Die Sprache des Terrors: Volksfeind


Wer seine politischen Gegner vernichten will, bezeichnet sie als „Volksfeinde“.
In der Sprache kündigt sich an, was Tat werden soll.
Die Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts ist voller Belege für diese Beobachtung.
Insbesondere während der Zeit des Stalinismus und des Nationalsozialismus war das Wort „Volksfeind“ ein ideologischer Kampfbegiff.
Deshalb ist es keine Lappalie, wenn Donald Trump in einer weltweit zu sehenden Pressekonferenz die versammelten Journalisten, allen voran namentlich genannte führende Medien als „Feinde des Volkes“ bezeichnet.
In der Sprache kündigt sich an, was beabsichtigt ist.
Trump glaubt, nur er wisse, was „das Volk“ will. Er behauptet, seine Sicht der Welt sei die Sicht „des Volkes“, denn schließlich sei er gewählt.
Und jeder, der seine Ansichten nicht teilt, ist nicht nur sein Gegner, sondern Gegner „des Volkes“.
Wir wissen aus der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, was mit den „Volksfeinden“ geschah.
Man hat ihnen Schauprozesse veranstaltet.
Man hat sie gefoltert.
Man hat sie hingerichtet.
Nicht nur einzeln, sondern in Massen.

Es ist nicht banal, was da vor sich geht.
Der amerikanische Präsident benutzt die Sprache des Terrors.
Und wer solche Sprache benutzt, denkt auch in ihren Vorstellungen.
Und ist bereit, umzusetzen, was er sagt.

Wer andere Menschen als „Feinde des Volkes“, als „Volksfeinde“ bezeichnet, denkt in Kategorien des Terrors.

Vicor Klemperer hat immer wieder darauf hingewiesen, wie bedeutsam und wichtig die Sprache als Seismograf für kommende Veränderungen ist. Man kann an ihr ablesen, was kommt. Seine Beobachtungen waren präzise und sie haben sich bestätigt.

Im Weißen Haus hat nicht nur ein Mann gesprochen, den mittlerweile nicht wenige für „verrückt“ halten.
Da hat jemand gesprochen, der in den Kategorien des Terrors denkt.
Seine Sprache verrät ihn.

Und immer wieder Klemperer


Victor Klemperers „LTI – Sprache des Dritten Reiches“ (erschienen 1947) gehört zu den Büchern, die mein Leben maßgeblich geprägt haben. Immer und immer wieder ziehe ich es zu Rate. Nicht nur aus historischen Gründen, sondern, um die eigene Aufmerksamkeit zu trainieren. Ich kann mir mein politisches Leben ohne dieses Buch nicht vorstellen. Es ist zum Fundament meines Denkens geworden.
Was ist die Botschaft dieses Buches?
Achtet auf die Sprache! Denn an der Sprache zeigt sich, was kommen wird. An der Sprache kann man ein Beben erkennen, bevor es eingetreten ist. Sprache ist wie ein Seismograph. Ändert sich die Sprache, wird sich bald das Handeln ändern. Klemperer hat die Notizen zur Sprache des Nationalsozialismus in der Not geschrieben, um sich als Linguist, der er war, sinnvoll zu beschäftigen, trotz Arbeitsverbot.
Dieses Buch hat nicht nur mir geholfen, während der Zeit des DDR-Sozialismus die „offiziellen Verlautbarungen“, wie sie zum Beispiel im „Neuen Deutschland“ zu lesen waren, zu decodieren. Dieses Buch hat nicht nur mir die Augen geöffnet für die eigentlich gemeinte Wirklichkeit hinter der veröffentlichten Sprache.
Dieses Buch ist auch eine Anregung, mit der Gegenwartssprache aufmerksam zu sein.
Besonders wichtig ist die genaue Beobachtung der Sprache im Themenkomplex, der sich um die Worte „Flüchtlinge“, „Asyl“, „Asylrecht“ etc. abbildet.
Denn in kaum einem Politikfeld ist die Sprache so verschleiernd, so vernebelnd, so unklar wie in diesem Themenbereich. Und das hat Gründe.
Da ist zum Beispiel davon die Rede, Afghanistan sei „hinreichend sicher“, um Flüchtlinge dorthin „abzuschieben“. („Abschiebung“ übrigens ist ein Wort der LTI).
Es ist offenkundig, dass Afghanistan kein sicheres Land ist. Eher im Gegenteil. Die Unsicherheit im Lande nimmt Tag für Tag zu, die Belege dafür sind zahlreich. Dennoch hört man aus dem Bundesinnenministerium, das Land sei „hinreichend sicher„. Der Bundesinnenminister ist sich auch nicht zu schade, der Öffentlichkeit zu erklären, „ein Drittel“ der gestern von Frankfurt aus nach Afghanistan abgeschobenen Menschen sei „kriminell“ gewesen. Die Botschaft solcher öffentlichen Rede soll sein: „Im Grunde sind sie alle so“.
Die ZEIT hat in einem längeren Text die Genese solcher verschleiernden Begriffe aufgezeigt. Wer diesen Text aufmerksam liest, teilt vielleicht meine Erschütterung. In den Tiefen eines Bundesministeriums, in den Referaten und Abteilungen kommen solche „Wortdrechseleien“, solche verschleiernden Worte aufs Papier. Irgendein Referatsleiter denkt sich eine solche Formulierung aus, damit möglichst freundlich, möglichst elegant klingt, was nicht freundlich und schon gar nicht elegant ist. Der Minister achtet mit der gesamten Leitung des Ministeriums auf eine entsprechende „Sprachregelung„. Ich weiß, wovon ich rede.

Um zu verhindern, dass insbesondere aus Afrika Menschen zu uns kommen, schließt die Bundesregierung nun mit nicht wenigen Staaten Abkommen ab. Solche Abkommen sind im Munde der Bundeskanzlerin „Migrationspartnerschaften„.  Gemeint aber sind politische Deals. Europa gibt Geld, damit afrikanische Regierungen dabei helfen, dass Afrikaner in Afrika bleiben und sich nicht auf den Weg nach Europa machen.
Alle diese verschleiernden Worte dienen der Abwehr von Flüchtlingen. Man muss keine Mauern bauen, um Flüchtlinge „abzuwehren“.
Worte genügen.

Dahinter tritt ein Denken zu Tage, das nur ein Ziel hat: die Abwehr.
Das Wort „Flüchtling“ ist auf diese Weise, Schritt für Schritt, Wort um Wort, Veröffentlichung um Veröffentlichung für nicht wenige Menschen zu einem Synonym für „Bedrohung“ geworden.
So entstehen Feindbilder.
Und wer auf Wilhelm Heitmeyer hört, der wird die Gefahr erkennen, die in solcher „gruppenbezogenen Fremdenfeindlichkeit“ liegt: am Ende richtet sich die Kraft einer Gesellschaft gegen die schon längst von der Sprache ausgemachten „Feinde“.

