SS-Generalmajor Franz Mueller-Darss und seine „reißenden Bestien“, die KZ-Wachhunde


Er ist davongekommen. Niemand hat ihn vor Gericht gestellt. Das hat mir vorige Woche auch das Bundesarchiv schriftlich bestätigt.  Nach dem Krieg hat er seine Dienste dem Bundesnachrichtendienst verkauft. Mueller-Darss hatte vor allem eines im Kopf: die eigene Karriere. Menschen waren ihm weitgehend egal.
Rechts ein Foto aus den Fünfziger Jahren mit seiner dritten Ehefrau. Links ein Foto aus seiner SS-Personalakte von 1936, die ich kürzlich im Bundesarchiv einsehen und dokumentieren konnte.  1936, da war er „Forstmeister Mueller“ und residierte in Born auf dem Darss in seinem „Jagdhaus“, das heute das Forstmuseum beherbergt.
Mueller-Darss (die Namensergänzung „Darss“ hat er sich persönlich von Himmler per Anordnung genehmigen lassen) 1944 4. 11. Mueller darf sich Mueller-Darss nennen.hat sich bemüht, in die SS aufgenommen zu werden. Und dann hat er sich vor allem um eine sehr schnelle Karriere innerhalb der SS bemüht, wie dieses Dokument aus der SS-Personalakte Mueller-Darss aus dem Bundesarchiv belegt: Personalakte Mueller-Darss Dienstlaufbahn tabellarisch Im Dezember 1944 war er SS-Generalmajor (die Dokumente stammen allesamt aus der SS-Personalakte Mueller-Darss im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde BArch R 1501; 127660):21.12.44 Beförderung SS-Brigadeführer und Generalmajor

Nun war er der ranghöchste Amtsleiter eines Amtes im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt in Berlin, Mitglied im Persönlichen Stab des Reichsführers SS Heinrich Himmler und dessen „Beauftragter für das Diensthundewesen“.  Er war in der „Amtsgruppe D Konzentrationslager“ im SS-Wirtschafts- und Verwaltungs-Hauptamt (WVHA) in der Abteilung 2 im Zentralamt (D1/2) für die Lagerschutz- und Wachhunde zuständig.
Am 15. Mai 1942 ordnete Himmler das gesamte „Diensthundewesen“ neu und der Leiter des WVHA, Pohl, befahl am 2.6.1942 für die Konzentrationslager die Aufstellung einer eigenen Ausbildungsstaffel und einen massiven Ausbau des Hundeeinsatzes.
Unter 2.) dieses Befehls heißt es:
„Mit der Überwachung der Hundeausbildung und der Hundebeschaffung ist der Beauftragte für das Diensthundewesen beim Reichsführer SS, SS-Standartenführer Müller, vom Reichsführer-SS eingesetzt. Er übt seine Tätigkeit in den K.L. in engster Zusammenarbeit mit dem Amtschef D I, SS-Obersturmbannführer Liebehenschel aus“. (zitiert nach: Bertrand Perz, „….müssen zu reißenden Bestien erzogen werden“. Der Einsatz von Hunden zur Bewachung in den Konzentrationslagern. in: Dachauer Hefte 12, Konzentrationslager und Lebenswelt und Umfeld, 12. Jahrgang 1996 Heft 12; S. 142)
Und dann heißt es noch:
„Die wirtschaftliche Betreuung der Hundestaffel – SS-Männer und Hunde – erfolgt durch die Kommandantur des K.L. Sachsenhausen.“ (a.a.O., S. 142; Die Amtsgruppe D hatte ihren Sitz in Oranienburg neben dem KL Sachsenhausen im sogenannten T-Gebäude).

