Ich hab da mal ein paar Fragen – zur mysteriösen Task Force 373


Der Artikel im „Spiegel“ vom 12. Februar 2011 macht mich unruhig.
Da ist von einer „Killertruppe“ die Rede, von der amerikanischen „Task Force 373„, die „außerhalb des ISAF-Mandats“ arbeitet.
Ohne Parlamentsbeschluss also.
Im „deutschen Gebiet“ in Nordafghanistan.

Über dieses „Killerkommando“ hat der „Guardian“ sehr unschöne Dinge veröffentlicht: denn diese Truppe tötet offenbar Kinder, Zivilisten und afghanische Polizisten, die „mit den Taliban“ kooperieren.

Die geheimen Dokumente, die der „Guardian“ veröffentlicht hat, und die auch dem „Spiegel“ vorliegen, werfen Fragen auf:

1. Da die Task Force 373 in Nordafghanistan „arbeitet“, also in einem Gebiet, das unter deutschem Kommando steht:
Gibt es eine „Zusammenarbeit“ mit der deutschen KSK?
2. Wenn es eine solche „Zusammenarbeit“ gibt: wie sieht sie genau aus?
3. Weiß das Parlament von diesen Kommandos?
4. Glaubt das Parlament, daß das im Januar beschlossene neue ISAF-Mandat den Einsatz dieser Kommandos abdeckt?
Oder operieren die Kommandos „außerhalb des Mandats“ des Deutschen Bundestages und ohne, daß das Parlament davon weiß?

5. Wußten die Abgeordneten zur Zeit des Mandatsbeschlusses von einer Zusammenarbeit beider Kommandos?
6. Was wussten die Abgeordneten genau? Waren sie umfassend informiert?

7. Wenn sie vom Einsatz der KSK und der Task Force 373 nichts wußten – weshalb haben sie dann einer Mandatsverlängerung dennoch zugestimmt?

Es sind ein paar harmlose Fragen eines Zivilisten.
Aber vielleicht interessieren sie ja auch den einen oder anderen Abgeordneten…..

Etwas vom schönen Monat März. Beginn der Kampfsaison. „season of fighting“


Das Internet ist hilfreich.
Um zu wissen, was vor sich geht. Im März.
Heute erreichen mich drei Nachrichten am Morgen.
Eine vom Chef der ISAF-Truppen, General David Petraeus. Eine von Thomas Wiegold vom „Focus“ und eine von den Vereinten Nationen aus Nairobi.
Zunächst lerne ich, daß man in Afghanistan den März die „season of fighting“ nennt: die „Kampfsaison“. Die Botschaft des über youtbe geposteten Videos ist klar: „liebe Taliban. Wir sind vorbereitet auf die Offensive.“

Das ganze Interview mit General Petraeus gib es hier. Am Rande sei die Sprache erwähnt: Herrn Petraeus spricht von „security bubbles“, von „Sicherheits-Blasen“ oder „Sicherheits-Gebieten“, was ja auch viel sagt über die „Gebiete dazwischen“. Nämlich: daß sie unsicher sind. Die Militärs konzentrieren sich offensichtlich auf die „Oberzentren“, wie man in deutscher Sprache sagen würde. Daß dies alles öffentlich geschieht, ist Absicht. Wir sehen: die ISAF hat sich gründlich vorbereitet. Der März, die „season of fighting“ kann kommen.

Nun hat der Deutsche Bundestag die Verlängerung des Mandats beschlossen und es war seit längerem klar, daß dies eine Teilnahme deutscher Soldaten an der bevorstehenden Offensive bedeuten würde.
Deshalb geht mein Dank an Thomas Wiegold und die aufmerksamen Leser seines blogs „Augen geradeaus!“, die auf die Verlegung von zwei Panzerhaubitzen hinweisen. Mit denen kann man ziemlich gewaltige Schüsse abgeben…..
Vorbereitungen also auch auf deutscher Seite.

Schauen wir nach Nairobi, dann kommt die dritte Meldung vom UN-office for the Coordination of Humanitarian Affairs. Es geht also um Flüchtlingshilfe.Man kann in diesem Beitrag über die mehrere Zehntausend Menschen in Afghanistan lesen, die unter dem harten Winter besonders zu leiden haben. Und davon, daß die „nichtstaatlichen Organisationen“ (NGOs) nun hoffentlich mit ihrer Hilfe „durchkommen“, um die Menschen zu erreichen.

Einen Moment stelle ich mir vor, wie diese Menschen wohl die nun vorgesehene Offensive erleben werden. Und mir fällt der Satz von Dr. Reinhard Erös von der Kinderhilfe-Afghanistan wieder ein, den ich gestern geschickt hatte. In dem Interview, das er dem STANDARD gegeben hat (seine Frau hatte mir das Interview freundlicherweise zur Verfügung gestellt) sagte der ehemalige Bundeswehrarzt, der nun im Grenzgebiet zu Pakistan (Herr Petraeus sprach gerade davon….) arbeitet, den bemerkenswerten Satz:

STANDARD: Wäre Afghanistan ohne die internationalen Truppen heute besser dran?

