Die Ausstellung „Moderne Zeiten“ in der Neuen Nationalgalerie.
„Berlin. Sinfonie einer Großstadt“. Mit diesem Stummfilm von 1927 beginnt der Rundgang. Dieser sorgfältig restaurierte Film zeigt auf sehr schön komponierte Weise das Berlin der zwanziger Jahre: Industrie, Arbeiterschaft; wie Berlin isst; Berlin am Abend. Nicht nur für an zeitgeschichtlichen Dokumenten interessierte Berlinkenner, auch für den nachdenklichen Cineasten, den die „Themen“ des Films regelrecht anspringen, so sehr sind sie herausgearbeitet: industrielle Massenproduktion; der Mensch als winziges Glied in einer sich immer schneller drehenden Produktionsmaschine; Die Zeitungs-Schlagzeilen „Krise“, „Krise“, „Krise“ und „Geld, Geld, Geld“, „Börse“ und „Profit“ – was da Ende der zwanziger Jahre unter der Regie von Walther Ruttmann produziert worden ist, erweist sich dem zeitgenössischen Zuschauer wie ein Menetekel. Denn die heutige, „moderne“ Leistungsgesellschaft, die vom Aberglauben ans „Wachstum“ lebt, die weiterhin jenem „schneller, höher, weiter“ das Wort redet, zeigt sich auf der Folie dieses alten Films als das, was es in der Tat ist: als fortgesetzter Irr-Sinn.
Charlie Chaplin hat in seinem wundervollen Film „Moderne Zeiten“ eben jenen Gedanken präzisiert: Am Ende gerät der kleine, hilflose Arbeiter gar selbst ins Fließband und in die Zahnräder der Maschinen, die er doch eigentlich „bedienen“ sollte. Der Mensch als Opfer seiner „Schöpfung“. Auch dieser Film ist in der Ausstellung zu sehen.
Doch der eigentliche Schwerpunkt dieser neuen Dauerausstellung in der Neuen Nationalgalerie ist die Malerei. Bilder zwischen 1900 und 1945. Bilder der „Moderne“. Bilder vor und während der großen Kriege entstanden, während der Weltwirtschaftskrise. Zeichen an der Wand. Menetekel.
Karl Schmidt-Rottluff, Karl Kirchner, Erich Heckel, Otto Müller, Max Pechstein, Emil Nolde beginnen. Die gezeigten Themen: Massenproduktion, Industriealisierung. Rene Magrite, Salvador Dali, Hanna Höch, Max Ernst, Hans Arp, Kurt Schwitters, Paul Klee, Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer, Willi Baumeister. „Der Radionist“ von Kurt Günther zeigt schon 1927 die Segnungen, aber auch die Gefahren moderner Massenkommunikation zu einem Zeitpunkt, wo sie doch gerade erst entsteht. Jenes Bild möchte man so manchem modernen Handybesitzer auf den Schreibtisch stellen…..
Die Reihe ist lang.
Und zeigt die Besten. Die Macher der Ausstellung haben ihre Schatztruhen geöffnet und geben Anteil an großem Reichtum.
Selten hat man auf so engem Raum die wichtigsten Künstler der Zeit zwischen 1900 und 1945 mit eigenen Werken versammelt gesehen.
Es ist eine wundervolle Gesamtschau jener wichtigen Zeit um die Jahrhundertwende, die in die großen Katastrophen mündete, den Ersten und zweiten Weltkrieg.
Käthe Kollwitz ist vertreten, Gerhard Marcks, Hans Grundig, Karl Hofer, Ernst Wilhelm Nay.
Das Bild „Feldgrau schafft Dividende“ von Alice Lex-Nerlinger zeigt schon 1931, zwei Jahre vor der Machtergreifung der Nazis, was 1939 – 45 kommen würde: die Zerstörung des Menschlichen durch das Militärische.
Es ist frappierend, wie früh die Künstler gesehen und gemalt haben, was sie da schon in ihrem Inneren sehen konnten.
Wilhelm Lachnitt malt 1933 „Der traurige Frühling“. Zu einer Zeit, als die Deutschen millionenfach ihrem neuen „Führer“ hinterherliefen. Sie waren blind in ihrem Glauben. Die wachen Künstler aber, nicht wenige von ihnen wenig später von den Nazis als „entartete Kunst“ verboten, verbrannt, verbannt – sahen, was kommen würde.
Karl Hofers „Der Wächter“ von 1936 (drei Jahre vor Kriegsbeginn!) nimmt schon Stalingrad (1942) vorweg! Wer dieses Bild sieht, sieht Stalingrad.
Es ist mir fast unheimlich, mit welcher seherischen Kraft Künstler wie Karl Hofer dem vertrauten, was sie in ihrem Innern sahen, was sie kommen sahen und auf die Leinwand brachten. Leute wie er waren wohl etwas, das man im Altertum mit „Seher“ bezeichnet hat.
Er sah, was kommen würde. Und malte es, lange, bevor es „eintrat“.
Am Ende steht Horst Strempels „Nacht über Deutschland“. 1945/46 entstanden. Ein Altarbild.
Was für ein Altar!
Der Besuch der Ausstellung braucht Zeit. Zwei Stunden sollte man mindestens haben.
Denn sie ist kompakt. Sie ist verdichtet. Sie versammelt die Großen auf relativ wenig Raum. Jeder Künstler für sich bräuchte im Grunde eine eigene Ausstellung.
In dieser Versammlung der Besten jedoch vereinen sie sich und ihre künstlerische Kraft zu etwas sehr Besonderem.
Deshalb lohnt sich der Besuch dieser neuen Daueraussstellung in der Neuen Nationalgalerie sehr.
„Moderne Zeiten“. Malerei zwischen 1900 und 1945.
Sehr empfehlenswert!