
Meine Familie hat in der Diktatur überlebt, weil wir nicht gehorcht haben. Wir waren nicht in den Pionieren, nicht in der FDJ, nicht bei der vormilitärischen Ausbildung, nicht beim Militär, auch haben wir uns nie an „Wahlen“ beteiligt, denn es waren keine Wahlen. Am Ende dieser Diktatur waren es viele Menschen, die nicht mehr gehorchten. Das war ziemlich genau an ihrem vierzigsten Geburtstag. Danach war Schluss mit der größten DDR der Welt.
Der Ungehorsam hatte zunächst einen kleinen Preis: wir konnten nicht studieren, was wir wollten. Am Ende aber hat der Ungehorsam zum Fall der Diktatur beigetragen.
Ich hätte nach dieser Erfahrung nicht für möglich gehalten, was sich jetzt in den Vereinigten Staaten abspielt. Ein offensichtlich Irrer kommt an die Macht, verprellt innerhalb von nur vierzehn Tagen seine wichtigsten Verbündeten, greift die Wissenschaften an, hetzt gegen „Ausländer“, regiert durch „Dekrete“, weil er das Parlament mißachtet und handelt nach dem simplen Motto: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.“
Viele reagieren entsetzt. Und ratlos.
Was kann „man“ tun?
Meine erste Hoffnung ist, dass die gewählten Abgeordneten in beiden Häusern sich auf die große demokratische Tradition ihres Landes besinnen und „nein“ sagen, wenn der Irre von ihnen verlangt, dass sie gehorchen. Man darf seine irren Dekrete schlicht nicht befolgen.
Einige tun das bereits. Der Bürgermeister von New York beispielsweise.
Aufrechte Konservative sind gefordert, „nein“ zu sagen.
Auch in Deutschland kam maßgeblicher Widerstand gegen den Irren in der Reichskanzlei aus den Kreisen der Konservativen. Weil sie verstanden hatten, dass man das Land vor dem Irren schützen musste. Diese Einsicht kam allerdings viel zu spät. Der Nationalsozialismus konnte so verheerend wirken, weil viel zu viele Menschen den Irren gefolgt waren und ihnen „blind gehorcht“ haben.
Der Irre vom Weißen Haus hat nun über seinen spiritus rector Stephen Bannon mitgeteilt, dass „in einigen Jahren, vielleicht in fünf oder zehn Jahren“ mit einem Krieg gegen China zu rechnen sei.
Er wird den Konflikt früher beginnen. Denn er weiß jetzt bereits, dass er nicht wieder gewählt werden wird. Der Widerstand in der Bevölkerung ist bereits jetzt gewaltig. Und im November kommenden Jahres wird der Kongreß neu gewählt.
Dann aber kann es bereits zu spät sein. Der Irre von der Reichskanzlei hat nur wenige Monate gebraucht, dann hat er verkündet, die „Resolution“ sei „abgeschlossen“. Man schrieb den Januar 1934.
Der Irre im Weißen Haus braucht nicht so lange.
Deshalb ist Ungehorsam jetzt so wichtig.
Hannah Arendt hat immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig der Ungehorsam ist. Bürokratien, die von Irren geleitet werden, reden sich später damit heraus, sie hätten nur „auf Befehl“ gehandelt. Verantwortliche gibt es nicht.
In den gewaltigen Bürokratien der modernen Massengesellschaften kommt es aber auf nichts mehr an, als auf die Courage des einzelnen Menschen. Nur der „Sand im Getriebe“ kann das Getriebe aufhalten.
Anders sind Irre an der Spitze von Bürokratien nicht aufzuhalten.
Wenn man nicht mehr gehorcht, dann steht der Kaiser nackt in der Gegend.
Amerika ist stark. Das Land hat eine große demokratische Tradition.
Mein Hoffnung ist deshalb, dass die amerikanische Bevölkerung nun auch die Kraft aufbringt, nicht mehr zu gehorchen.
Die Erfahrung zeigt: mit Ungehorsam lassen sich sogar Diktaturen überwinden.

Weshalb schweigt die Kanzlerin?


