Ich traue den Deutschen nicht wirklich – etwas über das Internet


Vielleicht bin ich ja geschädigt. Hab mich mein mein ganzes waches politisches Leben lang mit dem Nationalsozialismus, seinen Ursachen und Folgen auseinander gesetzt.  Ich hab meine Abschlussarbeit an der Universität darüber geschrieben, mit sehr vielen Zeitzeugen gesprochen, unzählige Studien und Bücher dazu gelesen und ausgewertet.
Vielleicht hör ich ja deshalb schon das Gras wachsen. Aber vielleicht ist das auch gut so.
Der Lügenbaron ist also zurückgetreten. Die Kanzlerin beschimpft nun also weiter die Wissenschaft, die den Baron im wesentlichen zu Fall gebracht hat und meint, sie müsse sich „von niemandem“ Recht und Anstand beibringen lassen. Das sagt etwas. Über sie.
Das Kabinett ist umgebildet. Die Sache scheint erledigt.
Und doch macht sich der Eindruck breit, daß die Bevölkerung „der Politik“ schon lange nicht mehr traut.
Im Internet hat sich in einer solchen instabilen Situation innerhalb von zwei Tagen eine „Bewegung“ etabliert.
„Gegen die Jagd auf Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg“ heißt die eine Plattform, die andere „Wir wollen Guttenberg zurück“.
Zusammen haben sie etwa 700.000 „Fans“. Das sind nicht alles echte Fans, sehr viele davon sind schlicht gekauft. Dennoch: da ist eine „Masse“ in Bewegung. Canetti hat darüber geschrieben.
Da gibt es also Leute mit Geld, die die Seiten pushen.

Und ich beobachte, daß die Seiten wachsen. Wie die Lemminge tragen sich immer mehr Menschen dort als „Fans“ ein – die hohe Zahl führt zu medialem Echo in den Prinmedien. Der „stern“ hat berichtet, die taz und andere Zeitungen auch. Wir kennen das aus zurückliegenden Kampagnen im Internet: es gibt eine wechselseitige Verstärkung der online- und der print-Medien. Je höher die Zahl der „Fans“ ist, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß print und tv berichten. Und: sobald die berichten, steigt die Zahl der „Fans“.
Nun habe ich mir die Seiten einmal genauer angeschaut und finde, daß darauf rechtsradikale Propaganda getrieben wird. Da gibt es links, die heißen „Wir wollen Hitler wieder haben“. Da gibt es postins die heißen unter Bezug auf Guttenberg: „der begabteste Politiker seit Hitler ist zurückgetreten“ etc. pp.
Das ist nicht mehr lustig.
Wer sich in eine Debatte mit diesen „Fans“ begibt, wird aggressiv angegangen. Auf diesen Seiten geht es nicht um das Argumentieren. Deshalb ist der Versuch von Tissy Bruns im „Tagesspiegel“ zwar ehrenwert, aber vergeblich. Denn es geht gerade nicht um das Argument.
Es geht lediglich darum, eine möglichst große Masse zu erzeugen, um damit die mediale Aufmerksamkeit zu steigern.
Und es geht darum, auf diesen großen Seiten kostenlose Werbung für die Neue Rechte zu platzieren.
Das Internet wird zum Steigbügel für Nazis.

Nun versuchen zwar einige andere, eine eigene Gruppe „Wir sind gegen eine Rückkehr von Guttenberg“ zu etablieren. Das ist aller Ehren wert. Und es beginnt der „Kampf um Mehrheiten“.
Wer die meisten „Fans“ hat, so die Überlegung, der hat Recht.

Weit gefehlt.
Denn es geht der Neuen Rechten nicht um das Argument.
Es geht ihr um die Macht.
Die in der Bevölkerung tief verwurzelte Politikerverdrossenheit wird instrumentalisiert.
Gegen „die Politiker“ sind sie alle. Das ist mehrheitsfähig. Und auf dieses Holzpferd setzen die Rechten. Es ist ein Trojanisches Pferd.
Insofern hat Norbert Lammert Recht: das Verhalten von Guttenberg ist ein „Sargnagel für die Demokratie.“

Aus der Schweiz kommen besorgte Stimmen. Da werden Vergleiche angestellt zwischen dem Erstarken der Nazis mit Hitler und dem Rückhalt in der Bevölkerung, den zu Guttenberg hat.
Beides „verkrachte Intellektuelle“, der eine als „Weltkriegsgefreiter“ verhöhnt, der andere als „Betrüger“ entlarvt – und doch folgen ihnen die Massen.
Beide geübt im Verdrehen der Argumente: Schuld hat nicht der Täter, sondern der Ankläger.
Beide geübt im Umgang mit den Medien.
Denn: da gibt es mächtige Zeitungen und da gibt es Leute mit Geld, die sie stützen.
Man kauft sich das Volk. Man kauft „Fans“. Und erzeugt so mediale Aufmerksamkeit. Wir wissen aus den Anfängen der Naziherrschaft, daß die Verquickung von Medien, Geld und Beziehungen maßgeblich war für den Aufstieg des Verführers.
Die Deutschen haben „an ihn geglaubt„.
Wörtlich kann man in diesen Tagen Ähnliches über die deutsche Bevölkerung und zu Guttenberg lesen.

Manche sind der Ansicht, daß die beiden zitierten facebook-Seiten eigentlich eine bittere Satire seien.
Für mich ist das nicht so.
Ich halte diese Seiten für gefährlich. Und ich halte auch Guttenberg für politisch gefährlich, denn er ist in der Lage, die Bevölkerung zu verführen. Er ist ein Blender. Die Umfragen zeigen es.
Und ich traue diesen Deutschen nicht wirklich über den Weg.
Denn wir haben es nicht nur einmal erlebt, daß die Mehrheit den Verführern gefolgt ist – gegen jedes Argument.

