Beiträge zur inneren Sicherheit – Leben mit und ohne Gott. Eine Rezension


Karsten Krampitz und Uwe von Seltmann haben bei HERBIG diesen Sammelband vorgelegt, der „ein Forum von Gläubigen, Zweiflern und Ungläubigen“ sein will.

Ich bin neugierig und fange an zu lesen.

Ist es ein interessantes Buch? Es ist ein lesenswertes Buch. Auch ein nachdenkens-wertes.
Viele verschiedene Stimmen kommen zum Wort. Benützen Worte wie Boote, die etwas Unfassliches transportieren sollen.
Eine Annäherung also.
Zugänge werden versucht zu einem Phänomen, zu einer Erfahrung, zu einem “Wissen” oder einem “Thema”, das wir uns angewöhnt haben, mit “Gott” zu bezeichnen.
Atheisten kommen zu Wort und Theologen;
Apologeten und Künstler;
Fragende und Zweifler.
Abstrakt rational argumentierende Texte sind dabei und warmherzige, persönliche Worte.

Für mich ist das Buch ein Gewinn.
Ich werde reicher durch das, was ich da lesen kann.
Ich kann die Vielfalt besser sehen, in der menschliches Leben und Glauben möglich ist. Es weitet meinen eigenen Horizont.
Das Buch erlaubt es mir, meine Sicht der Dinge hinzuzufügen wie ein weiteres Teil in einem farbigen Mosaik.
Es lehrt mich Bescheidenheit.
Denn meine Möglichkeit, zu glauben und zu zweifeln, zu wissen und zu fragen, ist nur eine unter sehr vielen verschiedenen Möglichkeiten.

Das Buch lädt ein zum Gespräch; lädt ein, eine Antwort zu finden auf eine einfachen Frage: “Und – wie ist es bei dir mit dem Glauben?”

Deshalb ist das Buch „Leben mit und ohne Gott?“ sehr empfehlenswert.

Die erzählenden Texte gefallen mir besser als die analytischen. Die rationalisierenden, eher theoretisch/theologisch/philospphischen Texte eröffnen mir nicht so den Zugang zum Thema wie die dichterisch-erzählenden Texte von  Donata Rigg oder Sibylle Sterzik,Christine Preißmann und anderen .

Gut finde ich, dass auch andere Religionen zur Sprache kommen: Islam und Judentum.

Nicht sofort einleuchtend ist der Umstand, daß es sich in diesem Sammelband nicht nur um  Texte zum Phänomen des Religiösen, sondern auch umTexte handelt, die sich mit dem “Bodenpersonal” der Religionen beschäftigen (z.B. Kritik am Islam bei Arzu Toker; oder bei Henryk Broder).
Vielleicht wäre eine Konzentration auf das Phänomen des Religiösen noch sinnvoller gewesen, als diese “Vermischung” beider Bereiche.

Hilfreich finde ich, dass im Anhang Kurzbiografien der Autoren angefügt sind, die es noch ein wenig besser ermöglichen, die Texte auf dem biografischen Hintergrund ihrer Autoren zu verstehen

Was  fehlt, ist der Beitrag eines Mystikers; ein glühendes, im Innern funkelndes “Glaubensbekenntnis”, ein “Liebeslied”, wie es z.B. von Rumi sein könnte.

Man könnte kritisch anmerken: für jeden ist et was dabei….. Eine Art Lesebuch, das bestenfalls helfen kann, die jeweils eigenen Überzeugungen durch zusätzliche Argumente zu verstärken.
Es ist kein Buch, das Atheisten oder Glaubende von der jeweils anderen Sicht überzeugen könnte.
Die Beiträge dieses Sammelbandes stehen wie Monologe nebeneinander.
Sie beziehen sich nicht aufeinander.
In diesem Sinne ist das Buch selbst kein “Gespräch”, sondern eben eher ein “Lesebuch”.

Aber: Die Zugänge des jeweiligen Lesers zum Thema sind eben verschieden, denn der Leser geht in Resonanz mit dem, was in ihm selbst schwingt.
Deshalb ist es gut, dass das Buch verschiedene Zugänge zu einem schwierigen “Thema” öffnet.

