Jochen Klepper gehört zu den am meisten rezipierten Lieddichtern des 20. Jahrhunderts. Der Journalist, Rundfunkredakteur und freie Schriftsteller war seit 1931 mit der Jüdin Hanni Klepper verheiratet.
Klepper starb im Dezember 1942 durch den Freitod gemeinsam mit seiner Frau in Berlin.
Besonders berührend seine Tagebücher von 1932-1942 „Unter dem Schatten deiner Flügel“; berühmt und oft gelesen der Roman „Der Vater“. Die gesammelten Gedichte erschienen 1962 unter dem Titel „Ziel der Zeit“; der Briefwechsel mit seinem Lehrer Rudolf Hermann unter dem Titel „Der du die Zeit in Händen hast“.
Jochen Klepper dichtet 1938 (seit 1935 war er ohne Anstellung, seiner jüdischen Frau wegen), ein Jahr vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, mitten im braunen Berlin:
Die Nacht ist vorgedrungen
der Tag ist nicht mehr fern.
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.
……
Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.
…..
mitten in der finstern Nazizeit, Hitlers „Erfolge“ häuften sich, die Menschen liefen ihm millionenfach nach und bejubelten ihren „Führer“, der sie demnächst ins Verderben führen würde, schreibt Klepper:
Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt.
Ich kenne dieses Adventslied seit meinen Kindertagen. Und immer „fasst es mich an“. Johannes Petzold hat es 1939 vertont. Heute steht es in der Sammlung der Lieder aus 1900 Jahren Liedtradition, die wohl zum schönsten Kulturgut überhaupt gehört, dem „Gesangbuch“ für die evangelischen Gemeinden. Ein gewaltiger Reichtum ist darin verborgen. Lieddichtung aus beinahe 2000 Jahren, von frühen Mönchsgesängen bis in die Gegenwart (z.B. das schöne Lied meines Lehrers Klaus-Peter Hertzsch „Vertraut den neuen Wegen“ von 1989, kurz vor dem Fall der Mauer).
Wir haben dieses Lied von Jochen Klepper oft gesungen. Jahr für Jahr. In der Adventszeit.
Während der Diktatur.
Als wir die anderen marschieren sahen und nicht mitmarschierten.
Als die Ausreisewellen durchs Land gingen – Wolf Biermann und andere voran. Als die Menschen in zunehmend großer Zahl dieses Land verlassen wollten, das ihnen doch einen „lichte Zukunft“ versprochen hatte.
Als die Zensur wieder mal zugeschlagen und Dichter und Liedersänger mit Auftrittsverboten belegt hatte sangen wir: „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.“
Ich erinnere mich an einen Abend, als wir Adventslieder sangen und russische Soldaten ihre kaltgefrorenen Nasen an die Scheiben des Zimmers pressten, um einen Blick zu erhaschen von der Adventsstimmung da drinnen. Arme Kerle waren das. Man hatte ihnen gesagt, es sei eine „Auszeichnung“ im Osten an der „Systemgrenze“ „dienen“ zu dürfen – aber man hat sie in den Kasernen gleich in der Nachbarschaft gehalten wie Vieh.
Prügelstrafe inklusive.
„Gott will im Dunkeln wohnen…..“
Jochen Klepper galt uns als Zeuge. Denn er hatte in einer wesentlich härteren, bitteren und unmenschlicheren Gesellschaft leben müssen.
Mitten unter Deutschen.
Mitten unter „anständigen“ Nachbarn, die den jüdischen Nachbarn an den Geheimdienst verpfiffen und ihn so millionenfach ins Lager brachten – oft in den sicheren Tod.
„Gott will im Dunkel wohnen“.
Das ist nichts für zartbesaitete Seelen.
Das ist etwas für politisch wache Menschen, die sehr fein und genau wahrnehmen, was um sie herum geschieht.
Jochen Klepper und seine Frau Hanni haben sich 1942 das Leben genommen. In Berlin.
Ähnlich wie Stefan Zweig im fernen Südamerika.
Und doch klingt dieses stille „Gott will im Dunkel wohnen“ bis in unsere Tage.
„Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld….“
Heute früh habe ich ihn wieder gesehen – den Morgenstern.
Ich bin ein wenig gewandert durch den knirschenden Schnee – hier in Berlin, wo Jochen Klepper mit seiner Frau Hanni gelebt, geliebt und gedichtet hat.
Es ist schön, den Morgenstern zu sehen.
Und sich an Jochen Klepper zu erinnern.
Im Advent 2010.