Bombenstimmung im Advent

Bombenstimmung im Advent

Das Tempo ist diesmal sehr besonders. Am 13. November 2015 gab es Terroranschläge in Paris. Und bereits am 4. Dezember 2015 beschließt der Bundestag , in den Krieg gegen den IS einzutreten. Es werde „sehr lange dauern“, ist zu erfahren und „gefährlich“ sei das auch. Das wars dann auch schon.
Das Mandat dazu ist überaus schwammig. Man bezieht sich auf die Bitte Frankreichs um Unterstützung und auf einen EU-Vertrag, der zum gegenseitigen Beistand verpflichtet. Ein Mandat des Weltsicherheitsrates gibt es nicht. Und das Mandat bedeutet im Kern einen blanko-Scheck fürs Militär: nicht nur über Syrien soll geflogen werden, sondern über einem Gebiet bis zum Persischen Golf und über dem Roten Meer – also fernab von Syrien.
Das eigentliche Ziel ist unklar, selbst Militärs wundern sich über die unprofessionelle Vorbereitung, denn es gibt nicht mal eindeutige Kommandostrukturen.
Die Regierungsfraktionen werden zustimmen (in der Probeabstimmung 1 Gegenstimme bei der Union, 13 Gegenstimmen bei der SPD); Linke lehnt ab, Grüne lehnen mehrheitlich ab.
Ich erinnere mich gut, wie wir nach den Anschlägen vom September 2001 um eine Position gerungen haben – Afghanistan betreffend. Nächtelang ging das. Tagelang. Freundschaften sind zerbrochen. Um Grundsätzliches wurde gestritten. Niemand hat es sich irgendwie leicht gemacht.
Auch damals ging es ja um den „Krieg gegen den Terror“. Völlig klar war uns: ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates würde gar nichts gehen.
Das ist diesmal alles sehr anders.
Deutschland hat sich an den Krieg gewöhnt.
Es gibt ihn zwar noch, den „Kampf um die Bedeutung der Worte“ – Frau von der Leyen, die derzeitige Verteidigungsministerin, weigert sich strikt, – ähnlich wie einer ihrer Vorgänger im Afghanistan-Krieg – von „Krieg“ zu sprechen, die Armee spricht „selbstverständlich“ von Krieg. Es hat auch rentenrechtliche Konsequenzen, das war schon beim Afghanistan-„Einsatz“ so. „Einsätze“ sind billiger als „Kriege“.

Der eigentliche, der zentrale Punkt aber – der kommt im Grunde gar nicht vor in der Debatte. Es geht um die Frage, die schon Erhard Eppler und andere in früheren Jahren nachdrücklich gestellt haben:
Was kann man tun gegen „privatisierte Gewalt“, die eben nicht von Staaten, sondern von Terrorgruppen oder terrorbereiten Einzelpersonen ausgeht?
Die Regierung vertritt eine „Doppelstrategie“ – einerseits der „Wiener Prozess“, andererseits das militärische Bündnis mit Frankreich („damit Europa nicht auseinanderbricht“ (Steinmeier)). Der „Wiener Prozess“ ist schon deshalb nötig, weil sich die Teilnehmer der „Allianz gegen den IS“ nicht einig sind. Man muss sich überhaupt erst mal über die Frage verständigen, wen man eigentlich zu bekämpfen gedenkt. Das kann dauern.
Solange wird gebombt. (Die Verteidigungsministerin hat gerade gestern und heute darauf hingewiesen, dass die Dauer des „Militäreinsatzes“ vom Erfolg des Wiener Prozesses abhinge).

Aber: kann man mit Bomben privatisierte Gewalt bekämpfen?
Nein, das kann man nicht.
Denn mit jeder Bombe, die das Haus eines Zivilisten trifft – und das wird reichlich geschehen – entsteht eine neue Terror-Zelle. Bomben vergrößern die Gefahr.
Wenn eine Staatengemeinschaft privatisierte Gewalt, wie sie in Terroranschlägen zum Ausdruck kommt, mit Krieg bekämpft, mit Flugzeugträgern, Fregatten, Tornados und Bomben – dann zeigt sie damit lediglich nur, dass sie der Logik der Gewalt folgt – und nicht der Logik des Rechtsstaates.

