In einer versteckten Ecke des Friedhofs in Born auf dem Darss befindet sich das „Russengrab“, wie die Einheimischen in Born sagen. Ich hatte darüber hier im blog schon geschrieben. Mittlerweile hat sich eine Menge getan, das Grab hat wieder eine verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit, im vergangenen Jahr hat es eine Kranzniederlegung gegeben. Die Recherchen dazu, wer dort eigentlich begraben liegt, waren aber ins Stocken geraten, weil auch Recherchen in den Kirchenbüchern nicht weiterführten. Es gab keinerlei Hinweise, wer „die Russen“ dort begraben haben könnte. Schließlich wurde ich durch Recherchen in Frankreich auf einen Befehl des Reichsführers SS, Himmler aufmerksam, daß ab einem bestimmten Zeitpunkt „auf der Flucht erschossene“ Häftlinge von anderen Häftlingen zu bestatten seien. Pastoren oder andere waren also absichtlich nicht mehr beteiligt, auch gab es keine Einträge in die Kirchenbücher.
Heute nun kam ein neues Dokument über Dr. Lars Hellwinkel von der Gedenkstätte Lager Sandbostel, der bei seinen Recherchen auf meinen blog und die Recherchen zum Lager in Born aufmerksam geworden war. Er schrieb mir:
Sehr geehrter Herr Kasparick,
ich hatte die anliegende Meldung im Online-Archiv der Arolsen Archives unter dem Suchwort Stralsund in dem Ordner „Informationen über verschiedene Haftstätten, Arbeitslager, Kriegsgefangenenlager und andere Lager “ gefunden, die Dokumentennummer habe ich in Klammern dazugefügt, ich empfehle Ihnen eine Anfrage zu Born an die Arolsen Archives über den folgenden Link:
Hintergrund meiner Recherchen ist unsere Unterstützung der Gedenkstätte Fünfeichen der Stadt Neubrandenburg – ehemals Stalag II A Neubrandenburg – bei der Identifizierung von Gräbern ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener auf dem Gebiet des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern auf der Basis der Einträge in der deutsch-russischen Datenbank www.sowjetische-memoriale.de. Wir haben diese Recherchen in den letzten beiden Jahren zum 75. Jahrestag des Kriegsendes und zum 80. Jahrestag des Angriffs auf die Sowjetunion zu den bekannten Gräbern auf dem Gebiet des ehemaligen Wehrkreis X (Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und nördliches Niedersachsen) durchgeführt, weil wir einen Überblick über die Verteilung der in den Arbeitskommandos gestorbenen Kriegsgefangenen aus dem zentralen Kriegsgefangenenlager des Wehrkreises X, des Stalag XB Sandbostel, haben wollten.
Die Meldung zu Born war also eher „Beifang“, ich war aber darauf aufmerksam geworden, da ich bereits mehrfach in Born im Walfisch-Haus Urlaub gemacht hatte und nie von diesem Außenlager gehört bzw. gelesen hatte und bin dann bei weiterer Recherche auf Ihren Blog gestoßen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit zum Schicksal dieser 5 unbekannten Toten und zu der wichtigen Erinnerung an dieses Außenlager, vielleicht ergibt sich die Möglichkeit der Aufstellung einer Informationstafel am Grab über den Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge in Mecklenburg-Vorpommern, der Volksbund betreut ja im Inland neben den deutschen Soldatengräbern auch die Gräber der ausländischen Kriegsopfer und hat ein eigenes bundesweites Geschichts- und Erinnerungstafelprogramm, die Tafeln werden zusammen mit den Gemeinden und örtlichen Schulen erstellt, für Born würde sich eine Pulttafel anbieten.