Stefan Zweig hat darauf hingewiesen, dass die Veränderungen, die am Ende zur Katastrophe führten, während der Zeit des Nationalsozialismus „Schritt für Schritt“ kamen. Es waren leise Veränderungen. Ein Raunen nur. Eine kaum merkliche Veränderung der Sprache. Kaum hatte man sich an eins dieser Wörter gewöhnt, kam die nächste Eskalation. Bis man sich auch daran gewöhnt hatte.
Heitmeyer spricht deshalb von „Gewöhnungsgewinnen„.
Diese Gewöhnung an die „neue Sprache“ – die ist eines der größten Probleme.
Wer sich anschaut, wie sich die veröffentlichte und mittlerweile öffentliche Sprache im Zusammenhang mit dem Thema Flucht und Migration seit dem öffentlichen Auftreten von AFD, von Pegida & Co verändert hat, der bekommt ein ungefähres Gefühl dafür, was da kommt.
Wenn auch die sogenannten etablierten Parteien mittlerweile völlig unverblümt von „Asylmissbrauch“ sprechen und damit „Abschiebungen“ begründen, dann sieht man, wie das gegangen ist: von ganz rechts außen kam das Wort. Und nun ist es mitten im alltäglichen Sprachgebrauch.
Die unterlegte, (noch) nicht ausgesprochene Grundthese dabei lautet: „die sind alle kriminell. Die missbrauchen alle unsere Großzügigkeit. Die gehören alle „abgeschoben““. Das genau ist die Absicht derjenigen, die ihre „gruppenbezogene Fremdenfeindlichkeit“ längst in Hass gewandelt haben.

Wenn aber die veröffentlichte Sprache solche Rede übernimmt, ohne zu reflektieren, was da eigentlich vor sich geht – dann zieht der Hass ein in die ganze Gesellschaft. Und dieser Hass richtet sich dann stets gegen die Schwächsten, gegen die, die Hilfe brauchen.
Es beginnt mit der Sprache.

Sprache und Klimawandel. Ein Klärungsversuch


Die veröffentlichte Rede über den Klimawandel strotzt nur so von unklaren Begriffen. Unklare Begriffe aber führen zu unklarem Denken. Und am Ende kommt nicht selten ein Streit heraus, bei dem es um die abstruse Frage geht, ob man „an den Klimawandel glaubt“ oder nicht.
Deshalb will ich einen bescheidenen Beitrag zur begrifflichen Klärung beisteuern.
1. Klimawandel.
Das Klima wandelt sich, seit es diese Erde gibt.
Die Frage ist also nicht, ob sich das Klima wandelt.
Die wichtige Frage ist, ob und wenn ja, welchen Einfluss „der Mensch“ (gemeint ist die Summe der Folgen menschlichen Handelns) auf den Wandel des Klimas hat und welche Folgen dieser vom Menschen beeinflusste Wandel auf das Gesamtsystem Erde und damit auf den Menschen selbst hat.
Die internationale Klimawissenschaft ist sich sicher:
die großen Abweichungen im Verhalten des Weltklimas im Vergleich zu vorherigen Abweichungen lassen sich nicht aus nur rein natürlichem Verhalten des Erdsystems erklären.
Diese beobachtbaren Abweichungen im Verhalten des Weltklimas lassen sich nur dann erklären, wenn man den Einfluss des Menschen berücksichtigt.
Und da eben zeigt sich, dass der Einfluss des Menschen auf das Weltklima erheblich ist.
Die von der Klimawissenschaft zunehmend präziser bereitgestellten Modelle des Weltklimas versuchen gegenwärtig, immer genauer diesen Einfluss des Menschen aus den gewaltigen Datenmengen, die von den weltweiten Meßsystemen bereitgestellt werden, herauszufiltern und genauer zu bestimmen. Das ist wissenschaftlich überaus anspruchsvoll, erfordert die stärksten Rechner und gelingt nur im internationalen Verbund. Wer sich in diese faszinierende Disziplin einarbeiten möchte, kann mit dem Deutschen Klimarechenzentrum Kontakt aufnehmen.

2. „Klimaschützer. Klimaschutz
Man kann das Weltklima nicht „schützen“, weil wir als Menschen nur Teil des Gesamsystems Erde sind. Deshalb sind die Wörter „Klimaschützer“ oder „Klimaschutz“ eigentlich Schimären.
Was also meinen diese Worte eigentlich, wenn man „das Klima“ gar nicht „schützen“ kann?
Sie meinen,
a) dass sich „der Mensch“ auf die Folgen des beschleunigten Wandels des Klimas vorbereiten (dazu hat sich in den vergangenen Jahren die relativ junge Disziplin der Klimafolgenforschung etabliert; beispielhaft am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und
b) seinen Beitrag zum beschleunigten Wandel des Klimas möglichst reduzieren muss. Hierbei geht es vor allem um die Auswirkungen der menschlichen Nutzung von fossilen Energien. Die Stichworte heißen „Energiewende“, „Erneuerbare Energien“ etc.

Nun haben sich diese unklaren Worte „Klimaschutz“ und „Klimaschützer“ leider schon so sehr eingeschliffen, dass wir wohl mit ihnen als Krücken werden leben müssen. Wichtig ist aber, das man ihre begriffliche Unklarheit klar vor Augen hat, sonst gibt’s argumentatives Durcheinander.

3. an besonderen Ereignissen (Starkregen, Flutkatastrophen, Trockenheiten etc.) sei „der Klimawandel schuld
Der Klimawandel ist an gar nix „schuld“, denn Schuld ist eine ethische Kategorie.
Die Frage ist also präziser, ob besondere Ereignisse (Starkregen etc.) die Folgen des durch den Menschen verursachten schnelleren Klimawandels sind.
Dies ist im Einzelfall nur äußerst schwer nachzuweisen. Weiter oben ist ja auf die Schwierigkeit hingewiesen worden, aus den weltweit gesammelten Messdaten exakt den „Anteil des Menschen“ herauszufiltern.
Allerdings zeigt sich in der Gesamtschau, dass der Einfluss des Menschen und die Wirkungen seines Handelns auf das Weltklima und die daraus entstehenden Folgen, dass die enormen Veränderungen, die gegenwärtig beobachtet werden, auf sein Handeln zurückgeführt werden müssen, weil sie anders gar nicht erklärbar sind.
Sofern man überhaupt ethische Kategorien verwenden will, ist also nicht die Frage, ob „der Klimawandel schuld“ ist, sondern, ob „der Mensch schuld“ ist.

