Sogar „mit sehr breiter Mehrheit“ kann die neue Regierung regieren, denn die Grünen regieren mit: an nicht unwichtiger Stelle im „Maschinenraum“ der Demokratie sitzen nun grüne Staatssekretäre.
Man wird dies nun als Standardformulierung zu lesen bekommen: Gesetz xy sei „mit breiter Mehrheit“ angenommen worden. Was den Eindruck suggeriert, es habe „keine Alternativen“ gegeben.
Wer darauf hinweist, wird vermutlich ganz fix als „Nörgler“ abgetan. Übliches Verhalten einer großen gegenüber einer kleinen Gruppe, insofern zu vernachlässigen.
Bettina Marx hat in der „Deutschen Welle“ wie folgt kommentiert:
„Langweilige Debatten und routiniertes „Durchregieren“ dürften die nächste Legislaturperiode bestimmen.
Für die Demokratie ist das schlecht. Sie lebt von der Auseinandersetzung und vom Widerstreit der Ideen und der Politikentwürfe. Wenn sich die meisten Deutschen in Umfragen für eine große Koalition aussprechen, zeigt dies vielleicht die Harmoniebedürftigkeit und Konsensorientierung, vielleicht auch die Entpolitisierung der deutschen Gesellschaft. Für den Parlamentarismus, für die Demokratie und damit für unser Land ist dies jedoch die schlechteste aller denkbaren Regierungen.“
Das ist scharf formuliert.
Aber natürlich hat die nun konstituierte sehr breite Mehrheit aus Union, SPD und maßgeblichen grünen Staatssekretären eine gesellschaftliche Wirkung. Mitunter auch eine seltsame, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass sich heute ausgerechnet die BILD zur „APO“ für die Große Koalition ernannt hat.
Ein Zeichen dafür, dass sich die Gesellschaft neu orientiert und neu sortiert.
Wie wird diese „sehr breite Mehrheit“ in der Gesellschaft wirken?
Wird sie zur politischen Apathie führen, wird sie die in den zurückliegenden Jahren zu beobachtende wachsende Apathie gar verstärken?
Oder wird sie zur Radikalisierung der politischen „Ränder“ links und rechts führen?
Offene Fragen.
Natürlich soll man jedem seine Chance geben und für eine neue Regierung gelten die ersten 100 Tage als „Schonzeit“. Ok.
Auch dürfte durch den neuen Zuschnitt der Ministerien klar sein, dass nicht nur Sach-, sondern auch Machtfragen innerhalb der Regierung eine nicht geringe Rolle gespielt haben – was man exemplarisch am Zuschnitt des Wirtschafts- und Energieministerium, aber auch an der Eingliederung der wichtigen Bauabteilung aus dem BMVBS ins BMU ablesen kann.
Das Kabinett und die gesamte neue Spitze muss sich natürlich erst „einspielen“, insbesondere in der zweiten Reihe sind etliche neue Gesichter zu sehen, die sich an die Abläufe und Rangeleien um „Federführungen“ erst noch werden gewöhnen müssen.
Das braucht seine Zeit.
Wenn der Apparat aber läuft – damit ist im ersten Quartal des kommenden Jahres zu rechnen – , dann wird er Wirkung haben auf die gesamte Gesellschaft.
Welche, das ist noch offen.
Vermuten kann man, dass eine „sehr breite Mehrheit“ im Parlament einem gewissen Harmoniebedürfnis in der Bevölkerung Rechnung trägt. Da mag man nämlich politische Streitereien nicht sonderlich. Sie werden schnell als „unsachlicher Zank“ wahrgenommen.
Andrerseits: hat Frau Marx Recht, wenn sie eine zunehmende Entpolitisierung befürchtet?
Das wäre besorgniserregend, wenn man beispielsweise an die Themen Schutz der Bürgerrechte, Flüchtlings- und Klimapolitik denkt. Denn diese Themen sind dermaßen komplex, dass man die Kreativität der Vielen braucht.
Zu wünschen ist deshalb, daß solcherlei „übergroße Mehrheiten“ nicht zum Normalfall werden. Denn die Sorge ist sicher nicht ganz unberechtigt, dass solche Mehrheiten in der Bevölkerung wie Mehltau wirken, der alles überzieht. Am Ende sagen sich die Leute: „die machen mit ihrer Mehrheit ohnehin, was sie wollen. Weshalb soll ich mich da noch engagieren?.“
Wir werden nun oft zu lesen bekommen, dass ein Gesetz „mit breiter Mehrheit“ angenommen worden sei.
Ich will mich darin nicht gewöhnen.