Der Bundestag schickt 1200 Männer und Frauen nach Syrien in den Krieg gegen den Terror – und die Kanzlerin gibt nicht mal eine Regierungserklärung dazu ab. Sie schweigt.
Wegen jeder Kleinigkeit wird eine Regierungserklärung gegeben. Vor Europa-Gipfeln ebenso, wie bei wichtigen politischen Entscheidungen. Bei Rentenerhöhungen ebenso wie in anderen Politikfeldern.
Alle Kanzler haben sich, wenn es um fundamentale Fragen von Krieg und Frieden ging, öffentlich erklärt.
Das kann man nicht nur erwarten, das muss man erwarten.
Bei der jetzt vom Deutschen Bundestag beschlossenen Beteiligung von 1200 Soldatinnen und Soldaten am Krieg gegen den Terror in Syrien – kein Ton.
Nichts.
„Ich habe nichts anzukündigen“ meint der Pressesprecher der Regierung, Seibert auf die Frage von Journalisten, wann denn eine Regierungserklärung zum Syrien-Krieg zu erwarten sei.

Ist der Eintritt der Deutschen in die „Allianz gegen den Terror“ nicht der Rede wert?
Hat sich Deutschland mittlerweile so sehr an Kriegseinsätze ohne Mandat gewöhnt, dass die Entsendung von 1200 Soldatinnen und Soldaten „nicht der Rede wert“ ist?
Ist es das?

Ich kann und will das nicht glauben.

Die Kanzlerin ist es mindestens den Soldatinnen und Soldaten und ihren Angehörigen schuldig.

Eine so fundamentale Entscheidung zu treffen wie die vom heutigen Tage – und dann kommt nichts aus dem Kanzleramt.

Das geht gar nicht.

Bombenstimmung im Advent

Bombenstimmung im Advent

Das Tempo ist diesmal sehr besonders. Am 13. November 2015 gab es Terroranschläge in Paris. Und bereits am 4. Dezember 2015 beschließt der Bundestag , in den Krieg gegen den IS einzutreten. Es werde „sehr lange dauern“, ist zu erfahren und „gefährlich“ sei das auch. Das wars dann auch schon.
Das Mandat dazu ist überaus schwammig. Man bezieht sich auf die Bitte Frankreichs um Unterstützung und auf einen EU-Vertrag, der zum gegenseitigen Beistand verpflichtet. Ein Mandat des Weltsicherheitsrates gibt es nicht. Und das Mandat bedeutet im Kern einen blanko-Scheck fürs Militär: nicht nur über Syrien soll geflogen werden, sondern über einem Gebiet bis zum Persischen Golf und über dem Roten Meer – also fernab von Syrien.
Das eigentliche Ziel ist unklar, selbst Militärs wundern sich über die unprofessionelle Vorbereitung, denn es gibt nicht mal eindeutige Kommandostrukturen.
Die Regierungsfraktionen werden zustimmen (in der Probeabstimmung 1 Gegenstimme bei der Union, 13 Gegenstimmen bei der SPD); Linke lehnt ab, Grüne lehnen mehrheitlich ab.
Ich erinnere mich gut, wie wir nach den Anschlägen vom September 2001 um eine Position gerungen haben – Afghanistan betreffend. Nächtelang ging das. Tagelang. Freundschaften sind zerbrochen. Um Grundsätzliches wurde gestritten. Niemand hat es sich irgendwie leicht gemacht.
Auch damals ging es ja um den „Krieg gegen den Terror“. Völlig klar war uns: ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates würde gar nichts gehen.
Das ist diesmal alles sehr anders.
Deutschland hat sich an den Krieg gewöhnt.
Es gibt ihn zwar noch, den „Kampf um die Bedeutung der Worte“ – Frau von der Leyen, die derzeitige Verteidigungsministerin, weigert sich strikt, – ähnlich wie einer ihrer Vorgänger im Afghanistan-Krieg – von „Krieg“ zu sprechen, die Armee spricht „selbstverständlich“ von Krieg. Es hat auch rentenrechtliche Konsequenzen, das war schon beim Afghanistan-„Einsatz“ so. „Einsätze“ sind billiger als „Kriege“.