4. „den Klimawandel stoppen
Das kann niemand. Denn Klimawandel findet statt, seit es die Erde gibt.
Deshalb sind auch Sprüche wie „wir retten das Weltklima“ weitgehend sinnfrei.
Was also ist eigentlich gemeint?
Es geht um die Frage, was getan werden muss, damit die Folgen des durch menschliche Aktivität beeinflussten beschleunigten Klimawandels möglichst vermieden oder zumindest reduziert werden.
Ich gehöre zu denjenigen, die es für aussichtlos halten, den menschlichen Anteil an der Beschleunigung des Klimawandels zu stoppen. Dazu sind die Entwicklungen schon viel zu weit fortgeschritten und die Wissenschaft hat an zahlreichen Beispielen aufgezeigt, dass nicht wenige sogenannte Kipp-Punkte (tipping points) in den natürlichen Kreisläufen bereits überschritten, das bedeutet, unumkehrbar geschädigt sind. Was in dem Zusammenhang gern übersehen wird: Das CO2 (Kohlendioxid) hat einen Kreislauf von etwa 200 Jahren, bis es am Meeresboden eingelagert wird. Selbst wenn man alle menschenverursachten Emissionen sofort anhalten würde, würde sich das Klimasystem dennoch beschleunigt verändern.
Deshalb geht es vor allem um die Frage, ob man die Folgen des menschenverursachten Klimawandels wenigstens begrenzen kann und was dafür erforderlich ist.
Die Weltgemeinschaft hat sich in Paris darauf verständigt, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts auf 2 Grad zu begrenzen. Denn ein weiterer Anstieg würde zu katastrophalen Veränderungen führen.
Ob dieses anspruchsvolle Ziel tatsächlich erreicht wird, ist offen, denn im Moment steigen die aus menschlicher Aktivität verursachten Emissionen nach wie vor weiter kräftig an.
Es gibt sogar Versuche, den Anstieg der Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das allerdings halte ich persönlich für noch unwahrscheinlicher, weil ein Anstieg um 1,2 Grad bereits erreicht ist.
Viele Klimawissenschaftler und auch nicht wenige Klimapolitiker äußern deshalb zunehmend öffentlich, dass ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 3 Grad und mehr (bis zu 6 oder gar 11 Grad!) nicht unwahrscheinlich ist. Wenn nicht massiv und unter höchster politischer Priorität gegengesteuert wird.

Bei allem ist eines sicher, das sagen uns die an der Klimaforschung beteiligten Disziplinen, die Physiker, Chemiker, Biologen, Geologen, Soziologen etc. :
die Folgen der dramatischen Beschleunigung des Klimawandels, verursacht durch menschliche Aktivität (insbesondere die Nutzung der fossilen Energien) werden gewaltig und extrem teuer sein.
Und je länger die Menschheit zögert, diskutiert, nicht entscheidet – um so gewaltiger und teurer werden sie sein. Wer diese Zusammenhänge aus der Sicht des langjährigen Direktors des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung nachlesen will, der lese sein Buch Selbstverbrennung.

Die Weisheit der Sprache


Sonnenaufgang in der Uckermark
Sonnenaufgang in der Uckermark

Die Sprache, die ich nutze, ist älter als ich. Sie ist reich, birgt altes Wissen der Generationen, die vor mir gelebt haben. Diese Erfahrungen sind in Worte geronnen. Manche sind sehr alt.
Die Sprache beherbergt Erfahrungen, auf die ich neugierig bin.
Deshalb denke ich ihr nach, höre ihr nach, spüre ihr nach, bin auf Entdeckungsreise.
In aller Herrgottsfrühe“ war da heute einer aufgestanden, so stand es bei facebook zu lesen.
Ich sehe nach und finde: „Die Bezeichnung „Herrgottsfrühe“ kann sich auf Gott als dem Geber und Herrn der Zeit beziehen, oder aber es handelt sich um einen Hinweis auf das Läuten der Glocke zur Frühmesse „. (www.redensarten-index.de).
Gott als der Geber und Herr der Zeit.
Altes Wissen birgt sich da im Wort.
Alte Erfahrung.
Weitergegeben von Generation. Eingewurzelt nun in unserer Sprache. Damit diese Erfahrung nicht verloren geht.
Das Wort „Gott“ ist selbst eher eine Verdunkelung, denn eine Erklärung, weshalb ich es hier unerklärt stehen lasse, wie einst die Hebräer das Wort JHW. Wichtiger ist mir, was von ihm ausgesagt ist:
nicht wir, sondern „er“ (oder „es“, oder „sie“) ist Geber der Zeit.
Das ist die alte Erfahrung: ich kann meinem Leben nicht eine Sekunde hinzufügen. Leben ist Geschenk.
Alle, die glauben, man könne Leben „verlängern“, irren grundsätzlich.
Wir sind nicht die Herren der Zeit, die uns gegeben ist.
Wer sich morgens, in einem Urlaub vielleicht, die Freude bereitet, einen Sonnenaufgang still zu beobachten, den Moment, in dem ein neuer Tag geboren wird, kann eine Ahnung vom Gemeinten ergattern.
Wenn man ganz still nur beobachtet.
Nicht kommentiert.
Nur wahrnimmt.
Es lohnt sich, hinterher einmal aufzuschreiben, was man da eigentlich genau wahrgenommen hat.
Geschenkte Zeit.
Jochen Klepper dichtet 1937, die Nazis waren schon 4 Jahre an der Macht und glaubten, sie seien nun die Herren:

Der du die Zeit in Händen hast

1. Der du die Zeit in Händen hast, Herr, nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen.
Nun von dir selbst in Jesus Christ die Mitte fest gewiesen ist, führ uns dem Ziel entgegen.

2. Da alles, was der Mensch beginnt, / vor seinen Augen noch zerrinnt, / sei du selbst der Vollender. / Die Jahre, die du uns geschenkt, / wenn deine Güte uns nicht lenkt, / veralten wie Gewänder.

3. Wer ist hier, der vor dir besteht? / Der Mensch, sein Tag, sein Werk vergeht: / Nur du allein wirst bleiben. / Nur Gottes Jahr währt für und für, / drum kehre jeden Tag zu dir, / weil wir im Winde treiben.

4. Der Mensch ahnt nichts von seiner Frist. / Du aber bleibest, der du bist, / in Jahren ohne Ende. / Wir fahren hin durch deinen Zorn, / und doch strömt deiner Gnade Born / in unsre leeren Hände.

5. Und diese Gaben, Herr, allein / lass Wert und Maß der Tage sein, / die wir in Schuld verbringen. / Nach ihnen sei die Zeit gezählt; / was wir versäumt, was wir verfehlt, / darf nicht mehr vor dich dringen.

