Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich habe eine Bitte an Sie.


Berlin, 22. August 2015

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

mehr als 20 Jahre meines Lebens habe ich hauptberuflich diesem Lande gedient und mich für den Aufbau und die Stabilisierung der Demokratie eingesetzt.  Die gegenwärtig überaus aufgeheizte Atmosphäre in unserem Land bringt mich nun dazu, Ihnen zu schreiben. Öffentlich.
Denn: die Demokratie ist in Gefahr, wenn den Gegnern der Grundrechte nicht mit aller staatlichen Gewalt entgegengetreten wird.

Uns beide verbindet die Erfahrung der Diktatur. Wir sind beide in Ostdeutschland aufgewachsen.
Uns verbindet auch gemeinsame Arbeit im Parlament und an der Spitze der Exekutive.
Schon während der Zweiten Diktatur gehörte ich zu denjenigen, die für Demokratie, Pressefreiheit, eine unabhängige Justiz, Verwaltungsgerichtsbarkeit  und vor allem die Anerkennung von Grundrechten eintraten, wie sie im Grundgesetz formuliert sind.
Von 1989 an habe ich mich für den notwendigen Aufbau der Demokratie in Ostdeutschland einbinden lassen.
Wir hatten seit 1990 in Ostdeutschland zwar eine Demokratie – aber wir hatten zu wenige Demokraten. Deshalb war mein Platz genau dort: bei der Ausbildung von Bürgermeistern, Landräten, Landtags- und Bundestagsabgeordneten.
Seit 1998 war ich direkt gewählter Abgeordneter des Deutschen Bundestages und von 2005 bis 2009 Parlamentarischer Staatssekretär in zwei Bundesministerien. Bis der Körper mir Grenzen setzte.
Aber ich werde nicht nachlassen, mich für die Stabilisierung und den Erhalt der mühsam erkämpfen Demokratie zu engagieren.
Deshalb schreibe ich Ihnen nun.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die mühsam erkämpfte Demokratie nicht nur in Ostdeutschland in den Schmutz getreten wird von denen, die  das Grundgesetz und die Grundrechte mit Füßen treten.
Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Vorkommnisse wie in Rostock-Lichtenhagen und Heidenau wiederholen.
Wenn Flüchtlingsheime brennen und Raketen auf Flüchtlinge geschossen werden, dürfen wir nicht schweigen.
Und wir dürfen die vielen Ehrenamtlichen, die sich für Flüchtlinge und Demokratie engagieren, jetzt nicht allein lassen.

Deshalb bitte ich Sie:
Ergreifen Sie das Wort! Sprechen Sie klar und unmissverständlich.
Machen Sie gemeinsam mit Ihren Kabinettskollegen, den Spitzen von Polizei, Verfassungsschutz und den für unseren Staat Verantwortlichen unmissverständlich klar, dass Sie mit aller Macht des Staates den Gegnern unseres Grundgesetzes den Kampf ansagen!
Laden Sie den Verband der Deutschen Verleger, den P.E.N. und alle Menschen guten Willens ein, sich an diesem Kampf um die Demokratie zu beteiligen.
Wir dürfen nicht länger abwarten.

Die Demokratie ist in Gefahr.

Ulrich Kasparick
Parlamentarischer Staatssekretär a.D.
Pastor

3 Gedanken zu “Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich habe eine Bitte an Sie.

  1. Hat dies auf rebloggt und kommentierte:
    Heute empfehle ich Euch den privaten Blog von Ulrich Kasparik, Parlamentarischer Staatssekretär a. D. und Pastor – lesens- und wissenswert:

  2. Lieber Ulrich Kasparick,

    danke für Ihr Engagement und Ihre mahnenden Worte.

    Dass allerdings die Demokratie (in Deutschland) in Gefahr sei, sehe ich nicht so.

    Es sollte jedoch klar herausgestellt werden, was den freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat von der Diktatur oder dem Willkürstaat unterscheidet, als da u.a. wären:

    — Grundrechte
    — Minderheitenrechte
    — Rechtssicherheit

    Carlo Schmid hat in einer Rede im Parlamentarischen Rat am 8. September 1948 gesagt:

    Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben.
    Wenn man aber diesen Mut hat, dann muß man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.

    Quelle: http://www.costima.de/beruf/Politik/CSchmid.htm
    Die vollständige Rede als PDF findet man hier:
    https://pimuenchen.files.wordpress.com/2015/08/carlo-schmid_was-heisst-eigentlich-grundgesetz.pdf

    Denjenigen, die Flüchtlingsheime anzünden oder sonstwie Gewalt gegen andere Menschen oder gegen Sachen anwenden, möchte man, wenn es nicht zynisch und somit kontraproduktiv wäre, beinahe empfehlen, sich in ihren aus Hass geborenen Gewaltakten und der Zerstörungswut doch bitte mit dem Inventar in der eigenen Wohnung zu beschäftigen.

    Mit besten Grüßen
    Eckhardt Kiwitt, Freising

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