Dr. Erös: Viel besser. Die Voraussetzung, dass es in Afghanistan vorwärts geht, ist der Abzug der Nato und zwar so schnell wie möglich. Die westlichen Soldaten in Afghanistan sind Teil des Problems und vielleicht sogar der größte Teil.

Das komplette Interview mit diesem mutigen deutschen Arzt gibt es auch hier im blog.

Der schnelle Abzug der NATO ist jedoch nach dem verlängerten Mandat allerdings nicht zu erwarten.
Jedoch: der größte Truppensteller USA hat den Beginn des Abzugs für „Juli 2011“ angekündigt; der zweitgrößte Truppensteller, Deutschland, hat den Beginn des Abzugs für den „Herbst 2011“ in Aussicht gestellt.
Deshalb wird es interessant sein, zu erfahren, wie sich das gesamte Bündnis der NATO entscheidet.
Von Herrn Staatssekretär a.D. Ischinger, dem Chef der Münchner Sicherheitskonferenz war kürzlich zu erfahren, die NATO-Partner stritten sich deshalb um das Thema „Abzug“ „wie die Kesselflicker“.
Was ja ein schönes ziviles Wort ist und auf ein altes Handwerk hinweist.

Die Entscheidung fällt:
im März. ….

Alternativen zum Krieg (7). Standard-Interview mit Dr. Reinhard Erös (Kinderhilfe-Afghanistan)


Der ehemalige Bundeswehrarzt Dr. Reinhard Erös , der es bis zum Range eines Oberstarztes gebracht hat, arbeitet im Osten Afghanistan an der Grenze zu Pakistan.
In einem Gebiet, in dem „die Taliban“ das Sagen haben. Ich hatte ihn per Mail um ein Kurzinterview gebeten.
Frau Erös schrieb mir heute:

„mein Mann musste kurzfristig nach PAKISTAN.
ich erlaube mir, Ihnen in der Anlage ein aktuelles STANDARD-Interview zum
Abdruck in Ihrer Website zu überlassen.
lieber Gruß
Annette Erös“

Deshalb sei dieses bemerkenswerte Interview mit dem STANDARD nun hier abgedruckt, denn es zeigt die Innenansicht eines exzellenten Landeskenners. Es lohnt sehr, dieses Interview aufmerksam zu lesen:

Standard: Die deutschen Politiker debattieren gerade über Abzugsperspektiven der Bundeswehr aus Afghanistan. Was würde es in ihren Augen bedeuten, wenn die deutschen Soldaten das Land verlassen?

Dr. Erös: Ob die Bundeswehr in Afghanistan bleibt oder abzieht, ist  für das  Land völlig unerheblich. Denn sie ist militärisch ein Gartenzwerg mit gerade einmal 5000 Mann im Norden, von denen nur rund ein Sechstel für militärische Einsätze aus den Hochsicherheitscamps herauskommt. Zum Vergleich: Im Südosten, wo wir mit der Kinderhilfe arbeiten, sind 100.000 Amerikaner stationiert  – mit Kampfhubschraubern, -flugzeugen und Drohnen. Nur politisch spielt es eine Rolle, ob mit Deutschland einer der großen Nato-Partner das Land verlässt.

Standard: Braucht es nicht den Schutz der Bundeswehr, um den zivilen Wiederaufbau zu sichern?

Dr. Erös: Der Großteil der deutschen Hilfsorganisationen bettelt nicht um den Schutz den Bundeswehr, sondern empfindet ihn eher als gefährdend. Unsere Erfahrung im Südosten ist: Nicht Sicherheit ist Voraussetzung für Wiederaufbau und Entwicklung, sondern umgekehrt. Unsere Projekte wie Waisenhäuser, Schulen, Krankenstationen sind nur möglich und sicher, weil wir den amerikanischen Soldaten den Zutritt verweigern. Deshalb ist auch noch nie einem unserer Schüler oder Mitarbeiter ein Haar gekrümmt worden, keine unserer Schulen wurde je bedroht oder gar angegriffen.

Standard: Wie gelingt Ihnen das? In Deutschland hört man immer wieder von Schulen die attackiert oder geschlossen werden.

Dr. Erös: Ja, aber das sind fast alles Schulen, die vom westlichen Militär aufgebaut oder «beschützt» wurden. Das ist bei uns nicht der Fall. Wir bauen unsere Schulen auf Augenhöhe mit den Einheimischen. Die Regierung in Kabul und auch die deutsche Politik haben damit nichts zu tun. Wir finanzieren uns ausschließlich über private Spenden und das wissen die Menschen. Den Bau einer Einrichtungen sprechen wir ab mit den regionalen Behörden, den Stammes- und Dorfältesten, mit den religiösen und talibannahen Leuten. Erst dann, wenn ein Konsens beseht, beginnen wir. Und am Bau sind keine Firmen aus dem Ausland und keine teuer bezahlten Berater beteiligt, sondern die Einheimischen bauen die Schulen selbst.