6. Der du allein der Ewge heißt / und Anfang, Ziel und Mitte weißt / im Fluge unsrer Zeiten: / bleib du uns gnädig zugewandt / und führe uns an deiner Hand, / damit wir sicher schreiten.

Lebenszeit.
Geschenkte Zeit.
Ich bin dankbar für jeden neuen Tag, der mir geschenkt wird.
Am klarsten fühle ich diese Dankbarkeit in aller Herrgottsfrühe, wenn der Tag noch klar und jung und unbenutzt vor mir liegt.

Den Wortschatz heben – heute: „Gutmensch“


Das Wort fiel heute früh in meine Schale. Schnell verbarg es sich wieder im Fluss der Worte des Tages, nun, am Abend, zeigt es sich erneut.
Einen Moment will ich dem Wörtlein nach denken.
Wie man bei der Gesellschaft für deutsche Sprache lernen kann, ist es ein relativ neues Wort. Man gebraucht es etwa seit 1985.

Wie ich im Laufe des Tages bei facebook in einem Kommentar erfahren konnte, gelten „Gutmenschen“ heutzutage als „nervig“. Man meint, sie fühlten sich anderen „moralisch überlegen“, also als „etwas Besseres“. So jedenfalls der Kommentar.
Das Wort selbst spricht nicht davon.
Es qualifiziert den Menschen, von dem doch eigentlich – oder doch nicht? – anzunehmen ist, daß er gut sei, ausdrücklich mit dem Präfix „gut“.
Weshalb?
Weil sich Ende der achtziger Jahre – es war die Zeit der großen friedens- und umweltpolitischen Debatten nach dem NATO-Doppelbeschluss – ein Gefühl in der Bevölkerung breitmachte, es könnte angesichts von Hochrüstung und ökologischer Bedrohung zuviele „schlechte“ Menschen geben?

Interessanter weise unterscheidet die Sprache zwischen „gute Menschen“ und „Gutmensch“, obgleich das Wort am Beginn seiner Laufbahn doch eher diejenigen bezeichnen sollte, die neben aller Pragmatik und betriebswirtschaftlichem Wachstumsdenken noch andere Maßstäbe an unternehmerisches und politisches Handeln anzulegen einforderten.
Nicht selten waren es politisch sehr interessierte, gebildete und wache Menschen, die mit jenem Wörtlein bezeichnet werden sollten, also eigentlich „gute Menschen“.

Nun hat sich der Gebrauch des Wortes mittlerweile aber verändert. Es ist zum Schimpfwort geworden.
Das ist ein interessanter Vorgang.
Ich weiß aus meiner Zeit im Parlament, daß das Wort „Gutmensch“ gern von Menschen in den Mund genommen wird, die es ablehnen, politische und wirtschaftliche Entscheidungen nach ethischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Sie halten solches Denken für „Gedöns“, für unnütz, wenn nicht gar, für schädlich, jedenfalls für unangemessen.
Menschen, die kritische Nachfragen nach den tatsächlichen Folgen politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen nicht länger dulden wollen, die eine „Herumnörgelei“, wie sie es bezeichnen, „satt haben“, bezeichnen jene, die dennoch darauf bestehen, daß politisches und wirtschaftliches Handeln nach mehr Kriterien beurteilt werden muß als nach pragmatischen, gern als „Gutmenschen“.
Gemeint ist: „halt endlich deine Klappe, du nervst“.

Nun also ist zu beobachten, daß sich offenbar solches Denken durchgesetzt hat: das Wort ist ein abwertendes Schimpfwort geworden.
Dies bedeutet ja wohl, daß sich jene als deutungsmächtig durchgesetzt zu haben scheinen, die der schlichten Pragmatik das Wort reden.
Es geht nicht an, daß „ständig“ mahnend an die Folgen kurzfristigen politischen Handelns erinnert wird.
Ökologen, Pazifisten, Menschen in Dritte-Welt-Gruppen – all diese werden gern von den Vertretern von Gewinn und Profit und kurzfristigem „Erfolg“ als „Gutmenschen“ bezeichnet.
Damit ist man fertig mit ihnen.
Man klebt ihnen jenes Etikett an die Stirn, brandmarkt sie damit – ähnlich dem Vieh, dem der Züchter sein Brandeisen ins Fell drückt – und versucht, sie auf diese Weise für „etwas spinnert“ zu erklären.
„Gutmenschen“ sind eben keine Realisten.
Solche „Träumer“ kann man nicht gebrauchen. Politik und Wirtschaft sind ein hartes Geschäft, nicht wahr, da geht es nach Mehrheiten und nicht darum, ob man „Recht“ hat.
Am Ende zählt „was unter dem Strich“ herauskommt; am Ende „zählen nur harte Zahlen“, nicht wahr.
Da kann man solche „Gutmenschen“ nicht gebrauchen.

Nun weiß die Psychologie, daß die Abwehr ein Anzeichen für ein eigenes Defizit ist.
Wenn also das Wort „Gutmensch“ in eher abwehrender, abwertender Bedeutung verwendet wird, deutet das darauf hin, daß derjenige, der es in diesem Sinne benutzt, sehr wohl wahrnimmt, daß sein eigenes Handeln möglicherweise nicht ausreichend begründbar ist und genauerem Nachfragen nicht standhalten würde.
Wer den anderen abwertet, tut es deshalb, weil er sich selbst damit aufwerten möchte, weil er ahnt, daß da etwas faul sein könnte bei ihm selbst.
Das Vor-Urteil funktioniert eben nach diesem Mechanismus. Im etikettierten anderen wehre ich den Anteil in mir ab, den ich selbst nicht sehen will.
Wohl, weil ich es nicht aushalten würde.

Wenn nun aber eine ganze Gesellschaft ein Wort in jenem abwertenden Sinne verwendet – wir sahen es eingangs -, dann sagt es eben etwas über diese Gesellschaft.
Wenn „Gutmensch“ im allgemeinen Sprachgebrauch zum Schimpfwort geworden ist, dann bedeutet dies, daß eine ganze Gesellschaft nicht zu sehen bereit ist, wozu ihr Verhalten führt, wenn sie sich wirklich kritisch selbst befragen würde.
Deshalb ist es leichter auszuhalten, diejenigen, die nicht selten mit klaren Worten und wachem Verstand auf die Folgen unseres Wirtschaftens und unserer an kurzfristigen Zielen orientierten, nicht selten nur noch mit „Schadensbegrenzung“ befassten Politik hinweisen, als „Gutmenschen“ zu diskreditieren.

