Bobrowski war Soldat an der „Ostfront“.
Er ist als Veränderter zurück gekehrt.
Sein Leben lang hat er versucht, mit seiner Dichtung „die Schuld der Deutschen“ wieder abzutragen.
Diese „Schuld der Deutschen“ – das wurde sein Lebensthema.
Seine überaus schönen Gedichte und Erzählungen „stellen die Dörfer wieder hin, die von den Deutschen zerstört worden sind“ schreibt Christoph Meckel über ihn.
Der wundervolle Roman „Levins Mühle“ wurde bezaubernd von der DEFA verfilmt. Großartig sein Text „Der Mahner“, „Mäusefest“ und anderes.
Den Literaturvorlesungen von Prof. Klaus-Peter Hertzsch (in den Wendejahren entstand von ihm das Lied „Vertraut den neuen Wegen“, es wurde sogar ins Gesangbuch aufgenommen, was die überaus schwere Prüfung hochgelahrter Kommissionen bedeutete) ist es zu verdanken, daß mir in meinem Leben Johannes Bobrowski in seinen Texten begegnete.
Seither sind wir Weggefährten.
„Diese Schuld der Deutschen“ – die marschierten, wenn sie sollten; die Bauerndörfer zerschossen, wenn sie den Befehl dazu hatten.
Die den Oberen blind glaubten, wenn die behaupteten, der Krieg sei „notwendig“ um das „Vaterland zu verteidigen“.
Wie war diese Schuld jemals wieder abzutragen?
„….einer beginnt den Gesang“: Johannes Bobrowski.
„…einer beginnt den Gesang“, leise, als Zeuge, in Trauer und unstillbarer Sehnsucht nach Leben, Ausgleich und Versöhnung, der Erhaltung seiner Erde – sein Mond, seine Sonne, seine Inseln und Küsten der aufgerichteten Kreuze und die unsagbare Tiefe skythischer Steppen – Tänzer auf rissiger Tenne, Bettler und Armenhäusler, Sänger, veranlagt zur Schwermut, Narren und Listige –
einer beginnt den Gesang, in Trauer um die wütende Vernichtung von Städten und Dörfern, von Scheunen und Kirchen, um die große Verdunkelung aller Himmel des Geistes und des Fleisches, der Lust auf dem weichen Laken Mondschatten, dem Licht von Glasfenstern und Augen, durstig nach Liebe und allem Glanz, nach dem Schutz modriger Keller, nach dem Wort Bruder für die Stunde Einsamkeit – begann seinen Gesang in den Laufgräben einer zerbrechenden Front, auf einer von Granaten gemarterten Erde, unter dem Helm aus Stahl, dieser trügerischen Wehr gegen den Tod“ – so schreibt Wieland Förster in seinem Beitrag „Ein Porträt – Johannes Bobrowski“ 1975.
Dieser fröhliche Trinker und Christenmensch Bobrowski rührt mich immer tief an, wenn ich seine zarten Texte lese.
Sieht man ein Foto von diesem Dichter in seiner großen und kräftigen Statur, traut man ihm die Zartheit gar nicht zu.
Hört man aber seine Stimme – es gibt Plattenaufnahmen mit von ihm selbst gelesenen Texten – dann stellt sich das Verständnis rasch ein.
Unser hochverehrter Professor Klaus-Peter Hertzsch, ein immer etwas kränklich wirkender, stark sehbehinderter Mann, der aus seiner Sehbehinderung aber schon früh eine hohe Tugend gemacht und unendlich viele Texte auswendig gelernt hatte, um „Wegzehrung“ zu haben, falls die Augen eines Tages ganz ihren Dienst aufgeben würden, er nahm uns in seinen Literaturvorlesungen gleichsam an die Hand – und führte uns in das Zimmer und zum Schreibtisch von Johannes Bobrowski. Die beiden kannten sich persönlich; Hertzsch hatte ihn, den Seelenverwandten, oft zu Lesungen eingeladen.
Und wir Studenten hockten auf den Fensterbänken des überfüllten Hörsaals, saßen auf dem Fußboden so gut es ging, denn aus der ganzen Stadt waren sie hinauf gepilgert in die kleine Sektion für Evangelische Theologie, um zu lauschen, was ihnen der Professor über die große Welt der Literatur zu künden wußte. Max Frisch hat er uns vorgestellt und Christa Wolf, Hermann Hesse und Johannes Bobrowski.
Es gehört zu den prägendsten Erfahrungen meines Lebens, auf welche Weise dieser kluge, belesene Mann mit seiner wundervoll bildhaften und daher präzisen Sprache uns in die Welt der Sprache einführte: seine Vorlesungen über Literatur waren selbst Literatur.
Nie werde ich vergessen, wie ich im Spätsommer 1989 mit einem Freund, der damals an seiner Promotion saß, oben im Arbeitszimmer in der Universität den „Aufruf zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei in Ostdeutschland“ auf Wachsmatrizen tippte, um sie unter die Leute zu bringen.
Professor Hertzsch betrat das Dachzimmer, sah, was wir da Verbotenes machten und meinte mit einem verschmitzten Lächeln unter Bezug auf Marx, Engels und Lenin:
„Na, meine Herren, da haben wir wohl eine vorrevolutionäre Situation?“
Im Oktober gründete sich die Sozialdemokratie neu.
Das alte System brach wenige Tage später in sich zusammen.
Neue Parteien wurden gegründet.
An der Spitze aller Reformgruppen – so stellte es sich etliche Monate später heraus – hatte die Stasi „Offiziere im besonderen Einsatz“ platziert, bewährte Spitzel: Ibrahim Böhme, Wolfgang Schnur…die Reihe ist lang.
„Diese Schuld der Deutschen“ – sie geht mir nach mein Leben lang. Schon als ich über den „Arierparagraphen“ an der Hochschule meine Examensarbeit anfertigte und zu verteidigen hatte, jenen Paragraphen der den Ausschluss aller jüdischen Beamten aus dem öffentlichen Dienst in Deutschland bedeutete; als wir im Lande unterwegs waren, um für unsere Arbeit Zeitzeugeninterviews durchzuführen mit Männern der Bekennenden Kirche, die die „Hitlerei“ noch aus eigenem Erleben kannten; später dann, als die „Schuld der Deutschen“ mir neu begegnete in der Geschichte der eigenen Familie; als neue Schuld sichtbar wurde, die die neue Diktatur am eigenen Volk auf sich geladen hat.
Immer hat mich dieses Thema begleitet und Johannes war mir ein stiller, tröstender Weggefährte, der aber ebenso wundervoll witzig und humorig zu erzählen wußte, daß einem vom Lachen die Tränen in den Augen standen.
Ich erinnere mich an ihn im Kriegsjahr 2010.
Denn mich treibt die Sorge um, daß die Deutschen nun erneut schuldig werden könnten, da am Hindukusch in diesem fernen Land, wenn sie einfache Menschen töten, Analphabeten oft, Bauern und ihre Kinder, beim nächtlichen Versuch, ein wenig Treibstoff aus dem LKW zu stehlen, der sich da festgefahren hat auf der Sandbank mitten im Fluss.
Auf Befehl eines Oberst, der um die Sicherheit seiner Soldaten fürchtet.
Diese Schuld der Deutschen….
http://www.literatur-im-foyer.de/Sites/Schriftsteller/bobrowski.htm