
Vor einiger Zeit hatte ich begonnen, Persönlichkeiten vorzustellen, die mit ihrer Arbeit „Alternativen zum Krieg“ entwickeln. Denn mir scheint eine Bereitschaft übergroß, sehr schnell und unreflektiert in allerlei Konfliktherden der Welt nach der militärischen Option zu rufen. Zuletzt konnte ich diese weit verbreitete Bereitschaft wieder im Zusammenhang mit den Prozessen in Nordafrika beobachten.
Zivile Arbeit, die sich den Ursachen von Konflikten zuwendet – und nicht selten ist der Hunger großer Bevölkerungsgruppen eine Ursache für politische Konflikte – erweist sich als dauerhaft tragfähiger als militärische Optionen. Ich habe mich deshalb per mail an Persönlichkeiten und Hilfsorganisationen gewandt und sie gebeten, mir ein paar kurze Fragen zu beantworten.
Dr. Jamann war so freundlich und hat mir nun seine Antworten geschickt:
Herr Dr. Jamann, seit wann unterstützt die Welthungerhilfe den Wiederaufbau Afghanistans?
Seit 1980 unterstützte die Welthungerhilfe afghanische Flüchtlinge in Pakistan durch Nothilfemaßnahmen (Versorgung von Flüchtlingscamps).
Seit 1993 ist die Welthungerhilfe durchgehend mit eigenen Projektstrukturen in Afghanistan tätig und unterstützt die Zivilbevölkerung, insbesondere
im ländlichen Raum. In den letzten 10 Jahren wurden dabei über 100 Projektvorhaben mit einem Gesamtvolumen von über 80 Mio Euro durchgeführt.
Was sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Die Schwerpunkte der Arbeit sind:
Förderung des landwirtschaftlichen Anbaus und Ernährungssicherung; Rehabilitierung kommunaler und ländlicher Basisinfrastruktur
(Trinkwasserversorgung und sanitäre Anlagen, Bewässerungsanlagen, etc.); Ressourcenschutz (Aufforstung); Stärkung der Zivilgesellschaft auf
kommunaler Ebene (National Solidarity Programme, NSP); Projekte der Not- und Übergangshilfe
Welche Erfahrungen haben Sie in Deutschland gemacht in Bezug auf
Ihre Unterstützerarbeit? Wie ist Ihre Erfahrung in Bezug auf die
Zusammenarbeit mit der afghanischen Bèvölkerung?
Es gibt in Deutschland traditionell großes Interesse an Afghanistan, sowohl wegen der politischen und humanitären Lage aber auch wegen der langjährigen Partnerschaft der beiden Länder. Leider ist es so gut wie unmöglich, für Afghanistan Spenden zu sammeln, obwohl es hervorragende Projekte gibt, die es sich zu unterstützen lohnt. In diesen Projekten (z.b. bei der Produktion von Rosenöl in Jalalabad) werden echte Fortschritte für die Menschen vor Ort erzielt, und die afghanischen Partner über Jahre selbst gefördert und in die Lage versetzt, nachhaltige Entwicklungsschritte zu machen.
Wenn Sie sich das veröffentliche Bild über Afghanistan in deutschen Medien anschauen: was fehlt?
Es fehlt der Blick für die guten Nachrichten. Afghanistan ist ein Land das nach 30 Jahren Bürgerkrieg und Unterdrückung noch einen langen Weg vor sich hat, und auf diesem Weg gibt es wirkliche Fortschritte. Leider ist die Berichterstattung zu oft überlagert von den kriegerischen Auseinandersetzungen, und das deutsche Engagement wird vor allem bei den militärischen Interventionen dargestellt. Dies verstellt den Blick auf die Notwendigkeit und die Chancen, die der zivile Aufbau bietet.
Der Deutsche Bundestag hat am 28. Januar 2011 das ISAF-Mandat
erneut um ein Jahr verlängert.
Wäre eine Mandatierung zugunsten eines zivilen Aufbaus hilfreich
gewesen? Ist eine Kopplung zwischen militärischem Engagement und
ziviler Aufbauarbeit hilfreich?
Die Mandatsverlängerung für die Beteiligung am ISAF Einsatz ist eine politische Entscheidung über eine militärische Frage, die wir als Welthungerhilfe nicht kommentieren wollen und können. Wir sind eine zivile Hilfsorganisation und darauf stützt sich unsere Expertise. Aus unserer Arbeit vor Ort wissen wir aber, dass vor allem zivile Unterstützung durch zivile staatliche und nicht-staatliche Organisationen notwendig und gewünscht ist. Die Welthungerhilfe hat sich mehrfach gegen die Vermischung von militärischem und zivilen Mandat ausgesprochen, nicht zuletzt weil dies unsere Helfer gefährden kann.
Was ist aus Ihrer Sicht in Afghanistan im Moment besonders dringlich?
Die Verbesserung der Lebensgrundlage und die Schaffung alternativer Einkommensmöglichkeiten für die Zivilbevölkerung, insbesondere in ländlichen Gebieten. Dies wird und kann nur erfolgen, wenn sich die Sicherheitslage für die afghanische Zivilbevölkerung, die unter den Folgen der bewaffneten Auseinandersetzungen am meisten leidet, erheblich verbessert. In diesem Kontext wird der „Sicherheitsbegriff“ als erweiterter Begriff im Sinne der „menschlichen Sicherheit“ verstanden. Hierzu zählt neben der Sicherstellung der physischen Unversehrtheit auch das Recht auf Nahrung, der verbesserte Zugang zu medizinischen Einrichtungen und Bildungsmöglichkeiten, verlässliche afghanische Behörden auf Distrikt- und Provinzebene sowie Rechtssicherheit.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen weitere Anstrengungen und die Ausweitung des zivilen Aufbaus unter verstärkter Einbeziehung der afghanischen Zivilbevölkerung erfolgen. An den Bedürfnissen der afghanischen Bevölkerung ausgerichtet müssen internationale Hilfsprogramme noch gezielter auf vorhandene Entwicklungschancen und -potentiale abgestimmt werden (ganz im Sinne der „Hilfe zur Selbsthilfe).
Als politische Forderung kann formuliert werden:
Die Einbeziehung der afghanischen Zivilbevölkerung in den politischen und sozialen Wiederaufbau des Landes sollte gestärkt und gegenüber der afghanischen Regierung die Wahrung der Menschenrechte (gemäß der afghanischen Verfassung) mit Nachdruck eingefordert werden.
Wie kann Ihre Arbeit konkret unterstützt werden?
Indem deutlich auf den großen Bedarf an Unterstützung der afghanischen Zivilbevölkerung, insbesondere in ländlichen Gebieten (wo z.B. weniger als 30% der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser hat, jedes 5. Kind vor Vollendung des 5. Lebensjahres an vermeidbaren Krankheiten stirbt, 60-70% Analphabeten sind, etc.) hingewiesen wird. Sowohl die Grundbedürfnisversorgung als auch die Verbesserung der Lebensperspektiven der afghanischen Bevölkerung muss weiter langfristig unterstützt werden.
Viele humanitäre Hilfsorganisationen und internationale NGOs wie die Welthungerhilfe führen landesweit Projekte und Programme zur Armutsreduzierung und des zivilen Wiederaufbaus durch. Um deren Arbeit auch in Zukunft zu fördern ist eine Konditionierung der öffentlichen Mittelvergabe für die Durchführung von armutsorientierten Entwicklungshilfeprojekten, u.a. aus sicherheitspolitischen Überlegungen heraus, abzulehnen und nicht zielführend.