Mueller-Darss hat sich persönliche KZ-Häftlinge gehalten. 4 Frauen, alle Zeuginnen Jehovas, mussten ihm im Forsthaus in Born dienen. “Die vier Bibelforscherinnen, die in Born auf dem Darß an der Ostsee von 1943 – 1945 Arbeiten für das dortige Forstamt zu verrichten hatten, waren im ehemaligen Zimmer des Forstgehilfen in zwei Doppelbetten mit Strohsack untergebracht. …. In Born entsprach der Verpflegungssatz qualitativ dem im KZ, auch wenn es von der Menge her etwas mehr war. ….Bei den in Born zu verrichtenden Arbeiten handelte es sich vorwiegend um körperlich schwere Arbeiten…..“ (vgl. dazu ausführlicher diese Seite)

Und im Darsser Wald hat er über 100 KZ-Häftlinge mit schwersten Holzfäll-Arbeiten für die SS-Meilerei in Born a. Darss „beschäftigt“. Anfangs waren die Häftlinge im „Borner Hof“ in dreistöckigen Holzpritschen untergebracht – mitten im Dorf -, später dann hausten sie in einfachsten Erdhöhlen gleich im Darsser Wald. 
Als eine Gruppe dieser Häftlinge ins Stammlager nach Ravensbrück wegen Erschöpfung zurückgebracht wurde (was einem Todesurteil gleichkam), sah das so aus:
Sie mußten unabhängig von der Witterung in Erdlöchern hausen. Die wenigsten verfügten über einen Mantel, sondern lediglich über eine zerrissene Decke. Bei den von ihnen zu verrichtenden Arbeiten handelte es sich vorwiegend um körperlich schwere Arbeiten. Als im Dezember 1944 ein Transport mit fünfzig Russen aus Born im Stammlager Ravensbrück eintraf, löste der Anblick der wankenden Skelette selbst bei denjenigen Häftlingen Entsetzen aus, welche die fürchterliche Anfangsphase des Männerlagers mitgemacht hatten”.  Ich habe die Situation der Häftlinge auf dem Darss, auch die der vier „privaten Häftlinge“, etwas umfänglicher dokumentiert auf der facebook-Seite zum Recherche-Projekt.

Der Chef des SS-WVHA, Pohl, richtete nach dem 23. Juli 1942 im Zentralamt der Amtsgruppe D eine sechste Hauptabteilung D 1/6 ausschließlich für „Schutz- und Suchhunde“ mit folgenden Abteilungen ein:
a) Beschaffung von Hunden, Hundekartei
b) Ausbildung der Hundeführer, Hundeführerkartei
c) Ausbildung von Schutz- und Wachhunden
d) Hundezucht
e) Veterinärangelegenheiten

Die Leitung der Hauptabteilung D 1/6 wurde, wie schon im Erlaß Pohls vom 2. 6. 1942 erwähnt, dem „Beauftragten des Diensthundewesens im Persönlichen Stab des RFSS“, SS-Standartenführer Müller nebenamtlich übertragen, als sein Vertreter SS-Hauptsturmführer Harbaum eingesetzt, der Adjutant des Inspekteurs der KL Glücks und für die Steuerung des KL-Personals zuständig war. (zitiert nach Bertrand Perz, „….müssen zu reißenden Bestien erzogen werden“, Dachauer Hefte 12, a.a.O., 143).

Himmler wollte durch den verstärkten Einsatz von „reißenden Bestien“ vor allem SS-Personal bei den KZ-Wachmannschaften einsparen, was aber nicht wirklich gelang. „Erfolgreich“ wurden dagegen die von Mueller-Darss ausgebildeten Wach- und Suchhunde in den zahlreichen Außenlagern der KZ eingesetzt, wie Born a. Darss eins war.  Die Berichte über verletzte und zerfetzte und von den Hunden völlig zerrissene Häftlinge sind zahlreich. Die SS hat diese schärfstens abgerichteten Hunde wie Waffen eingesetzt, wie Bertrand Perz in seinem grundlegenden Aufsatz über die Ausbildung und den Einsatz der Hunde gründlich dokumentiert hat.

Mueller-Darss ist im Frühjahr 1945 seinen Verfolgern entkommen. Es heißt, er habe sich anfangs in SS-Bunkern im Darss-Wald versteckt, ihm sei die Flucht über die See gelungen, er sei dennoch kurz in britischer Gefangenschaft gewesen, einen Prozess gegen ihn habe es jedoch nicht gegeben. Es heißt weiterhin, er sei nach dem Krieg im Dienst des Bundesnachrichtendienstes gestanden – entsprechende Recherche-Anfragen meinerseits beim Bundesarchiv in Koblenz und Bayreuth und auch beim BND, in Bad Arolsen und auch beim Beauftragten der Bundesregierung für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR laufen noch. Ich will genauer wissen, was aus Franz Mueller-Darß, den man in Born a. Darss heute noch beinahe liebevoll nur den „Forstmeister“ nennt, nach dem Krieg geworden ist.
Was ich weiß, Franz Mueller-Darss, geboren am 29. April 1890 in Lindau,  Landkreis Nordheim im Eichsfeld, starb am 18. Juni 1976, von der Justiz völlig unbehelligt, im oberbayerischen Lenggries eines natürlichen Todes.

