Wer das „richtige Bekenntnis“ nicht hat, verliert den Job. Oder: ein Kapitel über die Kunst in Zeiten des Krieges.

Wer das „richtige Bekenntnis“ nicht hat, verliert den Job. Oder: ein Kapitel über die Kunst in Zeiten des Krieges.

„Die Nationale Volksarme ist eine Armee des Friedens. Wer Soldat der NVA wird, dient damit dem Frieden. Wenn Sie diesen Dienst nicht ausüben wollen, wie Sie erklärt haben, dann stellen Sie sich gegen die Macht des Friedens, dessen Ausdruck die Bruderarmeen des Warschauer Paktes sind. Wenn Sie den Dienst in der NVA nicht ausüben wollen, wie Sie erklärt haben, dann stärken Sie die aggressiven Armeen der NATO. Sie werden verstehen, daß wir Sie dafür nicht auch noch belohnen können. Eine Zulassung zum Abitur oder gar Universitätsstudium kommt nicht in Frage.“

So ging die Logik. Viele tausende junger Männer und deren Familien waren davon betroffen und haben sich dennoch nicht einschüchtern lassen.
Als man uns weismachen wollte, der „Friede muss bewaffnet“ sein, und es gälte „gegen NATO-Waffen Frieden (zu) schaffen“. Da haben wir gesagt, ein paar wenige waren wir ja noch: „ihr irrt. Man kann Blut nicht mit Blut abwaschen.“
Später, da war die Mauer schon gefallen, da fand sich in der Stasi-Akte der Hinweis: sie hatten uns auf ihrer „Liste“. Gemeint war eine „Abschußliste“. Die Zahl derer, die man wegen ihrer Gesinnung zum Krieg „abgeschossen“, also aus dem Beruf heraus und in den Westen hinein gedrängt hatte, geht in die Millionen. Auch weiß man in den Chroniken vom „Roten Ochsen“ oder vom „Gelben Elend“ oder in Hohenschönhausen von den Schicksalen derer zu berichten, die „nicht die richtige Gesinnung“ hatten und sich zum Beispiel der Logik der Aufrüstung widersetzten, weil sie sie für grundfalsch hielten.

Wer jedoch das „richtige Bekenntnis“ ablegte, bekam den Job.
Ähnliches spielte sich in den Forschungsabteilungen der großen Betriebe ab. Bei Carl Zeiss in Jena beispielsweise: wer nicht Genosse wurde und damit „das richtige Bekenntnis“ ablegte, kam nicht weiter. In der Forschung schon gar nicht. Und wer nicht „zur Demonstration“ war, der bekam auch Probleme.

Auch wurde sehr genau registriert, ob jemand zur Wahl ging, denn die Teilnahme an der Wahl war „ein Bekenntnis zum Frieden“. Wer das „richtige Bekenntnis“ ablegte, kam beruflich weiter. Wer dieses Bekenntnis nicht ablegte – nun ja, man hatte ja die Wahl, die „richtige Entscheidung“ selber zu treffen.

Ich gehörte mit ein paar Hundert anderen immer zu denen, die die verlangte „richtige Entscheidung“ nicht trafen. Ich war nicht in den Pionieren, nicht in der FDJ, ich ging nicht ins Wehrlager, ich beteiligte mich nicht an Wahlen (die keine waren), ich ging nicht zur Armee. Deshalb gabs kein staatliches Abitur und deshalb gabs auch kein freies Studium. Das war der Preis, der in der Diktatur zu zahlen war. Wir haben ihn gezahlt.
Nun aber kommt, angesichts des Ukraine-Krieges, diese Gesinnungsschnüffelei zurück und dagegen muss ich sprechen, weil ich sie wie viele andere auch, am eigenen Leibe erfahren habe. Das darf nicht wieder so werden, wie es in der Diktatur war: nur derjenige bekommt oder behält den Job, der die „richtige Gesinnung“ hat. Das hatten wir schon mal, auch schon vor 1949. Und das darf es niemals wieder geben.