Mit besten Grüßen Dr. Lars Hellwinkel
Das Dokument zum Vorgang wird deshalb nun hier eingefügt, damit es auch anderen zur Verfügung steht:
Wie wird ein ranghoher Offizier der Waffen-SS, der beim Reichsführer SS Heinrich Himmler ein uns aus ging, regelmäßig bei ihm zu Tische saß, der für die Ausbildung der KZ-Wachhunde und der Hunde für die Wehrmacht verantwortlich war, nach dem Kriege zum „unbelasteten Bürger“? Das hat mich interessiert. Im Staatsarchiv Hamburg fand sich im Juni 2021 tatsächlich unter dem Aktenzeichen 221-11 Z 10370 eine Akte über ein „Berufungsverfahren“ des Franz Mueller-Darss. Franz Mueller-Darss war 1948 in der britischen Besatzungszone im Entnazifizierungsverfahren in die „Kategorie IV“ eingestuft worden, durfte folglich in öffentlichen Betrieben keine Verwendung mehr finden. 1949 jedoch lag die Sache schon anders: sein Berufungsverfahren unter Führung von Dr. jur. Schackow/Bremen hatte „Erfolg“: Mueller galt nun als „unbelastet“, mehr noch, er galt gar als „Gegner des Nationalsozialismus“. Wir schauen uns die Details an.
Mueller wird, nachdem er ein paar Monate im Gefangenenlager Neumünster zugebracht hat (etwa von August 1945 bis Januar 1946), in einem Entnazifizierungsverfahren in „Kategorie IV“ der„Kontrollratsdirektive 24 vom 12. Januar 1946“eingestuft.
Anhand der SS-Personalakte Mueller-Darss, die im Bundesarchiv liegt und hier im blog schon ausgewertet wurde, wird deutlich: Mueller-Darss war seit 1933 bis 1945 Mitglied in der NSDAP; seit 1936 Mitglied in der SS; seit 1942 im Persönlichen Stab Reichsführer SS Beauftragter des RFSS „für das Diensthundewesen“ und zuletzt im Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS „Amtsleiter Forsten“. Er hatte den Totenkopfring und einen „Jul-Leuchter“ des Reichsführers SS, ging mit ihm regelmäßig zur Jagd (wie mit anderen SS-Granden auch); hatte im KZ-Außenlager Born (Außenlager von Ravensbrück und Neuengamme) Befehlsgewalt über die KZ-Wachmannschaften; „beschäftigte“ im Borner Forst russische Kriegsgefangene (vier von ihnen liegen in Born auf dem Friedhof) und hielt sich vier Zeuginnen Jehovas als persönliche Häftlingsfrauen im Forsthaus in Born. All das ist aktenkundig und bestens belegt.
Mueller wird 1948 in einem Entnazifizierungsverfahren in der britischen Besatzungszone in Hamburg in „Kategorie IV“ eingestuft, gilt als belastet und gilt als nicht mehr geeignet für eine Beschäftigung in öffentlichen Betrieben.
Mueller sucht sich Anwälte: Dr. jur. Wolfgang Kulenkampff und Dr. jur. A. Schackowaus Bremen. Diese Anwälte konstruieren eine Behauptung: Mueller sei „nicht freiwillig“ in die SS gegangen (die SS-Personalakte zeigt jedoch, daß er sich sogar um eine beschleunigte Aufnahme in die SS bemüht hat!), sondern sei „aus rein dienstlichen Gründen“, wegen seiner „forstlichen Expertise“ „als Verbindungsmann zwischen dem Reichsführer SS (Himmler) und dem Reichsforstmeister (Göring)“ zur „forstlichen Beratung“ von seiner „vorgesetzten Dienstbehörde“ in die SS „abgestellt“ worden. So, als wenn Göring und Himmler eine „Verbindungsperson“ gebraucht hätten. Diese Behauptung ist schlicht abenteuerlich – aber sie wird Erfolg haben. Mueller selbst formuliert so:
