Sex, „Pornografie“ und suchende Menschen – Wedekinds „Frühlings Erwachen“ am Deutschen Theater


1906 wurde das Stück von Max Reinhardt in den Kammerspielen in Berlin uraufgeführt. Und war bald der Zensur unterworfen. Man warf dem Autor „Pornografie“ vor.
Was sich nicht wirklich begründen lässt, denn es geht in dem Stück um die Suche junger Menschen nach gelingendem Leben.
Das „Junge DT“ am Deutschen Theater hat das Stück nun neu inszeniert. Und es war ausverkauft. Rappelvoll der Zuschauerraum. Rappelvoll mit jungen Leuten, die wach, voller Aufmerksamkeit, auch mit heiterer Zustimmung dem Stück folgten, das Wedekind einst mit „Eine Kindertragödie“ untertitelt hatte.
Und das Stück kam an. Der Applaus zeigte es.
Frisch kam es daher. Mit einer Pantomime beginnt und endet es. Es ist voller Einfälle. Jugendlich kommt es daher, frisch in der Sprache, wodurch die übernommenen Originalzitate besonders sichtbar werden.
Die Geschichte junger Menschen im Alter zwischen 14 und 25, die, von ihren Eltern allein gelassen, selber sehen müssen, wie sie mit dem Leben zurecht kommen.
„Das Leben ist von einer ungeahnten Gemeinheit. Ich hätte nicht übel Lust, mich in die Zweige zu hängen. Wo Mama mit dem Tee nur bleibt!“….
Die Jugend ist fast vorbei. Am Ende steht der Tod zweier Menschen.
Am Ende des Stückes, in der letzten Szene, die auf einem Friedhof spielt, klingt sehr überraschend das Requiem an: „Requiem aeternam….“ Ruhe(t) im ewigen Frieden“.
Es wirkt wie die Fürbitte für eine verlorene Generation. Es ist ein anrührender und, wie ich finde, starker Regie-Einfall. Denn dieses Zitat aus der Tradition überrascht und wirkt gerade deshalb, weil sich die Inszenierung sonst sehr an einer gegenwärtig üblichen Jugendsprache orientiert.
Zwei tote junge Menschen liegen auf der Bühne. Der eine hat sich erschossen, weil er dem Leistungsdruck in der Schule nicht mehr genügte, die andere hat sich das Leben genommen, weil sie mit etwas über vierzehn Jahren schwanger geworden war.
„Requiem aeternam…..
et lux perpetua….und das ewige Licht leuchte ihnen……“

Diese Theaterarbeit entstammt einer engen Kooperation des Deutschen Theaters mit Berliner Schulen und Berliner Hochschulen. Dem Deutschen Theater ist an dieser Zusammenarbeit sehr gelegen. Werkstätten, Seminare, Workshops dienen der Pflege dieses Netzwerkes.
Ein lohnendes Anliegen, dessen Früchte nun sichtbar werden.
Mich hat die natürliche Spielweise von Sandro Fioravanti (Melchior Gabor) sehr überzeugt.
Da kann man ein „junges Talent“ erleben. Sehr begabt, sehr natürlich. Mir scheint, da hat  jemand eine große Zukunft vor sich. Aus dem wird noch was….

Das Stück ist in die Gegenwart übertragen. Das Anliegen der Inszenierung ähnlich wie bei Wedekind: ein Verständnis zu erwecken für eine Generation, die häufig sich selbst überlassen bleibt und allein sehen muss, wie sie mit dem Leben zurecht kommt. Deswegen ist „Einsamkeit“ ein Thema. Und „Suizid“. Und „Verzweiflung“. Dieses Verständnis für die junge Generation geht einher mit einer kräftigen und sehr direkten Kritik an der Generation der Lehrer und Eltern, die als Vorbilder nicht taugen.

Sehr empfehlenswert!

Frank Wedekind: Frühlings Erwachen.
Am Deutschen Theater.
Regie Marc Prätsch
Bühne und Kostüme Steffi Bruhn
Musik Sven Kaiser
Dramaturgie Birgit Lengers

Besetzung
Sandro Fioravanti (Melchior Gabor), Elisabeth Brückner (Moritz Stiefel), Finja-Marie Wilke (Wendla Bergmann), Geraldine Diallo (Ilse), Rike Übermut (Frau Bergmann), Bianca Praetorius (Frau Gabor), Marcel Heuperman (Lämmermeier / Seal, Gitarre), Till Rückwart (Ernst Röbel), Cihan Kazan (Hänschen), Rüya Yatkin (Thea), Clara Aurich (Marta Bessel), Wojciech Zopoth (Dr. Brausepulver / Karl / Der vermummte Herr), Anne Weber / Roxanne Radovanovic (Sandy), Lea Nacken (Maria, Cello), Mirjam Wulff (Robert), Nico Ehrenteit (Heidi), Sebastian Herrmann (Georg Zirschnitz, Synthesizer), Franziska May (Viola, Wurlitzer-Piano)

http://www.deutschestheater.de/home/fruehlings_erwachen/

Ein Gedanke zu “Sex, „Pornografie“ und suchende Menschen – Wedekinds „Frühlings Erwachen“ am Deutschen Theater

  1. Freut mich sehr, dass es ihnen gefallen hat und ich danke ihnen für die nette Rezension (falls man diese so nennen darf, denn im Prinzip wurde ja kein bisschen negative Kritik geäußert).

    Mit freundlichem Gruß,
    Sebastian Herrmann

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