Tag 23. Berlin – Prag – ….. Aleppo. Wieder zurückkehren auf den Weg.


Es war wie so oft: etwas ist dazwischen gekommen. Das Wochenende nämlich.
Ich war „mit anderem beschäftigt“.
Aber: der Civil March to Aleppo war dennoch weiter gegangen, trotz der längeren Station in Prag.
Und, dank facebook & Co kann ich nachlesen, was da vor sich gegangen ist.
„Volles Programm“ sozusagen. Viele Veranstaltungen. Viele Gespräche. Neue Kontakte sind entstanden.

Ich lese nach, was da war und klinke mich nun nach dem Wochenende sozusagen wieder ein, gehe nun wieder weiter mit.
Von Berlin Richtung Aleppo.
Die Station am 17. Januar führt von Prag nach Ricany.
Hält das Winterwetter weiter so an, wird die Gruppe immer tiefer in die Kälte vordringen.
Ich nehme es als ein Bild für das, was da kommen wird. Denn, je weiter die Gruppe nach Süden zieht, um so näher kommt man den Flüchtlings-Lagern, aus denen uns in den vergangenen Tagen schon die Bilder erreicht haben.

Es war „etwas dazwischen gekommen“. Anderes hatte sich in den Vordergrund gedrängt.
Das bedeutet aber nicht, dass es „die andere Wirklichkeit“, die mit den Lagern nämlich, nicht mehr gäbe…..

Tag 20. Erfolge und Stationen


Zwei Tage haben wir gebraucht, um via Internet und social media einen Brief an den Präsidenten der EU-Kommission mit den gewünschten 100% zu unterzeichnen. Die Initiative dazu war von Amnesty International Österreich ausgegangen und Deutschland hat seinen Beitrag geleistet. Ein schönes Beispiel internationaler Kooperation über Grenzen hinweg.
Gleichzeitig aber erreichten uns immer weitere Bilder von den katastrophalen Zuständen in den winterlichen Flüchtlings-Camps in Italien, in Griechenland und in Serbien.
Es geht jetzt darum, die EU-Kommission und die nationalen Regierungen zu einem sofortigen Handeln zu bewegen. Es geht um Nothilfe.
Niemand hat das Recht, Menschen an den Grenzen Europas einfach erfrieren zu lassen.
Noch gibt es keinerlei öffentliche Hinweise darauf, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs auf eine solche Soforthilfe verständigen wollen.
Aber der Winter wartet nicht. Bei zweistelligen Minusgraden und katastrophalen humanitären Bedingungen zählt jede Stunde.
Die Gruppe, die nach Aleppo geht, ist heute kurz vor Prag eingetroffen.
Der Wegabschnitt lag zwischen Veltrusy und Roztoky u Prahy.
Morgen wird man Prag erreichen. Man wird dort erwartet. Es wird Gespräche geben, Begegnungen, Diskussionen. Das Programm des Tages ist vielfältig.
Der Vernetzungsprozess wird weiter voran gehen. Die Sache wird immer mehr bekannt.
Morgen dann beginnt die neue Woche. Es ist Sonntag.

