Manchmal schreiben sie. Oder sie telefonieren vielleicht. Ein Vier-Augen-Gespräch bringt dauerhafte Wirkung. Sie arbeiten still und konsequent an ihren Projekten. Folgen nicht jedem Tagesgeschwätz.
Was ist mit den Stillen im Lande in einer Mediendemokratie, deren knappstes Gut die Aufmerksamkeit der Menschen ist?
Es gibt sie auf beiden Seiten der sich immer weiter spaltenden Gesellschaft:
es gibt die stillen Macher, die sich in persönlichen Netzwerken mit anderen verbünden, um ihre Ziele auf effektive Weise durchzusetzen. Banker gehören dazu und Unternehmer, Staatssekretäre auch und diverse Emissäre. Sie agieren im Stillen.
Erst, wenn ein Ergebnis erzielt wurde, informieren sie – manchmal – die Öffentlichkeit.
Stille und Zurückgezogenheit sind allemal „gut fürs Geschäft“.
Und es gibt die Vergessenen.
Die einsamen Menschen.
Die kontaktarmen Menschen.
Die enttäuschten und enttäuschenden Menschen.
Die Menschen, die „keine Stimme“ haben in der Öffentlichkeit.
Sie haben keinen Zugang zu den Medien, wissen nicht umzugehen mit Presse, Funk, Fernsehen und Internet. Sie treffen sich – vielleicht – mit immer den selben Menschen. Im Altersheim beim Essen; oder in der Eckkneipe; am Zeitungskiosk oder anderen Plätzen. Tag für Tag. Oft immer um die selbe Zeit.
Man hat so seine Rituale.
Die Schreihälse sind anderswo.
Sie sitzen in den Talkshows. Immer die selben Gäste touren von Talkshow zu Talkshow und bekommen immer die selben Fragen vorgelegt, auf die sie mit immer den selben Antworten antworten.
Sie sitzen in den Partei- und Wahlkampfzentralen.
Sie sitzen in mancher Redaktionsstube einer der vielen tausend Gazetten, die täglich die Menschen mit unwichtigen Dingen überfluten.
Lärm allenthalben.
Nachrichten hetzen einander.
Die Sucht nach „Neuigkeiten“ greift nach dem Land.
Allein, daß etwas „neu“ sei, geriert sich als Merkmal für verdiente Aufmerksamkeit.
Mich interessieren die Stillen im Lande.
Die Menschen, die ohne viel Aufhebens ihrer täglichen Arbeit nachgehen, so sie eine haben.
Die an ihren Laptops oder PCs ihren Projekten nachgehen.
Schreiben vielleicht.
Die sich in kleinen Schritten der Durchsetzung eines Projektes widmen, das für sie Lebensinhalt ist.
Ehrenamtliche zum Beispiel.
Die sich für’s Gemeinwohl engagieren, ohne viele Worte darüber zu verlieren.
Die zur Stelle sind, wo andere Menschen Hilfe brauchen.
Diese Stillen im Lande halten das Land beisammen.
Die Schreihälse sind es nicht.
Die einfachen Menschen, denen das Schicksal ihrer Nachbarn nicht gleichgültig ist, die sind in meinen Augen die eigentliche Elite des Landes.
Menschen, die nicht nur an ihr eigenes Fortkommen denken, sondern die sich gerufen fühlen, etwas zu tun für die Menschen in ihrer Umgebung, die sich nicht recht selbst helfen können.
Bescheidenheit ist in der Welt des Lärms zu einer wichtigen Tugend geworden.
Vielleicht mehr noch, als in früheren Zeiten.
In der Welt des Lärms um uns herum gibt es eine „Aufmerksamkeit um ihrer selbst willen“.
Ein Gezwitscher und Gegacker, ein Netzrauschen und Raunen – das sich doch, bei genauem Hören, oft als sinnleer und hohl erweist.
Es hat keine Substanz.
Es hilft nicht zum Leben.
Da sind die „Twittercoaches“ unterwegs und die Berater; Unternehmer natürlich, die den den Umsatz für ihr Unternehmen steigern wollen.
