Selbstverbrennung. Etwas zur Lage der Menschheit.


Die CO2-Emissionen der Weltwirtschaft (!) müssen bis 2050 auf Null.
Das ist die gewaltige Herausforderung.

Die Wahrscheinlichkeit, dass das gelingt, liegt bei etwa 9%.
So ist die gegenwärtige Lage.

„Verzweiflung. So müsste eigentlich mein persönliches Fazit lauten, wenn ich die Einsichten über den Klimawandel und die Aussichten für den Klimaschutz nach 25 Jahren intensiver Auseinandersetzung mit der Thematik in einem Wort zusammenfassen sollte. Die wissenschaftliche Beweislage, dass unsere Zivilisation dem Feuer immer näher rückt, ist erdrückend, aber gleichzeitig scheinen alle, die das Steuer noch herumreißen könnten, entschlossen, den Selbstmordkurs zu halten“ (S. 642)

Das sagt einer der weltweit bekanntesten Klimaforscher. Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung; Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, Professor Hans-Joachim Schellnhuber nach 25 Jahren intensiver Forschungsarbeit in seinem umfassenden Werk „Selbstverbrennung. Die fatale Dreicecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff“, C. Bertelsmann, 2015.

Ich hab ihn Anfang der neunziger Jahre kennengelernt, als ich ihn besuchte am Telegrafenberg in Potsdam. Ich war als junger Abgeordneter unterwegs, weil ich alle Forschungseinrichtungen persönlich aufsuchen wollte, die sich in den „Neuen“ Bundesländern und in Berlin befinden.

Die Klimafolgenforschung ist eine junge naturwissenschaftliche Disziplin, die den ehrgeizigen Versuch unternimmt, die Erde als System zu begreifen. Weshalb man nicht nur mit Mathematikern und Physikern, mit Biologen und Klimaforschern, sondern auch mit Entwicklern von hochkomplexen Computermodellen, Historikern, Demografen und anderen Disziplinen zusammenarbeiten muss. Man braucht, um die Erde als System begreifen zu können, die anspruchsvollsten Groß-Rechner, die die Wissenschaft aufzubieten hat. Das ist nichts mehr für die Wettervorhersage. Hier geht’s ums Ganze: ums Klima.
Und um die Folgen, die die Veränderung des Klimas für die Gattung Mensch hat.
Dabei sind ein paar Grenzen zu beachten.
Da sich das Klima rasend schnell verändert, dem Menschen also faktisch kaum Zeit bleibt, sich anzupassen, ist die Erhöhung der Durchschnittstemperatur unserer Atmosphäre um 8 Grad tödlich. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie gar auf 12 Grad steigt.

Weshalb sehr viel davon abhängt, ob Ende des Monats November und Anfang Dezember diesen Jahres in Paris gelingt, was wichtig wäre: das „2-Grad-Ziel“ zu bekräftigen und zu verbindlichen Absprachen der Völker untereinander darüber zu kommen, mit welchen Instrumenten, welchen Finanzierungen und welchen politischen Ansätzen diese „Dekarbonisierung der Weltwirtschaft“ unter Hochdruck umgesetzt werden soll.
An diesem „2-Grad-Ziel“ ist nicht wichtig, ob es nun 2,3 oder 2,5 Grad werden, sondern wichtig ist, dass diese „Brandmauer“ errichtet wird.

Schellnhuber ist Realist. Er weiß, wie solche internationalen Treffen abzulaufen pflegen, hat er doch an zahlreichen davon teilgenommen. Weshalb seine Erwartungen nicht sonderlich hoch sind.
Er rechnet deshalb am Ende seines überaus faszinierenden und exzellent geschriebenen Lebens-Werkes aus, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die richtigen Konsequenzen aus dem zieht, was die weltweite Klimawissenschaft mit immer präziseren Modellen und Studien seit etlichen Jahren vorträgt.
9 Prozent Wahrscheinlichkeit.

Aber: hochkomplexe Systeme sind nicht eindeutig vorhersehbar – das wird im 778 Seiten starken Werk immer wieder durchexerziert – weshalb die begründbare Hoffnung besteht, dass aus jenen 9% eine weltweite Bürgerbewegung erwächst, die Politik und Wirtschaft zum Umsteuern zwingt. Und die weltweite Bürgerbewegung beginnt – an den Universitäten. Sie nennt sich „Deinvest„, wird unterstützt von 350.org und unter anderem dem britischen „Guardian“.
Worum geht es? „Folge der Spur des Geldes“ – also zieht die Investitionen in Industrien ab, die CO2 emittieren. Nehmt ihnen das Geld weg.
Mit einer solchen De-Invest-Bewegung begann der Niedergang des südafrikanischen Apartheid-Systems. Auch damals begann es an den Universitäten. Auch dieses Beispiel ist umfänglich im Buch dargestellt und diskutiert.