Das Internet ist neutral.
Es gibt nur die Möglichkeit, daß sich Menschen miteinander verknüpfen. Aber durch diese Möglichkeit der blitzschnellen Verknüpfung  wird es zu einem politischen Instrument.
Nicht zuletzt der Aufstand der Akademiker (wann hat es das gegeben, daß innerhalb kürzester Zeit Tausende von Professoren öffentlich protestieren?), der mit Hilfe des Internets organisiert wurde, hat den Baron auf sein Schloß zurück geschickt.
Vorerst.
Denn heute schon sind die Stimmen unüberhörbar, die eine Wiederkehr wünschen.

Ich gehöre nicht zu ihnen.
Denn ich traue den Deutschen nicht wirklich.
Weil ich die Kraft des Internets kenne. Es ist ja gerade in diesen Tagen, an denen sich die „Internetgemeinde“ feiert, sie habe ganze Regierungen z.B. in Nordafrika gestürzt.
Wehe, wenn diese Macht den Falschen in die Hände fällt.

Nichts wäre mir lieber, als wenn ich mich irren würde.

„Niemand hat die Absicht…..“ oder: was macht ausgerechnet die NATO in Libyen?


Diplomaten drücken sich gern zurückhaltend aus. Weshalb man genau auf die Worte achten muss.

NATO-Generalsekretär Rasmussen formuliert: „Ich möchte zum Ausdruck bringen, daß die NATO als solche keine Pläne hat, in Libyen zu intervenieren. ….aber „einige Aktionen sollten ein UN-Mandat haben.“
Weshalb zu fragen ist: Was macht ausgerechnet die NATO in Liybien? Weshalb das Militärbündnis?
Was hat man vor?

Wir wissen seit vergangener Woche, das deutsche Kriegsschiffe in die Region unterwegs sind. Die offizielle Begründung heißt, sie seien nötig, um die etwa 160 Deutschen aus dem Lande zu holen. Ein Flugzeug habe man geschickt, das 100 Deutsche ausfliegen solle.
Weshalb also schickt man nicht ein zweites Flugzeug, sondern mehrere Kriegsschiffe?

Nun, Rasmussen formuliert: „bislang liegt keine Anfrage für einen NATO-Einsatz vor…..“.
Ich kenne das.
Das sagen Diplomaten, wenn sie genau diese Anfrage vorbereiten.
Sie sagen es zu einem Zeitpunkt, wenn sich die NATO auf eine solche Anfrage bereits vorbereitet.

Wir haben es in Afghanistan gesehen, wir haben es im Irak gesehen, wir haben es in Bosnien gesehen.
„Uns liegt noch keine Anfrage vor“.
Das ist der direkt Hinweis, daß diese Anfrage demnächst kommen wird.

Was also vollzieht sich da gerade?
Nordafrika brennt. Regierungen stürzen. Besonders dramatisch ist die Situation im Öl-Land Libyen.
Es fällt auf, daß die NATO jetzt erst „aktiv“ wird.
Sie wurde es nicht, als es um Marokko ging, nicht, als Ägypten den Diktator stürzte. Aber jetzt.
Denn: Libyen hat Öl.

Gleichzeitig bringt Europa FRONTEX in Stellung, jene Polizeieinheit, die vor allem Flüchtlinge abwehren soll. Auch deutsche Polizisten sind bei FRONTEX dabei.

Wir nehmen weiterhin wahr, daß die NATO beabsichtigt, sich aus Afghanistan zurückzuziehen. Die Dänen beginnen 2011 mit dem Rückzug, die Amerikaner ebenfalls, die Deutschen haben den Beginn des Abzugs für 2011 angekündigt.
Nun jedoch „liegt noch keine Anfrage“ wegen Libyen vor.

Weshalb reagiert das militärische Bündnis auf die Konflikte und nicht die europäische Außenpolitik?

Es liegt auf der Hand: es geht um Öl.

Deshalb frage ich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages:
gibt es ein Mandat für die Entsendung von deutschen Kriegsschiffen Richtung Libyen?
Was weiß das Parlament über die Planungen der NATO?
Beabsichtigt das Parlament, einem UN-Mandat für ein „Engagement“ der NATO in Nordafrika die Zustimmung zu erteilen?

Noch zeichnen sich die Dinge erst unscharf ab, aber die Richtung ist deutlich.
Deshalb ist es gut, diese Fragen rechtzeitig zu stellen.

Ich teile nicht alle Einschätzungen und Urteile, die im folgenden blog-Beitrag geäußert werden, aber ich teile diesen blog-Beitrag, weil die Quellen gut zitiert sind, auf die er sich bezieht. Es ist eine kleine Hilfe zum Nachlesen.
Dass ich nicht gerade beruhigt bin, wenn in einer solchen Situation ein nachweislicher Lügner und Hochstapler das Amt des Bundesverteidigungsministers inne hat, brauche ich sicher nicht extra zu erwähnen…..

Zur Verteidigung der guten Wissenschaft in Deutschland – eine Streitschrift


Lange Jahre war ich auf Bundesebene mitverantwortlich für die Wissenschaftspolitik in Deutschland. Als Abgeordneter der Deutschen Bundestages im Forschungsausschuss, als stellvertretender forschungspolitischer Sprecher und als Parlamentarischer Staatssekretär. Es ist an der Zeit, sich schützend vor die gute Wissenschaft in Deutschland zu stellen. Denn offensichtlich sind die derzeitige Forschungsministerin und auch die Kanzlerin dazu nicht bereit. Der Verbleib eines Betrügers im Amt eines Bundesministers schadet dem Wissenschaftsstandort Deutschland auf fundamentale Weise.

Solange die Kanzlerin einen Minister, der die Wissenschaft auf betrügerische Weise geschädigt und sich seinen Doktortitel durch Betrug erschleichen wollte, im Amt lässt, solange ist jedes Reden der Kanzlerin, Bildung und Wissenschaft seien der wichtigste Rohstoff für die Volkswirtschaft und entscheidender Standortfaktor nichts als leeres Gerede.