Nun lesen meine alten Augen, der Münchner Oberbürgermeister Reiter (SPD) habe den russischen Chefdirigenten der Philharmoniker gefeuert, weil der dem Ultimatum (!) des Oberbürgermeisters nicht gefolgt sei und sich rechtzeitig (das ist der Sinn eines Ultimatums) von Herrn Putin und seiner Politik öffentlich distanziert habe. Der Russe hat auf dieses Ultimatum nicht mal geantwortet, was ich sehr gut verstehen kann. Wer ist denn dieser Herr Reiter, daß er einem vorschreiben wolle, wie man zu denken habe?

Meine alten Augen lesen ausserdem, man hätte Engagements mit Anna Netrebko aus ähnlichem Grunde gekündigt, sie sei „nicht klar genug von Putin und seiner Politik distanziert“. Auch hier wieder gibt es welche, die offenbar sehr genau zu wissen scheinen, was „die richtige Auffassung“ ist und was eben die falsche. Und, wenn man eine „falsche Auffassung“ hat, nun ja, dann kann man den Job halt nicht haben, man hat ja schließlich die Wahl und kann „das geforderte Bekenntnis“ ablegen.

Gestern musste ich lesen, daß man nun auch die Forderung erhoben habe, russischen Wissenschaftlern die internationalen Forschungsgelder zu entziehen, wenn sie sich nicht klar von Putin und seiner Politik distanzieren.

Im Börsenblatt steht darüber hinaus nun sogar zu lesen, man fordere nun angesichts des Krieges „ein Totalboykott russischer Bücher.“
Man ist ja schon dankbar, daß noch keiner die Verbrennung russischer Bücher verlangt hat. Wenn das so weitergeht, wird irgendein völlig Verwirrter diese Forderung wohl auch noch erheben.

Was macht dieser Krieg mit unserem Land? Drehen wir jetzt auch völlig durch? Diese Gesinnungsschnüffelei muss aufhören! Und, daß jemand seinen Job verliert, weil er Russe ist und „sich nicht klar genug von Putin getrennt hat“, das muss ebenfalls aufhören. Am besten sofort.

Etwas aus meiner Werkstatt


Internet bedeutet für mich: täglich dazu lernen. Ich bemühe mich schon etliche Jahre, so einigermaßen auf dem Laufenden zu bleiben, aber die Möglichkeiten des Netzes sind so enorm gewachsen, dass ich gar nicht mehr hinterher komme.
Selbstverständlich nutze ich schon seit langen Jahren facebook, twitter, früher auch mal google+, instagram und pinterest, blogge, nutze soundcloud, youtube und all die neuen Möglichkeiten.
Aber dass ich jetzt meine Manuskripte von zu Hause aus sowohl als print als auch als ebook zur Verfügung stellen und dafür e-publishing samt seiner interessanten Vertriebswege nutzen kann, das ist schon eine prima Sache, dass muss ich schon sagen. Ich bin ja schließlich mal in einem Land auf die Welt gekommen, in dem man sich alles was länger als 20 Zeilen war, vom Staat genehmigen lassen musste – das bedeutet allerdings auch tägliches Weiterlernen. Learning by doing. Formatieren, layouten, produzieren lassen – all das.  Aber was für großartige Möglichkeiten gerade für ehrenamtlich Engagierte, für Vereine, für Kirchgemeinde, für Kulturinitiativen sich dadurch ergeben! Ich bin immer noch begeistert.

Diejenigen, die beruflich in der Branche epublishing arbeiten, werden müde lächeln, wenn sie meine Zeilen lesen, ich bitte um Nachsicht, aber für mich sind das schon wichtige Entdeckungen, wenn ich zum Beispiel die Autorenseite bei #amazon entdecke. Oder wenn ich sehe, mit welchem großen Vertrieb #epubli arbeitet. Schließlich mache ich diese Sachen nicht beruflich.