An dieser hier schriftlich niedergelegten Behauptung stimmt rein gar nichts. Seit 1934 kannte er Göring; er hat ihm mit Hilfe von Professor Otto Firle ein Jagdhaus auf dem Darss gebaut (Firle wird in der Akte als Entlastungszeuge angeführt); mit Görings Hilfe wurde der Darss zum Naturschutzgebiet und zum Staatsjagdgebiet erklärt. Himmler ging ab spätestens 1940 als Jagdgast im Forsthaus Born ein und aus, wie der Dienstkalender Himmlers belegt und Himmler war es auch zu verdanken, daß sein „Spezi“ Mueller-Darss seine Hunde „scharf abrichten“ konnte und vor allem sollte, als die Totenkopfverbände der SS (ehemals die KZ-Wachmannschaften) an der Front gebraucht wurden und Ersatz im Wachdienst der KZs gebraucht wurde. Die Aufgabe der Hunde war es, fliehende Häftlinge „zu zerreißen“ – all das ist umfänglich dokumentiert im Aufsatz von Bertrand Perz „….müssen zu reißenden Bestien erzogen werden“. Der Einsatz von Hunden zur Bewachung in den Konzentrationslagern“, Dachauer Hefte 12, S. 139 ff. Davon, dass Mueller „als Verbindungsmann“ zwischen Göring und Himmler in die SS gehen „musste“, kann überhaupt gar keine Rede sein. Er wollte beschleunigt in die SS, wurde aufgenommen und machte dank seiner engen Beziehungen sowohl zu Göring als auch zu Himmler eine Blitzkarriere innerhalb der SS.
Deshalb war Mueller nach dem Kriege auch aus guten Gründen zunächst in „Kategorie IV“ eingestuft worden. Selbst noch in der Berufungsverhandlung am 11. Mai 1949 verlangte der Vertreter des Fachausschusses im Entnazifizierungsverfahren „kostenpflichtige Abweisung der Berufung.“ Aber die Zeiten hatten sich geändert.
Der Berufungsausschuss votiert anders als der Fachausschuss fordert: Mueller wird in die „Kategorie V“ eingestuft, er gilt nun als „unbelastet“. Die dazu gehörende Urkunde liest sich so:
Mueller hat seinen Anwälten die merkwürdigsten „Zeugen“ zu seiner Entlastung beigebracht (die Akte enthält 11 Dokumente). Zum Beispiel seine langjährige SekretärinIrmgard Sauer, die allen Ernstes zu Protokoll gab, ihr „Chef“ sei immer und stets „ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus“ gewesen, sie selbst sei zum Dienst beim Reichsführer SS „gezwungen“ worden und ihr „Chef“ habe gar ein „Attentat auf Bormann“ (gemeint ist Martin Bormann, Leiter der Reichskanzlei der NSDAP im Range eines Reichsministers) geplant. Noch abenteuerlicher geht es kaum. Frau Sauers vierseitiger Beitrag wäre eine eigene Untersuchung wert, hier soll nur festgehalten werden, daß sie behauptet, eigenhändig „einen Befehl meines Chefs an die KZ-Wachmannschaften“ in Born geschrieben zu haben, wonach die gehalten seien, die russischen Kriegsgefangenen anständig zu behandeln. In unserem Zusammenhang ist das insofern von Interesse, als damit belegt ist, daß Mueller offensichtlich Befehlsgewalt gegenüber den KZ-Wachmannschaften in Born hatte. Auch taucht Himmlers Leibarzt Felix Kersten als „Zeuge“ in der Akte auf, der gar behauptet, Mueller habe ihm geholfen „Tausende Juden“ ins Ausland zu schaffen. Sein „Zeugnis“ – beide kannten sich aus dem Persönlichen Stab des Reichsführers SS und von Himmlers Mittagstisch bestens – liest sich wie folgt:
Mueller hat sich für diesen Brief später bei Kersten „bedankt“ und ihm ein ähnliches „Zeugnis“ ausgestellt. Auch hat er gegenüber Herrn Kersten seine Bereitschaft erklärt, „gegebenenfalls auch vor Gericht“ seine Aussage „zu beeiden“. Meineid also. Das war normal in jenen Jahren. Ganoven unter sich: man stellt sich gegenseitig „Persilscheine“ aus. Auf Felix Kersten und seine Behauptung, er habe tausenden Niederländern die Deportation „in den Osten erspart“ – wofür er einen hohen Orden der niederländischen Regierung bekommen hat, obwohl die Sache von vorn bis hinten erfunden war –habe ich hier im blog separat behandelt.