Der eigentliche, der zentrale Punkt aber – der kommt im Grunde gar nicht vor in der Debatte. Es geht um die Frage, die schon Erhard Eppler und andere in früheren Jahren nachdrücklich gestellt haben:
Was kann man tun gegen „privatisierte Gewalt“, die eben nicht von Staaten, sondern von Terrorgruppen oder terrorbereiten Einzelpersonen ausgeht?
Die Regierung vertritt eine „Doppelstrategie“ – einerseits der „Wiener Prozess“, andererseits das militärische Bündnis mit Frankreich („damit Europa nicht auseinanderbricht“ (Steinmeier)). Der „Wiener Prozess“ ist schon deshalb nötig, weil sich die Teilnehmer der „Allianz gegen den IS“ nicht einig sind. Man muss sich überhaupt erst mal über die Frage verständigen, wen man eigentlich zu bekämpfen gedenkt. Das kann dauern.
Solange wird gebombt. (Die Verteidigungsministerin hat gerade gestern und heute darauf hingewiesen, dass die Dauer des „Militäreinsatzes“ vom Erfolg des Wiener Prozesses abhinge).

Aber: kann man mit Bomben privatisierte Gewalt bekämpfen?
Nein, das kann man nicht.
Denn mit jeder Bombe, die das Haus eines Zivilisten trifft – und das wird reichlich geschehen – entsteht eine neue Terror-Zelle. Bomben vergrößern die Gefahr.
Wenn eine Staatengemeinschaft privatisierte Gewalt, wie sie in Terroranschlägen zum Ausdruck kommt, mit Krieg bekämpft, mit Flugzeugträgern, Fregatten, Tornados und Bomben – dann zeigt sie damit lediglich nur, dass sie der Logik der Gewalt folgt – und nicht der Logik des Rechtsstaates.

Denn: privatisierte Gewalt in Gestalt von Terroranschlägen ist nichts andres als ein Gewaltverbrechen.
Und ein zivilisiertes Land stellt Gewaltverbrecher vor Gericht.
Die mittlerweile beinahe „automatische“ Logik auf einen Terroranschlag, nun müsse eine „eindeutige Antwort“ – in Gestalt von Bomben – gegeben werden – das entspricht steinzeitlichem Denken. Haust du mich, hau ich dich. Sprengst du meine Leute in die Luft, spreng ich deine Leute in die Luft.
Mit Rechtsstaatlichkeit hat das jedoch gar nichts mehr zu tun.

Die Völkergemeinschaft wird eine neue Antwort auf die global grassierende privatisierte Gewalt entwickeln müssen.
Ich will mich nicht von der Hoffnung verabschieden, dass es der Völkergemeinschaft schon bald gelingen möge, nicht mehr der Logik der Gewalt, sondern der Logik der Rechtsstaatlichkeit zu folgen. Gewaltverbrecher gehören vor ein Gericht. Und das steht in Den Haag.

Das aber bedeutet: Weltinnenpolitik.
Willy Brandt hat schon 1979 auf die Notwendigkeit eines solchen neuen Denkens hingewiesen.

Die Völkergemeinschaft ist noch weit von diesem Ziel entfernt. Die USA haben bislang Den Haag noch nicht mal anerkannt – aus naheliegenden Gründen.
Aber:
wenn die internationale Staatengemeinschaft der privatisierten Gewalt in Gestalt von Terroranschlägen (die man niemals von der Erde wird verbannen können, sowenig wie man Gewaltverbrechen verhindern kann) wirklich fundamental etwas entgegensetzen will – dann wohl das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.
Und zu diesem Prinzip gehören Anklage und Verteidigung. Es genügt nicht, jemandem zum „Terroristen“ zu erklären und ihm Bomben auf den Kopf zu werfen. Denn das erzeugt nur neue Anschläge.

Das alte Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wurde abgelöst vom Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Das war ein gewaltiger zivilisatorischer Schritt.
Es war ein Ausdruck von hohen zivilisatorischen Standards, dass die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkriegs die Täter nicht einfach abgeknallt haben.
Nein, man hat sie vor Gericht gestellt. Das war der Fortschritt. Wir dürfen nicht zurückfallen in altes Denken.
Das Gegenteil ist not-wendig.
Die Welt braucht mehr Rechtsstaatlichkeit, nicht noch mehr militärische Gewalt.

black out. Etwas vom Versagen


Havanna Februar 2015 Hafenstraße Malecon. Windstärke 3 an einem normalen Tag
Havanna Februar 2015 Hafenstraße Malcon. Windstärke 3 an einem normalen Tag

Unsere gegenwärtigen politischen Systeme sind offensichtlich nicht in der Lage, dieses im Bild sichtbare Problem angemessen zu lösen: Klimawandel. Die wohl größte Herausforderung unseres Jahrhunderts.