Denn hier geht es nicht um eine Bagatelle. Nicht derjenige, der den Betrug kritisiert, kriminalisiert das Verhalten des Ministers, sondern derjenige verhält sich schädlich, der durch Betrug versucht, sich akademische Titel zu erschleichen.

Was macht die Bundesforschungsministerin? Sie schweigt. Und sie vergeht sich damit an der guten Wissenschaft in Deutschland.
Was macht die Kanzlerin? Sie schweigt und lässt den Minister im Amt – ein Schlag gegen alle, die sich um gute Bildung und Wissenschaft in Deutschland bemühen. Ein Schlag ins Gesicht all derer, die durch ausgezeichnete Forschung und akkurate wissenschaftliche Leistungen den Wohlstand in unserem Industrieland sichern.
Denn, wenn der Betrüger im Amt bleibt, ist dem Betrug in Wissenschaft und Forschung Tor und Tür geöffnet. Dann ist künftig alles egal. Dann darf kopiert, abgeschrieben, betrogen werden, ohne daß es Folgen hätte.
Das darf nicht passieren!

Unser Industrieland braucht eine exzellente und nach strengen Kriterien arbeitende Wissenschaft die der Mensch die Luft zum Atmen.
Ich war etliche Zeit Senator der Fraunhofer-Gesellschaft.
Deshalb weiß ich, wie zentral wichtig die Qualitätssicherung in der Forschung ist. Der globale Wettbewerb ist mittlerweile so hart geworden, daß nur noch höchste Qualität in der Lage ist, denn Wettbewerb zu bestehen. Raubkopien, Plagiate, billige Nachahmung der internationalen Mitbewerber machen dem Wirtschaftsstandort Deutschland schwer zu schaffen.
Es gibt nur einen Weg, diesen Wettbewerb zu bestehen: höchste Qualität in Wissenschaft und Forschung.
Deshalb ist es richtig, wenn die Lehrer, Hochschullehrer und Professoren bei ihren Schülern und Studenten von der Schule an streng auf exaktes, strengen wissenschaftlichen Kriterien genügendes Arbeiten achten.
Deshalb ist es richtig, wenn schon von der Schule an die kleinsten Versuche, durch Betrug oder Abschreiben zu „Ergebnissen“ zu kommen, streng bestraft werden.
Denn: es geht um den Wirtschaftsstandort (!) Deutschland. Nur exaktes, strengen Kriterien genügendes wissenschaftliches Arbeiten ist in der Lage, den globalen Wettbewerb zu bestehen.
Das muss in allen Bereichen gelten: in der Schule, in der Fachhochschule, an der Universität, in der Forschung.

Wenn die Kanzlerin und ihre schweigende Forschungsministerin nun einen Minister im Amt lässt, der sich offensichtlich durch Fälschung und Betrug den akademischen Grad eines Doktors der Wissenschaften zu erschleichen versucht hat – dann ist künftig alles Kopieren, Abschreiben, Betrügen und Mogeln eine Bagatelle, dann kommt es künftig „nicht mehr so drauf an“.

Die Bildungs- und Wissenschaftslandschaft in Deutschland ist gut. Und die deutschen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben international einen guten Ruf. Einigen Universitäten gelingt es mittlerweile sogar, international im Wettbewerb mit den besten Universitäten der Welt zu konkurrieren. Das ist aber nur möglich, wenn auf höchste Standards geachtet wird.
Die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Gemeinschaft der Helmoltz-Zentren, die Institute der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz, die Universitäten und Fachhochschulen – sie alle brauchen exaktes wissenschaftliches Arbeiten als entscheidendes Kriterium, um im internationalen Wettbewerb überhaupt bestehen zu können.
Wer schummelt, abschreibt, kopiert und sich Ergebnisse zu erschleichen versucht, wird nicht bestehen können gegen Yale und Oxford, gegen Oulu in Finnland und die starken Hochschulen in der Schweiz.

Deshalb geht es um keine Bagatelle.
Die Entwicklung des MP3-Standards durch ein Institut der deutschen Fraunhofer-Gesellschaft ermöglicht einen Jahresumsatz von mehreren Milliarden Euro.
Es ist die Entwicklung eines Professors mit seinem Team.
Man kann an diesem Beispiel sehen, wie zentral wichtig gute Wissenschaft für den Wirtschaftsstandord Deutschland ist.
Wissenschaft und Forschung leisten einen entscheiden Beitrag zu unserem Wohlstand.

Deshalb ist Wissenschaft keine Bagatelle.

Die Kanzlerin ist aufgerufen, einen nachweislichen Betrüger aus höchsten politischen Ämtern zu entfernen. Denn er hat versucht, sich akademische Lorbeeren durch Betrug anzueignen.
Es genügt nicht, wenn der Titel aberkannt ist. Denn solange er im Amt bleibt, ist sein betrügerisches Verhalten weiter legitimiert.

Die Bundesforschungsministerin ist aufgerufen, sich entschieden, klar und unmißverständlich vor die gute Wissenschaft in Deutschland zu stellen.
Wenn sie weiter schweigt, schädigt sie den Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland auf unverantwortliche Weise.

„…eine Million Fliegen kann sich nicht irren“ – etwas über Sponti-Sprüche, Mehrheiten und das Internet.