Wie also konnte es kommen, dass Mueller-Darss im Mai 1949 „freigesprochen“ wurde?
Nun, die Briten, das ist mittlerweile umfänglich dokumentiert und untersucht, hatten 1948/49 andere Sorgen, als ehemalige Nazis zu suchen. Ihnen lag vor allem daran, daß ihre Besatzungszone wirtschaftlich wieder „auf die Beine“ kam, denn England hatte, nicht zuletzt als Folge des Krieges, selbst mit massiven wirtschaftlichen Problem zu kämpfen und musste nun auch noch die Bevölkerung im Besatzungsgebiet versorgen. Näheres hat z.B. die Bundeszentrale für Politische Bildung notiert. Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess (20. 11. 1945 – 1. Oktober 1946) hatte stattgefunden, auch waren schon etliche der Nachfolgeprozesse geführt. Und es war eine Phase eingetreten, in der in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden war, Mitläufer würden strenger gemaßregelt, als die eigentlichen Täter. 1949 waren die Entnazifizierungsbemühungen der Alliierten „abgeschlossen“. Man hatte ohnehin bereits 1947 die Vorgänge in die Hände der deutschen Länder gegeben. 1949 wurden die beiden deutschen Staaten gegründet. Der Kalte Krieg begann und die Geheimdienste begannen mit ihrer Arbeit: Ost gegen West und West gegen Ost. Da war keine Zeit mehr, „alte Kameraden“ zu suchen. Man glaubte, man sei mit der Sache fertig. Bis 1961. Dann kam der Eichmann-Prozess und das Thema „Vergangenheit“ kochte wieder hoch.
Franz Mueller-Darss jedenfalls arbeitete bereits seit 1948 für die „Organisation Gehlen“, die Vorläuferorganisation des Bundesnachrichtendienstes; da war seine Berufung im Entnazifizierungsverfahren noch gar nicht abgeschlossen. Aber dazu kommen wir noch ausführlich, wenn ich die Akte, die dazu im Archiv des BND liegt eingesehen habe.
Heute war ich nun endlich im Lesesaal des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit der DDR. Ich wollte wissen, was die Stasi über den SS-General Franz Mueller-Darss wusste. Ich hatte schon vor über einem Jahr einen Antrag gestellt, dann kam die Auskunft, man habe „etwas gefunden“. Dann kam Corona. Nun also endlich die Akte 3685/63 Band-Nr. 1 BStU Archiv der Außenstelle Rostock. MfS BV Rst AOK 3685/63. Wie man an der Aktenkennung gleich erkennen kann: es handelt sich um Dokumente aus dem Jahre 1963. „Seit 1960“, so ist eingangs zu erfahren, habe man „Kenntnis von dem Franz Mueller“. Das überrascht mich etwas, denn das deutet ja darauf hin, dass man sich bis 1960 noch gar nicht um ihn und seine ehemaligen SS-Männer gekümmert hatte. Nun aber habe man die „Information erhalten“, dass es noch Bunker gäbe im dunkeln Darss-Wald. Es gäbe auch „bislang unentdeckte Kontakte“ aus den Orten des Darss zu dem Mueller. Deshalb sei es „aus Gründen der Sicherung der Staatsgrenze Nord“ angetan, einen OP-Vorgang anzulegen, um herauszufinden, wer denn in Born, Prerow, Zingst, Wieck und Wustrow noch alles im Kontakt stünde mit dem ehemaligen SS-Mann.