Was man hier sehen kann, ist ein „normaler Tag“. Die Prognose beim kompletten Abschmelzen des Grönlandeises sieht einen Anstieg des Meeresspiegels um etwa 6 Meter. Einige Szenarien rechnen gar mit 8 Metern. Noch in diesem Jahrhundert, von dem schon 15 Jahre vergangen sind. Havanna wird im Wasser stehen.
Dieses Bild steht für viel: denn etwa ein Drittel der Menschheit lebt in Hafenstädten in einem Küstenstreifen von ca. 50 Kilometern.
Es besteht dringender Handlungsbedarf. Aber die Klimaverhandlungen kommen nicht voran. Das 2-Grad-Ziel ist ganz offensichtlich nicht mehr zu erreichen. Weil der CO-2-Kreislauf ein träger Kreislauf ist. Selbst wenn man alle Emissionen sofort auf Null stellen würde, würden die Emissionen weiter steigen.
Klaus Töpfer, mit dem ich in Tokyo darüber sprechen konnte, rechnet mit etwa 500 Millionen Umweltflüchtlingen (gegenwärtig hat die Welt etwa 51 Millionen). Deshalb zwingt der Klimawandel zu einer vernünftigen Flüchtlingspolitik. Doch davon ist weltweit nichts zu erkennen. Der Trend heißt: Abschottung. Doch das wird keine Lösung sein.
Wir beobachten weltweit eine Zunahme von Konflikten. Große Länder wie China stecken ein Vielfaches ihrer Umwelt-Ausgaben in Aufrüstung. Auch in Deutschland spricht man über mehr Geld fürs Militär.
Das wird jedoch herzlich wenig helfen, die notwendigen Anpassungen der Infrastruktur nicht nur in den Hafenstädten zu finanzieren…..
Erheblich betroffen ist die Landwirtschaft. Wassermangel auf dem Festland. Wassermangel auf den Inseln. Denn das steigende Salzwasser dringt in die Grundwässer ein und versalzt sie. Dürren verhindern eine Bewässerung der Felder auf dem Festland. Landwirtschaft ist das zentrale Thema für etwa die Hälfte der Weltbevölkerung. Die andere Hälfte lebt bereits in den Mega-Städten dieser Welt.
Ist die Entwicklungszusammenarbeit auf den Klimawandel vorbereitet? Offensichtlich nicht. Wenn, dann nur in ersten Ansätzen. Beispiel: die Gelder, die Mosambique für Entwicklungshilfe erhält, benötigt das Land, um steigende Spritpreise zu finanzieren…..Und ein paar Solaranlagen in ein paar abgelegenen Dörfern werden das Problem auch nicht wirklich lösen – wenn es am Wasser mangelt.
Was wir sehen können: die enorme Herausforderung Klimawandel zeigt ein komplettes Versagen der bestehenden politischen Systeme. Die langsamen Verfahren, denen Politik unterworfen ist; das enge nationalstaatliche Denken – all das verhindert eine sinnvolle und effektive internationale Kooperation, die dringend erforderlich wäre. Weil die Auswirkungen dieser größten Herausforderung unseres Jahrhunderts so hoch komplex sind, dass sie nur in internationaler Arbeitsteilung zu lösen sind. Nationalstaaten allein können das nicht mehr schaffen. Auch die reichsten Länder der Welt können das nicht mehr alleine. Aber von wirklicher, zielgerichteter Kooperation ist weit uns breit nichts oder nur sehr wenig zu entdecken. Was man finden kann zu Hauf: nationalstaatliche Eigeninteressen.
Statt mehr Kooperation erleben wir gegenwärtig mehr Abgrenzung. Exemplarisch zu studieren am Verhältnis Europas zu Russland. Wir erleben also das glatte Gegenteil dessen, was eigentlich erforderlich wäre. Sir Nicolas Stern hat schon vor Jahren eine Zahl genannt: nötig wären Klimaschutz-Investitionen von etwa 5% des BIP.
Wir sind meilenweit davon entfernt.

