Das Phänomen

Das Phänomen

Die Hauptsorge der Deutschen ist der Klimawandel.
Das hat Kantar Emnid für die Funke Mediengruppe im Juli 2017 herausgefunden.
Das ist ein interessanter Befund, könnte man doch angesichts des Diesel-Skandals und der sich daran entzündenden Debatte auch auf anderes schließen.

Phänomenal aber ist die Reaktion der Parteien auf die größte Sorge der Deutschen.
Sie reagieren nämlich gar nicht.
Von den Grünen einmal abgesehen, die sich auf eines ihrer Kern-Themen besonnen haben.
Die Union spricht das Thema nur auf Nachfrage an und antwortet dann mit verschwaschenen, unklaren Worten der Kanzlerin, eine neue Mobilität sei nötig und werde kommen. Wann und mit welchen politischen Maßnahmen – bleibt alles völlig beliebig und offen. Man will sich nicht anlegen mit den Autofahrern, mit den Fahrzeugherstellern ohnehin nicht.
Die SPD fokussiert das Thema „Gerechtigkeit“ – lässt aber Generationen-Gerechtigkeit (und das Thema Klimawandel ist eine Frage der Generationen-Gerechtigkeit!) und Nord-Süd-Gerechtigkeit (Willy Brandt hat schon in den siebziger Jahren von der Verantwortung des Nordens für den Süden gesprochen!) völlig außen vor. Es geht – von ein paar thematischen Ausreißern einmal abgesehen, ausschließlich um innenpolitische Themen. Die Grundlage allen Wirtschaftens jedoch – kommt gar nicht vor in diesem Wahlkampf. Von der Einzelkämpferin Barbara Hendricks einmal abgesehen, die gleichsam qua Amt als Bundesumweltministerin das Thema setzt.
Von der FDP hört man in der Sache gar nichts. Und wenn, dann sei das alles eine Frage des „Marktes“. Fertig.
Die LINKE bleibt diffus und unklar, besonders in den Kohle-Revieren. Man will sich nicht mit den letzten wenigen noch verbliebenen Kohle-Kumpeln verderben.

57 Parteien sind zur Wahl zugelassen.
Die wichtigste Sorge der Deutschen ist der Klimawandel.
Aber der kommt nicht vor in der Auseinandersetzung um die besten Lösungen auf die Fragen, die die Menschen wirklich bewegen.
Man redet über alles Mögliche – aber nicht über das, was die Menschen am meisten bewegt.
Phänomenal.

Eine kleine Vorbereitung auf den Bundestagswahlkampf 2017. Fragen eines zeitungslesenden Wählers


Die Zeit läuft. Und die Natur wartet nicht. Schon gar nicht auf bunte Bildchen.

Gegenwärtig werden die Kandidaten aufgestellt für den Bundestagswahlkampf 2017. Das übliche Hauen und Stechen ist im Gange, vor allem um die begehrten vorderen Listenplätze.
Mich interessieren aber andere Fragen.
Ich möchte vor allem wissen, welche Vorschläge die Parteien dem Wähler vorlegen, um das vermutlich größte politische Problem der Gegenwart anzupacken: den Klimawandel.
Denn dieses gewaltige politische Problem hat Auswirkungen auf alle anderen Politikfelder. Deshalb ist es so wichtig.
Ein paar der besonders betroffenen Politikfelder will ich erwähnen (Auswahl):
1. Finanzen: Geht der Klimawandel ungebremst weiter (darauf deuten im Moment alle Indikatoren hin), sind die nationalen Haushalte enorm betroffen. Vor allem sind Schäden zu regulieren.
Darüber hinaus sind dringende Investitionen vorzunehmen, die a) eine Anpassung an den Klimawandel ermöglichen und b) massive Investitionen in Energieeffizienz und Erneuerbare Energien gewährleisten.
Mich interessiert deshalb, was die Parteien konkret vorschlagen, um den Bundeshaushalt auf diese Herausforderungen einzustellen.

2. Städtebau, Verkehr
Die Infrastrukturen in der Bundesrepublik Deutschland sind besonders vom Klimawandel betroffen. Nicht nur Häfen und Küsten, auch Kanäle, Straßen, Innenstädte müssen sich mit großem Tempo vorbereiten. Ganze Infrstrukturen sind anzupassen.
Der Verkehr ist bereits zu großen Teilen elektrifiziert (Bahn, S- und U-Bahn). Problematisch sind Individualverkehr und Güterverkehr auf der Straße und auf dem Meer.
Mich interessiert, was die Parteien vorschlagen, um dieses bislang viel zu zögerlich angepackte Problem nun endlich massiv und systematisch anzupacken.

