„…und der Zukunft zugewandt“ oder: etwas über das „Menetekel“


Eine Gruppe japanischer Journalisten wird nun in die Todeszone von Tschernobyl aufbrechen, um sich ein „Bild von der Zukunft“ zu machen.
So berichtete es am 4. April 2011 die abendliche „Tagesschau“.

Ist das eine mögliche Zukunft? Nicht nur in Nordost-Japan?
Leben wir in einer Zeit, in der man in „Todeszonen“ erfahren kann, wie es in Zukunft aussehen könnte?
Die Worte versagen angesichts dessen, was in und um Fukushima geschieht.
Die Sprache hat dafür keine Worte.
„Fukushima“ selbst wird zu einem neuen, mit Erfahrung erfüllten Wort werden, vielleicht gar zu einem Symbol.
Worte entstehen, wenn Menschen ihren Erfahrungen Ausdruck geben.
Worte transportieren Erfahrung.
Wenn sich der gesellschaftliche Kontext verändert, verlieren Worte Bedeutungsinhalte. Manchmal geraten Worte gar ganz und gar in Vergessenheit.
„Fukushima“ klingt schon heute, etwa drei Wochen nach der Katastrophe, nach vielerlei: es klingt nach tausendfachem Tod; es klingt nach Verantwortungslosigkeit; es klingt nach Hilflosigkeit von Regierung und Wirtschaftseliten; es klingt nach unaussprechlicher Not; es klingt nach unabsehbaren Folgen, es klingt nach Zeitenwende, es klingt nach millionenfachem Protest, es klingt nach Ende einer Entwicklung.
Das Wort trägt Bilder von gewaltigen Demonstrationen gegen Atomenergie in sich; es trägt Bilder einer entsetzlichen Katastrophe in sich. Zerstörte high-tech-Anlagen heißen „Fukushima“; das mit radioaktivem Wasser verseuchte Meer heißt „Fukushima“.
Nun also heißt Fukushima auch „Zukunft“.
Die japanischen Journalisten wollen – ziemlich genau 25 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl – besichtigen, wie die Zukunft um Fukushima sein wird.
Schon vor 25 Jahren sprachen einige vom „Menetekel“. Jenes „Zeichen an der Wand“, das König Belsazar nicht „lesen“ konnte, weshalb er einen Deuter kommen ließ, denn sogar die Weisen des Hofes konnten die Schrift nicht lesen.
Der König sah diese Schrift „während eines Festes“ (wer wollte nicht sehen, daß wir mit unseren Industriegesellschaften „auf der Höhe des Festes“ angekommen sind) plötzlich an der Wand, wie uns die alten Schriften überliefert haben.
Es ist eine grandiose uralte Erzählung, überliefert im Daniel-Buch.
Blind ist der König, denn er kann „die Schrift nicht lesen“.
Untauglich sind die Weisen des Hofes, denn sie können „die Schrift nicht lesen“.
Alle „Ehtikkommissionen“ werden der „Königin“ nicht raten können. Alle „Fachleute“ werden nicht weiterwissen.
Wir können es sehen. Täglich.
Wie sie improvisieren und fummeln und ausprobieren und ratlos mit leerem Blick vor die Kameras treten, um all das Elend, das sich da ausbreitet gebetsmühlenartig als „harmlos“ und „für den Menschen ungefährlich“ zu klassifizieren.
Und täglich wird es schlimmer.

Diese japanischen Journalisten jedoch wollen dem Spektakel, das ihnen da Regierung und TEPCO täglich vor Augen führen (spectaculum!), nicht länger folgen.
Sie wollen sich „ein eigenes Bild“ machen von der Zukunft.

Deshalb fahren sie nach Tschernobyl.
Was für ein Vorgang!
Sie holen sich Rat auf einem Friedhof.
Sie wollen sich einstellen auf eine mögliche Zukunft in ihrer Heimat.
Weil sie den Oberen nicht mehr länger glauben wollen, nehmen sie Kontakt auf mit Menschen, die die „Zeichen“ zu „deuten“ wissen: sie suchen das Gespräch mit Menschen von Tschernobyl.

Spät in der Nacht finde ich einen ersten Bericht über diese Reise bei den Tagesthemen und füge ihn hier ein.