Gleichzeitig erleben wir, dass neue Handelsabkommen geschlossen werden sollen, die vor allem ein Ziel haben: noch mehr wirtschaftliches Wachstum. Stichworte sind TTIP und andere.
Das bedeutet: noch mehr Emissionen. Denn: eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Emissionen ist bislang nicht gelungen. Der zu erwartende Trend heißt also:
noch schneller steigende und noch mehr Emissionen.
Ökologen sagen uns: wir haben es bei den Zerstörungen mit einem exponentiellen Wachstum zu tun. All das ist seit vielen Jahren bekannt, es ist „nichts neues“ (als ob das ein Kriterium wäre!).
Neu ist die Nachricht vom vergangenen Jahr: das Schmelzen des Eises auf der Südhalbkugel ist offenbar unumkehrbar. Da ist ein weiterer Kipp-Punkt erreicht worden.

Deshalb ist für mich die alles entscheidende, zentrale Frage, um die sich aber alle Parlamente und Regierungen herumdrücken: Wie viel ist genug?

Jede Politik, die auf „mehr Wachstum“ setzt, ist eine zerstörerische, antiquierte Politik und den eigentlichen Herausforderungen unseres Jahrhunderts nicht gewachsen.
Viele Menschen sehen diese Entwicklungen mit großer Sorge. Viele fühlen sich ohnmächtig angesichts der hohen Komplexität der beschriebenen Herausforderung. Viele haben resigniert, weil trotz jahrelanger Klimadiplomatie, trotz Demonstrationen und trotz so mancher sinnvoller Gesetzgebung die Emissionen dennoch weiter stark ansteigen und sich das zerstörerische Rad immer schneller dreht. Ich kann solche Reaktionen verstehen.

Weltweit sind glücklicherweise auch andere Entwicklungen zu beobachten: da finden sich Menschen, die sich vom immerwährenden wirtschaftlichen Wachstum verabschieden. Sie leben in Genossenschaften, entwickeln behutsame Tourismuskonzepte, arbeiten an Modellen von besserer wirtschaftlicher Gerechtigkeit, sorgen für mehr fairen Handel, investieren klug. Zaghafte, winzige, erste Ansätze einer dringend notwendigen neuen Ökonomie. Das Internet gibt die Möglichkeit, sich schnell miteinander zu verbinden. Das ist eine Chance. Immerhin.

Allerdings ist wohl eines abzusehen: die bestehenden politischen Systeme, die von Egoismen, Einzelinteressen und „Denken bis zum eigenen Tellerrand“ geprägt sind, werden weiter an Bedeutung verlieren – wenn sie sich nicht dazu aufraffen, die wirklich großen politischen Themen zu fokussieren und gezielt und in internationaler Kooperation anzugehen.
Ich weiß nicht, wozu diese zu beobachtende Entwicklung führen wird.
Ich gestehe aber: meine Skepsis nimmt zu, je älter ich werde. Gerade weil ich das politische Geschäft von innen kenne. Stephe Hawkins hat kürzlich gemeint: wenn es den Menschen nicht gelingt, ihre Aggression (die sich ja auch im immerwährenden wirtschaftlichen Wachstum zeigt!) in den Griff zu bekommen und lebenserhaltend einzusetzen, dann sieht er wenig Chancen für eine gute Entwicklung.

Bedrückend ist dabei vor allem: diejenigen, die für den Klimawandel am wenigsten können, werden am stärksten seine Folgen spüren.
Manchmal stelle ich mir vor, dass die Generation der kommenden Enkel uns eines Tages fragen wird: ihr habt das alles gewusst. Was habt ihr unternommen?
Und dann werden da Tage sein, da wird man noch lauter als jetzt schon einen Internationalen Umwelt-Straf-Gerichtshof fordern, vielleicht ja auch in Den Haag, um diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die dafür Verantwortung trugen. Bei genauem Hinsehen wird sich dann aber schnell zeigen: das sind wir alle mit unseren Erwartungen, unseren Zielen, unserem Alltagsverhalten.
Das, was sich abzeichnet, ist ein black out. Ein komplettes Versagen.
Ich weiß, dass diese Zeilen hier „in den Wind geschrieben“ sind.
Das macht aber nichts. Sie mussten geschrieben werden.

Nicht in meinem Namen! „Es geht nicht um Putin, es geht um Europa!“ Für eine neue Entspannungspolitik


Heute  (5. 12. 2014) ist dieser wichtige Aufruf für eine neue Entspannungspolitik in Europa u.a. in der ZEIT und im TAGESSPIEGEL erschienen.
Ich unterstütze ihn und teile ihn deshalb hier mit:

Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!