3. Gesundheitssystem
Der Klimawandel wird starke Auswirkungen auf das Gesundheitssystem haben (neue Krankheitserreger z.B.; Hitzeperioden etc.) Mich interessiert, was die Parteien konkret vorschlagen, wie sie das Gesundheitssystem auf die bevorstehenden Veränderungen einstellen wollen.

4. Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
Der Klimawandel betrifft bereits jetzt diese Wirtschaftszweige in besonderem Maße.
Mich interessiert, was die Parteien konkret vorschlagen, um Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft
a) bei den notwendigen Anpassungen zu unterstützen und
b) was sie zur konkreten Prävention vorschlagen

5. Innenpolitik
Es ist damit zu rechnen, dass es zunehmende Flüchtlingszahlen geben wird, weil die Zahl der Klimaflüchtlinge steigen wird.
Wie wollen die Parteien die Gesellschaft angesichts bereits jetzt bestehender innenpolitischer Konflikte auf dieses absehbare Problem vorbereiten?

6. Außen- und Sicherheitspolitik
Konflikte werden angesichts des Klimawandels zunehmen. Das Auswärtige Amt hat schon 2006 publiziert, was nach Auskunft der Klimafolgenforscher im Bereich der Sicherheit und politischen Stabilität ganzer Staatsordnungen zu erwarten sein wird: je höher die weltweite Durchschnittstemperatur steigt, um so instabiler werden Staaten, besonders gefährdet sind die jetzt schon instabilen Staaten. Was schlagen die Parteien vor, um einen wirksamen deutschen Beitrag in der Außen- und Sicherheitspolitik zu leisten?

7. Wirtschaftspolitik
Angesichts des Klimawandels steht ein dramatischer Wandel der bestehenden Wirtschaftsstrukturen bevor.
Die zwingend notwendige Dekarbonisierung der Wirtschaft erfordert massive Umsteuerungen nicht nur in der Energieerzeugung (Schließung der Kohleförderung und Kohleverstromung; vorrangige Investitionen in Effizienz, Erneuerbare Energien) und hat Auswirkungen auch auf die Distribution von Waren und Produkten (Verkehre).
Was schlagen die Parteien konkret vor, um die Volkswirtschaft auf den bevorstehenden dramatischen Wandel wirksam vorzubereiten?

8. Zuwanderung
Deutschland wird angesichts des Klimawandels vor allem eins brauchen: Kreativität.
Das Land braucht die besten Köpfe, um mit diesem komplexen Problem angemessen umgehen zu können. Das Land befindet sich aber in einem globalen Wettbewerb um diese überall auf der Welt gesuchten Fachleute.
Was schlagen die Parteien vor, um dem Problem der oftmals fehlenden Kreativität zu begegnen?

9. Wissenschaft
Wissenschaftliche Erkenntnisse finden nach wie vor unzureichend Echo in der Politik.
Obwohl zahlreiche international anerkannte deutsche Institute auf dem Feld der Klimafolgenforschung arbeiten und weltweit anerkannte Ergebnisse publizieren, werden ihre zahlreichen Vorschläge politisch zu zögerlich oder gar nicht umgesetzt.
Was schlagen die Parteien vor, um diesem Problem zu begegnen?

10. Priorisierung
Meine zentrale Frage an die Kandidatinnen und Kandidaten ist folgende:
Was gedenken Sie zu tun, um dem Mega-Thema climate change die ihm gebührende Priorität im politischen Alltagsgeschäft einzuräumen?
Bislang ist climate change vor allem ein Thema der Umweltpolitik. Das aber genügt bei Weitem nicht, weil climate change auf alle Politikfelder Auswirkungen hat und zunehmend haben wird.
Es bedarf also einer glasklaren und konsequenten Priorisierung.
Deshalb interessiert mich, was die Parteien konkret vorschlagen, um diese Priorisierung zu erreichen.

Man wird uns im Bundestagswahlkampf wieder mit allerlei bunten Bildchen und Materialien überschwemmen. Diese bunten Bildchen sind mir allerdings herzlich egal.
Mich interessiert, was die kandidierenden Parteien und ihre Kandidaten konkret bis wann mit wem und mit welchen Strategien zu tun gedenken, um endlich das dringendste politische Problem auch wirklich anzupacken.

Die Zeit läuft. Und die Natur wartet nicht.