Jedenfalls geht es mir immer noch so, daß ich mich täglich daran freue, was das Internet für überaus praktische Dinge für einen bereit hält und nutze sie gern.  Und: dazulernen hat noch niemandem geschadet.

Sisyphos – oder eine Geschichte vom Schnee


Die Strafe des Sisyphos bestand bekanntlich darin, seinen Felsbrocken einen steilen Berg hinauf zu rollen.
Kaum hatte er ihn oben, entglitt er ihm und rollte den Hang wieder herab.
Beim morgendlichen Schneeschieben fällt mir dieses alte Bild wieder ein.
Es gibt Gemälde, die einen lachenden Sisyphos zeigen, der übermütig seinen Stein den Hang hinunterrollt. (Wolfgang Mattheuer).
Sisyphos, der den Göttern ein Schnippchen schlägt.
Sisyphos, der aus der Mühe einen Spaß macht. Eine Freude.

Mir gefällt das Bild.
Ich kenne viele Menschen – mich eingeschlossen – die an manchen Tagen beklagen, was ihnen zu tun aufgegeben ist.
Solche Klage ist weit verbreitet.
Man erlebt das, was zu tun ist, wie eine Strafe.

Die Götter lachen sich ins Fäustchen.
Das Feuer in der Unterwelt lodert heißer.

Nun kann man den Göttern aber auch entkommen, wie der Maler wusste.
Wenn man die Arbeit, die einem für den Tag gegeben ist, als die Arbeit annimmt, die an diesem Tag eben zu erledigen ist.
Wenn man aufhört, sie wie eine Strafe zu bekämpfen.
Und siehe da: die Perspektive verändert sich. Die Durch-Sicht.
Ich sehe die Dinge wie mit anderen Augen.

ZEN-Meister wissen um die Kraft solcher Lebensweise.
„Meister, was ist Erlösung?“ fragt der Schüler den Meister.
Der antwortet: „Geh das Geschirr spülen.“

Darum geht es womöglich, wenn man danach sucht, dem Leben einen Sinn abzuringen.

Meine alte Freundin Teresa von Avila (1515-1582) hat davon etwas gewusst.
Die zeitlebens kranke Frau, der so mancher Tag „sauer“ wurde, wie die Sprache noch weiß, einem Teig ähnlich, oder einer Speise, die zu lange steht – diese Frau wusste etwas vom Gebet zum „Herrn der Töpfe und Pfannen“ – mitten in dem, was zu tun ist – konnte sie das Größere wahrnehmen.

Es ist eine innere Haltung.
Der Stein ist nicht mehr zu rollen.
Die „Strafe“ der Aufgabe wird nichtig.
Sisyphos triumphiert.
Übermütig kann er „seinen Stein“ den Hang, kaum hat er ihn mühsam hinauf geschafft, sogar selber wieder hinabrollen.
Kann sich freuen an der Vergeblichkeit seiner Mühe.
Und sie von vorn beginnen.

In dem, was jetzt zu tun ist, kann ich nun einen Hinweis erkennen.
Einen Fingerzeig, daß die Wirklichkeit, die mich trägt, so sehr viel größer ist als mein kleiner Stein, den ich heute zu rollen habe.
Ich fühle die Erde, die mich mitsamt meinem Steinchen trägt….
Ich sehe, wie Sisyphos sich mit ausgebreiteten Armen rücklings auf die Erde fallen lässt.

Der Himmel wird sichtbar.
Sisyphos lacht.

Freiheit wird fühlbar.
Entlastung.
Nicht mehr die Klage hält mein Herz umklammert.
Sondern Freiheit atmet die Seele.

Ich stelle mir den Sisyphos vor, wie er, schweißnass, oben am Berg beinahe ankommt mit seinem schweren Stein, dann aber, laut lachend, voller kindlichem Übermut seinen Stein den Hang hinabrollt.
Ich seh ihn unten sitzen, den Sysiphos. Im Schnee vielleicht. Räumt sich ein Plätzchen frei.
Atmet tief.
Und lernt das Staunen:

„Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten“

(Hilde Domin).