Sie waren großartig.
Sir Simon Rattle, die Berliner Philharmoniker und Anne-Sophie Mutter.
Auf dem Programm: Gabriel Fauré (1845-1924) Pelléas et Mélisande op. 80; Antonin Dvorak (1841-1904) Violinkonzert a-Moll op. 53 und nach der Pause Robert Schumann (1810-1856) Symphonie Nr. 2 C-Dur op. 61.
Auf dem Weg zur Philharmonie sehen wir schon: Absperrung überall, Polizei, Schutzzäune. Also wieder ein „Staatsgast“. Das ist ziemlich normal in der Berliner Philharmonie. „Wer ist denn da?“ fragt man den Berliner Beamten. „Wieder irgend so ein König“ kann man zu hören kriegen.
Der Konzertsaal ist gefüllt bis auf den letzten Platz. Ich freu mich immer wieder, daß ich vor einiger Zeit meiner Frau ein Abo zum Geburtstag geschenkt habe….
Wir überraschen uns immer selber dadurch, daß wir nie vor dem Konzert ins Programm schauen, sondern uns überraschen lassen, „was der Abend bringt“. Wir sind noch nie enttäuscht worden.
Die Philharmoniker mit Sir Simon Rattle gehören zu den besten Ensembles der Welt.
Und nun also zusätzlich: Anne-Sophie Mutter, die „Ausnahme-Künstlerin“ mit ihrer Violine.
Sie spendet die Gage für ihre Stiftung, die hochbegabte junge Musiker unterstützt. Das bringt ihr weitere Sympathien im Berliner Konzertpublikum.
Sie spielt routiniert. Ein wenig zu routiniert, wie mir scheinen will. Brilliant, energisch.
Je weiter Dvoraks Violinkonzert vorangeht, je mehr Bilder mit Tönen in die Seele gemalt werden – um so intensiver wird das Zusammenspiel zwischen Sir Rattle, Anne-Sophie Mutter und dem Orchester. Es ist wundervoll zu erleben, wie sich die Musiker zu einem gemeinsamen Tun verbinden. Ein neues Kunstwerk entsteht an diesem Abend. Eben diese Interpretation des bekannten Stückes. So wird sie nur an diesem Abend zu hören sein.
Kaum eine Kunst ist so „vergänglich“ wie die Musik: kaum ist der Ton entstanden, verklingt er schon wieder. Kaum ist das erste Motiv erklungen, mischen sich schon die Stimmen und der Fluss der Töne fließt weiter. Deshalb ist jede Aufführung anders. Ich kann Cergiu Celebidache verstehen, wenn er sich gegen Aufnahmen von Konzerten ausgesprochen hat. Man kann ein Konzert nicht „wiederholen“, denn: jedes Mal ist es anders. Nicht nur das notierte Stück, nicht nur der Komponist kommen „zum Gehör“, sondern die Interpreten werden zum Bestandteil des Stückes. Ihre Art, zum Instrument zu werden – das ist es, was ein Konzert so einmalig macht.
Sir Simon Rattle hatte Geburtstag.
Das Berliner Konzertpublikum sang ihm deshalb – völlig überraschend für die vielen internationalen Gäste, das Orchester und vor allem den Dirigenten selbst – ein spontanes „Happy Birthday!“ – kurz, bevor er nach der Pause mit dem Schumann beginnen wollte. Es war eine sehr schöne Geste: Die Berliner mögen ihre Philharmoniker.
Mich haben zwei Stücke besonders berührt: Gabriel Faurés „Pelleas et Méllisande“ op. 80, die Musik zu einer dramatischen „Dreiecks-Beziehung“, die Maurice Maeterlinck auf die Bühne gebracht hat.
Und: das Adagio espressivo aus Schumanns 2. Symphonie.
Ich hab ja schon viel gehört bei den Philharmonikern.
Aber das, was sie da gestern gezaubert haben, war etwas sehr sehr Besonderes.
Es gibt wenige Orchester, die ein Pianissimo so „tupfen“ können wie die Berliner. Völlig zu Recht ist Rattle am Ende des Konzerts u.a. zu den Bläsern und den Kontrabassisten gegangen, um sich bei ihnen zu bedanken.
Das war die Große Schule. Wunderbar.
Schumann hat in jenem Adagio einen musikalischen Gedanken aus Johann Sebastian Bachs „Musikalischem Opfer“ aufgegriffen und spielt mit den Tönen b-a-c-h -. Eine schöne Linie zeichnet sich ab, ein „unsichtbarer Pfad“, an dem diese großen Musiker gleichsam wie „Wächter des Weges“ stehen. Der Pfad der Musik selbst. Musiker haben sich ebenso wie Dichter, Maler und andere Künstler oft als „Wegweiser“ verstanden. Als „Hinweisende“ auf etwas, das „hinter der Musik, hinter der Kunst“ liegt.
Dieses „Größere“ wird manchmal, in seltenen Momenten, wenn die Kunst „gelingt“, hörbar. Es zeigt sich, wenn der Ton verklingt.
Die Andeutung des „Tons hinter dem Ton“, die erscheint, wenn die winzige Pause zwischen den Tönen aufleuchtet.
Cergiu Celebidache hat oft davon gesprochen.
Den Philharmonikern ist gestern – wieder einmal – etwas sehr Besonderes gelungen: sie haben durch ihre transparente, exellent gespielte Aufführung der drei großen Musikstücke dem Hörer einen sehr dezenten, „hingetupften Hinweis“ gegeben auf die große Welt, die hinter den Tönen liegt.
„Musik ist eine Brücke zum Himmel“ haben Dichter gemeint.
Ja, so verhält es sich.
Man konnte es hören.
Man brauchte sie ja nicht beim hörend Gehen über „eine Brücke zum Himmel“. Wo sie doch selbst Brücken zum Himmel sein können. Und doch sie in Momenten Handläufe auf dem Weg zur Brücke durch den Himmel. Die Wörter. Danke dafür.