(Anmerkung am 1.10.2020: mittlerweile wurden Akten sowohl beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit der DDR (BStU) als auch zwei Personalakten beim BND aufgefunden, die ich demnächst auswerten kann. Bestätigt hat sich, was ich vermutet hatte: Mueller-Darss hat schon ab 1948 für die „Organisation Gehlen“ gearbeitet. Nach Auskunft von Dr. Gerhard Sälter, Berlin schied er 1966 im Alter von 75 Jahren aus den Diensten des Bundesnachrichtendienstes aus.)

Der Darß unterm Hakenkreuz (1933-1945). KZ-Born (2). Die SS-Meilerei in Born/Bliesenrade


Im „Borner Hof“ und in Wieck waren die Häftlinge untergebracht, in Born, Wieck und Zingst haben sie gearbeitet.
Oder sie zogen von Born aus zur „SS-Meilerei“ auf der kleinen Halbinsel Bliesenrade, dicht beim Dorf Born a. Darss.

Born a. Darß und Bliesenrade. (Googlemaps). In Born war 1940 – 45 das KZ-Kamp, in Bliesenrade die SS-Meilerei

Über Bliesenrade führte dermaleinst der Postweg über den Bodden, eine kleine Stichstraße führt noch heute auf die Halbinsel. Es gab dort ein Fährhaus und eine Verbindung nach Bodstedt auf der anderen Seite des Boddens.
Im Ortsarchiv Born findet sich über diese SS-Meilerei folgendes Dokument:

SS-Meilerei Born/Bliesenrade; Ortsarchiv Born, Holger Becker 30.09.2019

über diese SS-Meilerei ist bei Wolfgang Benz (Stätten des Terrors) folgendes zu erfahren:

Wolfgang Benz, Stätten des Terrors; SS-Meilerei Born

Man kann davon ausgehen, dass die in der nur etwa einen Kilometer entfernten Meilerei arbeitenden Häftlinge täglich durchs Dorf zogen. Morgens hin, abends zurück. Jeder im Dorf hat sie irgendwann mal gesehen. Man kannte die SS-Bewacher, mit manchen war man sogar befreundet, man sah die Häftlinge. Kontakt war offiziell verboten, aber doch gab es Menschen, zum Beispiel in Bliesenrade, die einen Kontakt zwischen Häftlingen und ihren Angehörigen ermöglicht haben. Vgl. dazu den Zeitzeugenbericht über die inhaftierten Bibelforscherinnen in Born.
Interessant an den Dokumenten ist auch die sichtbare wirtschaftliche Verflechtung des KZ-Außenlagers mit der Forstverwaltung Born, an deren Spitze ja ein hoher SS-Offizier stand. Die SS „kaufte“ bei der SS Holz und „verkaufte“ es weiter. Auch „kaufte“ die SS „ein weiteres Grundstück vom Forstamt“, um die Meilerei zu erweitern. Die SS konnte auf dem Darß schalten und walten, wie es ihr beliebte. Im Zweifel sagte der „Forstmeister“ Mueller-Darß, wo es „langging“. Er galt als sehr unbeliebt im Ort. Manche Frauen fanden ihn „fesch“, wir mir Holger Becker erzählte, es gab ja auch Kinder von ihm im Ort; andere hatten Angst vor ihm, wenn er, hoch zu Pferde, durch den Wald geritten kam und die Bäuerinnen, die da beim Beerensammeln waren, nach ihrem Berechtigungsschein fragte und ihnen ihre Ernte einfach abnahm, wenn sie den Schein nicht vorweisen konnten. (Gespräch mit Holger Becker am 30.09.2019 im Archiv in Born).

