Wolfgang Borchert wurde nur 26 Jahre alt.
Er hat um sein Leben geschrieben und um das vieler junger Männer, die nach ihm in den Krieg zogen.
Wie kaum ein anderer hat er mit seinen wenigen Texten die Diskussion um Frieden und Krieg geprägt.
Wer sich in einer Diktatur gegen die Obrigkeit stellt in Friedensfragen, die ja immer Machtfragen sind, der muss genau überlegen, was er tut und wie er es tut.
Wer einen offenen Disput riskiert, riskiert Gefängnis oder aus „Ausreise“, Zwischenstation: Stasiknast Hohenschönhausen.
Wer jedoch im Lande bleiben und die notwendigen Veränderungen von innen her bewirken will, tut gut daran, behutsamer zu handeln.
Wir hatten uns als Studenten entschieden, den zweiten Weg zu gehen, denn wir wollten im Lande bleiben.
Deshalb spielten wir Borcherts „Draußen vor der Tür“. Inszenierten selbst, machten die Musik dazu, probten bis spät in die Nacht und zogen dann von Kirchgemeinde zu Kirchgemeinde um die Botschaft dieses starken Textes unter die Leute zu bringen.
Diese Dinge sind in gewissen Akten säuberlich vermerkt.
Der Literatur- und Friedenskreis um die Arztfamilie Hartmann in Greiz wurde eine wichtige Stütze für unsere Arbeit.
Mutige, klare Leute waren das, die sich nicht beirren ließen.
Der Höhepunkt des Abends mit dem Stück „Draußen vor der Tür“ war jedesmal die Rezitation von Borcherts Testament, entstanden im September oder Oktober 1947:
„Sag NEIN!“
Er hat es im Angesicht des eigenen Todes geschrieben, es ist sein Vermächtnis.
Die politische „Folie“ für unsere Theaterarbeit als Studenten war die Aufrüstungsdebatte in Deutschland: Pershings auf der einen, SS 20 auf der anderen Seite.
Wir standen auf der Seite derer im Osten, die ein kompromissloses „Nein!“ verlangten so, wie später Hunderttausende im Westen im Bonner Hofgarten standen und „Nein!“ verlangten;
und wir zogen von Ort zu Ort, abends, nach getaner Arbeit, um in Veranstaltungen unsere Überzeugung mit Hilfe der Worte von Wolfgang Borchert unter die Leute zu tragen, die, oft verängstigt und eingeschüchtert durch das, was sie für die Gefahren der Diktatur hielten, sich nicht mehr trauten, ihre Kritik offen anzubringen.
Mit Hilfe der Texte von Borchert aber entstanden Räume, in denen gesagt werden konnte, was viele dachten.
Die Friedensbewegung wurde zum Sammelbecken für die Opposition, was schließlich ein wirksamer Beitrag zum Fall der Mauer wurde.
Wer heute im Jahr 2010 die Gazetten liest und verfolgt, wie die Wortdrechselei im Parlament ihren Fortgang nimmt;
wer die Berichte über traumatisierte Kriegsheimkehrer in Medien wie ZEIT online liest, dem fällt jener „Kriegsheimkehrer“ ein, der in so großartiger Weise von Wolfgang Borchert in das Stück „Draußen vor der Tür“ gezeichnet worden ist.
Da sind sie wieder, die langen Schatten.
Was soll man jungen Männern sagen, die unsicher sind?
Immerhin ist ja eine Teilnahme an einem Einsatz in Afghanistan freiwillig.
Man soll ihnen sagen: „Sag NEIN!“.
Diese Kompromisslosigkeit hat ihren tiefen Grund darin, daß man „Blut nicht mit Blut abwaschen“ kann, wie Bertha von Suttner es formuliert hat.
Militärische Gewalt zieht immer mehr Gewalt nach sich.
Was der Mensch sät, das wird er ernten.
Wer also einen Beitrag zum Frieden am Hindukusch leisten will, der wird das nicht mit Hilfe des Militärs tun können.
Wer glaubt, mit militärischen Mitteln zum Frieden beizutragen, irrt. Noch dazu, wenn er stattdessen nach „mehr Waffen“ verlangt, wie es jüngst immer wieder geschieht. Man kann nun aus den Reihen des Militärs auch hören, man solle das Militär „in Ruhe seine Sache machen lassen“, wenn man nicht bereit sei, die Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. (ZEIT online von heute).
Das haben Militärs schon immer gewollt. Dass man sie in Ruhe „ihre Sache machen lassen“ soll.
Die Zahlen steigen: tote und verletzte Zivilisten und Soldaten. Von Tag zu Tag steigt die Zahl der Opfer weiter nach oben.
Eine militärische Strategie des Westens in Afghanistan ist zum Scheitern verurteilt, weil man mit Soldatenstiefeln die Herzen der Menschen nicht gewinnen kann.
