Wenn Waffen „Güter“ genannt werden, ist Aufmerksamkeit nötig.
Denn die Sprache verrät, wenn sich fundamentale Sachverhalte ändern, sehr früh, dass sie sich ändern.
In der Pressekonferenz des deutschen Aussenministers und der Bundesverteidigungsministerin am 20. August 2014 konnte man dies beobachten: „Waffen“ wurden zu „Gütern“, die man nun in den Nordirak bringen wolle. (20-Uhr-„Tagesschau“ vom 20. 8. 2014) Nach langem Abwägen und langem Zögern, schweren Herzens und so weiter.
Da ändert sich also etwas.
Was ändert sich?
Zunächst: der bisherige Grundsatz deutscher Aussenpolitik, der aus guten Gründen lautet: „Keine Waffen in Krisengebiete“.
Das ist seit dem 20. August 2014 nun auch offiziell anders. Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel.
Damit entstehen neue Fragen:
1. In welche Krisengebiete darf geliefert werden? Wenn in den Nordirak mit der Begründung, dort sei das Elend der Flüchtlinge groß und man dürfe nicht zusehen – weshalb dann nicht auch nach Syrien? Dort ist die Not noch größer.
2. Wer entscheidet? Es war zu erleben, dass zwei deutsche Minister vor die Presse traten und der Öffentlichkeit ihre Entscheidung mitteilten.
Was aber ist mit dem Parlament? Was ist mit der Opposition in Zeiten einer Großen Koalition, die von 80% der Abgeordneten getragen wird?
Es wird erst in der kommenden Woche mit der Angelegenheit befasst (Sondersitzung am Mittwoch), mal abgesehen von der Befassung im für Außenpolitik vorgesehen Ausschuss, was aber eine Selbstverständlichkeit ist.
Was ändert sich noch?
Die politische Sprache verändert sich in diesen Tagen auf dramatische Weise. Menschen, die Waffenlieferungen in Krisengebiete ablehnen, werden als „unverantwortlich“, als „Spinner“, als „weltfremde Träumer“, als „realitätsferne Gutmenschen“ verunglimpft. (Zahlreiche Belege im Spiegel, Welt, Focus, Frankfurter Rundschau etc.), besonders in sozialen Medien.
Das Wort „Pazifist“ ist (wieder!) zum Schimpfwort geworden.
Die Sprache verroht.
Sie ist Ausdruck eines verrohten Denkens.
Wenn die Sprache verroht, ist der Krieg nicht mehr fern. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit. Das war vor dem Ersten Weltkrieg nicht anders als vor dem Zweiten.
Mit der Sprache fängt es an.
Der vorläufige Gipfel dieser Entwicklung besteht womöglich in einem Text im FREITAG, in dem behauptet wird: „Pazifisten töten“ – die Flüchtlinge nämlich, denen nicht durch Ausstattung kurdischer Einheiten mit Waffen geholfen würde.
Verdrehung der Fakten.
Wer den Einsatz von Waffen ablehnt, tötet.
Wer welche liefert, dient dem Leben.
Da steht die Welt auf dem Kopf.
Es fällt in diesen Tagen auf, dass die Befürworter von Waffenlieferungen in Krisengebiete – diskutiert wird das gegenwärtig am Beispiel des Vormarsches der IS im Irak – an Zahl zunehmen. Die print-Medien überwiegen in der Befürwortung von Waffenlieferungen.
Texte, die Waffenlieferungen in Krisengebiete ablehnen, nehmen an Zahl ab.
Es sind nur noch wenige Stimmen, die warnen.
Selbst Leute wie Rupert Neudeck fallen um (ZDF vom 20. August 2014) und befürworten Waffenlieferungen.
Und zwar Lieferungen von einigen NATO-Mitgliedsstaaten, keineswegs von allen.
Es gibt weder ein UN-Mandat in der Sache, noch einen hinreichend klaren Beschluss des Weltsicherheitsrates angesichts der Entwicklungen im Irak.
Einige europäische Staaten wollen Teile der Kurdischen Militäreinheiten mit Waffen ausrüsten.
Und Amerika fliegt Kampfeinsätze gegen die IS.
Selbst Kirchenleute wie der bayrische Landesbischof Bedford-Strohm befürworten den Einsatz militärischer Mittel.
Der Ruf wird immer lauter: „Zu den Waffen!“
Anders als vor dem Ersten Weltkrieg, gewiss.
Es geht – bislang – nicht darum, Truppen zu schicken.
Allerdings ändert sich die Sprache:
Allerdings ändert sich das bisherige Paradigma deutscher Aussenpolitik.
Allerdings ändert sich die Stimmung in maßgeblichen Medien (print, TV, besonders social media)
Allerdings ändert sich die Stimmung in der Bevölkerung.
Der Ruf wird immer lauter: „Zu den Waffen!“ „Nur noch Waffen können helfen!“
Verknüpft ist dies mit der durch nichts bewiesenen überaus schlichten Behauptung: „Pazifisten sind weltfremde Spinner und tragen nichts zur Lösung der Konflikte bei.“ (Joschka Fischer: „Gebetskreise helfen nicht gegen Terror“).
Ich schreibe diesen kurzen Text, weil ich vor allem auf die Veränderung der politischen Sprache in diesen Krisenzeiten aufmerksam machen will. Und auf die Folgen, die aus einer solchen Veränderung resultieren.
Denn mit der veränderten Sprache beginnen die tatsächlichen Veränderungen.
Wenn „Waffen“ zu einfachen „Gütern“ werden, die man nun in den Nordirak bringen müsse, dann findet eine Vernebelung, Verharmlosung und unredliche Schönrednerei eines faktischen Paradigmenwechsels hin zu mehr Militarisierung deutscher Aussenpolitik statt.
Wenn die Bundesverteidigungsministerin davon redet, es ginge darum „Tabus abzubauen“ – dann ist das Gemeinte immerhin klarer.
Es geht um mehr militärische Beteiligung Deutschlands bei Lösungsversuchen in internationalen Konflikten.
Das muss jedem klar sein.
Und das kann nicht unwidersprochen bleiben.
Wenn eine veränderte Sprache zu verändertem Denken und damit zu verändertem politischen Handeln führt, wenn nun auch Waffenlieferungen in Krisengebiete als „alternativlos“ kommuniziert werden, dann ist Wachheit notwendig.
Denn solches Denken stand bei etlichen großen Kriegen Pate.
Das war vor dem Ersten Weltkrieg nicht anders als vor dem Zweiten.
Und „Mutti“ lügt wieder einmal mit einer schier den Atem raubenden Dreistigkeit: „Wir werden auf keinem Fall deutsche Soldaten in den Nord-Irak schicken.“ Ich gehe jede Wette ein, daß „wir“ alsbald die „deutsche Freiheit“ auch im Nord-Irak und nicht mehr nur am Hindukusch „verteidigen“ werden…
Die Verrohung der Sprache und die Verkehrung von positiven Begriffen wie Pazifist und Gutmensch ins negative Gegenteil bestürzt und entsetzt mich schon seit längerem.
Danke für Ihre differenzierten Überlegungen zu diesem Thema. Ich selbst brüte gerade an einem Text über die Verquickung von humanitärer Hilfe und militärischer Intervention. Letztere gefährdet eindeutig die erstere(siehe auch der Leitartikel des deutschen Ärzteblattes zu diesem Thema).