Der Darß unterm Hakenkreuz (1933 – 1945). Das KZ in Born a. Darß (1)


Langsam öffnen sich die Archive, die Recherchen machen Fortschritte, wichtige Dokumente tauchen auf.

Born. Ortschronist Holger Becker mit der „Akte KZ Born“, 30.09.2019

Zunächst: ich habe Herrn Holger Becker in Born zu danken. Er hat in jahrelanger Klein- und Kleinstarbeit alles zusammengetragen, was man vor Ort über das KZ im „Borner Hof“ herausfinden konnte. Davon kann ich nun profitieren. Gestern haben wir zum ersten Mal über den Akten gesessen. Sicher nicht zum letzten mal.
Wir beginnen mit diesem Dokument:

Der „Borner Hof“ wird Häftlingslager; Dokument 1; Ortsarchiv Born Holger Becker; 30.9.2019

Wir sehen eine maschinenschriftliche Mitteilung ohne Datum von Frau Albitius (also offenbar nach einem Gespräch mit ihr in späteren Jahren notiert) über die faktische Enteignung oder Beschlagnahme ihrer Gaststätte. Wir erfahren handschriftlich von Herrn Becker später hinzugefügt aber gleichzeitig auf dem Dokument, dass ihr Mann, Max Albitius seit 1933 Mitglied der NSDAP in Born war, weshalb es mit der „Enteignung“ oder „Beschlagnahme“ nicht so ganz klar ist. Man wird geredet haben miteinander, der Forstmeister Mueller-Darß von der SS und der Herr Albitius von der NSDAP……
Wir wissen mittlerweile auch genauer, was mit „Frühjahr 1944“ gemeint ist, denn es gibt Zeugenaussagen von Menschen, die als Häftlinge in Born waren, doch dazu später.
Zunächst also wird mitten im Ort die Gaststätte „Borner Hof“, ehemals „Witt’s Hotel“, der Ort, wo bislang alle großen Feste und Veranstaltungen stattfanden ein KZ-Außenlager. Die Fenster werden vergittert, der Große Saal wird mit dreistöckigen Betten ausgestattet, die ganze Anlage wird mit Stacheldraht eingezäunt. 20 Mann bewachen den „Borner Hof“ – mitten im Dorf. Die Liste der SS-Bewacher hat sich auch angefunden:

KZ Born, die Wachmannschaft; Ortsarchiv Born, Holger Becker, 30.09.2019

Frau Helga Radau in Barth, teilte mir heute früh per e-mail mit, es gäbe auch eine Häftlingsliste. Sie schrieb: „Im Stadtarchiv Barth befanden sich Reproduktionen von Häftlingstransportlisten, die nun in unserer Dokumentationsstätte lagern, darunter eine Liste “ 30 Austauschhäftlinge von der SS-Meilerei Born“ vom 14. April 1945. Das bedeutet also, dass arbeitsunfähige Männer gegen arbeitsfähigere ausgetauscht wurden“.
Jetzt wird die Sache komplizierter: Wir lesen: 14. April 1945. Eine Gruppe Häftlinge kommt im Lager in Barth an. Barth war Außenlager von Neuengamme.
Das Lager in Born aber gab es schon vor 1945. Und zwar in mehreren „Durchgängen“.
Der Sachverhalt ist folgender: aus Ravensbrück bzw. Neuengamme kamen nacheinander mehrere Häftlingsgruppen nach Born. Sie kamen zum „Rohrschneiden“ bzw. in die „SS-Meilerei Born“, die gar nicht in Born, sondern in Bliesenrade bei Born errichtet war. Die Rohrschneider waren auch in Wieck. Sie waren dort ebenfalls in der Gaststätte untergebracht (im ersten Transport), später in einem Viehstall. Die „Rohrschneider“ mussten im Januar/Februar im eiskalten Wasser Rohr schneiden, das in Ravensbrück zu Matten weiterverarbeitet wurde.