Tag 19. Fortschritte und Rückschritte. Der Weg nach Aleppo


Der Tag war ermüdend. Nicht nur für diejenigen, die da von Berlin nach Aleppo gehen und kurz vor Prag angekommen sind.
Aber es geht voran.
Der Brief an den Präsidenten der EU-Kommission, der gestern via Amnesty Österreich die deutschen Rechner erreichte und den ich mit sehr guter Resonanz – mehr als 340 mal geteilt! verschickt hatte, hat mittlerweile 87% der angestrebten Unterschriftenzahl erreicht. Vermutlich kann das Projekt heute Nacht noch abgeschlossen werden. Das ist die gute Nachricht.
Eine weitere gute Nachricht: die Gruppe der Marschierenden wir immer internationaler. Man nutzt live-streaming, heute sogar mit einem arabisch-sprachigen Beitrag; man nutzt die Netzwerke, macht sehr gute Öffentlichkeitsarbeit, was der weiteren Vernetzung sehr dienlich ist. All das ist sicher nicht einfach zu bewerkstelligen, wenn man müde und „abgelaufen“ ist.
In Deutschland wird die Lage am Beginn des Wahljahres immer komplizierter. Heute entbrannte innerhalb der Partei der Grünen ein Streit zwischen Bundestagsfraktion und der Mehrheit der Landesverbände um die Frage der Abschiebung nach Afghanistan. Derzeit sieht es so aus, als würde sich auch die Mehrheit der grünen Landesverbände für eine solche Abschiebung aussprechen, zwar unter vom Bund leicht zu erfüllenden Bedingungen, aber eben doch.
Das ist insofern bedrückend, weil nun in allen Parteien ein Rechtsruck wahrnehmbar ist, der sich an der „Flüchtlingsfrage“ entzündet. Dieser in allen Parteien – bei den Linken ist es die Auseinandersetzung vor allem mit Sarah Wagenknecht – zu beobachtende Rechtsruck insbesondere in der „Flüchtlingsfrage“ führt bei nicht wenigen dazu, dass sie ratlos werden.
Ist denn unter diesen Umständen überhaupt noch eine Partei wählbar?
Diese Frage wird nun in den kommenden Monaten immer drängender werden.
Aber: der Weg geht weiter. Der Marsch nach Aleppo ebenso, wie der Weg, den wir hier in Deutschland zu gehen haben. Und zu den Erfahrungen auf diesen Wegen gehört eben auch: es gibt Tage, da gibt es nicht nur Fortschritte, selbst, wenn man weitergeht.
Übermorgen wird die Gruppe in Prag ankommen. Und man kann auf der Projektseite sehen, dass man dort von einer recht großen Zahl von Menschen erwartet wird.
Das ist die gute Nachricht des heutigen Tages.

Tag 18. Call to action. Auf dem Weg nach Aleppo


Egal, was ich an diesem Tag tue, immer weiß ich, dass die Menschen da auf dem Weg nach Aleppo weitergehen. Sie gehen sozusagen neben mir durch meinen Tag.
Heute früh um neun Uhr sind sie in Litomerice gestartet und heute Abend werden sie nach 20 Kilometern Fußmarsch in Roudnice nad Labem sein. Ihre einzelnen Etappen sind ja auf der Homepage gut kommuniziert.
Wieder erreichen mich während des Tages diese fürchterlichen Bilder aus den völlig verfrorenen Flüchtlingscamps an Europas Grenzen. Bilder aus Griechenland, aus Serbien, aus Mazedonien. Es gibt erste Todesopfer.
Die Deutsche Welle schickt erneut einen kurzen Film mit solchen Bildern, auch mit Interviews von Ärzte ohne Grenzen. Die Lage ist fürchterlich.
Zeitgleich kommt die Nachricht: Bund, Länder und Kommunen in Deutschland haben im Jahr 2016 19 Milliarden Euro Überschuss erzielt, davon der Bund allein ein Drittel, 6,2 Milliarden. Zeitungen und Fernsehsender berichten davon.
Wie geht das alles zusammen?
Überfluss auf der einen Seite, lebensbedrohliche Umstände auf der anderen Seite der europäischen Grenzen?
Dies kann nicht so bleiben. Denn es ist ungerecht, widerspricht selbst den Mindeststandards an Humanität, den Menschenrechten der Vereinten Nationen ohnehin.
Wer könnte etwas ändern?
Die Europäische Kommission muss sich mit den Regierungen der Mitgliedsstaaten zusammensetzen und eine Sofortlösung finden. Man darf die Menschen an den Grenzen Europas nicht erfrieren lassen.
Auf den gleichen Gedanken war auch Amnesty International Österreich gekommen. Die schicken gegen Mittag einen Brief, den man unterzeichnen kann. Einen Brief an den Präsidenten der Europäischen Kommission, eben genau eine solche Sofortlösung gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten zu entwickeln. Diesen „call to action“ teile ich per facebook und bitte meine Kontakte darum, dies ebenso zu tun und die Sache weiterzugeben. Und die Resonanz ist hervorragend.

Die etwa 50 Menschen, die da bei dem Civil March to Aleppo unterwegs sind, werden heute wieder lange und mühsam durch zunehmend winterliches Wetter gegangen sein. Die Fotos von gestern erzählten ja schon davon. Sie werden auf ihrem Weg auch in die Länder im Balkan-Gebiet kommen, in denen die Flüchtlingscamps liegen, aus denen uns die Bilder und Berichte erreichen.
Und wir hier in unseren warmen Zimmern gehen in Gedanken mit und beteiligen uns, so gut wir können daran, dass sich die katastrophalen Zustände ändern.
Auf diese Weise gehen wir gemeinsam nach Aleppo. Schritt für Schritt.

