Tarifa liegt in Andalusien. Dieser „letzte Ort Europas“ an der Straße von Gibraltar birgt zahlreiche Zeugnisse der Begegnung zwischen Afrika und Europa, zwischen Islam und Christentum, zwischen reicher und ärmerer Welt. Ein Foto geht mir nach. Man sieht im kleinen Hafen von Tarifa auf der Kaimauer eine Statue, die nach Afrika hinüber blickt. Auf dem Sockel der Statue eingraviert ein lateinisches „R“ und ein „chi“. „Rex christus“. Das ist gedacht gewesen als Kampfansage des katholischen Spanien gegenüber „den Muslimen“, die, zunächst 710 mit einer kleinen Gruppe von Kundschaftern kommend, dann ab 711 im Lande nach und nach die Macht übernahmen, bis sie – in Tarifa 1292, in anderen Orten später – wieder vertrieben wurden und der spanische Katholizismus seine Macht festigte. Noch heute feiert man diese Ereignisse. Noch heute ist die Auseinandersetzung zwischen spanischem Katholizismus und Islam in den Feierlichkeiten wirksam. Noch heute findet sich der Zusatz „….de la Frontera“ in der Ortsbezeichnung so mancher andalusischen Stadt. Orte „an der Front“.
Vor dieser Statue auf der Kaimauer ist ein Polizeischiff der Küstenwache zu sehen. Es dient auch der Abwehr von Flüchtlingen.
Ich finde solche Zeugnisse bedrückend.
Als sich politische Macht das Christentum aneignete und instrumentalisierte, geschah etwas Ungeheuerliches: der die Gewaltlosigkeit predigende Sohn eines jüdischen Zimmermanns, aufgewachsen in ärmlicher Umgebung, wurde zum Machtsymbol.
Eine entsetzlichere Verdrehung der Botschaft des Christentums ist nicht vorstellbar.
Wenn man sich mit der Geschichte der Entdeckung der „Neuen Welt“ befasst (das bleibt nicht aus, wenn man in Spanien ist), mit der Unterwerfung der dort lebenden Bevölkerungen – in nicht wenigen Gegenden kam diese Unterwerfung praktisch einer Ausrottung gleich- wird erschreckend deutlich, wozu ein missverstandenes „macht Euch die Erde untertan“ geführt hat.
Gegenwärtig rüstet Europa wieder und weiter auf. Vor allem gegen Flüchtlinge aus Afrika. Viele Millionen Dollar werden ausgegeben, um Zäune zu errichten, um Schiffe auszurüsten, um Fluchtwege zu „verstopfen“.
Dieses Foto mag ein Symbol dafür sein. Wie ein Menetekel steht es da und kündigte schon vor etlichen Jahrhunderten an, worum es gehen würde. Um die Abwehr des Bruders.
Es geht darum, die eigene Macht zu behaupten. Und dabei soll auch die Madonna helfen.

Wenn man in Andalusien Gelegenheit hat, an einer der vielen dort üblichen Prozessionen teilzunehmen, bei der eine Madonnenfigur aus der Heimatkirche herausgetragen, durch den Ort geführt, öffentlich gezeigt und dann wieder in die Heimatkirche getragen wird, dann wird man den Eindruck nicht los, dass es bei diesen Prozessionen auch darum geht, zu zeigen, wer die Macht im Lande hat. Diese Prozessionen hinterlassen sogar bei Menschen, die sich für areligiös halten, einen starken Eindruck. Über 80 Bläser gehen, in langsamen Schritt, mit Posaunen, Oboen, Klarinetten, Saxophonen, Pauken und Becken musizierend hinter der schwankenden Patronin her, die von Freiwilligen getragen wird, die sich die Augen haben verbinden lassen, nur geführt von sparsamen Signalen eines Vormannes. Junge Männer, denen es eine Ehre ist, die zentnerschwere Madonna zu tragen.