„Leute, fresst Scheiße, denn eine Million Fliegen kann sicht nicht irren!“.
Das ist ein alter Sponti-Spruch. Mein Vater hat ihn immer gern zitiert während der Zweiten Diktatur, als sie alle mitmarschierten und ihre Fähnchen schwenkten und nur wenige noch da waren, die nicht bereit waren, ihren Kopf nur dazu zu verwenden, damit der neue Hut passt.
In Zeiten von online-Befragungen und Abstimmungen in Zeitungen hat er nichts an seiner tiefen Wahrheit eingebüßt.
Die „breite Unterstützung in großen Teilen der Bevölkerung“, frisch dokumentiert beispielsweise in der BILD, verführt die Kanzlerin sogar dazu, einen Hochstapler im Amt zu lassen.
Nun sind Mehrheiten ein hohes Gut in einer Demokratie. Ganz ohne Zweifel.
Aber: Mehrheiten lassen sich organisieren. Und sie lassen sich manipulieren.
Im Internet-Zeitalter scheint das ganz besonders schnell zu gehen. Wie sich gezeigt hat, wurden viele Tausend Stimmen von „Fans“ auf einer Seite, die den Hochstapler unterstützen soll – schlicht gekauft. Stimmen lassen sich kaufen. Es ist wie in einer finstren Diktatur irgendwann im vorigen (?) Jahrhundert hinter irgendeinem Busch in Timbuktu.
Die „moralische Rechtfertigung“ eines Hochstaplers versucht mancher durch die Beobachtung zu gewährleisten, daß „über 900“ Menschen bei einer Versammlung in Süddeutschland dem Hochstapler „zugejubelt“ hätten.
Umfragen haben – gerade vor Wahlen – immer eine besondere Aufmerksamkeit. Denn: Mehrheiten scheinen ein Garant dafür zu sein, daß man „richtig liegt“.
Wer die Mehrheit hat, hat Recht.

So scheint es.
Denn: Mehrheiten lassen sich organisieren und sie lassen sich manipulieren.
Es gibt zahlreiche Beispiele aus der jüngeren deutschen und internationalen Geschichte, die diesen Satz belegen.

Nun wissen wir seit gestern, daß in Deutschland Macht vor Moral geht.
Ein Hochstapler wird im Amt gelassen, weil er aus machttaktischen Gründen wichtig ist. Er habe die „Unterstützung großer Teile der Bevölkerung“.
Wir wissen auch seit gestern, daß sich der Hochstapler für die Unterstützung einer einflussreichen Zeitung mit der Schaltung einer teuren Anzeigenkampagne revanchiert.
Die Manipulation von Mehrheiten hat ausgereicht. Die Sache hat funktioniert.

So scheint es.
Und es steht zu befürchten, daß dieses Beispiel Schule macht.
Denn in einer Medien-Demokratie wie unserer reagieren die Menschen besonders schnell auf wechselnde Mehrheiten.
Der „main-stream“ ist entscheidend. Und die Bereitschaft, sich dem „main-stream“ anzupassen, ist enorm ausgebildet.
Wer im „main-stream“ mitschwimmt, ist nicht in der Gefahr, als „Außenseiter“ abgestempelt zu werden. Der „main-stream“ gibt Sicherheit.

So scheint es.
Denn es hat sich in der Vergangenheit gezeigt: die wirklich wichtigen Menschen für den Erhalt von Moral, Anstand, Aufrichtigkeit – und schließlich auch für politische Courage und Mut waren die wenigen.
Das war nicht nur so während der Zeit des Nationalsozialismus, als eine „breite Mehrheit in der Bevölkerung“ für den Hochstapler Hitler gestimmt hat, das war in der zweiten Diktatur so, als nur wenige anlässlich des 40. Geburtstags der größten DDR der Welt mit einem Rosa-Luxemburg-Zitat den Anfang vom Ende einläuteten.
Das war auch so, als Castellio gegen Calvin ins Feld zog: das Gewissen des Einzelnen gegen die Gewalt einer scheinbaren Mehrheit. Stefan Zweig hat großartig von diesem Konflikt geschrieben.
Das Schielen nach Mehrheiten gehört zur Demokratie.
Aber: es ist auch gefährlich.
Wie man aktuell sehen kann.
Denn wenn die Sicherung von Mehrheiten zum alleinigen Maßstab für politisches Handeln wird, dann sind der Verrottung von Anstand und Sitte Tor und Tür geöffnet.
Die causa Guttenberg ist nur ein weiterer Beleg für diesen Satz.

Was ist notwendig?
Bildung.
Nicht verstanden als Wissens-Vermittlung, sondern als Heranbildung einer selbständig denkenden, kritischen, selbst-bewußten Persönlichkeit, die in der Lage ist, die eigene Meinung aufrecht und gerade zu vertreten und die auch bereit ist, für die eigene Überzeugung Nachteile in Kauf zu nehmen.
Das kann die Schule nicht. Jedenfalls nicht die normale, auf „Leistung“ getrimmte Kaderschmiede unserer Tage.
Es scheint, als seien auch nur noch wenige Eltern in der Lage, ihre Kinder in einem solchen Sinne zu bilden.

Ich teile die Sorgen vieler Menschen, die sich in diesen Tagen äußern.
Die Angst um sozialen Abstieg, die mangelnde Fähigkeit, zu eigenen Überzeugungen wirklich zu stehen und dafür Verantwortung zu übernehmen, die zunehmende Unübersichtlichkeit gesellschaftlicher und politischer Prozesse – all das verstärkt die Sehnsucht der Menschen, sich in Mehrheiten aufgehoben zu fühlen.
Die Bereitschaft solch verunsicherter Menschen, sich anzupassen, nimmt weiter zu.
„Führer befiehl – wir folgen“. Wir kennen diesen Satz aus nicht allzu weit entfernter Vergangenheit.
Wir wissen aus der zweiten Diktatur, wie groß die Bereitschaft war, den neuen Verführern zu folgen.
Und wir sehen nun, wie groß die Bereitschaft vieler ist, sogar erwiesenen Hochstaplern weiter zu folgen.

Die politischen Heiratsschwindler und Hochstapler unserer Zeit wissen genau, wie man damit umgeht.
Sie hegen und pflegen diese Bereitschaft zur Unterwürfigkeit.
Gegebenenfalls revanchieren sie sich bei großen Zeitungen, die ihnen bei der „Sicherung von Mehrheiten“ behilflich sind, durch das Schalten von Anzeigen. Gegen cash versteht sich.

