Am Beginn der zwanziger Jahre – die entscheidenden zehn Jahre beginnen nun.


IMG_20191230_161815Morgen geht das zweite Jahrzehnt des neuen Jahrtausends zu Ende. Für den weltweiten Klimaschutz ein verlorenes Jahrzehnt. Denn die Emissionen steigen nach wie vor. Vielleicht war ja der „flammende Sonnenuntergang“ vom 30. 12. 2019 ein Hinweis auf das Kommende. In Australien jedenfalls versteht man schon besser, was da gemeint ist.

Deshalb gibt es an diesem Jahreswechsel keinen Grund für wirkliche Freude, denn wichtige Zeit wurde vertan. Alle Konferenzen, Demonstrationen, Proteste, Artikel, Tagungen und Gesetzesentwürfe haben ein Ergebnis: die Emissionen steigen.
Die Menschheit betritt nun die entscheidende Dekade.  Dabei ist es noch nicht mal mehr sicher, dass wir diese zehn Jahre wirklich noch zur Verfügung haben. Die Veränderungen insbesondere an den Polen und am „Dritten Pol“, dem Eis des Himalaja und der anderen Gletscher gehen nämlich mittlerweile dermaßen schnell vor sich, dass die messenden Naturwissenschaftler rund um die Erde aus den Warnmeldungen gar nicht mehr herauskommen. Der Wandel geschieht sehr viel schneller, als man bislang für möglich gehalten hatte.
Nach allem, was man von naturwissenschaftlicher Seite her aussagen kann, werden die kommenden zehn Jahre die entscheidenden Jahre für einen engagierten Klimaschutz. Entweder gelingt es der Menschheit endlich, die Emissionen wirksam Richtung NULL zu senken – oder es gelingt nicht und die Emissionen steigen weiter – die Folgen davon will man sich nicht wirklich vorstellen, denn sie werden furchtbar sein.  Gelingt es nicht, die Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf NULL zu bringen – und diese Aufgabe ist dermaßen riesig, dass viele Menschen davon gar nichts wissen wollen – dann werden die Folgen dieses Nicht-Handelns schon zur Mitte des Jahrhunderts, aber besonders stark in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu spüren sein. Es geschieht in diesem Jahrhundert. Das Kind, das jetzt geboren wird, wird, wenn der Mensch gesund bleibt, 60 oder 70 oder 80 Jahre alt sein, wenn die alte Welt-Ökonomie zusammenbricht. Auf all diese Prozesse hat die Naturwissenschaft seit langen langen Jahren immer und immer wieder hingewiesen, das alles ist also in keiner Weise überraschend. Die an den Forschungen beteiligten Institute machen ihre Arbeitsergebnisse sehr gut öffentlich. Niemand kann behaupten, er habe von alledem nichts gewusst.

Deshalb wird es in den kommenden Jahren eine immer wichtiger werdende Frage geben: Auf welcher Seite stehst Du?

Sind Dir Kinder und Enkel völlig egal, dann brauchst Du nichts zu verändern, dann brauchst Du nur so weiter zu machen wie bisher.

Wenn Dir die Kommenden aber nicht egal sind, dann überlege genau, was Du ändern kannst. Es gibt Sachverhalte, die kannst Du nicht verändern.
Aber es gibt ebenso Sachverhalte, die Du sehr wohl ändern kannst. Viele Menschen haben das aber noch niemals ausprobiert und geben lange vorher auf.
Es ist sehr wichtig, beides sehr genau voneinander zu unterscheiden.

Man kann im eigenen Verhalten Wichtiges verändern – und dabei zählt jede (!) eingesparte Tonne CO2, auch darauf hat die Klimaforschung immer wieder ausdrücklich hingewiesen: jede nicht emittierte Tonne CO2 zählt! – und man kann sich mit anderen zusammentun. Deshalb habe ich vor knapp 2 Jahren Fuer-unsere-Enkel.org gegründet und gemeinsam mit mittlerweile über 1000 Menschen im deutschsprachigen Europa zu einem guten Netzwerk ausgebaut, das Schritt für Schritt weiter wächst.

Überall auf der Welt sind Jugend-Initiativen entstanden, haben sich organisiert, sind auf die Straßen und Plätze gegangen und haben laut für ihre Rechte gestritten. Allerdings macht diese weltweite Bewegung nun die Erfahrung, dass all die Proteste, Demonstrationen, Debatten, Talk-Shows, all die Interviews und öffentlichen Termine (noch) nicht wirklich etwas verändert haben – die Emissionen steigen weiter.  Enttäuschung droht.