Es geht der Stasi also darum, in Born, Prerow, Wustrow und drumherum herumzuhorchen, wer im Kontakt mit Mueller stand, wer seine Revierförster und Helfer im Walde waren und wie man sich die Kommunikation zwischen den „Ehemaligen“ eigentlich vorstellen müsse. Jedenfalls ist in der Akte von „dunklen Gestalten“ die Rede und von „noch unentdeckten Bunkern“ und solchen Sachen. Wir schreiben das Jahr 1963. Die Mauer steht seit zwei Jahren.
Im Ergebnis der Untersuchungen der Stasi, die sich von Februar 1963 – Dezember 1963 hinziehen, kommt so allerlei zu Tage. Man erfährt von Menschen, die ehemals in der SS – nun aber in der SED Mitglied sind. Auch finden sich Menschen, die, ehemals bei der SS nun „GI“ der Staatssicherheit sind, Gesellschaftliche Informanten also. Eine Art „Mitarbeiter“. Man erfährt, „vertraulich“ sei „bekannt geworden“, dass ein „Hans Becker, Fischer; geb. 1.3.12“ den Franz Mueller-Darss bei seiner Flucht 1945 über den Bodden gebracht haben soll. Davon hatte ich schon munkeln gehört, als ich in Born mit dem einen oder anderen gesprochen hatte.
Die Stasi ist nicht zimperlich. Sie kontrolliert die Post gleich ganzer Dörfer: Im Maßnahmeplan vom 21. 1. 1963 ist unter Punkt 5 zu lesen: 5.) „Über die Abteilung -M- ist die Postkontrolle über die Darßer Orte Born, Wieck, Prerow und Zingst einzuleiten. Dadurch soll erreicht werden, eventuell bestehende Verbindungen Darßer Einwohner zu dem Mueller auf postalischem Wege aufzuklären. Termin: 15.2.1963; verantw.: Kasulke, Obfw“.
Der Herr Kasulke von der Stasi jedenfalls hat sich redlich bemüht, das geht aus der Akte eindeutig hervor. Man findet bei der Lektüre noch etwas Interessantes: Die Stasi wusste aus ihren Recherchen, dass es in Born ein KZ-Außenlager gab. Sie wusste ausserdem, dass die Bunker im Darsser Wald von KZ-Häftlingen ausgehoben worden sein sollen. Die Akte gibt aber keinerlei Hinweise darauf, dass die Stasi diesen Hinweisen einmal nachgegangen wäre und die Täter zur Verantwortung gezogen hätte. Der „antifaschistische Staat“ hat da offenbar weggesehen.
Stattdessen hat die Stasi ganz offensichtlich ehemalige SS-Leute, die im Umfeld von SS-General Franz Mueller-Darss im Darsser Wald und am „Borner Hof“ (da waren die russischen Kriegsgefangenen untergebracht) „Mitarbeiter“ von Mueller waren, für eigene Zwecke angeworben. Unter Erpressung, versteht sich. Man liest beispielsweise am 14.6.1961 in einem Vermerk von Abteilung VII/2 „Sachstandsbericht zum operativen Material Mueller u.a.“, daß „Erich Mehl, heute Revierförster in Abshagen Krs. Grimmen (GI der KD Grimmen) „Angehöriger der SS und unter Mueller Revierleiter in Born war.“ „GI steht dabei für „Gesellschaftlicher Informant“ – die Stasi hat ihn „abgeschöpft“ und er hat „berichtet“.
Dass die Staatssicherheit der DDR ehemalige SS-Leute erpresst und für ihre Zwecke dienstbar gemacht hat, ist mittlerweile gut durch Aktenbestände in den Archiven der „Gauck-Behörde“ belegt. Interessant ist dennoch immer wieder, wenn man auf konkrete Belege stößt. Die Stasi – so wird an den Kopien deutlich werden, die ich mir heute bestellt habe und die ich noch gründlich auswerten will – wusste jedenfalls sehr genau, wer beim Mueller Kutscher war, wer die Köchin war; wer beim SS-Wachpersonal dabei war; wer bei den „Großjagden mit Göring“ dabei war. Man wusste, welche Rolle der „Arzt Dr. Heinrich“ gespielt hat und so weiter und so weiter.