Es ist ein wichtiges Wort.
Denn es weist auf einen Schatten hin.
Es mahnt.
Es ist unbequem.
Denn offensichtlich hat eine Gesellschaft, die das Wort vom „Gutmenschen“ in abwertender Intention verwendet, ein sicheres Gefühl dafür, daß am eigenen Handeln „etwas nicht stimmen“ könnte…..

Redefreiheit – oder: etwas über die Worte


Dürfen Menschen in öffentlichen Ämtern alles sagen, was sie wollen? Die Frage scheint belanglos. Sie tun es ohnehin. Dennoch: Worte haben eine große Kraft. Sie enthalten die Tat. Das ist ein alt bekannter Zusammenhang.
Es gibt ein Sprichwort, das sinngemäß etwa lautet: „achte auf deine Gedanken, denn aus den Gedanken folgen die Worte. Achte auf deine Worte, denn aus den Worten folgen die Taten. Achte auf deine Taten, denn aus ihnen wird dein Schicksal.“
Deshalb ist es nicht egal, welche Worte „benutzt“ werden, zumal in öffentlicher Rede.
Man hat mir seit gestern in hunderten von mails vorgeworfen, ich wolle durch meine Anzeige gegen Herrn Seehofer die „Redefreiheit“ einschränken. Nein. Darum geht es mir nicht.
Ich trete sehr für die Redefreiheit ein. Sie ist ein sehr wichtiges Grundrecht, vielleicht sogar eines unserer wichtigsten. Ich gehöre zu denen, die sagen: „Ich teile Deine Meinung nicht, aber ich will dafür eintreten, daß du sie sagen kannst.“
Dennoch muss ein Weiteres bedacht werden. Denn es gibt eine Grenze.
Das Strafrecht hat diese Grenze gezogen. Es gibt Worte und Reden, die sind strafbewehrt. Zum Beispiel im §130 StBG sind einige davon ausgeführt.
Im Einzelfall zu beurteilen, ob durch eine Rede die Grenze zwischen Redefreiheit und Strafbarkeit überschritten worden ist, ist Sache der Justiz. Dafür ist sie da.
Ich kann nur etwas über die „Kraft der Worte“ beitragen, denn davon verstehe ich ein wenig.
Wenn ich mir verschiedene öffentliche und nichtöffentliche Diskurse daraufhin anschaue, was da eigentlich für eine Sprache benutzt wird, welche Worte man wählt – und wie die Reaktionen darauf sind, dann habe ich den Eindruck, daß in unserer Gesellschaft der Beliebigkeit Tor und Tür geöffnet ist. Zumal Journalisten und Politikern scheint man alles zuzutrauen und man scheint auch bereit, alles zu tolerieren.
Das geht nach dem Motto: „es ist ja ohnehin egal, was die reden“. Zu einem solch vernichtenden Urteil über „die Politik“ und „die Medien“ tragen natürlich öffentliche Reden von Politikern und veröffentliche Texte von Journalisten etliches bei. Weshalb ich für verantwortungsvolles Reden und Schreiben plädiere.
Im eher privaten Bereich beobachte ich Ähnliches: die vielen mails, die mich nun erreichen und die manchmal offen aggressiv und ausländerfeindlich sind, zeigen es: in der Anonymität der e-mail traut sich ein Absender zu sagen, was da in ihm ist. Da wird sehr viel Ungutes sichtbar. Hass, Verachtung, Niedertracht, Häme, Neid, Hohn, Fremdenfeindlichkeit, Verachtung anderer Kulturen und Religionen. Die Kommentare zum blog von gestern zeigen eine kleine Auswahl davon. Die weitgehend anonyme Kommunikation im Internet macht diese in der Bevölkerung offenbar vorhandenen Einstellungen in ungewohnter Brutalität sichtbar.
Denn, wer nicht mal unter seinem Klarnamen schreibt, kann sich noch leichter „verstecken“ und endlich mal ganz offen aussprechen, was so in ihm steckt. Es wird wichtig sein, für das Reden und Schreibem im Internet Regeln zu finden. Denn: was im öffentlich geäußerten Wort gilt, müsste, so denke ich, eigentlich auch im halböffentlichen Raum des Internets gelten: Hass, Fremdenfeindlichkeit, Verachtung anderer Kulturen und Religionen dürften nicht zugelassen sein. Ich weiß, daß das eine sehr komplexe und schwierige Frage ist. Ich will nur auf ein Problem aufmerksam machen.
Nun mag es in Zeiten einer von Bildern und Videos geprägten, stark vom Auge vermittelten Massenkommunikation wie der Streit Don Quichottes gegen Windmühlenflügel anmuten, wenn ich etwas über die Worte und ihre Kraft sage.  Es scheint mir dennoch not-wendig. Denn außer der Körper-Sprache, die sich in Gesten, Mimik und Motorik äußert, haben wir nur die Worte, um uns mitzuteilen. Wenn es nun darum geht, das Miteinander der Menschen, ihre verschiedenen Ansichten, Interessen, Meinungen, Verhaltensweisen zu ordnen und möglichst friedlich zu halten – und das ist vornehme Aufgabe von Politik – haben die Worte eine um so größere Bedeutung.
Vielleicht trägt der Vorgang um die Passauer Rede eines Ministerpräsidenten und die sich nun daran anschließende Debatte ein wenig dazu bei, daß wir sorgsamer mit den Worten umgehen. Das wäre sehr sehr viel, ich weiß das. Ob bei dieser Rede die Grenze zwischen Redefreiheit und Strafrecht verletzt worden ist, habe ich nicht zu klären. Mir liegt aber daran, daß das geklärt wird.
Und mir liegt daran, daß wir aufmerksam bleiben gegenüber dem gesprochenen und geschriebenen Wort.
Denn: aus den Gedanken folgen die Worte, aus den Worten die Taten, aus den Taten wird unser Schicksal.

Ich habe nur die Worte – etwas über das bloggen


Politik sei die „Einmischung in die eigenen Angelegenheiten“ hat mein Freund Jürgen Fuchs immer gern zitiert. Solche Einmischung ist notwendig und keine Frage des Alters. Auch zeitweilige Pensionäre wie ich können sich daran beteiligen.
Ich habe kein Amt, ich habe kein Mandat – aber ich habe die Worte. Und das ist viel.
Denn jetzt – in meiner Sabbath-Zeit – habe ich ausführlich Muße zum Lesen, zum recherchieren, zum Verdichten der Argumente. Sehr viel mehr Ruhe und Zeit als ich es je im Berufsleben hatte. Ich genieße das sehr. Und mische mich ein. In die „eigenen Angelegenheiten“.
Zum Beispiel in den Streit um den Bundesverteidigungsminister. Ich mische mich ein in den Streit um die Werte Europas. Ich mische mich ein, wenn es darum geht, endlich gehbare Wege zu einer Weltinnenpolitik zu finden, die den armen Ländern dieser Welt etwas mehr Gerechtigkeit angedeihen lässt.
Ich habe nur die Worte. Aber das ist sehr viel.