Am Abend dieses Tages


Die Elbphilharmonie in Hamburg ist eröffnet, der kommende amerikanische Präsident hat eine Pressekonferenz abgehalten,  der bisherige amerikanische Präsident hat sich verabschiedet, das Tagewerk ist getan, für morgen Nacht ist stürmisches Winterwetter angekündigt, der Tag neigt sich.
Ich halte inne.

Mir gehen jene Männer und Frauen nicht aus dem Sinn, die da in Tschechien zu Fuß durch den Winter gehen. Ihr Ziel ist Aleppo, jene einst so wundervolle antike Stadt in Syrien, die zum Symbol des Versagens der Weltgemeinschaft wurde. Sie waren am zweiten Weihnachtstag in Berlin aufgebrochen. Die junge polnische Journalistin Anna Alboth hatte per facebook mitgeteilt, sie werde nach Aleppo gehen, ob jemand mitkommen wolle. Deutschlandradio Kultur hat sie kurz vor dem Beginn der Kampagne interviewt.
Was ist es eigentlich, das mich an diesem „Civil March for Aleppo“ fasziniert, also fesselt?
Gibt es nichts Wichtigeres, das einen kümmern sollte? Was soll an den etwa 50 Menschen interessant sein, die sich da in 20-Kilometer-Tagesetappen von Berlin nach Aleppo auf den Weg gemacht haben, insgesamt etwa 3.100 Kilometer?
Ich verfolge das Projekt aus der Ferne. Nehme nur die Nachrichten wahr, die über die Homepage oder via facebook von der Projektseite zu mir gelangen. Ich habe mir vorgenommen, das Projekt nicht nur finanziell, sondern auch mit eigener Internet-Arbeit zu unterstützen.
Was also ist es, das mich so anspricht?
Ist es der beinahe wahnwitzige Mut dieser jungen Mutter, einfach loszugehen und sich ein paar Verbündete zu suchen, unabhängig davon, wie viele es sein würden?
Ist es die angesichts der aktuellen Flüchtlingspolitik der Europäischen Union beinahe grenzenlose Hoffnung, so eine Handvoll Leute könnte irgend etwas ausrichten gegenüber Ministerien und Kommissionen, gar gegen Staatsinteressen?

Es ist wohl vor allem eines: da sind ein paar wenige Menschen unterwegs, die, jeder für sich, Verantwortung übernehmen. Sie schielen nicht nach Mehrheiten, sie schauen nicht, ob ihnen „Tausende“ folgen. Nein, sie tun das, was sie für richtig halten.
Sie tun es.
Sie tun es mit ihrem Körper, sie tun es mit ganzem Einsatz, diese Wintermärsche, die sie quer über den Balkan führen werden, sind nicht mal einfach so ein Sommerspaziergang.
Es gibt Teilnehmer in dieser Gruppe, die haben sogar ihren Job gekündigt, damit sie fünf Monate Zeit haben, um diesen Marsch zu gehen, so lange etwa werden sie unterwegs sein.
Das, was diese Menschen treibt, ist das Gegenteil von dieser verdammten Gleichgültigkeit, die sich immer rasanter ausbreitet wie eine Seuche.
Das ist der Punkt.
Das „spricht mich an“.
Dass sich da Menschen nicht mehr länger davon beeindrucken lassen, was „alle“ machen, sondern das tun, was ihr Gewissen von ihnen verlangt.
Am Abend einer solchen Tages-Etappe kommt es zu Begegnungen. Neue Kontakte entstehen. Von dem Marsch erfahren immer mehr Menschen. Die Sache wird bekannt.
Dieser Marsch wird nicht nur die Menschen verändern, die für einen Tag, zwei Tage, eine Woche oder gar fünf Monate an ihm teilnehmen. Er wird auch die Menschen verändern, die den Marschierenden begegnen. Und diejenigen, die davon lesen.
Das ist die Hoffnung.
Und von der ist zu erzählen.
Deshalb, genau deshalb sitze ich nun am Abend dieses Tages und schreibe diese Zeilen.
Meine Gedanken sind bei den Menschen, die sich da auf den Weg gemacht haben. Sie gehen die „Balkan-Route“ in umgekehrter Richtung, von Nord nach Süd.
Sie gehen den Flüchtlingen entgegen.