Dennoch hat man im Dezember 1963 die Akte geschlossen und man hat die SS-Belasteten nicht zur Verantwortunggezogen. Ein interessanter Befund, denn es war gerade 2 Jahre her, dass in Jerusalem ein hoher SS-Mann vor Gericht stand. Adolf Eichmann. Franz Mueller-Darss und Adolf Eichmann könnten sich begegnet sein. Denn Franz Mueller-Darss war oft bei Eichmanns Chef, dem „Reichsführer SS Heinrich Himmler“ zu Gast am Mittagstisch.
„Was ist eigentlich bei Kriegsende aus den über hundert russischen Kriegsgefangenen geworden, die im „Borner Hof“ untergebracht waren?“ Oft habe ich diese Frage gestellt bei meinen Interviews in Born a. Darß. Niemand konnte es mir beantworten. Man weiß zwar, wann „die Russen“ im April 1945 auf dem Darß ankamen – damit ist die Rote Armee gemeint. Aber man weiß nicht, was aus den „Russen im Borner Hof“ geworden ist. „Die waren dann nicht mehr da“ heißt es lapidar.
Es gibt eine letzte Spur: jene Liste von 35 sowjetischen Kriegsgefangenen, die noch im April 1945 von Born nach Barth ins KZ-Außenlager „überstellt“ wurden. (Quelle: Arolsen Archives).
Man weiß auch, dass es einen Todesmarsch gegeben hat vom KZ Barth ausgehend, der bis etwa Ribnitz-Damgarten geführt hat, da werden einige der Borner Häftlinge, die man nach Barth überstellt hatte, dabei gewesen sein.
Was aber aus den etwa 70 in Born verbliebenen Häftlingen geworden ist – die Spuren verlieren sich bislang im Nebel der vergangenen Jahrzehnte.
Wir wissen mittlerweile allerdings, dass beinahe alle sowjetischen Kriegsgefangenen von der sowjetischen Militäradministration in sogenannten „Prüf- und Filtrationslagern“ interniert und überprüft wurden. Zuständig war der NKWD, der sowjetische Geheimdienst. Der zentrale Vorwurf an die in Deutschland internierten Kriegsgefangenen lautete: „Ihr seid in Wahrheit Kollaborateure, denn ihr habt für die Deutschen gearbeitet.“ Stalin hatte in einem seiner berüchtigten Befehle angeordnet: „Es gibt keine russischen Gefangenen“. Jeder Soldat habe „bis zum letzten Blutstropfen“ zu kämpfen, und solle sich mit der letzten Patrone lieber selbst das Leben nehmen, als in deutsche Kriegsgefangenschaft zu gehen.
Deshalb wurden die Rückkehrer strengstens kontrolliert, ausgefragt und – in vielen tausenden Fällen – erneut verurteilt.
Ich habe heute in Moskau beim Deutschen Historischen Institut bei Dr. Stratievski angefragt, wie man eventuell herausfinden könnte, in welchem dieser Lager die Häftlinge aus Born überprüft worden sein könnten. Vielleicht kennt er eine Spur, ich bin auf seine Antwort gespannt.
