Etwas über die Liebe und die Politik


Kritik anderer Menschen ist beliebt. Ein Blick in die Gazetten oder die Netzwerke bei facebook und twitter genügt. Freude über die Fehler der „anderen“ hat Konjunktur. Besonders beliebt sind Fehler bei Politikern. Über nichts fällt der Michel besonders gern her als über Politiker. Nun denn, das gehört zum Beruf. Ich bin allerdings schon erstaunt, manchmal sogar entsetzt, welche Brutalität und Gehässigkeit da oft sichtbar wird. Offensichtlich trägt die weitgehende Anonymität des Internets auch dazu bei, daß da der eine oder die andere mal so richtig die Sau raus lässt und der Welt mitteilt, wie er eigentlich im Tiefsten denkt und fühlt. Dinge, die man in der direkten, persönlichen Begegnung einem anderen Menschen vielleicht nur im höchsten Zorn an den Kopf hauen würde, wenn das Gefühl den Verstand überschwemmt, finden sich nicht selten in tweets und postings.
Der Zuschauer sitzt auf seinem Sofa – und kritisiert. Am liebsten heftig. Nicht selten maßlos. Nur manchmal ist die eigene Nase im Weg, wenn die Brille ins Rutschen kommt.
Diese beliebte Kritik anderer Menschen hat einen tiefen Grund: das eigene Wohlbefinden. Denn, wenn ich den „anderen“ schlecht mache, ihn verunglimpfe, in lächerlich mache, mich an seiner Niederlage freue, ihn wohlfeil „bekämpfe“, kann ich mich selbst besser fühlen. Das geht nach dem Motto: „ich bin ja nicht wie die“.
Nur, solches Denken ist ein Irrtum. Denn: alles, was ich einem anderen antue, tue ich mir selbst an.
Die schärfste Form der Verunglimpfung des „anderen“, der Konflikt, der Kampf, die Auseinandersetzung, bezogen auf Menschengruppen oder gar ganze Völker – endet nicht selten im Krieg. Eine der Wurzeln des Krieges ist der Glaube, der „andere“ sei im Unrecht, ich selbst sei im Recht.
Nur, solches Denken ist ein Irrtum. Denn in jedem „anderen“, der auf diese Weise getötet oder verletzt wird, töte oder verletze ich mich selbst. Deshalb sind Krieg und gewaltsame Konfliktlösung niemals ein möglicher Weg. Die UN-Charta spricht nicht ohne Grund von der „Geißel“ des Krieges.
Krieg ist die schärfste Waffe, die ich gegen mich selbst richten kann. Menschen, die sich selbst lieben können, führen keine Kriege. Denn sie brauchen die „Abspaltung“ nicht mehr länger.
Lieben heißt: den anderen Menschen deshalb zu lieben, weil er ist, wie er ist.
Wer Erfahrung im Streit hat – nicht viele haben das wirklich -, weiß, daß gerade die Verhaltensweise, die mich am anderem Menschen besonders aufregt und ärgerlich macht, ein Hinweis auf einen eigenen Anteil in mir selbst ist. Der Andere wird mir zum Spiegel. Er zeigt mich mir. Im Anderen sehe ich mich selbst. Wenn er mir ein Verhalten zeigt, daß ich mir selbst nicht gestatte – dann werde ich ärgerlich. Psychologen und Eheberater haben darüber dicke Bücher geschrieben. Der Alltag in vielen Familien und Beziehungen belegt es tausendfach.

Deshalb beginnt die Liebe immer mit der Selbstliebe. Und die ist besonders schwer. Denn sie bedeutet, daß ich auch meine eigenen Schattenseiten umarmen lerne.
Erst, wenn ich sie sehen und wahrnehmen kann, wenn ich den Schmerz aushalte, den das oft bedeutet, wenn ich mich meinen Schattenseiten zuwenden und sie akzeptieren kann, vielleicht sogar lieben kann, erst dann kann ich den anderen so sein lassen wie er ist und ihn um seiner selbst willen lieben.
Der alte Psychologensatz ist eben wahr: „Was Hans über Paul sagt, sagt mehr über Hans als über Paul.“
Wenn Hans über Paul sagt, er sei ein „Weichei“, dann sagt es eben etwas darüber, wie sich Hans oft selber fühlt, aber nicht wahrhaben möchte. Er verleugnet seine eigene Zögerlichkeit, Ängstlichkeit, Beklommenheit, Entscheidungsunfreudigkeit. Könnte er sie sehen und akzeptieren, müsste der Paul nicht mit „Weichei!“ beschimpfen.
Feindbilder funktionieren deshalb, weil Menschen ihren eigenen Schatten nicht sehen wollen.
Wer selbst höchst aggressiv gestimmt ist, sieht die Welt voller Aggressoren. Wer seiner eigenen Religion nicht sicher und deshalb einfachen Überzeugungen zugänglich ist, wirft der anderen Religion „Fundamentalismus“ vor.
Kriege wurden deshalb begonnen. Der „Kampf gegen das Böse“ ward ausgerufen. Es galt, den „Feind“ zu „vernichten“; es galt, den „Gegner“ zu „schlagen“.