Standard: Wie überzeugen Sie einen Talibanführer oder einen paschtunischen Clanchef vom Bau einer Mädchenschule?

Dr. Erös: Ich muss sie gar nicht überzeugen. Die kommen mittlerweile auf mich zu mit dem Wunsch, eine Schule, auch eine Mädchenschule, oder ein Waisenhaus zu bauen.

Standard: Hab ich das richtig verstanden? Die Taliban kommen zu Ihnen und sagen, sie wollen eine Mädchenschule?

Dr. Erös: Ja, das ist das Normale. Deutsche Medien tun immer so, als müsste man den Afghanen den Bau einer Schule quasi beibringen und Überzeugungsarbeit leisten, damit diese dummen, archaischen Leute den Sinn von Bildung kapieren. Aber das ist grundfalsch und entwürdigend. Wir haben vielmehr Mühe, allen Wünschen nach dem Bau von Mädchenschulen nachzukommen. Ich habe noch nirgendwo auf der Welt so einen großen Bildungshunger erlebt wie in Afghanistan. Und jedem, der sich über  das Land informieren will, kann ich nur raten in Schweizer oder englischsprachige Medien reinschauen. Die berichten wesentlich korrekter und differenzierter.

Standard: Also ist der Eindruck falsch, dass die Taliban Bildung für Frauen und Mädchen verhindern wollen?
Dr. Erös: Ja, heute ist das falsch. Man kann mit den Taliban darüber reden. Sie wollen nur keine westlichen Schulen mit westlichem Lehrinhalt, mit islamkritischen oder islamneutralen Lehrbüchern und amerikanische Soldaten als Erbauer oder Beschützer. Wenn es aber eine afghanische Schule mit afghanischen Lehrinhalten ist, gibt es mit den Taliban kein Problem.

Standard: Haben Ihre Schulen einen einheitlichen Lehrplan?

Dr. Erös: Ja, genau wie in Deutschland. Allerdings ist es oft schwierig ihn umzusetzen, denn die Qualität und Anzahl der Lehrer ist ein großes Problem, gerade in Naturwissenschaften in den gymnasialen Oberstufen. Besonders bei den Mädchenschulen ist es schwierig, Frauen als Lehrer für Physik, Mathematik und Chemie zu gewinnen. Aber der Lehrstoff ist vorgegeben vom Ministerium für Erziehung in Kabul. Dazu gehört, dass vier bis fünf Stunden pro Woche normaler afghanischer Islam unterrichtet wird. Genau wie bei uns der Religionsunterricht.

Standard: Auch in der Politik wird darüber diskutiert, mit den Taliban zu verhandeln. Für manchen in Deutschland klingt das absurd oder wie ein Einknicken. Ist es in Ihren Augen sinnvoll?

Dr. Erös: Ja, man muss mit den Taliban sprechen. Durch ihre Größer, Bedeutung und Durchhaltefähigkeit kann man sie nicht einfach übergehen. Doch die Politik hat sieben Jahre lang so getan, als wäre das möglich. Und jetzt, wo die Taliban immer stärker werden, erkennt man, dass man doch mit dem Feind sprechen muss. Aber nun ist das Problem anders gelagert: Die Taliban sehen sich auf der Siegerstraße und haben gar keinen Grund mehr, mit dem Westen zu verhandeln. Hier hat die westliche Politik, wie in so vielen Bereichen in Afghanistan, auf folgenschwere Weise versagt.

Standard: Wäre Afghanistan ohne die internationalen Truppen heute besser dran?

Dr. Erös: Viel besser. Die Voraussetzung, dass es in Afghanistan vorwärts geht, ist der Abzug der Nato und zwar so schnell wie möglich. Die westlichen Soldaten in Afghanistan sind Teil des Problems und vielleicht sogar der größte Teil.

Standard: Was wünschen Sie sich für Afghanistan, was sollte ein Ziel auch für uns in Deutschland sein?

Dr. Erös: Die Afghanen endlich nicht mehr wie Kinder zu behandeln, sondern ihnen zu vertrauen und es ihnen zu überlassen, wie sie ihre Zukunft gestalten. Außerdem dürfen wir nicht mehr auf die arroganten und korrupten Spitzenpolitiker und Wirtschaftsleute in Kabul setzen, die das Geld dann nach Abu Dhabi oder Dubai schaffen. Wir müssen endlich das Militär herunterfahren und uns um die afghanische Jugend kümmern. In dem Land sind 60 Prozent aller Menschen unter 15 Jahren. Diese Generation wird in 10 Jahren die Geschicke des Landes bestimmen. Auf ihre Bildung, Ausbildung und langfristig sichere Jobs mit menschenwürdiger Bezahlung müssen wir unseren Schwerpunkt beim Wiederaufbau legen.