KZ Born, Dokument 2; Ortsarchiv Born, Holger Becker, 30.09.2019
KZ Born 10.09.1944 ; Ortsarchiv Born, Holger Becker, 30.09.2019

Am 10. September 1944 traf eine Häftlingsgruppe von „104 russischen Kriegsgefangenen“ in Born ein und „störte unsere Sonntagsruhe“. Schreibt Walter Mett. Eine schillernde Quelle, denn: Mett wurde von den Nationalsozialisten als Ortsvorsteher abgesetzt, trat dennoch in die NSDAP ein. Mett arbeitete später nicht „als Waldarbeiter“, wie im Dokument geschrieben ist, sondern im Büro von Mueller-Darß. Holger Becker hat diese Informationen später handschriftlich nachgetragen:

KZ Born, Bericht Walter Plett (2), Ortsarchiv Born, Holger Becker, 30.09.2019

Danach war Walter Mett 1930 – 33 Amtsvorsteher; seit 1935 in der NSDAP, seit 1937 SA, seit 1937 Deutsche Arbeitsfront. Dass er als „Forstschreiber“ tätig war, ist auch aktenkundig, ich habe die Kopie des Arbeitsvertrages mit Mueller-Darß eingesehen, die auch im Archiv in Born lagert.
Die verschiedenen Häftlingsgruppen, die auf den Darß kamen, sind hier zusammenfassend dokumentiert:

KZ Born, Zusammenfassende Daten; Ortsarchiv Born, Holger Becker 30.09.2019

Daraus geht hervor, dass schon im Winter 1940/41 eine erste Häftlingsgruppe zum Rohrschneiden eingetroffen war. Wir wissen nun, daß im kleinen Dörfchen Born von 1940 bis 1945 mitten im Dorf Häftlinge untergebracht waren.

KZ Born, Einsatzplan Häftlingsgruppen; Ortsarchiv Born, Holger Becker 30.09.2019

Aus dem folgenden Dokument geht hervor, dass in Wieck a. Darß Bibelforscher (Zeugen Jehovas) zum Rohrschneiden eingesetzt waren. Die Angabe „zusammen mit 600 Bibelforschern“ ist unzutreffend. Die Gruppe war deutlich kleiner.

KZ Born Zeitzeugen, Ortsarchiv Born, Holger Becker 30.09.2019

Die SS-Meilerei in Born/Bliesenrade behandle ich in einem separaten Beitrag.

 

KZ-Häftlinge in Born a. Darss. Das „Forstamt“ Born und der „Borner Hof“


Die Recherche ist mühsam, aber ich komme voran.
Was wissen wir mittlerweile (Recherchestand 28. 09. 2019)?
An zwei Orten mitten im kleinen Dörfchen Born waren KZ-Häftlinge untergebracht:
4 Frauen direkt auf dem Hof des Forstmeisters Franz Mueller-Darß (SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS)  zwischen Mai 1943 und April 1945. Heute ist in dem Gebäude das Forstmuseum untergebracht. Eine Erinnerungstafel findet sich nicht. Dass Mueller-Darß SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS war, erfährt man vor Ort ebenfalls nicht. Man nennt ihn nur den „Forstmeister“. 
Die 4 Frauen waren Zeuginnen Jehovas. Eine von ihnen hieß Meta Zils (Häftlingsnummer 442 KZ Ravensbrück). Deren Tochter Gerda Zils sagt später aus: „Das muss Ende 1936 gewesen sein. Vom Verhör in Zanow kehrte meine Mutter nicht wieder zurück….Der Zeitpunkt, als meine Mutter mit drei weiteren Glaubensschwestern …. als Außenkommando nach Born/Darß, zum Brigadeführer der SS Franz Mueller abkommandiert wurden, ist mir nicht bekannt. Die vier Schwestern mussten in ihren Sträflingskleidern hauptsächlich Wald- und Feldarbeit verrichten, ohne Bewachung (eine Flucht von der Halbinsel war faktisch nicht möglich). Untergebracht waren die vier Zeuginnen Jehovas in der Waschküche auf dem Gelände des SS-Brigadeführers, in der auch die Kartoffeln für die Schweine gekocht wurden, von denen sich die Schwestern hauptsächlich ernährten, wenn nicht Reste von der Küche übriggeblieben waren (beiliegen 2 Fotos, eins das Gebäude mit Waschküche, das zweite, das Gebäude, das der SS-Brigadeführer Mueller bewohnte und als Gästehaus von Naziführern, wie z.B. Hermann Göring, diente.) Meiner Schwester und mir, war es durch die Initiative eines im Nachbardorf Bliesenrathe (Bliesenrade, Wieck a.d. Darß) wohnenden mutigen Bewohners möglich, unsere Mutter zweimal heimlich bei Nacht zu besuchen. Kurz vor Kriegsende durften alle vier Frauen nach Hause gehen. Meine Mutter legte in ihrer Sträflingskleidung einen Fußmarsch von ca. 300 Kilometern zurück, bis sie meine Großeltern und uns Kinder in die Arme schließen konnte. Doch 1946 wurden wir aus der Heimat vertrieben.“
(zitiert nach Franz Wegener, Barth im Nationalsozialismus, 2016; S. 160f.;
vgl. auch: http://www.tenhumbergreinhard.de/1933-1945-lager-1/1933-1945-lager-d/dar-born-forstamt-born.html)