Die Hochstapler versuchen, sich die Republik zu kaufen.
Je länger ich politisch aktiv bin und mich in die Belange unserer Gesellschaft einmische, je unheimlicher wird mir dieser Versuch der politischen Heiratsschwindler und Hochstapler, die Demokratie durch „strategische Partnerschaften“ mit führenden Massenmedien zu untergraben.
Ich hoffe auf die kritischen Geister, die sich nicht nur mit irgendwelchen Spielchen in den Netzwerken tummeln, sondern die verstehen, daß sie mit social media ein politisches Werkzeug zur Verfügung haben, das mit helfen kann, den Totengräbern der Demokratie das Handwerk zu legen.

Frau Dr. Berlusconi.Etwas über das Verhältnis von Macht und Moral


Die Universität hat votiert: die Doktorwürde ist aberkannt. Was sagt die Kanzlerin? Sie sagt:
„Die Entscheidung der Uni Bayreuth liegt auf der Linie dessen, was der Verteidigungsminister vorgegeben hat. Sie macht daher Sinn“, so die Kanzlerin. Das Votum zeige, dass zu Guttenberg mit seiner Selbsteinschätzung richtig liege. Der Minister sei durch die Uni-Entscheidung daher in seinem Amt nicht geschwächt.
Ich zitiere aus der WELT.

Und halte inne.
Was bedeuten diese Worte? Sie bedeuten: Macht geht über Moral.
Denn es ist offensichtlich: die Kanzlerin hält an ihrem Minister fest, obwohl die Universität die erschlichene Doktorwürde zurückgezogen hat. Die Beweise waren erdrückend.
Sie hält aus Machtkalkül an ihm fest.
Künftig wird alles wurscht sein.
Künftig wird jeder tun und lassen können, was er will: lügen, betrügen, abschreiben, kopieren, verhamlosen, hochstapeln. Alles ist erlaubt.
Insbesondere, wenn man an der Macht ist.

Welcome in Berlusconi-Land.

Ulrich Deppendorf hat Recht: „Frau Dr. Merkel steuert einen gefährlichen Kurs“. So hat er es heute in „Deppendorfs-Woche“, nachhörbar in der ARD-Mediathek über ihren Kurs gesagt.
Nun geht es nicht mehr um einen süddeutschen Baron, der offensichtlichen Hochstapelei überführt.
Nun geht es um den Kurs der Kanzlerin.

Wohin führt sie dieses Land?

Sie führt es in moralische Niemandsland. Nun ist alles wurscht. Wenn der Bundesminister durch die Vorgänge um seine erschlichene Doktorarbeit „nicht im Amt beschädigt“ ist, dann ist alles völlig egal.
Dann kann jeder Bundesminister sein. Hauptsache, er dient ihrem Machterhalt.
Moral, Anstand, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit – alles in den Wind geredet.
Bürgerliche Werte – keinen Pfifferling mehr wert.
Denn alles hat sich der Macht zu beugen.

Man kann Frau Dr. Berlusconi dankbar sein für ihre Worte.
Wir wissen nun, woran wir mit ihr sind.

Stefan Zweig hat ein bemerkenswertes Buch zum Zusammenhang geschrieben: Castellio gegen Calvin. Oder ein Gewissen gegen die Gewalt.
Der scheinbar Unterlegene Castellio erweist sich gegen den mächtigen Calvin als der eigentliche Sieger.

Geist und Moral gegen Macht und Gewalt.
Das ist hier die Frage.

Und Frau Dr. Merkel hat sich offenbar entschieden: sie steht auf der Seite der Macht.
Und nicht auf der Seite der Moral.
Deshalb nenne ich sie nun Frau Dr. Berlusconi.

Geheime Kommandosache – das Parlament weiß nichts. Was weiß Guttenberg?


Selbst die Obleute der Fraktionen werden nicht über die KSK und die amerikanische Task Force 373 informiert. In der Bundestagszeitschrift „Das Parlament“ konnte man es lesen.
Die Abgeordneten dürfen sich nicht mal Aufzeichnungen machen, wenn sie „informiert“ werden. Sie werden offensichtlich sogar vom Minister verspottet.
Was hat es auf sich mit der deutschen Sondereinheit KSK und der amerikanischen Sondertruppe Task Force 373?
Wer die Task Force 373 ist, hatte der „Spiegel“ berichtet. Es ist eine Sondereinheit, die eingesetzt wird zum „gezielten Töten“ von „Taliban“. Man muß dazu wissen, daß Soldaten oft darüber klagen, daß sie „Taliban“ gar nicht von normalen „Zivilisten“ unterscheiden können. Es gibt zwar „Abschusslisten“, an denen offensichtlich auch deutsche Stellen beteiligt sind. Aber ein Abgeordneter, der genau herausfinden will, wie denn nun genau die Zusammenarbeit zwischen deutscher KSK und amerikanischer Task Force 373 im militärischen Alltag „funktioniert“, beißt auf Granit.
Das Parlament wird dumm gehalten.
Heute erschien ein Artikel in der „Welt“, wonach sogar der Chef der NATO im Jahr 2009 nicht „über die größte Militäraktion seit dem Vietnamkrieg“ informiert worden ist.
Eine geheime Kommandosache also.

Nun hat das Parlament die Fortsetzung des Afghanistankrieges beschlossen. (Ich verwende das Wort „Krieg“, weil es sogar von der Kanzlerin und dem Verteidigungsminister benutzt wird).
Aber das Parlament weiß ganz offensichtlich, weil nachlesbar, nicht, was da eigentlich wirklich vor sich geht.

Nun „arbeitet“ die amerikanische Task Force 373 nicht irgendwo, sondern im Norden Afghanistans. Also im Zuständigkeitsbereich der Deutschen.
Deshalb ist die Frage dringlich: Wie sieht die Zusammenarbeit von KSK und Task Force 373 im Alltag in Nordafghanistan tatsächlich aus?

