Die Elbphilharmonie in Hamburg ist eröffnet, der kommende amerikanische Präsident hat eine Pressekonferenz abgehalten, der bisherige amerikanische Präsident hat sich verabschiedet, das Tagewerk ist getan, für morgen Nacht ist stürmisches Winterwetter angekündigt, der Tag neigt sich.
Ich halte inne.
Mir gehen jene Männer und Frauen nicht aus dem Sinn, die da in Tschechien zu Fuß durch den Winter gehen. Ihr Ziel ist Aleppo, jene einst so wundervolle antike Stadt in Syrien, die zum Symbol des Versagens der Weltgemeinschaft wurde. Sie waren am zweiten Weihnachtstag in Berlin aufgebrochen. Die junge polnische Journalistin Anna Alboth hatte per facebook mitgeteilt, sie werde nach Aleppo gehen, ob jemand mitkommen wolle. Deutschlandradio Kultur hat sie kurz vor dem Beginn der Kampagne interviewt.
Was ist es eigentlich, das mich an diesem „Civil March for Aleppo“ fasziniert, also fesselt?
Gibt es nichts Wichtigeres, das einen kümmern sollte? Was soll an den etwa 50 Menschen interessant sein, die sich da in 20-Kilometer-Tagesetappen von Berlin nach Aleppo auf den Weg gemacht haben, insgesamt etwa 3.100 Kilometer?
Ich verfolge das Projekt aus der Ferne. Nehme nur die Nachrichten wahr, die über die Homepage oder via facebook von der Projektseite zu mir gelangen. Ich habe mir vorgenommen, das Projekt nicht nur finanziell, sondern auch mit eigener Internet-Arbeit zu unterstützen.
Was also ist es, das mich so anspricht?
Ist es der beinahe wahnwitzige Mut dieser jungen Mutter, einfach loszugehen und sich ein paar Verbündete zu suchen, unabhängig davon, wie viele es sein würden?
Ist es die angesichts der aktuellen Flüchtlingspolitik der Europäischen Union beinahe grenzenlose Hoffnung, so eine Handvoll Leute könnte irgend etwas ausrichten gegenüber Ministerien und Kommissionen, gar gegen Staatsinteressen?
Es ist wohl vor allem eines: da sind ein paar wenige Menschen unterwegs, die, jeder für sich, Verantwortung übernehmen. Sie schielen nicht nach Mehrheiten, sie schauen nicht, ob ihnen „Tausende“ folgen. Nein, sie tun das, was sie für richtig halten.
Sie tun es.
Sie tun es mit ihrem Körper, sie tun es mit ganzem Einsatz, diese Wintermärsche, die sie quer über den Balkan führen werden, sind nicht mal einfach so ein Sommerspaziergang.
Es gibt Teilnehmer in dieser Gruppe, die haben sogar ihren Job gekündigt, damit sie fünf Monate Zeit haben, um diesen Marsch zu gehen, so lange etwa werden sie unterwegs sein.
Das, was diese Menschen treibt, ist das Gegenteil von dieser verdammten Gleichgültigkeit, die sich immer rasanter ausbreitet wie eine Seuche.
Das ist der Punkt.
Das „spricht mich an“.
Dass sich da Menschen nicht mehr länger davon beeindrucken lassen, was „alle“ machen, sondern das tun, was ihr Gewissen von ihnen verlangt.
Am Abend einer solchen Tages-Etappe kommt es zu Begegnungen. Neue Kontakte entstehen. Von dem Marsch erfahren immer mehr Menschen. Die Sache wird bekannt.
Dieser Marsch wird nicht nur die Menschen verändern, die für einen Tag, zwei Tage, eine Woche oder gar fünf Monate an ihm teilnehmen. Er wird auch die Menschen verändern, die den Marschierenden begegnen. Und diejenigen, die davon lesen.
Das ist die Hoffnung.
Und von der ist zu erzählen.
Deshalb, genau deshalb sitze ich nun am Abend dieses Tages und schreibe diese Zeilen.
Meine Gedanken sind bei den Menschen, die sich da auf den Weg gemacht haben. Sie gehen die „Balkan-Route“ in umgekehrter Richtung, von Nord nach Süd.
Sie gehen den Flüchtlingen entgegen.