Nun gab es gestern Nacht bei facebook einen für mich interessanten Dialog mit jungen Muslimen, der sich an einem Zeitungs-Text entzündete, in dem ein junger Muslim über seine Frömmigkeit sprach. Es ist ein sehr persönlicher und darum guter Text. Er spricht von der Liebe. Unser nächtlicher Dialog führte uns auf eine interessante Spur, die alle großen Religionen miteinander verbindet: die Botschaft von der Liebe, die in der Selbstliebe ihren Anfang nimmt. Mevlana Rumi im Islam, Paulus im Christentum, Lehrer im ZEN, Weise im Judentum: sie alle wissen um dieses geheime Band, das die Religionen eigentlich verbindet. Dieses Band heißt: „liebe den Nächsten wie dich selbst“, denn: du bist geliebt – auch wenn du es oft nicht glauben kannst.

Nun sind ja in der Vergangenheit gerade durch die Religionen mit die fürchterlichsten Kriege ausgerufen worden, die man sich vorstellen kann. Mancher führt diesen Umstand als Argument gegen die Religion überhaupt ins Feld.
Schaut man jedoch tiefer – und der Text des jungen Muslim tut dies – dann sieht man, dass es da noch etwas anderes gibt, das uns in der immer überschaubareren Welt eigentlich verbindet. Was sprituelle Meister wie Mevlana, Johannes vom Kreuz, Teresa von Avila, Paulus und andere wußten, was man auch im ZEN kennt – dieses geheime Band des „liebe den anderen, wie du dich selbst liebst“ – das könnte zum Saatkorn für eine neue Völkerverständigung werden.
Ich habe lange nach einem möglichen Beitrag der Weltreligionen zum Frieden gesucht. Es war schwer, angesichts der zunehmenden Fundamentalismen und religiös begründeten Auseinandersetzungen der Gegenwart diese Spur zu finden. Ich habe vierzig Jahre dazu gebraucht. Aber mir scheint, daß diese besondere Frömmigkeit der Liebe, die man mystische Frömmigkeit nennt (dem Unerfahrenen sei gesagt, daß dieses Wort nichts mit dunklen geheimnisvollen Kellern zu tun hat…), ein zeitgemäßer, moderner und höchst willkommener Beitrag der Weltreligionen zu mehr Frieden in der Welt sein könnte. Allen Erfahrungen zum Trotz.
Interessanter Weise ist die mystische Frömmigkeit, die es sowohl im Abend- wie im Morgenland gibt, von den Amtskirchen und „Orthodoxen“ immer bekämpft worden. Denn ihr unmittelbarer Zugang zum Kern der gesunden Spritualität gefährdete den Machtanspruch der Hierarchie. Dies wissend glaube ich dennoch, daß es nichts politisch Vernünftigeres geben kann als eben jene Botschaft: „liebe den Nächsten wie dich selbst“. Denn eine Welt, die offensichtlich drauf und dran ist, sich selbst völlig zu zerstören, braucht nichts dringender als die Erkenntnis, daß die Dinge zusammengehören, eins sind.
Wenn wir erkennen könnten, daß wir uns selbst töten, wenn wir den anderen töten, dann wäre viel gewonnen.

p.s.: Den im Text verlinkten Text empfehle ich sehr der Lektüre ….

2 Gedanken zu “Etwas über die Liebe und die Politik

  1. Grüß Gott,
    dieses „ich bin besser“ ist die Ursünde – der Shaitan, ein Djinn, hat ja Gott viele, viele tausend Jahre gedient und dann alles verloren, weil er sich weigerte, sich vor den Menschen niederzuwerfen, als Gott es ihm (das ist eine andere Auslegung, als die mit den streikenden Engel, denn Engel können nicht ungehorsam sein). Der Shaitan wurde von Allah verstoßen, aber er bekam Aufschub für seine Strafe und versucht seither so viele wie möglich von uns mitzunehmen.
    Das kann man methaphorisch sehen, wenn man will. Richtig ist sicher daran, dass sich nur die vom Weg abbringen lassen, die ihre Herzen nicht von Dingen wie Haß, Neid und Liebe zum Irdischen verderben lassen. Das ist der „große Dschihad“.
    Darin finden wir die großen Gemeinsamkeiten der Religionen, die Christen haben das den „Nächsten lieben wie sich selbst“, im Jüdischen kenne ich mich nicht aus, aber es gibt auch dort etwas über Nächstenliebe.

    Der islamische Gottesdienst, also beten, Fasten, Spenden, Pilgerfahrt ist dazu da uns auf dem Weg zu halten – wer fünf mal am Tag betet, der erinnert sich eben auch jedes Mal daran, was seine Aufgabe auf Erden ist und sucht Zuflucht bei Gott vor den Versuchungen des Shaitans und übt sich in Demut.

    Der Sufismus ist mir ein bisschen fremd, die Sufis praktizieren so viele Dinge, die aus dem Koran und der Lebensweise des Propheten nicht überliefert sind, jedenfalls soviel ich weiß. Der Versuch, den Koran auf vielen Ebenen zu verstehen ist aber ihnen nicht zu eigen, jedenfalls in der Shia werden wir dorthin geführt.

    Und manche kriegerischen Verse kann man auch allein durch ihren Offenbarungsanlaß als allgemein gültig oder Gelegenheitsabhängig erkennen.

    Aber diejenigen die sich über die Muslime erheben wollen, gucken natürlich absichtlich weg. Und solche gibt es wiederum auch unter Muslimen, die das Christentum abwerten oder die die Juden verachten. Das entspricht auf keinen Fall islamischer Praxis, auch wenn man schon immer mit den anderen Religionen gestritten hat, aber das soll „mit schönen Worten“ geschehen. Davon sind wir weit entfernt.

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