Sie gieren nach Aufmerksamkeit für sich und ihr „Produkt“.
Politiker gehören auf gewisse Weise auch zu dieser Kategorie: „schaut her, wie tüchtig ich bin! Schaut her, wie erfolgreich ich bin! Schaut (doch endlich einmal) her….“ rufen sie in die Mikrofone und Schreibstuben der Gazetten.
Das Rennen um die Aufmerksamkeit der Menschen wird immer schneller, wird schriller, wird lauter.
„Neu“ müssen die Dinge sein; „noch nie dagewesen“.
„Geil“ müssen sie sein oder „wichtig“, am besten „überaus wichtig“.
Was ist mit den Stillen im Lande?
Ich glaube, sie tragen das Land.
Sie sind die eigentlichen „Leistungsträger“.
In Afghanistan in der uralten Region Balkh (in der Nähe von Kunduz) habe ich vor einigen Jahren eine Moschee besucht.
Der berühmte muslimische Dichter Dshellaludin Rumi soll in Balkh zur Schule gegangen sein.
Deshalb wollte ich diesen Ort sehen.
Dort saß ein alter Mann auf der Schwelle der Moschee und tat seine Arbeit als Türwächter.
Er kann nicht schreiben und er kann nicht lesen.
Er weiß nicht, wann er geboren wurde.
Er weiß nur, daß er „ungefähr seit vierzig Jahren“ jeden Tag an diese Türschwelle der Moschee geht, um sich dort hin zu setzen und den Eingang zu bewachen.
Bis zum Abend, wenn die Sonne wieder sinkt.
Dieser Mann hat mir erzählt: „die Afghanen glauben, daß hier bei uns in Balkh die Säulen stehen, auf denen die Welt ruht.“
Lange habe ich nicht verstanden, wovon er sprach.
Wer jedoch einmal einen Urlaub oder eine Aus-Zeit in einem Kloster verbracht hat, der hat vielleicht eine Ahnung von der Dimension dieses Satzes.
Wer der Stille wirklich begegnet – und das dauert lange und bedarf einer gewissen Disziplin – wer das Zwitschern und Gackern, das Hetzen nach „news“ und „Eilmeldungen“ einmal abstellt und lange ausatmet – der kann vielleicht fühlen, was dieser kluge Analphabet da auf der Schwelle der Moschee in Balkh (es ist die alte römische Provinz Baktrien) eigentlich meint:
Das Wesentliche kommt aus dem Hören.
Aufmerksames Hören kommt aus der Stille.
In einer immer komplexer werdenden Welt, die in wachsendem Tempo um sich selber kreist und die Probleme nur noch vergößert, von denen sie behauptet, sie verbessern zu wollen;
in einer Welt, in der die schrillen und lauten Stimmen immer mehr Lärm produzieren in ihrem Tanz ums Nichts,
werden die Stillen im Lande an Bedeutung gewinnen.
Kluge und erfahrene Menschen wie Dag Hammarskjöld, der erste UN-Generalsekretär, haben das gewußt.
Vor wichtigen Entscheidungen zog er sich regelmäßig in die Berge Lapplands in die Stille zurück.
Um wieder klar zu werden.
Und diese Klarheit, die aus großer Stille kommt, eröffnet klares Handeln.
Dag Hammarskjöld hat die UN-Blauhelme als erster eingesetzt.
Gegen den wütenden Widerstand sehr vieler einflussreicher Menschen.
Er hat mit dem Leben dafür bezahlt.
Man hat ihn abgeschossen mit seinem Flugzeug.
Je mehr ich mich mit der Mediendemokratie beschäftige, je mehr ich die Gesetze und Regeln des Internets kennen lerne, je mehr ich wahrnehme, was da gezwitschert und gegackert wird – oft unter dem Vorwand, „Neues“ zu bringen – um so mehr bin ich von der Richtigkeit dessen überzeugt, was dieser Große UN-Generalsekretär wußte:
Stille tut not.
danke