Der zweite Platz, ebenfalls mitten im Ort: der „Borner Hof„, eine große und bekannte Gaststätte, ehemals „Witt’s Hotel“. Heute ist dort außer der Feuerwehr die Orts-Bibliothek untergebracht und dort trifft sich u.a. der Seniorenklub des Dorfes.

Borner Hof „Wie es früher war“. Die KZ-Aussenstelle wird immer noch verschwiegen. Wir schreiben das Jahr 2019

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hier waren 1942/43 zunächst Frauen untergebracht, die zum Schilfschneiden eingesetzt wurden und auch in Zingst arbeiten mussten.

Ende 1943 treffen 120 Häftlinge in Born ein.
Im April 1945 waren im Borner Hof Männer untergebracht, die in einer Meilerei zu arbeiten hatten.
In der Nacht des 12. Oktober 1944 muss es einen Fluchtversuch gegeben haben, die Polizei Schwerin ermittelte. Offenbar sind bei diesem Fluchtversuch Menschen erschossen worden, die in der äußersten nordwestlichen Ecke des Friedhofs begraben wurden. Die Einheimischen nennen den Platz heute „das Russengrab“:

Das "Russengrab" in Born a. Darss. Hier ruhen KZ-Häftlinge
KZ-Häftlinge aus dem „Borner Hof“ sind ganz in der Ecke des Friedhofs von Born a. Darss bestattet. Die Geschichte vom „Borner Hof“ wird bis heute beschwiegen.

Am 12. 4. 1945 bei der Evakuierung treffen 35 Männer, die in der SS-Meilerei Born zu arbeiten hatten, im Außenlager Barth ein.

Das Lager im „Borner Hof“ wurde von 20 SS-Männern bewacht. Zuständig war Franz Mueller-Darß.  Die SS-Wache war im Obergeschoss des Hauses untergebracht. Die Häftlinge brachte man im Großen Saal in dreistöckigen Betten unter.

Dieser Große Saal hatte auch schon anderes gesehen, hier wurden die großen Feste, Hochzeiten und Bälle gefeiert. Nun waren hier in dreistöckigen „Betten“ 120 Männer untergebracht. Mitten im Ort.
Der Historiker Wolfgang Benz sagt völlig zu Recht: „Die Rede „wir haben nichts gewusst“ gilt nicht für die Außenlager. Dort war der direkte Kontakt mit der Zivilbevölkerung nicht zu verhindern – jeder konnte sehen, was im Ort mit den Häftlingen vor sich ging“.

Ich bin deshalb dafür, dass nun, im Jahre 2019, wenigstens eine Gedenktafel angebracht wird. Und zwar sowohl am heutigen Forst-Museum unter Bezug auf den SS-Mann Mueller-Darß und seine Vergangenheit, die eben weitaus mehr war als nur „Forstmeister“ gewesen zu sein und seine vier „persönlichen Häftlinge“ als auch am „Borner Hof“.
Am kommenden Montag werde ich mich mit dem Ortschronisten Holger Becker in Born treffen und hoffe, noch mehr über den „Borner Hof“ zu erfahren. Die Lokalhistorikerin Helga Radau, die sich um die Erforschung des KZs in Barth sehr verdient gemacht hat, hat mir schon mitgeteilt, daß im Vorpommerschen Landesarchiv Greifswald im Nachlaß des Lehrers Wilhelm Steinhauer das Ergebnis eines Schülerprojektes über den „Borner Hof“ einzusehen ist, das dieser engagierter Lehrer schon vor längerer Zeit mit seinen Schülern durchgeführt hat. So tastet man sich Schritt für Schritt näher heran an das, was damals „mitten unter uns“ geschehen ist.
Falls diese Zeilen jemand liest, der über weitere Informationen über den „Borner Hof“ zwischen 1933 und 45 verfügt, bin ich für eine Kontaktaufnahme dankbar.