Die fragenden Abgeordneten werden hingehalten.
Der Minister verspottet sie sogar.

Ich stelle deshalb hier die Frage: Was weiß Verteidigungsminister zu Guttenberg über eine Zusammenarbeit der deutschen KSK und der amerikanischen Task Force 373?

Es besteht Aufklärungsbedarf.
Denn heute sind schon wieder 3 deutsche Soldaten ums Leben gekommen.
In Nordafghanistan.
Sie wurden von einem afghanischen Soldaten mitten im deutschen Camp erschossen…..

Der Kampf um die Kinder – ARD Film zur Kinderhilfe Afghanistan e.V.


Was kann man als Zivilist tun nach dem Beschluss zur Verlängerung des Krieges?
Man kann die zivilen Kräfte stärken.
Deshalb habe ich hier auf dem blog eine Interview-Reihe eingerichtet, in der ich wichtige Stimmen von Praktikern versammle: Vertreter von Organisationen, die das Land seit jahrelanger Arbeit kennen und die am zivilen Aufbau in Afghanistan beteiligt sind, oft schon seit Jahrzehnten.
Dr. med. Reinhard Erös, ehemaliger Oberstarzt der Bundeswehr, ist einer von ihnen.
Die ARD hat nun in einer Dokumentation über seine Arbeit berichtet.
Ich schicke diese Dokumentation, weil ich die zivilen Kräfte stärken will. Vielleicht findet sich der eine oder andere, der diese Dokumentation über die Netzwerke weiter teilt, damit in der Fülle der uns heutzutage erreichenden Informationen und Bilder jene Verstärkung bekommen, die Verstärkung verdienen.
Hier nun der Film: „Der Kampf um die Kinder“. Da er bei Youtube nicht ungeteilt vorliegt, schicke ich die einzelnen, jeweils etwa 10 Minuten langen Abschnitte.

Teil 1

Teil 2

Teil 3

Teil 4

Teil 5

Ich wünsche diesem Film gute Verbreitung.

Alternativen zum Krieg (8). Prof. Dr. Johan Galtung, Oslo


Manche Menschen entdeckt man fast zu spät.
Warum habe ich Prof. Galtung nicht schon früher wirklich wahrgenommen? Nun, ich hatte von ihm gelesen, gewiß. Der Träger des Alternativen Nobelpreises und international anerkannte Friedensforscher war mir bei der einen oder anderen Lektüre durchaus schon mal „über den Weg gelaufen“, wie man so sagt. Aber wirklich befaßt habe ich mich mit ihm bislang nie. Das ist ein großes Versäumnis.
Gestern Nacht bin ich auf ihn gestoßen, bei der Recherche zu verlässlichn Quellen und Alternativen zum Afghanistan-Krieg.

Prof. Galtung hat schon im September 2001 (!) für Dialog mit den Taliban geworben, wie hier im „Spiegel“ dokumentiert ist.
Er sagte damals, unittelbar nach den Anschlägen auf das World Trade Center:

„Fünf Dinge sind nötig.
Erstens: Denkpause. Zweitens: Dialog. Drittens: Versuche, zu verstehen, worum es geht. Viertens: Versöhnung. Und fünftens: die Konflikte lösen.
Dieses Schema muss punktuell angewandt werden bezüglich Afghanistan, Irak, Palästina/Israel und so weiter.
Konkret schlage ich vor, dass drei Leute wie zum Beispiel Jimmy Carter, Nelson Mandela und Frederik Willem de Klerk mit den Parteien reden, um die Spirale der Gewalt zu vermeiden.“

Man hat nicht auf ihn gehört.
Der Krieg geht nun ins zehnte Jahr, im März wird eine neue „Offensive“ der NATO-geführten ISAF-Truppen beginnen.
Und es zeigt sich immer klarer, daß es keine Alternative zum Dialog gibt, „denn auch der Extremist hat seine Gründe“….

Galtung wurde als Sohn eines Arztes 1930 in Norwegen geboren. Weil er nicht Soldat werden wollte, saß er im Gefängnis, denn es gab damals noch keinen Zivildienst.
Schon 1959 gründete der Mathematiker und Soziologe das erste Friedensforschungsinstitut.
Einer seiner zentralen Sätze: „Es gibt keine bösen Menschen. Es gibt aber böse Ideen. Eine böse Idee ist, daß es böse Menschen gibt.“

Nun begegnete mir gestern Abend das folgende Video von der University of San Diego, in dem Prof. Johan Galtung einen weit beachteten Vortrag hält zum Thema „Breaking the Cycle of Violent Conflict„.
Dieser Vortrag, der etwa 58 Minuten dauert, sei hier eingefügt. Nun weiß ich, dass die Menschen eher kurze Sachen mögen und lesen. Dennoch gebe ich dieses einstündige Video hier wieder, auf Hoffnung hin….
Für mich besonders eindrücklich an diesem Vortrag ist die Authentizität, die Echtheit des Vortragenden. Man spürt ihm ab, wie er Friedens-Arbeit versteht: konkret, phantasievoll, humorvoll, zielorientiert.
Besonders sympathisch finde ich den Hinweis, das Kreativität und Kultur zur Konfliktlösung dringend benötigt werden.
Im von Prof. Galtung gegründeten Network for Peace, Development and Environment TRANSCEND International gibt es deshalb neben dem Journalisten-Netzwerk und der Universität auch den link zum Thema „Kultur“. Man sieht ja am Afghanistan-Konflikt, wie zentral und wichtig gerade dieser Bereich ist.

Man kann das Lebenswerk eines Menschen nicht auf einer blog-Seite darstellen und würdigen.
Aber man kann mit einer blog-Seite auf ein solches Lebenswerk hinweisen.