Man kann ein knapp 800 Seiten starkes Buch – allein das kleingedruckte Literaturverzeichnis sind etwa 50 Seiten! – nicht in einem blog angemessen konnotieren.

Aber man kann auf dieses enorme Buch aufmerksam machen.
Wer wissen will, wie der Zustand unserer Welt angesichts der fundamentalsten Herausforderung, vor der die Menschheit je gestanden hat (der amerikanische Präsident spricht von einer „big challenge“), gegenwärtig ist – der möge es lesen.
Hans-Joachim Schellnhuber: „Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff“; C. Bertelsmann 2015.

Für meine Person kann ich sagen, ich habe seit „Die Grenzen des Wachstums“ (1972) und Gorbatschows „Perestroika“ (1986) kein aufregenderes und spannenderes Buch gelesen. Denn: hier geht’s ums Ganze.

 

 

Was wird die „Antwort“ sein auf den Terroranschlag von Paris?


Eine Spur führt in den Jemen. Heute (9.1.2015) berichten verschiedene Zeitungen davon, dass mindestens einer der Attentäter von Paris in einem Al-Qaida-Camp im Jemen ausgebildet worden sein soll.
Sogar die als liberal geltende Neue Zürcher Zeitung hatte vorgestern kommentiert, man befände sich nach dem Anschlag von Paris“in einem Krieg“.
Erinnerungen an den 9. September werden wach.
Schnell war damals ein Bündnis gezimmert, das die „Quelle“ des Terrorismus in Afghanistan ausgemacht hatte.
Schnell war formuliert: „das ist eine Kriegserklärung!“
Und dann zog man los in diesen sinnlosen Krieg. 13 Jahre dauerte er. Kostete unzählige Menschenleben. Und hat den Terror nicht besiegt.

Was wird nun nach dem Terroranschlag von Paris geschehen?
Wird man wieder so vorgehen wie nach 9/11?
Wird man wieder einen „Krieg gegen den Terror“ beginnen, der nicht zu gewinnen ist mit militärischen Mitteln?
Der NATO-Generalsekretär hat bei der CSU-Klausur in Bayern jedenfalls schon mal von der „Solidarität mit Frankreich“ gesprochen. Nicht unwichtig. Wetterleuchten?

Eins müsste die Allianz aus dem verheerenden Afghanistan-Krieg gelernt haben: mit militärischer Gewalt ist dem Terrorismus nicht beizukommen.
Man muss die Quellen des Terrors austrocknen.
Man muss die Ursachen des Terrors bekämpfen, nicht die Menschen und ihre Religionen.

Und eine wesentliche Ursache für Terror ist Armut.
Jean Ziegler und andere haben vielfach darauf hingewiesen.
Es geht um Gerechtigkeit, es geht um Teilhabe.

Nun also führt eine Spur in den Jemen. Auch dieses Land ist – ähnlich wie Afghanistan – ein bitterarmes Land. Vor allem mangelt es an Wasser. Über die Hälfte der sehr jungen Bevölkerung ist arbeitslos und arm. Sehr arm.
Schon seit längerem kreisen die Drohnen des Westens – ohne Mandat übrigens – über dem Jemen, um „Terroristen“ „auszuschalten“. Man erschießt Menschen. Statt die Ursachen des Terrors zu bekämpfen.
Was nicht passieren darf: dass die Allianz im Namen eines vermeintlichen „Kampfes gegen den Terror“ einen neuen Krieg beginnt. Diesmal im Jemen.
Das „Handelsblatt“ hat gestern klug kommentiert: „Wir dürfen nicht zurück hassen“. Das darf auf gar keinen Fall geschehen.

Was stattdessen bitter nötig wäre: ein großes Programm der Allianz für den Jemen, damit vor allem die Wasserversorgung verbessert werden kann.
Bekämpft die Ursachen des Terrors, nicht die Menschen.
Gebt Entwicklungshilfe, nicht Kanonen!