Die Augen des Dichters. Christian Morgenstern (6.5.1871-31.3.1914)


„Ich freue mich, ich freue mich, aber ich kann nicht sprechen“ – so begrüsst Christian Morgenstern den russischen Lyriker Andrej Belyj im Leipziger Hotel de Pologne Ende Dezember 1913, wenige Monate vor seinem Tod.
Seit zwanzig Jahren war er schwer krank.
Wie bei kaum einem anderen verband sich in Christian Morgenstern das Wissen um die Zerbrechlichkeit des Körpers mit einer starken Hoffnung.
Morgenstern war 42 Jahre, als er am 31. März 1914 morgens um 5 Uhr starb.
Ein Leben lang war ein Wandernder, zog von Hotel zu Hotel, von Pension zu Pension, von Norwegen nach Italien, von Süd- nach Norddeutschland. Kaum war er irgendwo angekommen, zwang ihn die Krankheit wieder und wieder – oft monatelang – zum Liegen.
Man kennt die „Galgenlieder“, den „Palmström“, die heitere Seite des großen Dichters.
Seine spirituelle Seite kennt man kaum.
Peter Selg hat eine umfängliche Arbeit über Morgensterns Begegnung mit Rudolf Steiner vorgelegt. Einfühlsam geschrieben, umfänglich dokumentiert.
Ich stoße in diesem Buch auf die „Krankheit des Dichters“, auf die Faszination, die er auf andere ausübte, schon vom Tode gezeichnet.
Als Morgenstern wegen seiner fortgeschrittenen Lungenkrankheit – er hatte sie von der Mutter geerbt – das Sanatorium verlassen muss, findet er ein letztes Quartier bei Frau von Ludwigowska, einer aus Polen stammenden Besitzerin der „Villa Helioburg“ in Meran-Untermais. Sie habe „nur zweimal im Leben solche Augen gesehen – bei Christian Morgenstern und Johannes von Kronstedt“ sagte sie später.

Was für ein Leben!
Immer in materieller Not, immer knapp mit dem Geld, ständig auf Wanderschaft, in äußerer Unruhe – und doch zunehmend sicherer auf dem inneren Weg.
Begonnen hatte es in Birkenwerder bei Berlin.

An eine junge Frau schreibt Morgenstern: „Gewiss, ich bin seit zwanzig Jahren leidend, ….aber, so paraox es klingen mag, es sträubt sich alles in mir, von irgendjemandem als – krank empfunden zu werden. Denn ein Gefühl wirklichen Krankseins ist bisher meiner noch nicht Herr geworden, trotz allem, und natürliche Depressionen abgerechnet, und wird es hoffentlich auch nie werden.
„Leiden“ kann man an allem, aber um „krank“ zu sein, muss einen ein fremdes Etwas besitzen, muss man der Sklave seiner Krankheit geworden sein.
Ich möchte den Satz aufstellen: kein wahrhaft freier Mensch kann krank sein. Und was mich betrifft, so mögen’s meine Werke von der ersten bis zur letzten Zeile bezeugen.
Sie werden vielleicht lächeln aber es wäre schade, wenn Sie etwa als Wortklauberei empfänden, was tiefster Wahrheitsernst ist. ….“

Christian Morgenstern war lange Jahre seines Lebens ein Suchender.
Ein Leben lang an einer Tuberkulose erkrankt, oft mit hohem Fieber verbunden, konnte er am Ende seines Lebens nur noch flüstern.
Der Dichter hatte zwar die akustisch hörbare Sprache verloren – aber seine Worte gewannen an Kraft.
Früh schon hatte er seine Mutter verloren. Mit seinem Vater hatte er ein angespanntes, schwieriges Verhältnis.
Spät erst hat er geheiratet. Die große Liebe seines Lebens, Margareta.
Seine letzte Gedichtsammlung – Rudolf Steiner gewidmet – trägt den Titel: „Wir fanden einen Pfad“.

Ein Freund sagte über den todkranken Morgenstern:
„Als ich ihn dann sah auf seinem Zimmer in Leipzig, da war es eigentümlich zu sehen wie – ja wie gesund, wie innerlich kraftvoll diese Seele in dem morschen Leibe war, und wie sich diese Seele gerade dazumal so gesund, so gesund im geistigen Leben fühlte wie nie zuvor. …Diese Seele, sie bezeugt so recht den Sieg des Geistes über alle Leiblichkeit“.
Morgenstern hatte selbst schon einige Jahre zuvor, in Arosa 1912 geschrieben:

„Gib mir den Anblick deines Seins, ob Welt….
Den Sinnenschein lass langsam mich durchdringen…..
So wie ein Haus sich nach und nach erhellt,
bis es des Tages Strahlen ganz durschwingen….
So möchte auch die Starrheit meiner Wände
sich lösen, dass dein volles Sein in mein,
mein volles Sein in dein Sein Einlass fände –
und so sich rein vereinte Sein mit Sein.“