Wir sind alle Lernende.
Und Prof. Galtung ist ganz gewiß einer der großen Lehrer, deren unsere Zeit so dringend bedarf.

Was da am 28. 1. 2011 eigentlich beschlossen wurde…..Angriff erlaubt. Abzug unklar.


wenn man diverse blogs verfolgt, die sich dem Thema „Afghanistan“ widmen und von Journalisten betrieben werden, stößt man unter anderem auf den blog von Stefan Löwenstein im blog der FAZ:
Diesem Text ist eine interessante „Anmerkung“ aus dem Bundesverteidigungsministerium zum „Fortschrittsbericht“ der Regierung zu Afghanistan zu entnehmen:

„Ziel der Bundesregierung ist es, 2011 auch im deutschen Verantwortungsbereich im Norden den Übergabeprozess einzuleiten. Dies wird nicht sofort zu einem Abzug von Soldaten führen, dafür aber eine klare Perspektive ab 2012 eröffnen.“

Der Text des Bundestagsbeschlusses lässt präzise diese „Interpretation“ zu. Man will – dem Text zufolge – nämlich nur dann mit einem Abzug 2011 beginnen, wenn „die Sicherheitslage es zulässt…..“.

Wer entscheidet über die „Sicherheitslage“? Das Militär. Genauer: der NATO Oberbefehlshaber.

Nun ist interessant, daß der amerikanische Präsident Obama im Januar 2011 in einer weithin beachteten Rede an die Nation formuliert hat: „wir werden mit dem Abzug der Truppen im Juli 2011 beginnen“.

Gleichzeitig äußern ranghohe deutsche Militärs, daß sich nun – nach einer Mandatsverlängerung durch den Deutschen Bundestag – auch deutsche Soldaten an einer geplanten Großoffensive beteiligen werden:

All dies war vor dem Beschluss vom 28. 1. 2011 öffentlich.

Nun hatte die SPD bei ihrer Vorstandsklausur im Januar 2011 einerseits ein präzises Abzugsdatum zur Bedingung für ihre Zustimmung gemacht.
Und andererseits gleichzeitig der Regierung bereits eine Zustimmung signalisiert. Eine fatale „sowohl-als auch“ Botschaft.
Denn diese Unklarheit setzte sich nun weiter fort.
Aus der Fraktion war unmittelbar nach der Abstimmung internetöffentlich zu erfahren, daß „eine Zustimmung zu einem weiteren Mandat fraglich (!)“ sei, wenn der Abzug nicht 2011 beginne.

Ich frage mich, was eine solche Unklarheit eigentlich soll.
Während der amerikanische Präsident präzise vom „Juli 2011“ spricht; während die Regierung mit „…sofern die Sicherheitslage es zulässt“ einen schwammigen, den Militärs entgegenkommenden Beschlusstext durchsetzt, stimmt die SPD aus der Opposition heraus einem Text zu, der im Kern das Mandat für eine deutsche Beteiligung an einer Großoffensive bedeutet.

Jedem Abgeordneten hätte dies klar sein können. Denn diese Dinge waren alle öffentlich.

Und dennoch hat eine große Mehrheit im Parlament der Beteiligung deutscher Soldaten an der geplanten Großoffensive zugestimmt.

Ich frage mich: wussten sie nicht, was sie da beschließen?
Das wäre nur bei jüngeren Abgeordneten verzeihlich.

Wenn sie aber wußten, was sie da beschließen, dann müssen sich die Abgeordneten, die dem Mandat zugestimmt haben, nun fragen lassen:
Abgeordneter, wie begründest du eine Teilnahme deutscher Soldaten an einem Angriff?
Durch welches UN-Mandat ist ein solcher Angriff politisch gedeckt?
Bist du der Überzeugung, daß durch eine Großoffensive im Norden Afghanistans mehr Sicherheit im Lande entsteht?
Oder ist es nicht vielmehr so, daß der Widerstand gegen die Allianz in der Bevölkerung weiter steigen wird?
Abgeordneter, wenn in dieser Offensive Soldaten und Zivilisten verletzt oder gar getötet werden, wie begründest du deren Familien gegenüber deine Entscheidung?
Ich wünschte, daß eine solche direkte Begegnung zwischen Abgeordneten und den Familien von Verletzten oder gar Getöteten zu Stande käme.
Denn die Verantwortung für dieses Mandat hat nicht das Militär.
Die Verantwortung trägt das Parlament, trägt jeder einzelne Abgeordnete.

Mir ist es nach wie vor unbegreiflich, wie eine so große Zahl von Abgeordneten einem Mandat zustimmen konnte, das weder eine klare Abzugsperspektive enthält, noch einen – nach meiner Auffassung – rechtlich nicht erlaubten Angriff in einer beabsichtigen Großoffensive verhindert.
Daß eine solche Mandatsverlängerung nach jenem katastrophalen Angriff auf einen entführten Tanklastzug im September 2009 in Kunduz erfolgte, ohne daß man sicherstellte, daß sich eine solche Katastrophe nicht wiederholen darf, ist mir völlig schleierhaft.
Der Text ist eine schlichte „Verlängerung“ des bestehenden. „Macht weiter so!“ kann man ihn lesen.
Der Kunduz-Vorfall hat zu keinerlei Konsequenzen im neuen Mandat geführt.
Ich mag es nicht glauben, aber es verhält sich so.

Mich interessiert darüber hinaus sehr, wie die Mehrheit der SPD-Fraktion ihre Entscheidung – angesichts bekannter Umstände! – begründen wird, wenn der Abzug der Truppen, wie eher wahrscheinlich ist,  nicht 2011 beginnt.

Nicht zufällig hat die Kanzlerin selbst auf der Formulierung „….soweit die Sicherheitslage es zulässt“ bestanden. Es war also abzusehen, was da nun kommen wird.