Deshalb brauchen die jungen Leute mehr als je zuvor Unterstützung durch erfahrene ältere Menschen. Genau deshalb gibt es Fuer-unsere-Enkel.org.

Die Generationen brauchen sich. Und sie können sich gegenseitig stärken und stützen und behilflich sein im größten Kampf der Menschheit – im Kampf ums eigene Überleben nämlich.

Prof. Anders Levermann vom Potsdam-Institut-für-Klimafolgenforschung (PIK) und andere haben immer wieder darauf hingewiesen – gelingt es nicht, die Emissionen bis zur Jahrhundertmitte auf NULL zu bringen – bekommen wir zum Ende des Jahrhunderts plus 4 Grad (!) oder mehr in der globalen Atmosphärenmitteltemperatur.
Das aber hält der menschliche Organismus nicht mehr aus.
All die Folgen einer globalen Erwärmung um 4 Grad (und exakt auf diesem „Kurs“ fährt die Weltgemeinschaft gegenwärtig), sind umfänglich dokumentiert und beschrieben worden, man kann es nachlesen und sich zu eigen machen.
Plus 4 Grad – das ist schlicht verheerend für die menschliche Zivilisation.
Der Natur ist das übrigens alles sehr egal. Sie pendelt sich auf ein neues Gleichgewicht ein und fertig ist die Laube. Ob nun mit oder ohne Menschen, das interessiert die alte Erde nicht. Unsere alte Erde ist die längste Zeit ihrer Existenz ohne die Menschheit sehr gut zurecht gekommen, sie braucht uns nicht wirklich. Es geht um unsere eigene Zukunft als Menschheit. Darum geht es.

Die kommenden zehn Jahre werden entscheidend sein.
Denn: wenn es nicht gelingt, dann kippen immer mehr bisher für stabil gehaltene ökologische Systeme in ein neues Gleichgewicht. Und das kann man nicht mehr rückgängig machen. Wenn die Kipp-Punkte (tipping points) erst einmal überschritten sind, ist eine Entwicklung im Gang, die niemand mehr beeinflussen oder gar aufhalten kann. Das gilt für das Meereis ebenso wie für das Eis an Land, das gilt für die Regenwälder Afrikas und Amazoniens ebenso wie für das Great Barrier Rief und andere überlebenswichtige ökologische Systeme.

Zehn Jahre haben wir gerade noch. Vielleicht sind es zehn Jahre.
Wahrscheinlich sind es weniger.

Sie beginnen morgen.

 

Vergesst Cancun!


Das 2-Grad-Ziel ist nicht mehr zu halten. „Denn es bleibt nicht mehr viel Zeit, um „das Unbeherrschbare noch zu vermeiden und das Unvermeidbare sicher zu beherrschen“. (Homepage vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. http://www.pik-potsdam.de/forschung)

„Der Pfad, auf dem wir gegenwärtig sind, geht Richtung 4-5 Grad“. (Dr. Anders Levermann, PIK).

Und die globalen Trends deuten in eben diese Richtung: das Wirtschaftswachstum mit den damit verbundenen Emissionen insbesondere in Asien und Lateinamerika geht weiter steil nach oben. Treiber ist u.a. das weitere starke Wachstum der Weltbevölkerung, die zunehmende Verstädterung (mehr als 50% der Weltbevölkerung leben in den sogenannten Mega-Cities wie Hongkong, Seoul, Sao Paolo etc.).
Der Energieverbrauch der Weltbevölkerung steigt.
Die Emissionen steigen.

Trotz Kyoto. Trotz internationaler Klimadiplomatie. Trotz Emmissionshandel.
Dies ist eine wichtige Einsicht: trotz Klimadiplomatie, trotz Energieeinsparprogrammen, trotz Klimaschutzmaßnahmen – steigen die Emmissionen.
Das Scheitern des UN-Gipfels in Kopenhagen vor einem Jahr und die aktuellen Bedingungen in Cancun zeigen: die Diplomatie ist zu langsam, um auf die Herausforderungen zu reagieren.
Notwendige Kompromisse werden, je höher man in den politischen Ebenen geht (lokal, Kreis, Land, Bund, Europa, UN) immer schwerer gefunden. Der Langsamste bestimmt das Tempo im Tross.
Jetzt in Cancun werden nicht einmal die Staatschefs anreisen. Sie überlassen ihren Umweltministern die „Bühne“ (was ja immer ein wenig ans Theater erinnert…..).