Seit über einem Jahr befasse ich mich nun mit den Chancen und Möglichkeiten, aber auch mit den Gefahren des Internets und der sozialen Netzwerke. Ich lerne täglich dazu.
Wenn ich morgens an den Rechner gehe, beginnt der Unterricht. Es ist ein learning by doing, ein sehr praxisorientierter Unterricht.

Mittlerweile kann ich ein wenig auf diesem neuen Instrument spielen, so, wie ich in den Pausen auf meinem Flügel spiele, der nebenan im Wohnzimmer steht. Mir steht mittlerweile eine gewisse Fingerfertigkeit zur Verfügung. Das kommt vom Training….

Täglich staune ich über die Kraft des Internets und der sozialen Netzwerke. Ich beobachte in diesen Tagen, wie sich nun allmählich etwas sehr Besonderes ereignet: der Widerstand der Akademikerschaft gegen einen Lügner im Amt des Bundesverteidigungsministers.
Da gibt es das Wechselspiel zwischen klassischen Medien (Rundfunk, Fernsehen, print) und den sozialen Netzwerken. Sie befruchten sich gegenseitig, korrigieren sich, kommentieren sich, nehmen Anteil und Einfluß aneinander und aufeinander. Und beeinflussen damit natürlich auch das Geschehen in Parlament und Regierung.

Blogger haben eine große Kraft und großen Einfluss, denn sie können sich gegenseitig in Sekundenschnelle unterstützen. Blitzschnell wird aus einem einzelnen posting eine ganze Welle im Netz.
Wenn sie authentisch sind. Denn die Währung des Internets ist Authentizität.

In diesen Tagen, in denen die NATO über eine Invasion in Nordafrika nachdenkt; in diesen Tagen, in denen die deutsche Wissenschaft ihren guten Ruf zu verteidigen hat gegenüber einem Hochstapler und Verführer im Amt eines Bundesministers; in diesen Tagen hat das bloggen und posten eine besondere Aufgabe: es kann dazu dienen, dem mainstream entgegenzuwirken.
Die community wendet sich gegen die von der BILD behauptete Meinungsführerschaft. Und sie hilft, die Ehre der deutschen Wissenschaft zu verteidigen.
Ein offener Brief junger Promovenden an die Kanzlerin findet innerhalb weniger Tage viele Zehntausend Unterzeichner und verleiht dem Anliegen dadurch große Resonanz.
Eine Stellungnahme von über tausend Professoren findet innerhalb kürzester Zeit europaweite Verbreitung.

Ich habe nur die Worte.
Und einen Computer.
Und ein wenig politische Erfahrung.

Das Internet ist ein wunderbare Möglichkeit der politischen Teilhabe. Ich arbeite gern mit den neuen Medien. Ich lerne tägliche neue, interessante Menschen auf diesem Wege kennen, kann mich mit ihnen austauschen, argumentieren, zuhören. Es ist eine sehr große Bereicherung in meinem Leben.

Blogger sind keine „jungen Spinner“, wie es mancher in der Politik gern hätte.
Blogger sind Staatsbürger ohne Uniform. Aber mit Computer.

Unsere Demokratie kann dieses wunderbare Instrument der Teilhabe wirklich sehr gebrauchen gegenüber denen, die glauben, sich die Republik einfach kaufen zu können.
Wir werden ihnen unseren Widerstand entgegensetzen.
Diese Republik ist nicht käuflich!

Etwas über Schlagworte


Sie sind, was sie sagen: Schläger.
Schlagworte schlagen oder erschlagen gar. Meist die Wahrheit.
Sie sind beliebt und vielfach im Gebrauch.
Je kürzer der Text wird, je enger der Raum zwischen den Worten im Kampf um das knappe Gut Aufmerksamkeit, je beliebter werden sie.
Komplizierteste Sachverhalte werden in der Hitze des Meinungsstreits im Kampf um Aufmerksamkeit eingeschmolzen zum Schlag-Wort.
Nach-Denken ermöglichen sie nicht mehr. Denn meist geht die Be-Sinnung verloren.
Es geht den Schlag-Worten und ihren Nutzern nur noch darum, Wirkung zu erzielen.
Wie in einem Box-Kampf.
Das Argument des andern soll möglichst schnell erschlagen werden.
Manche reihen sich gar zur Schlag-Zeile. Zeitungen leben davon.
Je „treffender“ eine Schlag-Zeile, umso größer die Chance, daß das Blatt gekauft wird. Am Kiosk. Und anderswo.

Politiker und Bosse, auch Schauspieler oder Sportler können gar „Schlag-Zeilen machen“. Ist zu lesen.
Wobei dies nur einen Teil der Wahrheit beschreibt, denn Schlag-Zeilen entstehen in Redaktionen oder privaten Computern. Zuvor jedoch in den Hirnen derer, die sie dann auf-schreiben.
Die Nutzung von Schlag-Worten sagt also etwas über den Nutzer. Und sein Denken.
Menschen regen sich gern über solche Schlag-Zeilen auf, die Politiker oder Wirtschaftsbosse oder andere Obrigkeiten betreffen.
Dann kaufen sie das Blatt.
Oder teilen es in einem Netzwerk.
Je größer die Aufregung, je besser der Umsatz.
Das ist beabsichtigt.

Es geht also ums Geld.
Ah ja.

Schlagworte eignen sich besonders für Titel-Seiten.
Titel-Seiten sind soetwas Ähnliches wie Titel-Kämpfe. Beim Boxkampf. Oder Ähnlichem.

Titel-Seiten entscheiden mit ihren Schlag-Worten, aufgereiht in Schlag-Zeilen, über den Verkaufs-Erfolg einer Zeitungsausgabe.
Es geht also erneut um Geld.
Was wir schon ahnten.

Die Bereitschaft zum differenzierten, genauen Argument nimmt mit der Häufigkeit der Nutzung von Schlagworten ab.
Das Denken wird ein-fach. Manchmal gar ein-fältig.
Man sieht es an den Kommentaren.

Schlag-Worte sind Zeichen einer immer mehr verarmenden Alltagssprache.
Sie sind Menetekel, An-Zeichen eines immer mehr verarmenden Denkens.
Sie sind die „Schrift an der Wand“, die das Un-Heil ankündigt. Vom König wird erzählt, er konnte diese Schrift nicht lesen, die da als Menetekel an der Wand stand.
Weshalb er nach einem Deuter rufen lies….

