Mitarbeiter vom Bundesarchiv haben mir heute eine Mail geschickt, ich habe da ja noch unabgeschlossene Recherchen zu Franz Mueller-Darß in Arbeit, die sich insbesondere auf die Zeit nach 1945 beziehen (seine SS-Personalakte habe ich ja bereits gründlich ausgewertet und auch dokumentiert) weshalb ich annahm, die Mail bezöge sich auf diese Arbeiten, aber nein, es ging um etwas anderes, nämlich um Folgendes: da hat jemand im Bundesarchiv angerufen.
„Ein in Born a. d. Darß lebender Herr rief an, um mitzuteilen, dass er
Ihre Forschungsfortschritte über Ihren Blog „Ich werfe Kieselsteine in
den Strom“ verfolgt. Diesem Blog entnahm er, dass Sie im Bundesarchiv
Berlin und Bayreuth forschen und außerdem für die Anbringung einer
Gedenktafel am Forstmuseum plädieren, die die NS-Vergangenheit des
Müller-Darß näher beleuchtet.
Der Anrufer befürchtet, dass Sie wegen dieser Idee Repressalien aus
der rechtsgerichteten Kreisen der Bevölkerung auf dem Darß ausgesetzt
sein könnten und außerdem mit Widerstand aus den Reihen der
Ortspolitik und des Tourismusverbandes zu rechnen hätten. Man fürchte,
dass aus dem Jagdhaus eine Art Neonazi-Pilgerstätte werden könnte und
außerdem dieser dunkle Teil der Ortsgeschichte das touristische Idyll 
des Seebades stören könnte. Der Anrufer fand, wir sollten Sie
diesbezüglich warnen. Wie er selbst zu der Angelegenheit steht, blieb
unklar, er wirkte neutral“.

In meiner Antwortmail heißt es:

„….herzlichen Dank für Ihre Mail mit dem Hinweis auf den Anruf aus Born a. Darß, der Sie kürzlich erreichte. Die Regionalforscherin Helga Radau, die über das KZ-Außenlager in Barth recherchiert und publiziert hat, hatte mich schon darauf aufmerksam gemacht, dass es vor Ort in Born vor allem von Seiten des Tourismus die Position zu hören gäbe, man solle nicht in der Vergangenheit „herumwühlen“, das würde nur „den Tourismus stören“. Der Herr, der Sie angerufen hat, hat sich bei mir bislang noch nicht gemeldet. Mein Büchlein mit den ersten dokumentierten Forschungsergebnissen zum „Borner Hof“ und zum dort untergebrachten KZ-Außenlager von Ravensbrück und von Neuengamme jedenfalls stößt vor Ort auf reges Interesse. Die Leiterin des Darss-Museums, die ich am Wochenende anlässlich eines runden Geburtstages traf, hat mir mitgeteilt, sie verfüge über einen Fundus von ca. 50.000 Fotos aus der Zeit von 1910 bis 1972, die vom Ortsfotografen Wiese angefertigt worden seien und dessen fotografischen Nachlass sie nun im Museum in Prerow nach und nach erschließe. Die Fotos seien bereits gescannt und würden nun „verstichwortet“, jedenfalls habe sie bei der Lektüre meines Büchleins bereits etliche Notizen machen können, um ihre eigenen Fotos als Ergänzung zur Verfügung stellen zu können. Sowohl der Bürgermeister in Prerow, als auch die Museumsleiterin in Prerow als auch die Kirchgemeinde in Prerow haben großes Interesse, dass die Forschungen weitergehen. In Born selbst liegen vorzügliche Dokumente, die aber dort leider nicht publiziert werden, ich hoffe, dass ich da nach und nach weiter voran komme.
Ihnen jedenfalls zunächst nochmals Dank für Ihren Hinweis und Dank auch für die gute fachliche Zusammenarbeit in der Sache selbst. Ich bin gespannt, ob wir noch Dokumente über Mueller-Darss nach 1945 finden können, Wikipedia behauptet ja, er habe Anfang der fünfziger Jahres beim damals entstehenden BND angeheuert, wie so viele andere SS-Leute ja auch.
Beste Grüße aus Berlin! Ulrich Kasparick
Soweit die Faktenlage zu meinen aktuellen Recherchen.
Zur Sache selbst will ich anmerken:
die Städte und Gemeinden in Deutschland gehen sehr verschieden mit den Jahren zwischen 1933 und 1945 um.
Es gibt Städte und Gemeinden, die zusammen mit ihren Museen und Heimatforschern, zusammen mit den Historischen Fakultäten der Universitäten und lokalen Geschichtsvereinen eine hervorragende Dokumentations- und Aufklärungsarbeit geleistet haben und leisten.Und dann gibt es Städte und Gemeinden, die haben Angst.
Die versuchen, obwohl die Zeit zwischen 1933 und 1945 durch zahlreiche Forschungen bestens dokumentiert und erschlossen ist, jene Zeit in ihrem konkreten Ort zu verschweigen.  Das funktioniert aber nicht, wie man auch in zahlreichen Städten und Gemeinden studieren kann. Es funktioniert deshalb nicht, weil man Geschehenes nicht ungeschehen machen kann.
Gedenkstättenarbeit kann sogar Bestandteil eines lokalen Tourismuskonzeptes werden, wenn man die Sache richtig anpackt, auch dafür gibt es mittlerweile in Deutschland sehr gute Beispiele.

Ich weiß, daß auch in Born die Stimmen zur Frage, wie man mit der Vergangenheit umgehen sollte, verschieden sind. Und ich bin überzeugt davon, dass sich die Stimmen derjenigen durchsetzen werden, die sagen: die Dokumente liegen ja vor, es gibt keinen Grund, sie zu verschweigen. Erinnerungsarbeit hat in Deutschland mittlerweile selber über 60 Jahre Erfahrungen sammeln können. Die Museen, Geschichtsvereine, Universitäten und Historiker, die über jene Zeit gearbeitet haben und arbeiten, verfügen über sehr große Erfahrung, wie man angemessen jene Jahre dokumentiert und wie man angemessen mit den Dokumenten umgeht. Das, was in dieser Hinsicht in anderen Orten Deutschlands inzwischen bestens gelungen ist, gelingt ganz bestimmt auch im schönen Dörfchen Born auf dem Darß.

 

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