Um Missverständnissen vorzubeugen: es gibt keine Alternative zu Klimaschutzmaßnahmen und zu Klimadiplomatie.
Denn sie könnten den Anstieg der Emmissionen vielleicht doch verlangsamen.
Aber: zu einem Stopp der Emmissionen ab 2050 wird es nicht kommen. Der Trends wegen.
Dies jedoch wäre nötig, um das 2-Grad-Ziel (Erwärmung der Atmosphäre um nicht mehr als 2 Grad) zu erreichen.

Das Wachstum der Weltbevölkerung und des Energiehungers frisst die Einspareffekte auf. Es ist schneller als die Einsparungen.
Deshalb ist wohl richtig: Der gegenwärtige Pfad geht auf 4-5 Grad Temperaturanstieg in der Atmosphäre hinaus.

In meinen Augen wäre es daher ein Zeichen verantwortlicher Politik, wenn man den Menschen nicht länger etwas vormachen würde.
Es wäre verantwortlich, den Menschen zu sagen, daß man sich auf die Folgen des Anstiegs der Durchschnittstemperatur um 4-5 Grad bis Ende des Jahrhunderts einstellt.

Es ist falsch, den Menschen zu sagen, daß man den Klimawandel stoppen könnte. Alle Trends sprechen dagegen.
Vielleicht gelingt es, den Anstieg der Emmissionen etwas zu verlangsamen. Aber selbst dafür wären einschneidende Schritte nötig. Die Ergebnisse der bisherigen Klimaverhandlungen und auch die Effekte der bislang eingesetzten Klimaschutzmaßnahmen jedoch deuten in eine andere Richtung. Sie reichen bei weitem nicht aus, um eine wirksame Verlangsamung des Anstiegs der Emmissionen zu erreichen.

Wir wissen sehr genau, daß beispielsweise die Effizienzgewinne bei der Entwicklung von Motoren (deutlich weniger Spritverbrauch) vom Wachstum des Verkehrs (insbesondere des Schwerlast- und Flugverkehrs) mehr als aufgefressen wird.
Ähnliches gibt es vom Energiehunger der Städte zu berichten. Er wird immer stärker.

Die Folgen sind überaus komplex und sollen hier nicht dargestellt werden. Es genügt, auf die Arbeiten des IPCC dazu zu verweisen. Vieles ist bereits gesichert. Die Prognosen werden auch – dank moderner Höchstleistungsrechner – immer regionaler und präziser.

Am Wissen liegt es nicht.
Es liegt auch nicht am Wollen (daß wir es mit einem Systemfehler zu tun haben, darauf hatte ich kürzlich im blog hingewiesen. („Und? Heute schon verdrängt?“).
Man weiß zwar noch zu wenig über die sozialwissenschaftlichen Zusammenhänge des Klimawandels, weshalb das PIK nun entsprechende Schwerpunktforschung eingerichtet hat (Näheres auf der Homepage). Aber die wesentlichen Zusammenhänge sind mittlerweile deutlich.

Da die internationale Forschercommunity seit längerem auf ein zentrales Problem hinweist – uns läuft die Zeit davon, um noch reagieren zu können – müsste m.E. ein Umdenken in der Hinsicht stattfinden, daß man sich auf den 4-5 Grad Anstieg einstellt. (Wenn es dank Klimaschutzmaßnahmen weniger wird, um so besser).

Wenn man dies jedoch tatsächlich tun würde – hätte das sehr weitreichende Konsequenzen für Parlament und Administration.
Denn man würde von der Annahme ausgehen, daß die Prognose eintrifft: Anstieg der durschnittlichen Temperatur um 4-5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts.
Von diesem „archimedischen Punkt“ aus würde man relativ zügig entwickeln können, was zu tun wäre.
Ein paar Stichworte:

1. Einrichtung eines wirklich entscheidungsfähigen green cabinet. (Erste Vorarbeiten dazu gibt es in einigen Staaten, auch in Deutschland; aber die Durchsetzungsfähigkeit dieser Gremien ist nicht gegeben; es fehlt beispielsweise ein Veto-Recht vor Zuleitung ins Kabinett).