Denn: privatisierte Gewalt in Gestalt von Terroranschlägen ist nichts andres als ein Gewaltverbrechen.
Und ein zivilisiertes Land stellt Gewaltverbrecher vor Gericht.
Die mittlerweile beinahe „automatische“ Logik auf einen Terroranschlag, nun müsse eine „eindeutige Antwort“ – in Gestalt von Bomben – gegeben werden – das entspricht steinzeitlichem Denken. Haust du mich, hau ich dich. Sprengst du meine Leute in die Luft, spreng ich deine Leute in die Luft.
Mit Rechtsstaatlichkeit hat das jedoch gar nichts mehr zu tun.

Die Völkergemeinschaft wird eine neue Antwort auf die global grassierende privatisierte Gewalt entwickeln müssen.
Ich will mich nicht von der Hoffnung verabschieden, dass es der Völkergemeinschaft schon bald gelingen möge, nicht mehr der Logik der Gewalt, sondern der Logik der Rechtsstaatlichkeit zu folgen. Gewaltverbrecher gehören vor ein Gericht. Und das steht in Den Haag.

Das aber bedeutet: Weltinnenpolitik.
Willy Brandt hat schon 1979 auf die Notwendigkeit eines solchen neuen Denkens hingewiesen.

Die Völkergemeinschaft ist noch weit von diesem Ziel entfernt. Die USA haben bislang Den Haag noch nicht mal anerkannt – aus naheliegenden Gründen.
Aber:
wenn die internationale Staatengemeinschaft der privatisierten Gewalt in Gestalt von Terroranschlägen (die man niemals von der Erde wird verbannen können, sowenig wie man Gewaltverbrechen verhindern kann) wirklich fundamental etwas entgegensetzen will – dann wohl das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.
Und zu diesem Prinzip gehören Anklage und Verteidigung. Es genügt nicht, jemandem zum „Terroristen“ zu erklären und ihm Bomben auf den Kopf zu werfen. Denn das erzeugt nur neue Anschläge.

Das alte Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wurde abgelöst vom Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Das war ein gewaltiger zivilisatorischer Schritt.
Es war ein Ausdruck von hohen zivilisatorischen Standards, dass die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkriegs die Täter nicht einfach abgeknallt haben.
Nein, man hat sie vor Gericht gestellt. Das war der Fortschritt. Wir dürfen nicht zurückfallen in altes Denken.
Das Gegenteil ist not-wendig.
Die Welt braucht mehr Rechtsstaatlichkeit, nicht noch mehr militärische Gewalt.

Trendwende in Afghanistan! Ah ja….


Pünktlich vor der Abstimmung über eine erneute Verlängerung des Afghanistan-Mandats für die Bundeswehr verkündet die Regierung via spiegelonline, daß man eine „Trendewende“ in Afghanistan zu verzeichnen habe. Jeder weiß, daß diese Meldung weniger mit der Realität zu tun als vielmehr eine politische Funktion hat: sie soll im rot-grünen Lager um Zustimmung zum neuen Mandat werben.
Die Kanzlerin will – gemeinsam mit dem Außen- und dem Verteidigungsminister – eine möglichst breite Zustimmung erreichen, weil sie die Rolle Deutschlands im Bündnis als „zuverlässigen Partner“ stärken will.

Soweit, so klar.
Nun hat der SPD-Vorstand auf seiner Januar-Klausur einen Text beschlossen, der klare Erwartungen an den Text der zu erstellenden Regierungsvorlage enthält. In dem von der SPD online verteilten Text heißt es:

  • „Entschiedene Steigerung der Anstrengungen für den zivilen Wiederaufbau und Verdopplung der entsprechenden Haushaltsmittel,
  • Verstärkung der Ausbildung der afghanischen Polizei und Armee und eine deutliche Erhöhung der Zahl der Polizeiausbilder,
  • Intensivierung der Bemühungen um eine politische Lösung des Konfliktes, Unterstützung der innerafghanischen Aussöhnung und Entwicklung konkreter Initiativen zur regionalen Stabilisierung der Lage,
  • keine weiteren Kampftruppen, stattdessen – aufbauend auf Fortschritten beim zivilen Wiederaufbau und der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte – Beginn der Übergabe beruhigter Zonen in afghanische Verantwortung noch 2011,
  • Übergabe der vollen Verantwortung für die Sicherheit im Land an die afghanischen Sicherheitskräfte bis 2014 gemäß dem von Präsident Karzai selbst gesetzten Ziel,
  • Beginn der Reduzierung des deutschen ISAF-Kontigents im kommenden Jahr, analog zur Ankündigung des amerikanischen Präsidenten Obama, und Beendigung des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen von ISAF im Korridor 2013 bis 2015.