Anmerkung: die fortlaufenden Rechercheergebnisse finden sich auch bei facebook unter https://www.facebook.com/DarssGeschichte/

KZ-Außenlager Born a. Darss – Und sie schweigen immer noch


Da
KZ-Häftlinge aus dem „Borner Hof“ sind ganz in der Ecke des Friedhofs von Born a. Darss bestattet. Die Geschichte vom „Borner Hof“ wird bis heute beschwiegen.

„Da hinten ganz in der Ecke“ sei „das Russengrab“ sagt mir der Mann auf dem Friedhof in Born. Was es mit diesem angeblichen „Russengrab“ auf sich hat, hab ich mittlerweile herausgefunden:
Wenn man nach Born auf dem Darss fährt, findet man mitten im Ort den „Borner Hof“, eine ehemalige Gaststätte. Vom FDGB kann man etwas lesen, auch davon, dass das Haus einst dem Kapitän Witt gehört hat, weshalb es auch „Witt’s Hotel“ hieß. Dass im „Borner Hof“ im Jahre 1943 etwa 120 Häftlinge – allesamt Zeugen Jehovas – in einer KZ-Außenstelle untergebracht und von etwa 20 SS-Leuten bewacht wurden, davon steht nichts geschrieben. Die Häftlinge wurden eingesetzt, um „Rohr zu schneiden“ – ohne Schutzkleidung im eiskalten Boddenwasser…..
Erst mühsame Recherche fördert nun zu Tage, was eigentlich auf eine öffentliche Erinnerungstafel gehört. http://www.dok-barth.de/vvn/veroeff/oz_30_06_2007.pdf

Borner Hof „Wie es früher war“. Das KZ-Außenlager wird immer noch verschwiegen. Wir schreiben das Jahr 2019. Das Gedicht dazu „…unter seinem Dache wohnt sich’s angenehm“ ist angesichts der Umstände blanker Zynismus.

 

Borner Hof im September 2019. Heute Treffpunkt der Senioren, Dorfgemeinschaftshaus und Dorfbibliothek

Was also können wir wissen? Ende 1943 treffen 120 Häftlinge in Born ein.
In der etwa einen Kilometer vom «Borner Hof» entfernt liegenden Meilerei mussten die Häftlinge Holz zur Betriebsstoffbeschaffung «verkohlen». Die Meilerei bestand aus sechs Meilern (Metall-Brennöfen). Als einen weiteren Nebenbetrieb kaufte die SS 1943 Teile eines privaten Bauernhofes vom staatlichen Forstamt an und richtete dort eine Hartholzbearbeitung in den Wirtschaftsgebäuden ein. Im Winter wurde zusätzlich am Saaler Bodden Reet geschnitten, das aber nur noch direkt vor Ort für Reetdächer gebraucht wurde. Verantwortlich für den Arbeitseinsatz war Forstmeister Franz Müller.
Drei sowjetischen Häftlingen gelang in der Nacht zum 12. Oktober 1944 die Flucht, worauf die Kriminalpolizeistelle Schwerin eine Fahndung veranlasste.
Es gibt Hinweise, dass fünf Männer im Oktober 1944 bei einem Fluchtversuch erschossen und am Rande des Borner Friedhofes begraben wurden.