Lohnende Lektüre!
„Leben mit und ohne Gott“. Herausgegeben von Karsten Krampitz und Uwe von Seltmann.
Herbig-Verlag 2010
ISBN 978-3-7766-2645-
2

Mit Beiträgen von Hanns-Dieter Hüsch, Burkhard Müller, Axel Noack, Heinrich Misalla: Welt ohne Gott? Die Frage nach der Theodizee, gestellt von einem Weltkriegsüberlebenden. “Auch in der Bibel ist der Glaube an Gott nicht selbstverständlich. Sie ist voller Geschrei nach einem Gott, der schweigt und den Menschen alleinlässt.” (37) “Die Botschaft vom Reich Gottes hat nichts mit Wellness zu tun, sie zielt auf eine Verwandlung jetziger Lebensverhältnisse und -Ordnungen.” ( 41). “Angesichts der Begrenztheit unseres Wissens über den, den wir Gott nennen, wie auch der Unzulänglichkeit der insgesamt wenig überzeugenden Glaubenspraxis der “Gläubigen” sind Bescheidenheit und Zurückhaltung in der Formulierung von “Glaubenswahrheiten” angebracht.” (41); Donata Rigg: Die Sprache der Fische. Ein Nachruf. Eine Erzählung über den Tod ihrer Großmutter, die als letztes “Vater!” ruft und der Enkelin ist nicht klar, ob sie Gott oder ihren Mann meint.  “Gläubig ist sie ja gewesen, wenn sie auch nicht in die Kirche gegangen ist.” (45);6. Sibylle Sterzik: Gott, der Supermarktdetektiv. Die persönliche Erzählung einer Frau, deren Ehe in die Brüche geht und ihren Neuanfang im Leben versucht.  Matthias Vernaldi. Spiegeleien.Es stellte sich früh heraus, dass ich nie würde gehen können. … (54). Erlebt eine sozialistische Sonderschule für Behinderte, studiert später Theologie; aber: “den Weg der Gewissheiten habe ich verlassen” (56), lebt als Schwerbehinderter, der 24 h Betreuung braucht. Der Spiegel, durch den wir die Wirklichkeit sehen, “kann beides zeigen: sowohl, dass alles an uns liegt, als auch, dass wir nichts in der Hand haben.” (58) “Ich halte ein Universum der totalen Selbstbestimmung für einen trostlosen Ort. Ohne Gott, den immer Anderen, den Überraschenden, den uns der Kontrolle Beraubenden, wäre es ziemlich kalt und vor allem langweilig.” (58) Andreas Krenzke. Abenteuer im Jenseits. Der Atheist, der nach einem Unfall in den Himmel kommt. Beinahe eine Humoreske. “Der eigene Atheismus, so gut und vernünftig er auch sein mag, ist doch irgendwie problematisch, wenn man Gott gegenübertreten soll.” (61).Henryk M. Broder: Woran ich glaube (Auszug aus einer Rede). “Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern allen möglichen Unsinn.” (68) Arzu Toker. Allah kam nicht mit. Meine Gedanken zum Islam. Schreibt über die Arabisierung und Islamisierung der Türkei (74). Kritischer Beitrag gegenüber Islam und Mohammed (75), über Verschleierung, Sexualität und Rollenverhalten von Frauen und Männern. “Fazit: Die Wut Mohammeds erfand einen Rachegott, der ihm und mit ihm den männlichen Gläubigen erlaubt zu morden, zu rauben und Frauen Gewalt anzutun. …. Ein Muslim jedoch, der in einer Demokratie lebt, ist meiner Meinung nach aufgefordert, ein Bürger zu sein.”(80) Markus Liske. Vor der Himmelstür. Ein Text über Harald Juhnke und Papst Karol Woytila im Himmel. (81 ff.), eine Satire, bei der am Ende Gott, der auch an keinen Sinn glaubt, mit Juhnke einen alten Whisky säuft, während der Papst nicht in den Himmel aufgenommen wird.Karsten Krampitz: Im Nachtasyl (Zu Besuch in der Massennotunterkunft der Berliner Stadtmission – Ein Selbstversuch). Eine Reportage. Christoph Ludszuweit. Zur “Ehe” von Feuerstuhl und Kanzel “Ich glaube, ich glaube nicht an viel, weder an Kirchen noch an Religion, und doch empfinde ich ein Gottvertrauen, Gottesehrfurcht” (93). “Was hat uns denn immer mehr von dir, Gott, entfernt? Es ist das jahrhundertealte Bündnis von Thron und Altar, eine Verbindung, welche die Kirchen in geschichtliche und politische Mitschuld verstrickte” (94). “Lieber Gott, ich kann meine protestantische Herkunft trotz Kirchenaustritt nicht an der Garderobe ablegen wie einen Mantel.” (96).Christine Preißmann: Draußen ohne Gott? Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie, die am Asperger-Syndrom leidet;  “Ohne meinen Glauben hätte ich vermutlich längst resigniert” (98). “Gerade für mich als Mensch mit vielfältigen Einschränkugen ist es unendlich tröstlich zu erfahren, dass er auch meinetwegen Mensch geworden ist und sich von Herzen wünscht, dass auch mein Leben gelingen möge. So habe ich beschlossen, nicht aufzugeben sondern für mich und andere Menschen in ähnlichen Situationen zu kämpfen” (99).Bodo Ramelow. 42 oder wie ich lernte, die Weisheit der Computer zu lieben. Der ethische Zugang. (103). Für Zinsverbot; Paulus als Ratgeber in der Weltfinanzkrise; (103); “Es wäre lohnenswert, aus all diesen Quellen die Kraft zu sammeln um den Weltethos zu erkennen. Es könnten dann die Gläubigen, die Nichtglaubenden und auch die bekennenden Atheisten sein, die sich der gleichen humanitären Idee verschrieben sehen.” (105). Claudia Schattach. Gefallene Engel (Erzählung über ihre spirituelle Entwicklung von der Katholikin zur Feministin, zur Zenistin;  “Woher kommt diese Sehnsucht nach “Gotteserfahrung”? Wie bin ich nur in dieses religiöse Fahrwasser geraten, in diese Sucht nach Erleuchtung, von klein auf schon?” (109). Über die Verbindung von Kunst und Religion. (110). Armin Pfahl-Traughber: Das Scheitern der Gottesbeweise.“es ist von der Unwahrscheinlichkeit Gottes auszugehen” (116). Lea Ackermann: So leben, als gäbe es Gott (autobiografisch; Mitglied bei den “Weißen Schwestern“)). “Um es vorwegzunehmen: Ich glaube an Gott, nach wie vor, im Alter von 72 Jahren.” (118) “Diese Art zu leben bedeutet für mich, dass Glaube und soziales Engagement eine untrennbare Einheit sind.” (118) Michael Schmidt-Salomon: Sind Atheisten die besseren Menschen? Interessant: über die religiöse Seite eines unaufgeklärten Atheismus (131). Interessant auch der Abschnitt über die “politischen Religionen” Nationalsozialismus und Kommunismus (133 f.). Walter Homolka: Durch Wissen zum Glauben. Wir sind Gottes Hoffnung zur Heilung der Welt (ein Beitrag aus dem Judentum). Tilmann Moser. Aus der Arbeit eines Psychoanalytikers. “Wichtig ist, dass Religiosität und Spiritualität nicht von vornherein als “Schiefheilung” des Seelenlebens, als “Opium fürs Volk” oder als zweifelhafte Lösung für kindliches Elend und lebensbedrohliche Angst denunziert werden.” (143). Nun ist es ihm gelungen, in dem relativ kurzen Text gleich mehrfach den Hinweis auf sein Buch “Gottesvergiftung” unterzubringen; dennoch: es hat schon etwas Anrührendes, wenn ein eher kritischer Therapeut zum Gebetshelfer wird, weil es um die Ganzheit seiner Klientin geht. Gita Neumann. Tod und letzte Dinge. (autobiografische Sicht einer humanistischen Sterbebegleiterin). Der Text bemüht sich um eine argumentative Abgrenzung von christlicher Spiritualität und Begründung der eigenen Anschauung. Caritas Führer: Leben ohne Gott? (autobiografisch, eine Krankenhauserfahrung aus der Kindheit) Frieder Otto Wolf: Zwei Überlegungen zur Gottesfrage (aus der Sicht eines Atheisten, der als Philosoph arbeitet). Manfred Lütz: Der Atheismus aus christlicher Sicht. Ein missionarischer Ansatz Richtung Ostdeutschland: nicht nur den kalten Kapitalismus bringen, sondern auch “eine Ahnung von der wärmenden christlichen Seele Europas”. Dabei wird mir etwas schwül, offen gesagt…..Fiona Lorenz: Gott gibt es nicht. Kirchenkritisch vor allem gegen evangelikale und islamistische Fundamentalisten. Sie weist vor allem auf ihr Buch “Wozu brauche ich einen Gott” hin….eine Schwäche, die auch