Hilfreiche Worte jedoch sind assoziativ, erzählen Geschichten, laden ein. Zunächst zum Zu-Hören, später zum Teilen der Gedanken, zum Dia-log.
Doch, solche hilfreichen Worte werden knapp in Zeiten, die von Schlag-Zeilen und Schlag-Worten bestimmt werden.

Dass Schlag-Worte die Gewalt unseres Alltags zur Sprache bringen, ist bekannt.
Sie zeigen uns die Gewalt in unserem Alltag. In Politik, Gesellschaft, Meinungsstreit.
So gesehen, halten sie uns einen Spiegel vor.
Nicht nur den gedruckten.
Die häufige Nutzung von Schlag-Worten in unserer Alltagssprache sagt uns etwas.
Über uns.
Und die Art, wie wir leben und miteinander umgehen.

Es ist also zu bedenken: Schlag-Worte haben eine Wirkung. Nicht nur beim „Gegner“, sondern auch beim „Schläger“:
Sie machen unser Leben gewalttätiger.
Denn Worte haben immer eine Wirkung auch auf den Sprechenden. Meist eine unbemerkte.
So, wie der geführte Schlag immer auch auf den Boxer zurückwirkt – er lernt im Training, jene Kraft abzufedern, die da vom Schlag auf ihn selbst zurückkommt – so wirkt das benutzte Wort auf den Nutzer zurück.
Es ist wichtig, dies wahrzunehmen.

Nun lässt sich zeigen, daß sich eine immer komplexer und komplizierter werdende Welt immer unzureichender in Schlag-Worten abbilden lässt.
Am Wort „Klima-Wandel“ lässt sich das studieren.
Spricht man es aus, spaltet man. In Menschen, die „an den Klimawandel glauben“ und jene, die dies nicht tun.
Das Schlag-Wort ist zum Spalt-Wort geworden.
Wenn es zutrifft, daß Wahrheit sinfonisch ist, also aus dem Zusammenklang von Teilwahrheiten besteht, dann kann man sehen, daß sich „die Wahrheit“ in Schlag-Worten nicht gut genug transportieren lässt.
Es gibt im ZEN den klugen Satz:
„Es gibt Deine Wahrheit. Und meine Wahrheit. Und DIE Wahrheit.“
Sinfonisch also.
Dazu sind Schlag-Worte jedoch nicht geeignet.
Bestenfalls zu einem Pauken-Schlag.
Diese Worte transportieren zu wenig Inhalt. Sie klingen nicht. Sie schlagen nur.
Damit die Kassen klingeln.
Es gibt mittlerweile Maschinen, die Texte nach Schlag-Worten durchsuchen.
Wenn man Texte schreibt, kann man sie gar „verschlagworten“, damit jene Maschinen den Text schneller finden.

Schlagworte enthalten vor allem eins: Wertung.
Sie tragen kein Argument, sondern eine Meinung.

Ein wirkliches Gespräch ist bei Be-nutzung von Schlag-Worten nicht möglich.
Schlagworte gehören zum Streit, nicht zum Gespräch.

Ich hab mir daher angewöhnt, mit einer Zeitung ein kranke Fliegen zu erschlagen.
Um sie zu erlösen.
Aber nur ausnahmsweise.

Mit Büchern geht das schlechter als mit Zeitungen.
Wieder was gelernt….

„…denn deine Sprache verrät dich“


Der Mann hatte zweimal geleugnet. Gar geschworen. Und doch: seine Sprache verriet ihn als einen Kombattanten, als einen Genossen, einen Weggefährten, einen Gleichgesinnten. Der Satz stammt aus einer alten Geschichte, die von einem berühmten Gerichtsprozess handelt. Ein Hahn kommt auch drin vor. Seither findet man jenen Hahn oben auf der Wetterfahne vieler Kirchen. Der Hahn als Zeuge des Meineids und der Lüge.
Lüge beginnt im Denken.
Die Sprache folgt.
Und schafft Wirklichkeit.
Deshalb ist es interessant, wenn absichtliche Veränderungen an Sprache vorgenommen werden. In Ministerien zum Beispiel.
Man kann mit Hilfe der Sprache Zusammenhänge verschleiern, kann sie deuten, kann Beabsichtigtes vorweg nehmen.
Wer mit wachem Auge die Titel von Gesetzen liest, findet hundertfachen Beleg für solches Denken.
Ich bin in einem Land aufgewachsen, vor langen Jahren in jenem „Land hinter den Bergen“, wie es mir manchmal vorkommt, in dem die Beobachtung der Sprache zu einem Hilfsmittel wurde, um herauszufinden, was die Obrigkeit tatsächlich im Schilde führte.
Die zweite Diktatur hat gar einen eigenen „Wortschatz“ hervorgebracht, wobei mir das Wort vom „Schatz“ gar nicht gefallen will. Denn die Sprache der Diktatur war vor allem eins: Instrument zur Vernebelung der Hirne.
Zu meinem Handwerkszeug zur Entschlüsselung gesellschaftlicher Wirklichkeit wurde seit meinen Studienjahren das großartige Buch von Victor Klemperer „LTI – Lingua Tertii Imperii. Sprache des Dritten Reiches“. Man konnte es bei Reclam kaufen für ein paar Groschen.
Ich weiß noch, wie ich manches Mal gemeinsam mit Freunden den Klemperer las und daneben das „Neue Deutschland“, das „Zentralorgan der SED“. Wir wollten entschlüsseln, was um uns vorging. Wollten aus der Sprache der Oberen erraten, wie es um sie und uns stand.
Ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit einem unserer Professoren, dem ich viel verdanke. Er machte uns auf das zunehmend Religiöse in der Sprache der Diktatur aufmerksam. Nur wenige Jahre vor dem Ende der Diktatur begann sie, die sich doch eigentlich atheistisch verstand, religiöse Vokabeln zu benutzen. Da war von „ewiger Freundschaft zur Sowjetunion“ zu lesen. Man sprach zu einem Zeitpunkt von „ewiger Freundschaft“, als die Reformbemühungen Gorbatschows einen ersten Schwall frische Luft ins System bliesen. Als Kurt Hager auf die Frage, wie er zur Perestroika stünde, lakonisch kommentierte: „Wenn mein Nachbar renoviert, brauche ich nicht auch gleich neue Tapeten“ wurde klar, daß es mit dem „Ewigen“ in jener Freundschaft nicht gut bestellt sein konnte. Der Kaiser war nackt.
Als die Titel, die die Gazetten, allen voran das „Neue Deutschland“ dem „Staatsratsvorsitzenden und Ersten Sekretär des ZK der SED“ beigaben, immer länger und die eigentliche Nachricht immer kürzer wurde, war klar: er hatte um seine Macht zu fürchten. Manche Meldung bestand zu drei Vierteln aus den Titeln jenes Herrn und im letzten Satz konnte man erfahren, daß er verreist sei. Ins „Bruderland“ zum Beispiel.
Auch vom „neuen Menschen“ konnte man erfahren, dies schon vom Anbeginn der Diktatur. Je religiöser die Sprache der Diktatur wurde, um so näher war die Diktatur vor ihrem Ende. Wenn ein Staat beginnt, religiöse Sprache zu benutzen, führt es zum Ende. Die Generation meiner Eltern hatte es schon einmal erlebt.
Wenn eine Diktatur eine von Handwerkern unter Polizeischutz gemauerte Wand als „antifaschistischen Schutzwall“ bezeichnet, liegt offen zu Tage, daß es sich um Propaganda handelt. Man hört die Absicht und ist verstimmt.
Wer an einem Geschäft, in dem es tote Hühner gibt „Goldbroiler“ lesen kann, weiß, daß es um den Versuch der Diktatur geht, „dem Westen“ etwas „entgegenzusetzen“.
Ich lese in einer kleinen Wortesammlung über die Sprache der zweiten Diktatur bei Wikipedia und tauche plötzlich wieder ein in jene seltsame Atmosphäre in jenem Land, in dem ich dreißig Jahre gelebt habe. Es berührt mich, wie sehr diese dort gesammelten Vokabeln mir das Gefühl zurückbringen, das meinen Alltag hinter der Mauer bestimmte. Sprache als Heimat. Vertrautes, bekanntes Land. Gewohnte Worte. Bilder werden wieder klarer. Erinnerungen kehren zurück. Sie sind in den Worten enthalten. Ganze Geschichten stecken in den Worten. Zum Beispiel im „Bausoldat“. Die Geschichte von der Verweigerung des „Wehrdienstes“ in der Diktatur. Ich seh mich noch stehen vor den vier Männern hinter dem Tisch. Wie ich ihnen erklärte, weshalb ich keine Waffe nehmen würde. Und wie die Angst erst bemerkbar wurde, als ich schon auf dem Weg nach Hause war.