Die Plätze sind voll. Zu Tausenden stehen die Menschen, begrüßen die Madonna, die gleichzeitig immer auch Patrona des Ortes oder einer Zunft ist, klatschen, fotografieren, wollen in ihrer Nähe sein. Man kann den Eindruck haben, da würde eine ägyptische Gottheit durch die Stadt getragen. Ganz Ursprüngliches wird da bei den Menschen berührt. Und die Menschen wollen es. Beteiligen sich. Freiwillig. Kommen zu Tausenden, nicht nur als Besucher, sondern sie wollen „mit der Madonna mitgehen“.
„Ich bin da. Ihr braucht euch nicht fürchten“ so ist eine der Botschaften, die von der Patrona ausgeht, wenn sie mitten durch die Märkte, durch die engen Gassen voller Cafes und Restaurants, vorbei an Kneipen und Bodegas getragen wird. Mitten im andalusischen abendlichen Alltag erscheint sie, geht durch das Volk, und verschwindet wieder…..
Sie zeigt auch, wer die Macht tatsächlich hat im Lande.
Parteien kommen und gehen. Die Madonna bleibt.
Und das Volk liebt sie auf eine Weise, gegen die die scheinbar Mächtigen ganz und gar ohnmächtig sind. Weshalb sie sich mit ihr verbünden.
Das ist jedoch nicht unproblematisch, insbesondere, wenn es um die Beziehungen zu anderen, beispielsweise muslimischen Völkern geht.
Die Geschichte der Verfolgung Andersgläubiger ist lang in Spanien. Schon 100 Jahre vor der Inquisition hat man in Sevilla systematisch mit der Verfolgung von Juden begonnen, denen man vorwarf, nicht wirklich zum Christentum konvertiert zu sein. Die gebildeten Juden flohen in die Metropolen Europas – nach Paris, Hamburg, in die Türkei. Die Handwerker flüchteten nach Nordafrika. Es ist eine grausame, tief schwarze Geschichte, die da in Andalusien und anderen Orten stattgefunden hat. Vom jüdischen Viertel Santa Cruz in Sevilla steht praktisch nur noch ein einzelnes Grab – mitten in einem Autoparkplatz, alles andre ist Legende für Touristen. Von den zahlreichen Synagogen des Viertels gibt es faktisch keine mehr. Sie sind längst zu katholischen Kirchen geworden. Santa Cruz ist das zentrale Beispiel dafür.
Wie also wird es weitergehen zwischen katholischem Christentum und Islam?
Die Auseinandersetzung ist uralt. Gegenwärtig eskaliert die Auseinandersetzung erneut. Das christliche Abendland hat eine Allianz von über 40 Staaten gegen einen radikalen IS geschmiedet, der alles zerstören will, was sich nicht seinem Willen unterwirft.
Die entscheidende Frage aber wird wohl nicht sein, wer gegen wen gewinnt, sondern, ob und wie es nach all der fürchterlichen Geschichte der Intoleranz und gegenseitigen Vernichtung nicht doch endlich gelingen kann, dass die Bruderreligionen in der einen Welt friedlich nebeneinander und vielleicht sogar miteinander leben. Dass die Begegnung der Kulturen auch zu wundervollem Reichtum führen kann, zeigt ja auch gerade Andalusien. Die Begegnung der arabischen Architektur mit der Gotik ist sicher eines der beeindruckendsten Beispiele dafür. Zu besichtigen zum Beispiel in Grenada.
Wie also kann es gelingen, dass die Bruderreligionen lernen, nebeneinander und vielleicht gar miteinander zu leben?
Es wird dabei auf diejenigen in beiden Religionen ankommen, die sich nicht von der Gewalt, sondern vom eigentlichen, ursprünglichen Kern ihrer Religion bestimmen lassen. Es wird dabei auf diejenigen in beiden Religionen ankommen, die von der Versöhnung, von der Begegnung, von der wechselseitigen Bereicherung sprechen und in ihr eine wirkliche Perspektive gemeinsamen Lebens erkennen.
Solche Stimmen haben es gegenwärtig schwer. Es kommt darauf an, sie zu stärken.
Hat dies auf bikerpfarrer rebloggt und kommentierte:
Wir müssen die Friedenskräfte wecken, die in allen Religionen stecken