andere Autoren in diesem Sammelband in ihren Beiträgen offenbaren: sie nutzen es zur Selbstwerbung….Gründerin des humanistischen Landesverbandes Rheinland-Pfalz….und ziemlich negativ religiös “gebunden”: sie hat sich die Auseinandersetzung und den Kampf gegen die Religion zum Lebensthema gemacht. Karl Giebeler: Oma Bertha geht heim (Erzählung). Ein Text über die Sehnsucht und vom Nach-Hause-Kommen. Schön erzählt. Stefan Seidel: Zwischen den Welten. Stationen einer persönlichen Gottessuche. (Erzähltext). Interessant: der Weg vom in der Kirche sozialisierten Jungen zu einem, der seinen eigenen Weg findet. “Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Mystiker recht hatten: Je leerer ich bin, desto mehr kann ich erfüllt werden.” (200). Alexander Garth: Kein Gott – eine gute Nachricht?. Atheismus auf Missionstour. Eine Auseinandersetzung mit einem “missionierenden Atheismus”. (Bleibt m.E. leider etwas in behauptendenden Indikativsätzen stehen) Jakob Hein: Wirklichkeitserschließung – Sinnsuche – Gottesfrage. Zum Dialog von Kunst und Theologie. “Kunst und Religion sollten sich selbstbewusst auf das Spirituelle konzentrieren, das ist ihre Stärke und Chance.” ( 219). Uwe von Seltmann: “Ach Gottchen, sprach Lottchen” . gemischt erzählender Text über seinen Deutschlehrer und seinen sich verändernden Glauben. “Kohelets ungeschminkte, illusionslose Beschreibung de Lebens ist – je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir – der Grund, warum ich noch immer an Gott glaube.” (224). “Und so ist der Glaube stets voller Zweifel, denn Glaube und Zweifel sind keine Gegensätze, sondern sie gehören untrennbar zusammen.” (225).Horst Groschopp: Ein ostdeutscher “Volksatheist”. Biografischer Text. “Der Eifer, mit dem heute mitunter meine politischen Freunde Religionen als falsches Denken entlarven, wird mir aufgrund meiner Biografie immer fremd bleiben. (236). Für ihn war Atheismus etwas derart Selbstverständliches, dass ihm die kämpferische Auseinandersetzung mit den Religionen fremd blieb.Harald Krille: Jenseitsvertröstung oder Diesseitströstung? Biografischer Bericht: Mutter Christin, Vater Atheist und SED-Genosse).  Er hat später “eine bewusste Entscheidung für den Glauben an Gott getroffen” (237). “Natürlich lief nicht alles glatt und einfach. Aber in der Gesamtsumme blieben stets das Gefühl und die Überzeugung von Getragensein und Geborgenheit. Mal mehr die Überzeugung, mal mehr das Gefühl ….” (237). Johanna Martin: Hat es je einen Mann ohne Mutter gegeben? Über Madonnen und Jungfrauen. Die Künstlerin. “Die ältesten Kunstwerke sind Kultgegenstände, die zur Ausübung unterschiedlichster Rituale und Kulte dienten. Hier hat das Wort “Kultur” seinen Ursprung.” (242). Ein Text über einen künstlerischen Zugang zu Figuren der Kultur- und Religionsgeschichte. Angelika Obert: Herausgerufen. (autobiografisch). “Ich habe immer mit Gott und ohne innere Sicherheit gelebt. Darüber Rechenschaft zu geben, fällt mir schwer. Es rührt an ein Inneres, das sich dem Zugriff entzieht. So wenig ich direkt in die Sonne gucken kann, so wenig scheint es mir möglich, ins Wort zu bringen, wie Gott mit mir ist. An Erörterungen über das Sein oder Nicht-Sein Gottes oder gar darüber, ob wir ihn brauchen oder nicht brauchen, mag ich mich gar nicht beteiligen. Sie kommen mir ein bisschen wie mentale Turnübungen von Menschen vor, die vor den Türen ihres Herzens wohnen.” (245). “Doch mehr und mehr will mir scheinen, dass der Weg von außen nach innen führt.” (247) Mantja Prakels: Im Trüben. Ein Dialog von zwei Anglern. “Die deutsche Hausfrau trinkt Morgenurin aus Klangschalen…. Und die Fische? Sind auch nur Menschen. Petri Heil!” (253)

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