Seit über zwanzig Jahren lebe ich nun in dem anderen Land vor oder hinter den Bergen, je nachdem, von wo aus man schaut.
Beinahe ebenso lang. Ich kann vergleichen. Und viele Millionen mit mir, die beide Länder hinter den Bergen kennen.
Eine neue Sprache ist über uns gekommen wie ein fremdes Hemd. Anfangs fühlte ich mich wie „ein Fremder im eigenen Land“. War es Christa Wolf, die so sprach, oder war’s ein anderer? Ich weiß es gar nicht mehr sicher. Aber das Gefühl weiß ich noch sicher. Das sich verband mit der neuen Sprache.
Sie ist subtiler, weniger offensichtlich. Aber doch auch wieder sehr direkt.
Und, was mir immer mehr auffällt. Sie wird immer gewaltsamer. Ich bin über die Aggressivität erstaunt, die ich beispielsweise „im Netz“ finden kann, in „Dialogen“ zu „postings“. Denkwürdigerweise nicht selten von Menschen vorgetragen, die sich „gegen Gewalt“ aussprechen. Wenn ich „streams“ lese, in denen Menschen über der Umgang mit rechtsextremen Gedanken streiten, fällt es mir oft besonders auf: wie gewaltsam die Sprache ist, wie offen aggressiv. Die Bereitschaft, die Meinung eines Menschen offen aggressiv anzugreifen, wenn man selbst eine andere Meinung vertritt, ist überraschend groß. Da ist viel Wut im Lande. Die Sprache verrät es.
Auch lässt sich jene depressiv gestimmte Aggressivität in „streams“ erkennen, die sich mit Sozialreformen beschäften. „Hartz IV“ zum Beispiel. Da kocht die Wut.
In der Politik dann war schließlich alles „auf einem guten Wege“. Vor allem, wenn es von der Regierung kam. Und, vor allem, es war „eine Erfolgsgeschichte“.
Denn: nur der „Erfolg“ zählt. Woran man ihn misst, hat man mir nicht verraten.
Die „Performance“ war entscheidend. Das „Bild in den Medien“, das doch täglich wechselt, je nachdem, welche Sau grad wieder durchs Dorf getrieben wird.
Das Reden vom „guten Weg“ und der „Erfolgsgeschichte“ war ein Ritual: was Regierung tat, war eine „Erfolgsgeschichte“. Per se. Aus sich selbst. Es war ein Axiom. Ein Voraus-Gesetztes.
Die Antwort der jeweiligen Opposition war nicht weniger ritualisiert. Man kann es finden in Redeprotokollen.
Die Rede von der „Erfolgsgeschichte“ verrät, wie sehr unsere Gesellschaft am „Erfolg“ orientiert ist. Sie hängt an diesem Wort wie der Junkie an der Nadel. Mit „Erfolg“ wird assoziiert, daß man „sich durchgesetzt“ hat; man hat dann „Erfolgszahlen vorzuweisen“ zum Beispiel. Oder Mehrheiten.
Wenn nun ein Bundesminister, dessen Ressort zu über 90% von europäischer Gesetzgebung betroffen ist, in „seinem Hause“ Anglizismen zugunsten deutscher Vokabeln verbieten will; wenn er von „Klapprechnern“ statt „Laptop“ redet, dann zeigt sich nationales Denken. Es ist sicher unbedacht und unbeabsichtigt. Aber offensichtlich. Denn in einer Welt, die von einem hohen Maß internationaler Arbeitsteilung bei der Herstellung von Waren geprägt ist, in einer Welt, in der die Worte oft dem Produkt „folgen“, folglich englisch sind, wenn sie aus englischsprachigem Ausland stammen, in einer solchen Welt wirkt der Versuch, Anglizismen verbieten zu wollen wie der Kampf des Don Quichotte gegen jene Windmühlenflügel, von denen man lesen kann. Der Bundesminister scheint noch nicht wirklich in Europa „angekommen“ zu sein.
Aber das soll meine Sorge nicht sein. Es ist nur eine Beobachtung.
Was mich begleitet all die Jahre bleibt: so, wie ich in jenem Land hinter den Bergen die Sprache beobachtet habe und die Veränderungen in der Gesellschaft, die von den Veränderungen in der Sprache angezeigt werden, lange bevor sie eintreten; so beobachte ich die Sprache in diesem Land hinter oder vor den Bergen, je nachdem, von wo aus man schaut.
Der Klemperer ist immer noch gut.
Man kann ihn für ein paar Groschen bekommen….
Und das jüdische Sprichwort ist vermutlich wahr:
„Achte auf dein Denken, denn aus ihm kommt deine Sprache.
Achte auf deine Sprache, denn aus ihr werden deine Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, denn aus ihnen wird dein Schicksal“