Niemand will Krieg. Aber Nordamerika, die Europäische Union und Russland treiben unausweichlich auf ihn zu, wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten. Alle Europäer, Russland eingeschlossen, tragen gemeinsam die Verantwortung für Frieden und Sicherheit. Nur wer dieses Ziel nicht aus den Augen verliert, vermeidet Irrwege.

Der Ukraine-Konflikt zeigt: Die Sucht nach Macht und Vorherrschaft ist nicht überwunden. 1990, am Ende des Kalten Krieges, durften wir alle darauf hoffen. Aber die Erfolge der Entspannungspolitik und der friedlichen Revolutionen haben schläfrig und unvorsichtig gemacht. In Ost und West gleichermaßen. Bei Amerikanern, Europäern und Russen ist der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen. Anders ist die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau, wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin, nicht zu erklären.

In diesem Moment großer Gefahr für den Kontinent trägt Deutschland besondere Verantwortung für die Bewahrung des Friedens. Ohne die Versöhnungsbereitschaft der Menschen Russlands, ohne die Weitsicht von Michael Gorbatschow, ohne die Unterstützung unserer westlichen Verbündeten und ohne das umsichtige Handeln der damaligen Bundesregierung wäre die Spaltung Europas nicht überwunden worden. Die deutsche Einheit friedlich zu ermöglichen, war eine große, von Vernunft geprägte Geste der Siegermächte. Eine Entscheidung von historischer Dimension. Aus der überwundenen Teilung sollte eine tragfähige europäische Friedens- und Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok erwachsen, wie sie von allen 35 Staats- und Regierungschefs der KSZE-Mitgliedsstaaten im November 1990 in der „Pariser Charta für ein neues Europa“ vereinbart worden war. Auf der Grundlage gemeinsam festgelegter Prinzipien und erster konkreter Maßnahmen sollte ein „Gemeinsames Europäisches Haus“ errichtet werden, in dem alle beteiligten Staaten gleiche Sicherheit erfahren sollten. Dieses Ziel der Nachkriegspolitik ist bis heute nicht eingelöst. Die Menschen in Europa müssen wieder Angst haben.

Wir, die Unterzeichner, appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern. Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg, wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufruft. Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer.

Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden. Seit dem Wiener Kongress 1814 gehört Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas. Alle, die versucht haben, das gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert – zuletzt das größenwahnsinnige Hitler-Deutschland, das 1941 mordend auszog, auch Russland zu unterwerfen.

Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, als vom Volk beauftragte Politiker, dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen. Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müssten. Einbinden statt ausschließen muss das Leitmotiv deutscher Politiker sein.

Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden. Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um Europa. Es geht darum, den Menschen wieder die Angst vor Krieg zu nehmen. Dazu kann eine verantwortungsvolle, auf soliden Recherchen basierende Berichterstattung eine Menge beitragen.

Am 3. Oktober 1990, am Tag der Deutschen Einheit, sagte Bundespräsident Richard von Weizsäcker: „Der Kalte Krieg ist überwunden. Freiheit und Demokratie haben sich bald in allen Staaten durchgesetzt. … Nun können sie ihre Beziehungen so verdichten und institutionell absichern, dass daraus erstmals eine gemeinsame Lebens- und Friedensordnung werden kann. Für die Völker Europas beginnt damit ein grundlegend neues Kapitel in ihrer Geschichte. Sein Ziel ist eine gesamteuropäische Einigung. Es ist ein gewaltiges Ziel. Wir können es erreichen, aber wir können es auch verfehlen. Wir stehen vor der klaren Alternative, Europa zu einigen oder gemäß leidvollen historischen Beispielen wieder in nationalistische Gegensätze zurückzufallen.“

Bis zum Ukraine-Konflikt wähnten wir uns in Europa auf dem richtigen Weg. Richard von Weizsäckers Mahnung ist heute, ein Vierteljahrhundert später, aktueller denn je.