Deutschland befindet sich erneut im Krieg.
Und nicht, „in einem Konflikt, der Züge eines Krieges trägt“ oder wie auch immer wieder anders vernebelnd gesprochen wird.
Wir schreiben das Jahr 2010.
Das Wetter ist schön, die Menschen sprechen vom Frühling und diversen Schwierigkeiten in ihrem Alltag, der Krieg ist weit weg, auch wenn die Zeitungen davon berichten.
Auch daran gewöhnt man sich.
Dieser „ferne Krieg“ macht es denjenigen leicht, die nach mehr Waffen rufen, wie es jüngst wieder geschehen ist, als 7 deutsche Soldaten starben.
Und es macht es denjenigen schwer, die verlangen: „Die Waffen nieder!“
Der Krieg ist weit weg.
Irgendwo am Hindukusch, wo auch immer das sein mag, dieses seltsame Afghanistan.
Deshalb gehen die Menschen in Deutschland dennoch am Morgen zur Arbeit oder zur Schule, fahren in die Universität und in den Urlaub.
Nur die Bilder von den Särgen, die in letzter Zeit häufiger im Fernsehen und in der Zeitung zu sehen sind, stören diesen Alltag ein wenig.
Aber nicht lange.
Man geht bald wieder über zur Tagesordnung einer Demokratie, die sich im Frieden wähnt.
Die politische Kaste vermeidet es möglichst, vom „Krieg“ zu sprechen, man dreht und wendet sich, spricht immer neue Worthülsen aus, redet von einem „bewaffneten Konflikt, der in Teilen den Charakter eines Krieges trägt“ und trägt auf diese Weise das ihre dazu bei, daß der Krieg weitergeht durchs Land.
Die Gründe für solches windende Sprechen sind vielfältig: es sind vor allem Bündnisfragen; man will sich nicht isolieren; man will seinen „Einfluss im Bündnis behalten“. Es sind innenpolitische Gründe auch, in Wahlkampfzeiten zumal.
Deshalb „stören“ die, die immer lauter vom „Krieg“ und seinem notwendigen Ende sprechen.
Deshalb werden Interviews nötig, den großen Medien „gegeben“, um wieder für „Ruhe“ zu sorgen. Diese Debatte stört.
Sie stört die „Strategie“, die sich die Oberen ausgedacht haben und für die sie ihre Gründe anführen.
Doch diese wankelmütige Taktiererei hat in den zurückliegenden Jahren eben nicht zu mehr Befriedung geführt, sondern dazu, daß „die militärische Komponente“ immer stärker ausgebaut wurde.
Deutschland rutschte immer tiefer in diesen Krieg des Westens hinein. Und sieht nun kaum noch eine Chance, da irgendwie wieder herauszukommen.
Es sei denn: man sagt ein klares „Nein!“ wie zum Beispiel die niederländischen Sozialdemokraten, die wegen dieser Frage die Regierung verließen und Neuwahlen erzwangen, von denen sie wußten, daß sie sie verlieren würden.
Oder wie die Kanadier, die auch im Bündnis stehen.
Das langsame, heimliche Hineingleiten Deutschlands in diesen Krieg wird nicht gestoppt oder gar gewendet, wenn die unklaren Worte in Parlament und Gazetten weiterhin die Debatte bestimmen.
Die Bevölkerung hat mittlerweile ein sehr feines Gespür dafür, „daß da schon lange etwas nicht mehr stimmt“. Dass es politische Gruppen gibt, die dieses Thema für sich „nutzen“ wollen, ist ein anderes Thema, das ich hier nicht behandeln will.
Ich werbe für Klarheit.
Zunächst für die Klarheit der Sprache.
Denn aus der Klarheit der Sprache erwächst klares Handeln.
Wir müssen die Dinge bei dem Namen nennen, auf den sie hören.
Wenn tote Soldaten in Blechsärgen aus dem „Einsatzgebiet“ zurückkehren; wenn traumatisierte Soldaten keine Unterstützung finden, wie es der Wehrbeauftragte selbst öffentlich beklagt, dann ist es höchste Zeit.
Da helfen auch „Machtworte“ nichts, die in Fraktionen und Abgeordnetengruppen gesprochen werden.
Solche „Machtworte“ sind allenfalls ein Zeichen dafür, wie schwierig die Situation empfunden wird und wie unsicher die Sprechenden selber sind in diesen Dingen.
Ich erinnere mich heute an Wolfgang Borchert und an unsere Abende, als wir als Studenten von Ort zu Ort zogen in der Zeit der Diktatur, im vorigen Jahrhundert,
um die Menschen „aufzurütteln“, wie wir das damals sagten.
Wir haben es versucht mit seinem Testament, geschrieben wenige Tage vor seinem Tod. 26 Jahre alt ist er geworden, der Große Mahner Wolfgang Borchert:
Dann gibt es nur eins: sag NEIN!