Die Strafe des Sisyphos bestand bekanntlich darin, seinen Felsbrocken einen steilen Berg hinauf zu rollen.
Kaum hatte er ihn oben, entglitt er ihm und rollte den Hang wieder herab.
Beim morgendlichen Schneeschieben fällt mir dieses alte Bild wieder ein.
Es gibt Gemälde, die einen lachenden Sisyphos zeigen, der übermütig seinen Stein den Hang hinunterrollt. (Wolfgang Mattheuer).
Sisyphos, der den Göttern ein Schnippchen schlägt.
Sisyphos, der aus der Mühe einen Spaß macht. Eine Freude.
Mir gefällt das Bild.
Ich kenne viele Menschen – mich eingeschlossen – die an manchen Tagen beklagen, was ihnen zu tun aufgegeben ist.
Solche Klage ist weit verbreitet.
Man erlebt das, was zu tun ist, wie eine Strafe.
Die Götter lachen sich ins Fäustchen.
Das Feuer in der Unterwelt lodert heißer.
Nun kann man den Göttern aber auch entkommen, wie der Maler wusste.
Wenn man die Arbeit, die einem für den Tag gegeben ist, als die Arbeit annimmt, die an diesem Tag eben zu erledigen ist.
Wenn man aufhört, sie wie eine Strafe zu bekämpfen.
Und siehe da: die Perspektive verändert sich. Die Durch-Sicht.
Ich sehe die Dinge wie mit anderen Augen.
ZEN-Meister wissen um die Kraft solcher Lebensweise.
„Meister, was ist Erlösung?“ fragt der Schüler den Meister.
Der antwortet: „Geh das Geschirr spülen.“
Darum geht es womöglich, wenn man danach sucht, dem Leben einen Sinn abzuringen.
Meine alte Freundin Teresa von Avila (1515-1582) hat davon etwas gewusst.
Die zeitlebens kranke Frau, der so mancher Tag „sauer“ wurde, wie die Sprache noch weiß, einem Teig ähnlich, oder einer Speise, die zu lange steht – diese Frau wusste etwas vom Gebet zum „Herrn der Töpfe und Pfannen“ – mitten in dem, was zu tun ist – konnte sie das Größere wahrnehmen.
Es ist eine innere Haltung.
Der Stein ist nicht mehr zu rollen.
Die „Strafe“ der Aufgabe wird nichtig.
Sisyphos triumphiert.
Übermütig kann er „seinen Stein“ den Hang, kaum hat er ihn mühsam hinauf geschafft, sogar selber wieder hinabrollen.
Kann sich freuen an der Vergeblichkeit seiner Mühe.
Und sie von vorn beginnen.
In dem, was jetzt zu tun ist, kann ich nun einen Hinweis erkennen.
Einen Fingerzeig, daß die Wirklichkeit, die mich trägt, so sehr viel größer ist als mein kleiner Stein, den ich heute zu rollen habe.
Ich fühle die Erde, die mich mitsamt meinem Steinchen trägt….
Ich sehe, wie Sisyphos sich mit ausgebreiteten Armen rücklings auf die Erde fallen lässt.
Der Himmel wird sichtbar.
Sisyphos lacht.
Freiheit wird fühlbar.
Entlastung.
Nicht mehr die Klage hält mein Herz umklammert.
Sondern Freiheit atmet die Seele.
Ich stelle mir den Sisyphos vor, wie er, schweißnass, oben am Berg beinahe ankommt mit seinem schweren Stein, dann aber, laut lachend, voller kindlichem Übermut seinen Stein den Hang hinabrollt.
Ich seh ihn unten sitzen, den Sysiphos. Im Schnee vielleicht. Räumt sich ein Plätzchen frei.
Atmet tief.
Und lernt das Staunen:
„Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten“
(Hilde Domin).
ich danke für das Teilen der Worte