Die Unterzeichner

Mario Adorf, Schauspieler
Robert Antretter (Bundestagsabgeordneter a. D.)
Prof. Dr. Wilfried Bergmann (Vize – Präsident der Alma Mater Europaea)
Luitpold Prinz von Bayern (Königliche Holding und Lizenz KG)
Achim von Borries (Regisseur und Drehbuchautor)
Klaus Maria Brandauer (Schauspieler, Regisseur)
Dr. Eckhard Cordes (Vorsitzender Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft)
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin (Bundesministerin der Justiz a.D.)
Eberhard Diepgen (ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin)
Dr. Klaus von Dohnanyi (Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg)
Alexander von Dülmen (Vorstand A-Company Filmed Entertainment AG)
Stefan Dürr (Geschäftsführender Gesellschafter und CEO Ekosem-Agrar GmbH)
Dr. Erhard Eppler (Bundesminister für Entwicklung und Zusammenarbeit a.D.)
Prof. Dr. Dr. Heino Falcke (Propst i.R.)
Prof. Hans-Joachim Frey (Vorstandsvorsitzender Semper Opernball Dresden)
Pater Anselm Grün (Pater)
Sibylle Havemann (Berlin)
Dr. Roman Herzog (Bundespräsident a.D.)
Christoph Hein (Schriftsteller)
Dr. Dr. h.c. Burkhard Hirsch (Bundestagsvizepräsident a.D.)
Volker Hörner (Akademiedirektor i.R.)
Josef Jacobi (Biobauer)
Dr. Sigmund Jähn (ehemaliger Raumfahrer)
Uli Jörges (Journalist)
Prof. Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann (ehemalige EKD Ratsvorsitzende und Bischöfin)
Dr. Andrea von Knoop (Moskau)
Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz (ehemalige Korrespondentin der ARD in Moskau)
Friedrich Küppersbusch (Journalist)
Vera Gräfin von Lehndorff (Künstlerin)
Irina Liebmann (Schriftstellerin)
Dr. h.c. Lothar de Maizière (Ministerpräsident a.D.)
Stephan Märki (Intendant des Theaters Bern)
Prof. Dr. Klaus Mangold (Chairman Mangold Consulting GmbH)
Reinhard und Hella Mey (Liedermacher)
Ruth Misselwitz (evangelische Pfarrerin Pankow)
Klaus Prömpers (Journalist)
Prof. Dr. Konrad Raiser (eh. Generalsekretär des Ökumenischen Weltrates der Kirchen)
Jim Rakete (Fotograf)
Gerhard Rein (Journalist)
Michael Röskau (Ministerialdirigent a.D.)
Eugen Ruge (Schriftsteller)
Dr. h.c. Otto Schily (Bundesminister des Inneren a.D)
Dr. h.c. Friedrich Schorlemmer (ev. Theologe, Bürgerrechtler)
Georg Schramm (Kabarettist)
Gerhard Schröder (Bundeskanzler a.D.)
Philipp von Schulthess (Schauspieler)
Ingo Schulze (Schriftsteller)
Hanna Schygulla (Schauspielerin, Sängerin)
Dr. Dieter Spöri (Wirtschaftsminister a.D.)
Prof. Dr. Fulbert Steffensky (kath. Theologe)
Dr. Wolf-D. Stelzner (geschäftsführender Gesellschafter: WDS-Institut für Analysen in Kulturen mbH)
Dr. Manfred Stolpe (Ministerpräsident a.D.)
Dr. Ernst-Jörg von Studnitz (Botschafter a.D.)
Prof. Dr. Walther Stützle (Staatssekretär der Verteidigung a.D.)
Prof. Dr. Christian R. Supthut (Vorstandsmitglied a.D. )
Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik (ehemaliger Berater im Bundeskanzleramt für Sicherheit und Außenpolitik)
Andres Veiel (Regisseur)
Dr. Hans-Jochen Vogel (Bundesminister der Justiz a.D.)
Dr. Antje Vollmer (Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages a.D.)
Bärbel Wartenberg-Potter (Bischöfin Lübeck a.D.)
Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (Wissenschaftler)
Wim Wenders (Regisseur)
Hans-Eckardt Wenzel (Liedermacher)
Gerhard Wolf (Schriftsteller, Verleger)