Was die SPD vor einem Jahr forderte ist mittlerweile Beschlusslage in vielen Staaten: Konzentration auf die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte, schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Verantwortlichen in Afghanistan, Erhöhung der Mittel für den zivilen Aufbau sowie eine Truppenreduzierung ab 2011. Bis 2014 sollen die Kampftruppen das Land verlassen haben.“

Man kann an diesem Text den mühsamen Versuch erkennen, zwischen der einfachen Option „weiter so“, dem Offenhalten politischer Optionen (nur ungern würden sich die Sozialdemokraten im Bündnis den Vorwurf, sie seien „unzuverlässig“ anhören müssen) und einem möglichen schnellen Abzug zu lavieren.

Deshalb ist es hilfreich, daß die SPD sich nun vor der Regierung in einem Text festgelegt hat. Die Bundestagsfraktion ist an einen solchen Beschluss zwar nicht gebunden, aber sie ist gut beraten, wenn sie ihn zur Grundlage der Verhandlungen mit der Regierung macht, denn der Text ist natürlich in enger Abstimmung zwischen Partei und Fraktion entstanden.

Nun ist die Regierung am Zug.
Westerwelle will ein scheinbar klares Ziel: Beginn des Abzugs 2011. Die Kanzlerin ist dazwischen gegangen und hat die Formulierung „soweit die Lage es zulässt“ eingeworfen, der vor allem Minister Guttenberg gern gefolgt ist, weil er die „harte Linie“ der militärischen Argumentation verfolgt.
Deshalb liegen die beiden kurz vor der Abstimmung nach wir vor im Clinch und die Beamten der Ministerien, die Staatssekretäre und Abteilungsleiter, haben noch eine Menge zu telefonieren, um schließlich zu einem zwischen beiden Ministerien und dem Kanzleramt abgestimmten Beschlusstext der Regierung zu kommen.

Die entscheidende Frage wird sein: was steht in dieser Regierungsvorlage.

Und: wie verhält sich dieser Text zu dem von der SPD beschlossenen Text.
Daraus resultiert dann die Frage, ob die SPD einem erneuten Mandat zustimmen kann oder nicht.

Der Text der SPD ermöglicht es ihr, „Nein!“ zu sagen. Nämlich dann, wenn der Regierungstext die Forderungen der SPD nicht enthält.

Wenn die SPD sich allerdings einfangen lässt und einer windelweichen Regierungsvorlage nach dem Muster „sofern die Lage es zulässt“ zustimmt, dann ist ihre Glaubwürdigkeit flöten. Denn dann hält sie sich nicht mal mehr an eigene Beschlüsse.

Ich wünsche mir, daß alle MdBs sowohl den Text des SPD-Vorstandes als auch die Vorlage der Regierung sehr aufmerksam lesen – was nicht selbstverständlich ist.
Und dann wünsche ich mir, daß die Sozialdemokraten die Kraft aufbringen, bei den eigenen Beschlüssen zu bleiben.
Abzug ab 2011. Ende des Abzugs 2014. So, wie es auch Präsident Karzai formuliert hat.

Daß die Regierung ein neues Mandat mit ihrer Mehrheit verabschieden wird, scheint ziemlich klar.
Es sei denn, daß auch in FDP und Union einige Abgeordnete ins Nachdenken gekommen sind.
Die Erfahrung lehrt jedoch, dass bei solcherlei Abstimmungen allemal der Gruppendruck am Ende siegt….

Also, liebe Sozialdemokraten. Die Tür ist offen:

Trendwende in Afghanistan! Ah ja!