2. Fokussierung aller mittelfristigen Planungsprozesse auf das Thema Klimawandel (in Deutschland z.B. Bundesverkehrswegeplan (Laufzeit 15 Jahre) (diese Planung hat noch einen Ölpreis von vor zehn Jahren zur Grundlage…..); Stadtentwicklungspolitik (erste Anfänge gibt es mit der Leipzig-Charta); MifriFi (die von Karl Schiller eingeführte mittelfristige Finanzplanung des Bundes, die sie etwas unabhängiger von Konjunkturzyklen machen soll); Küstenschutzmaßnahmen (allein die Hafenstädte werden in den kommenden Jahren enormen Finanzierungsbedarf haben); Fokussierung der Forschungspolitik (es ist beispielsweise ein Unding, wieviel Geld der Bund in der seit 50 Jahren erfolglosen Fusionsforschung versenkt, ohne, daß es zu brauchbaren Ergebnissen kommt) auf Effizienz, Neue Materialien, Senkung der Energieverbräuche; Klimafolgenforschung. Dies würde beispielsweise bedeuten, daß die Finanzierung der ausseruniversitären Forschung in Deutschland sehr viel stärker als bislang tatsächlich transdisziplinär möglich werden müsste. Davon sind wir meilenweit entfernt (man stelle mal einen wirklich transdisziplinären Forschungsantrag bei der DFG, dann merkt man schnell, wovon ich rede).

3. Präzisierung der zu erwartenden Folgen des Klimawandels in allen anderen Politikfeldern (es gibt kein Ressort, das nicht vom Klimawandel betroffen ist): exemplarisch:  Auswirkungen in der Land- und Forstwirtschaft; in der Außen- und Sicherheitspolitik; in der Migrationspolitik; Auswirkungen auf die Energiewirtschaft und übrigen Wirtschaftsbereiche; Auswirkungen im Gesundheitssystem (die extrem heißen Sommer in vergangenen Jahren haben beispielsweise zum starken Anstieg von Todesopfern geführt).

4. Einrichtung von wirklich transdisziplinär arbeitenden parlamentarischen Arbeitsgruppen (mit Ausnahme der Arbeitsgruppen Energie ist die parlamentarische Arbeit noch sehr stark segmentiert; wirklich transdisziplinäres Arbeiten sehr ungewohnt).

5. Verbesserung der Kooperation über Fraktionsgrenzen hinweg. (nichts eignet sich weniger zum Parteienstreit als das Thema Klimawandel, denn die Folgen müssen bezahlt werden, egal, wer grad regiert). Ich weiß, daß gerade dieser Punkt angesichts des parlamentarischen Alltags überaus kühn ist und schnell das Votum „ist ja lächerlich“ bekommt. Dennoch sei’s gesagt.

Gesamtgesellschaftlich wäre es überaus wünschenswert, wenn dem Thema Klimawandel weitaus mehr seriöse Aufmerksamkeit gewidmet würde. Im Moment hat das Thema Zyklen, die von immer den selben Bildern von „untergehenden Inseln“ etc. begleitet werden – ohne wirklich zu einer wirksamen Veränderung des Denkens beizutragen. Diese Marktschreierei hilft nicht.
Nicht nur Fachjournalisten, sondern insbesondere die Herausgeber großer Medien haben auch eine Verantwortung – nicht nur die, sich um Einschaltquoten und Verkaufszahlen zu kümmern. Die Herausforderung besteht ja gerade darin, zu einer Veränderung des Denkens auf eine Weise beizutragen, die nicht von Sensationslust, Einschaltquoten und kurzfristigen „Erfolgen“ geprägt ist, sondern sich wirklich darum bemüht, zu veränderten Denken zu kommen.

Am Anfang der Bemühungen um eine wirksame Vorbereitung auf die voraussehbaren Entwicklungen stünde jedoch die nüchterne Einsicht: der Klimawandel ist nicht zu stoppen. Vielleicht gelingt es, ihn ein wenig abzumildern. Es wäre vorausschauend und verantwortliche Politik, sich auf den Korridor von 4-5 Grad vorzubereiten (z.B. die Einführung einer neuen Technologie wie z.B. eines Elektro-Autos bis zum Erreichen der Massenmarkt-Schwelle(die wird bei etwa 1 Million verkaufter Einheiten erreicht; Deutschland hat das Ziel, 2020 diese 1 Million e-cars auf den Straßen zu haben) dauert etwa 8 – 10 Jahre!).

Um es in einem Bild zu sagen: es ist vielleicht wie bei der Diagnose einer schweren Erkrankung. Es genügt nicht, die Ursachen in der Vergangenheit zu analysieren (falsche Lebensweise), sondern es kommt nun darauf an, mit der Diagnose verändert weiterzuleben. Dies bedeutet: eine radikale Veränderung. Man muss lernen, „mit der Krankheit zu leben“.

Heute (1.12.2010) sind diese Zusammenhänge sehr schön in diesem Artikel über den neuen UN-Bericht dargestellt:
http://www.taz.de/1/zukunft/umwelt/artikel/1/die-gigatonnen-luecke/

Deshalb stünde am Anfang eines solchen Bemühens eine nüchterne Ehrlichkeit:

Vergesst Cancun!