Gemeinsam mit vielen anderen Beobachtern will ich diese Entwicklung weiterhin sehr aufmerksam und genau verfolgen.
Denn es wird gegenüber Angehörigen und Familien von Verletzten oder gar Getöteten sehr genau zu begründen sein, weshalb man einem unklaren Mandat, das dem Militär freie Hand gibt und nun auch die Beteiligung deutscher Soldaten an einem Angriff ermöglicht, obwohl man absehen konnte, wozu das Mandat führt, dennoch zugestimmt hat.

Essen – fressen – messen. Etwas zur Grünen Woche


Impuls 1: Ich les ja gern im „KLUGE“. Denn das „Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache“ (24. Auflage!)  fördert oft etwas zu Tage, das in den Worten steckt. Verborgen meist. Und doch wirksam.
Weshalb ich heute beim Wörtchen „essen“ nachschaue, das usprünglich „beißen“ meinte. Da es verwandt ist mit dem Wörtchen „fressen“, lese ich dort und finde, daß dieses Wort „aufessen, verzehren“ meint und lerne weiterhin, daß die Unterscheidung zwischen „essen“ beim Menschen und „fressen“ beim Tier erst in mittelhochdeutscher Zeit beginnt. (Kluge, S. 316). Also erst um 1050-1350. Also aus der Zeit der Staufer stammt.

Impuls 2: Die Grüne Woche ist die weltgrößte Ernährungsgütermesse. Der Besucher kann sehen und essen, was es so zu essen gibt. Bei uns.
Manche Berliner nennen sie die „Fressmesse“.
Was etwas über das Tier sagt. Das da wohl im Menschen steckt.
Denn „fressen“, so lernten wir eben, sagt man etwa seit 800 Jahren – vom Tier.

Impuls 3: nun hatten wir gestern bei facebook ein interessantes Gespräch über den Zusammenhang unserer Ess- und Konsumgewohnheiten und dem Hunger in der Welt. Auslöser war mein Satz: „So ein Stand der Welthungerhilfe wäre doch auch irgendwie passend auf der Grünen Woche….“. An diesem Satz „entzündete“ sich das Gespräch.
Über das „aufessen“ oder „fressen“ oder „beißen“ – um wieder beim KLUGE vorbeizuschauen.

Impuls 4: Das Wort „Messe“ findet sich in zweierlei Bedeutung: einmal als „Gottesdienst, kirchliches Fest, Jahrmarkt, Großausstellung“.  Abgeleitet aus „Ite missa est“ („Gehet, es ist entlassen“), mit denen ursprünglich die zum Abendmahl nicht Berechtigten bei Beginn der Abendmahlsfeier entlassen wurden.
Und es findet sich als „Messe“ der Offiziere an Bord eines Schiffes (aus französisch mess); üblich seit dem 19. Jahrhundert, und bezeichnet den gemeinsamen Speiseraum der Seeoffiziere,  in dem man verzehrt, was „aus der Küche geschickt“ wurde.

Dies alles steckt also in den Worten, die wir benutzen.
Folgt man Jean Ziegler, dem langjährigen Sonderberichterstatter der UN für Welternährung in seiner Argumentation, die insbesondere europäische Agrarsubventionen, multinationale Lebensmittelkonzerne, fehlende Kontrolle und zaghafte Parlamente kritisiert; verbunden mit dem Hinweis, die Erde hätte durchaus genug Ressourcen, um alle Menschen zu ernähren,  – kann man eine enge Verwandtschaft zum volkstümlichen Denken erkennen, das im Wort von der „Fressmesse“ sichtbar wird.
Da sitzen offenbar „Tiere“ zusammen (fressen wird seit 800 Jahren dem Tier zugeordnet), die „beißen“ und „sich einverleiben“ was „aus der Küche geschickt“ wurde. Wobei mit „Küche“ wohl jene Länder zu verstehen sind, „die zubereiten müssen, was wir verzehren“. Entwicklungsländer an erster Stelle.

Der Film „we feed the world“ (Wir essen die Welt) macht es deutlich.
Was also findet da in diesem „Gottesdienst“, in diesem „Jahrmarkt“, in dieser „Großausstellung“, die man die „Grüne Woche“ nennt, statt?
Was wird da gefeiert und ausgestellt?

Da feiert sich die reiche Welt. Offensichtlich.
Da feiern die „Beißer“, was ihnen „aus der Küche geschickt wird“ und lassen die Korken knallen.

Es hat für mich etwas vom „Tanz ums goldene Kalb“ um jenes uralte Bild zu zitieren, das uns überliefert wurde, um den „Abfall“ vom eigentlich gelingenden Leben zu illustrieren.
Daß das „ite missa est“ (ihr seid entlassen) auf eine Aus-schließlichkeit hinweist, sei nur am Rande vermerkt.
Da werden offensichtlich Menschen „vom Tisch entlassen“. Oder anders: „nicht zugelassen“.

Was zu kritisieren ist.
Denn: es gibt nur die Eine Welt.
Und niemand gibt uns das Recht, den Menschen neben uns den Tisch zu verweigern.
Noch dazu, wenn sie ihn uns gedeckt haben…

Deshalb wäre es ja vielleicht doch eine gute Idee, die „Grüne Woche“ mit ihren vielen Tausend Besuchern, die sich die Gaumen verwöhnen und die Bäuche stopfen lassen, die sich „einverleiben“, was ihnen andre „aus der Küche geschickt“ haben, zu verbinden mit dem Thema „Gerechtigkeit“.
Warum sollte eine „Grüne Woche“ nicht ein Begleitprogramm entwickeln, in dem man in Tagungen, Konferenzen, Seminaren, Diskussionen, Filmvorführungen, Interviews etc. pp. auf die vielfachen und äußerst verzwickten Zusammenhänge zwischen unserem europäischen Wohlstand und dem Hunger in der Welt hinweist und mehrheitsfähige Alternativen entwickelt, die schließlich politikwirksam werden könnten?

Es ist eine Überlegung wert.
Wünsche guten Appetit.