An Jacobsohn, der in der „Schaubühne“ einen bissigen Artikel zu den schwierigen Verhältnissen in Politik und Gesellschaft geschrieben hatte, schreibt Morgenstern:
„…unsere Gedanken sind so real wie Holz und Eisen, ja, sie wirken noch verheerender, weil sie lebendige Wesenheiten sind, von uns geschaffen, Elementarwesen mit guten oder bösen Impulsen…..
Sie dürfen nur gute Gedankenformen aussenden! Sie dürfen das allgemeine Massacre nicht mehr bewusst mitmachen, das immer neues und mehr Massacre gebiert! ….Schlagen Sie auch mich darum tot, weil ich Sie, bald so, bald so, immer wieder bitte, der Güte und der Liebe das letzte Wort zu lassen und nicht dem Hohn und dem Zorn.“

Christian Morgenstern war ein zutiefst spirituell gestimmter Mensch.
In ihm verbinden sich das Wissen um Krankheit und Schmerz mit einem herrlichen, befreienden Humor.

Er ist mir nun wieder neu begegnet.

Als Literatur mag ich empfehlen:
Peter Selg. Christian Morgenstern. Sein Weg mit Rudolf Steiner. Stuttgart 2008
ISBN 978-3-7725-1914-7

„Der kommt oft am weitesten, der nicht weiß, wohin er geht“ – Christian Morgenstern


Mit seinen „Galgenliedern“ bin ich aufgewachsen.
Aber von seiner Verbindung zu Rudolf Steiner und Hendrik Ibsen, zu Dostojewskis Texten und von seiner „stillen Seite“ wußte ich bislang nichts.
Heut früh bin ich bei der Lektüre über einen Satz von ihm gestolpert: „Wer Gott aufgibt, löscht die Sonne aus, um mit einer Laterne weiterzuwandeln“.

Manche Sätze sind so überraschend, daß sie mich festhalten. Zum Nach-Lesen, zum Nach-Denken auffordern.
Ein neuer Gast am Tisch: Christian Morgenstern.

Er war krank sein Leben lang. Hatte sich angesteckt bei seiner Mutter. Tuberkulose.
Monatelang musste er in Liegekuren zubringen. Hat erfahren, was für ein zerbrechliches Gefäß der Körper sein kann.

Sein Vater wollte, daß Christian beim Militär Karriere macht. Das wurde nichts.
Die beiden hatten ein schwieriges Verhältnis. Manche sprechen gar von einem „Bruch“ in der Beziehung.

Weltberühmt wurden seine Texte erst nach seinem Tod 1914.
Besonders bekannt: die „Galgenlieder“.

Aber: dieser überraschende Mann hatte eine sehr stille Seite. Eine spirituelle Begabung.
Die Lyriksammlung „Einkehr“ (1910) gibt Auskunft.
Exemplarisch vielleicht dies:

Eine Glocke in stiller Nacht . . .
Was mag sie wollen ? Was ist geschehn?
Nirgends Feuerzeichen zu sehn.
Nirgends eine Seele, die wacht.

Klingt es nicht, als schlüge sich
dumpf wer an die Brust von Erz:
Schmerz – Schmerz – Schmerz – Schmerz.
Welt, mein Ich, wie quälst du Mich!

Doch, sagt Meister Eckehart,
war auch solche dunkle Klage
schon am Anfang aller Tage
Seinem Geiste Gegenwart.

Seinem Geist? O Mund, gib Ruh‘;
lass mich nicht in Worte fallen.
Einer Glocke nächtlich Lallen
darf mich lehren; doch nicht du.

Meister Ekkehart, der Mystiker und Seelenkenner ist da in diesem Text. Ich bin überrascht, ihn beim Humoristen und Satiriker Morgenstern zu finden. Die Neugier auf diesen interessanten Mann wächst.
Ich lese von seiner engen Beziehung zu Rudolf Steiner, von seiner Übersetzung von Hendrik Ibsen. Erfahre, daß er sich lange Zeit mit Fjodor Dostojewski beschäftigt hat.

Es ist eine schöne Begegnung an diesem Herbsttag.
Christian Morgenstern zeigt mir heute eine verborgene, stille Seite, die mich überrascht und anspricht.

Novembertag

Nebel hängt wie Rauch ums Haus,
drängt die Welt nach innen;
ohne Not geht niemand aus;
alles fällt in Sinnen.

Leiser wird die Hand, der Mund,
stiller die Geberde.
Heimlich, wie auf Meeresgrund,
träumen Mensch und Erde.