Dr. Stratievski kommt im hier eingefügten Dokumentationsfilm von arte zu Wort, in dem es um die sowjetischen Kriegsgefangenen geht, die keineswegs am Ende des Krieges als „Befreite“ nach Hause gehen konnten:
Am 7. September 2020 hatte ich Gelegenheit, ausführlich mit dem mittlerweile 84-jährigen Hafenmeister von Born, Werner Witt zu sprechen. Werner Witt ist ein „Kriegskind“. Er erinnert sich noch daran, wie er als Junge gemeinsam mit anderen mit den gesprengten Fahrzeugen der SS im Darßer Wald gespielt hat und wie dabei einem seiner Spielkameraden ein Splitter ins Auge geflogen ist. Werner Witt hat im Hause seiner Eltern viel mitbekommen, sein Vater war unmittelbar nach dem Krieg von „den Russen“ damit beauftragt worden, für die Verpflegung der Bevölkerung zu sorgen, später dann war sein Vater lange Zeit Bürgermeister in Born. Im Gespräch mit ihm erfahre ich, dass es in Born nicht nur die Häftlinge im „Borner Hof“ gab, überwiegend russische Kriegsgefangene und die vier Zeuginnen Jehovas, die in der Forstmeisterei arbeiten mussten, es gab darüber hinaus im Ort selbst Zwangsarbeiterinnen. Von denen erzählt Werner Witt zum Beispiel, dass „Maria“ in einem kalten Oktober barfuß in Holzpantinen Kartoffeln roden musste. Eine Nachbarin, Frau Kasten, hatte der Marie „was Warmes zugesteckt“, woraufhin sie angezeigt wurde.
Im „Borner Hof“ und in Wieck waren die Häftlinge untergebracht, in Born, Wieck und Zingst haben sie gearbeitet.
Oder sie zogen von Born aus zur „SS-Meilerei“ auf der kleinen Halbinsel Bliesenrade, dicht beim Dorf Born a. Darss.
Born a. Darß und Bliesenrade. (Googlemaps). In Born war 1940 – 45 das KZ-Kamp, in Bliesenrade die SS-Meilerei
Über Bliesenrade führte dermaleinst der Postweg über den Bodden, eine kleine Stichstraße führt noch heute auf die Halbinsel. Es gab dort ein Fährhaus und eine Verbindung nach Bodstedt auf der anderen Seite des Boddens.
Im Ortsarchiv Born findet sich über diese SS-Meilerei folgendes Dokument:
über diese SS-Meilerei ist bei Wolfgang Benz (Stätten des Terrors) folgendes zu erfahren:
Wolfgang Benz, Stätten des Terrors; SS-Meilerei Born
Man kann davon ausgehen, dass die in der nur etwa einen Kilometer entfernten Meilerei arbeitenden Häftlinge täglichdurchs Dorf zogen. Morgens hin, abends zurück. Jeder im Dorf hat sie irgendwann mal gesehen. Man kannte die SS-Bewacher, mit manchen war man sogar befreundet, man sah die Häftlinge. Kontakt war offiziell verboten, aber doch gab es Menschen, zum Beispiel in Bliesenrade, die einen Kontakt zwischen Häftlingen und ihren Angehörigen ermöglicht haben. Vgl. dazu den Zeitzeugenbericht über die inhaftierten Bibelforscherinnen in Born.
Interessant an den Dokumenten ist auch die sichtbare wirtschaftliche Verflechtung des KZ-Außenlagers mit der Forstverwaltung Born, an deren Spitze ja ein hoher SS-Offizier stand. Die SS „kaufte“ bei der SS Holz und „verkaufte“ es weiter. Auch „kaufte“ die SS „ein weiteres Grundstück vom Forstamt“, um die Meilerei zu erweitern. Die SS konnte auf dem Darß schalten und walten, wie es ihr beliebte. Im Zweifel sagte der „Forstmeister“ Mueller-Darß, wo es „langging“. Er galt als sehr unbeliebt im Ort. Manche Frauen fanden ihn „fesch“, wir mir Holger Becker erzählte, es gab ja auch Kinder von ihm im Ort; andere hatten Angst vor ihm, wenn er, hoch zu Pferde, durch den Wald geritten kam und die Bäuerinnen, die da beim Beerensammeln waren, nach ihrem Berechtigungsschein fragte und ihnen ihre Ernte einfach abnahm, wenn sie den Schein nicht vorweisen konnten. (Gespräch mit Holger Becker am 30.09.2019 im Archiv in Born).