Man sagt in diesen Tagen


Man sagt in diesen Tagen, gegenwärtig „sehe es so aus“, als würden auch die anderen Länder einer Streichung des Investorenschutzparagraphen im TIPP-Abkommen nicht zustimmen. Zwar werde man weiter darum kämpfen, aber am Ende würde man – sollte sich die Situation nicht ändern – wie die anderen auch zustimmen.
Das ist eine klare Ansage.
Sie bedeutet: wir beabsichtigen, uns nach den anderen zu richten.
Nun allerdings geht es beim TIPP nicht um irgendwas, sondern um ein Abkommen, das erhebliche Auswirkungen nicht nur in den USA, Kanada und Europa, sondern eben auch in anderen Teilen der Welt haben wird. Vor allem in ärmeren Ländern dieser Welt.
Weshalb die Frage nicht unberechtigt ist, ob das „Schauen nach den anderen“ in jedem Falle legitim ist.
Es gibt Situationen, da ist jenes „Schauen, was die anderen machen“ nicht legitim.
Das sind Situationen, in denen es einzig und allein darauf ankommt, was man selbst für richtig hält.
Interessanter Weise werden Menschen, die in solchen Situationen, in denen sie weitgehend allein standen und dennoch an ihrer Überzeugung festgehalten haben, im Nachhinein nicht selten als „Helden“ oder „mutige Kämpfer“ gefeiert. Man errichtet ihnen sogar Denksteine.
Im Nachhinein.
Ich will die zahlreichen Beispiele gar nicht unnötig bemühen, aber ein paar will ich doch erinnern: was wäre gewesen, wenn da nicht einige wenige gewesen wären, die vor Zeiten den Kriegskrediten nicht zugestimmt haben, obwohl sie keine Mehrheit hatten?
Was wäre aus dem Lande geworden, wenn es nicht Menschen wie Hans und Sophie Scholl gegeben hätte, die, obwohl „die anderen“ ganz anders votierten, dennoch an ihrer Überzeugung festgehalten haben?
Was wäre aus dem Land geworden, wenn es nicht die einzelnen Schülerinnen und Schüler in Ostdeutschland gegeben hätte, die – obwohl die ganze Klasse anderer Ansicht war – dennoch „nicht mitmachten“, wenn alle mitmachten?
Es sind zahlreiche Beispiele, die man in der Geschichte quer durch die Jahrhunderte finden kann, wo es Einzelne waren, die zur Orientierung wurden, wenn die Mehrheiten für ihre Auffassung nicht gegeben waren.
Weltberühmt ist die Konfrontation zwischen Castellio und Calvin geworden. Stefan Zweig hat ein Buch darüber geschrieben.
Das Argument „die anderen wollen nicht, also können wir auch nicht wollen“ ist deshalb ein Argument von äußerst begrenzter Tragkraft.
Wer so argumentiert, verzichtet auf eigene Überzeugung, gibt sie sozusagen an der Garderobe ab.
Selbstverständlich hat das Festhalten an der eigenen Überzeugung Konsequenzen.
Es besteht dann beispielsweise die Gefahr, isoliert „dazustehen“.
Umgekehrt hat aber auch das ängstliche Schielen nach „den anderen“ ebenso Konsequenzen. Zum Beispiel für die eigene Glaubwürdigkeit.
Natürlich muss jeder für sich selbst entscheiden, wie er sich verhalten will.
Allerdings kommt es schon darauf an, in einer Entscheidungssituation – wie sie beim TIPP-Abkommen gegeben ist – die eigene Entscheidung zu vertreten und nicht nur einfach zu tun, „was die anderen“ auch tun.
Denn es ist ja nicht nur so, dass man selbst mit seiner Entscheidung umgehen muss. (Viele, die sich – gegen „die anderen“ – zu eigener Verantwortung bekannt und entsprechend gehandelt haben, waren bereit, die Konequenzen daraus zu tragen).
Sondern es ist eben auch so, dass „die anderen“ damit umgehen müssen, wenn man selbst klar und entschieden ist.
Im konkreten Fall ist es nicht unerheblich, wie sich die stärkste Volkswirtschaft Europas verhält.
Es ist nicht so, dass da „ein einzelnes Kind gegen eine ganze Klasse“ stünde, obwohl selbst das möglich war und erhebliche Auswirkungen hatte.
Wofür ich plädiere? Wenn ihr der Auffassung seid, dass man diesem vorliegenden TIPP-Akommen so nicht zustimmen kann, dann sagt auch klar „Nein!“ und schielt nicht „nach den anderen“.
Mehr Mut zur eigenen Überzeugung!