Was vom Ja – Sagen.


say yes and the world will dance with you!

Der Satz sprang mich regelrecht an. Wie eine Katze.
Aus einem facebook-posting.
Nicht von den Ja-Sagern rede ich, nicht von den „Abnickern“, die „einfach“ Ja sagen. Ohne eigenes Nach-Denken.
Von denen haben wir zu viele, scheint mir.
Von denen rede ich, die zum Leben „Ja“ sagen.
Zu den Dingen und Erlebnissen, die ihnen das Leben bereithält.

Mir fällt auf, wie sehr wir ins „Nein!“ Sagen verliebt sind.
Ein Blick in die social-media-Netzwerke hilft: überall finden sich Gruppen „gegen“ irgend etwas.
Allenthalben sind Klagen über die Zustände verbreitet.
Pessimismus macht sich breit.
Angst regiert.

Wovor eigentlich?
Dass uns der Strom, der uns trägt, in einen Strudel treiben könnte?
Dass da eine Zukunft auf uns wartet, die nicht „schön“ sein könnte?
Was ist das für eine Angst, die uns da festhält und den Atem nimmt?

Die Seele wird eng.
Entscheidungen verzögern sich.
Mut verlässt uns.
Man beginnt, sich nur noch nach „Mehrheiten“ zu richten: schielt darauf, was wohl der Nachbar dazu sagen könnte….
Es bleibt das „Nein“ zum eigenen Leben.
Nach Tanzen ist uns nicht mehr zu Mute, wenn die Seele eng ist.

Wie anders lebt es sich, wenn man die Dinge annimmt, die der Tag bereit hält.
Auch die unangenehmen.
Auch die scheinbar lästigen.
Auch die mühevollen.
Ich tue, was zu tun ist. Und im nächsten Moment sind die Dinge schon wieder anders, denn die Zeit ist weitergegangen.
Augenblick für Augenblick.
Weil das Leben fließt.
Wie ein Strom.
Da gibt es nichts festzuhalten.

Ja – Sagen im tieferen Sinn wird möglich, wenn ich eigene Pläne lasse.
„Du sollst Dir kein Bildnis machen“ mahnt Max Frisch. Kein „Bildnis“ von der Zukunft oder davon, wie der Mensch neben dir wohl so „ist“.
Manchmal muss ich sie sogar lassen, diese inneren Bilder. Werde regelrecht gezwungen dazu.
Das sind Zeiten der Übung.
Übung im Loslassen.
Zeiten der Krankheit beispielsweise sind solche „Übungszeiten“.
Wenn es anders kommt, als ich mir „vorgestellt“ hatte.
Wenn der Körper woanders lang will, als mein Kopf zu wissen glaubt.
Wenn die Seele andres vorhat, als mir meine Gedanken vorgaukeln wollen.
Übungszeiten, Training im Loslassen: Dann, wenn ich selbst gar nichts mehr tun kann.
Wenn ich nur noch geschehen lassen kann, was da geschehen will.

„Say yes and the world will dance with you“ – sag „ja“ und die Welt wird mit dir tanzen.
Das ist eine Einsicht, die hinter der Not liegt.
Ein Land, das sich erst öffnet, wenn man durch Schweres hindurchgegangen ist.
Eine Gegend, die ihre Musik erst klingen lässt, wenn ich die Angst gelassen habe.
Los gelassen.

Wir können nicht wissen, was uns die nächste Stunde bringt.
Nicht mal, was in den nächsten Minuten geschehen wird.
Wir wissen nur, was jetzt ist.
Und auch dies nur in Bruchstücken.

Deshalb ist soetwas wie „Zukunftsangst“ unmenschlich.
Eigentlich ist diese Angst eine Form der Hybris, des Hoch-Mutes, einer Lebenshaltung, die ihre Wurzeln vergessen hat.
Elisabeth Kübler-Ross und andere haben darauf hingewiesen, wie wichtig das „Ja“ sagen am Ende eines Lebens ist.
Ja-Sagen zu meinem Leben so, wie es ist.

Darum geht es.
„say yes and the world will dance with you“.
Anders gesagt: „Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen“…..