Unterbringung
Gaststätte Borner Hof
(„Witt’s Gasthaus“ (später auch „Borner Hof“) wurde um 1885 erbaut und entwickelte sich schon zehn Jahre später zum ersten Hotel am Platze. War Prinz Eitel Friedrich als Jagdgast auf dem Darß, wurde er von hier mit Rauchware und Getränken beliefert.)
Das Lager wurde von ca. 20 SS-Männern bewacht, die im zweiten Stock der Gaststätte untergebracht wurden. Dort wurde auch das Dienstzimmer des Kommandoführers Wilhelm P. eingerichtet. Die Häftlinge brachte man im großen Saal unter. Dort existierten dreistöckige Betten. Zum gleichen Zeitpunkt befanden sich vermutlich polnische Zwangsarbeiter im «Borner Hof». (http://www.tenhumbergreinhard.de/1933-1945-lager-1/1933-1945-lager-d/dar-born-gaststaette-borner-hof.html)
Ich hatte schon Hinweise auf das Außenlager bei Wolfgang Benz gefunden https://www.perlentaucher.de/buch/wolfgang-benz-barbara-distel/der-ort-des-terrors-geschichte-der-nationalsozialistischen-konzentrationslager-neun-baende-2009.html

„Zuständig“ und verantwortlich für das Lager in Born war Forstmeister Franz Mueller-Darß, der „Beauftragte für das Diensthundewesen“ beim „Reichsführer SS Heinrich Himmler„. Er bildete die Wachhunde für die Konzentrationslager aus…..Mueller-Darß bekleidete 1944 zum Schluss seiner SS-Karriere den Rang eines SS-Oberführers, konnte sich verstecken und fliehen, arbeitete nach dem Krieg für den Bundesnachrichtendienst und starb „friedlich“ 1976 im oberbayrischen Lenggries. Eine juristische Aufarbeitung weder der Außenlager auf dem Darss noch der Verantwortlichkeit von Mueller-Darss hat nie stattgefunden.
Man schweigt bis heute. (https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Mueller-Dar%C3%9F)

Cornelia Schmalz-Jacobsen notiert in ihre Erinnerungsbuch „Russensommer“ über den Mai 1945: „Was ist eigentlich aus Mueller-Darß geworden?“ fragte ich Friedel, „hat der sich eigentlich auch umgebracht?“ ….doch Friedel wusste es nicht. Von Mueller-Darß hatte er lange nichts gehört, und so sagte er nur: „Umgebracht? Nein, das glaube ich nicht.“…..Tatsächlich hatte sich Mueller-Darß nicht umgebracht, sondern nur gut versteckt. Er kannte den dichten Wald und auch einen gut mit Proviant gefüllten Bunker darin. Dort verpasste er den Einmarsch der Russen. Zwar durchkämmte die Rote Armee die Wälder gründlich mit Suchkommandos, doch der SS-Standartenführer und Hundeabrichter Mueller-Darß ging ihnen dabei durch die Lappen – sie fanden ihn nicht. Mueller-Darß hatte großes Glück, denn es gelang ihm, in einem Boot über den Bodden in Richtung Hamburg zu entwischen. Wie es heißt, geriet er dort kurze Zeit in britische Gefangenschaft, durfte dann aber nicht mehr zurück in die Forstverwaltung und den öffentlichen Dienst. So kam er schließlich – wen wundert es heute noch – beim Bundesnachrichtendienst unter und starb erst 1976 im Alter von sechsundachtzig Jahren in Oberbayern. Er starb friedlich – seine Rolle im KZ-Außenlager Darß oder als Himmlers Beauftragter für das Diensthundewesen, Diensthunden, die in Konzentrationslagern gezielt Menschen angriffen, ist nie aufgearbeitet worden.“
(Cornelia Schmalz-Jacobsen, Russensommer,  S. 105 f.).

Was neben der fehlenden juristischen Aufarbeitung in meinen Augen beinahe noch schwerer wiegt: man beschweigt diese Tatsachen auf dem Darss bis heute. Es könnte ja dem Tourismus schaden. Mich ärgert das. Deshalb mache ich die Funde nun nach und nach öffentlich.
Wenn man sich die Chroniken der Orte auf dem Darss (Prerow, Wieck, Born) auf den Internetseiten der entsprechenden Kommunen besieht: die Jahre zwischen 1933 bis 1945 haben da nicht stattgefunden. Hitler und den Nationalsozialismus hat es hier offiziell nie gegeben. Dass Prerow sich schon 1929 rühmte, „judenfrei“ zu sein, wird verschwiegen. Es wird Zeit, dass da „Luft dran kommt“.
Deshalb werde ich meine Recherche-Ergebnisse über jene Zeit im pommerschen Landkreis Franzburg-Barth hier nach und nach veröffentlichen.