Man muss innehalten in diesen Tagen. Sonst geraten die wichtigen Sachverhalte aus dem Blick.
Nach dem Terror-Anschlag von Paris wird in Europa zwar kräftig und auch ausführlich über die Frage „Was darf Satire?“ diskutiert, jedoch nicht über die viel wesentlichere Frage: „Was sind eigentlich Ursachen für Terror?“
Auch nach dem Attentat vom 11. September 2001 hat man diese wichtigere Frage nicht hinreichend erörtert. Und das hatte schlimme Folgen: einen Krieg zum Beispiel. Man kann aber die Ursachen von Gewalt nicht mit einem Krieg bekämpfen.
Deshalb will ich heute eine von der University of Notre Dame erarbeitete neue Grafik über die Folgen des Klimawandels besprechen.
Aus ihr geht hervor, dass der Klimawandel – der längst stattfindet – vor allem Länder in Afrika und Asien betrifft. Das ist zwar nicht neu, aber ausdifferenzierter als früher. Auffallend ist: etliche dieser besonders stark betroffenen Länder sind eben auch „Quellorte“ für Terroristen.
Was ist der Zusammenhang? Terrorismus rekrutiert sich auch aus Ungerechtigkeit und Armut. Armut ist unter anderem eine Folge des Klimawandels, der wiederum eine seiner Ursachen in den Wirtschaftsbedingungen des reichen Nordens der Erde hat.
Kurz: der Lebensstil des Nordens führt zur Armut im Süden. (Man kann sich unter diesem Aspekt ja mal die Wirkungen des Hochfrequenzhandels an den Börsen betrachten)
Papst Franziskus hat die Folgen des Kapitalismus kurz und prägnant zusammengefasst:
„Dieses Wirtschaftssystem tötet.“
Schon Willy Brandt hat gesehen, dass der Lebensstil des Nordens zur Armut im Süden führt, als er sich für einen stärkeren Nord-Süd- und Süd-Süd-Dialog eingesetzt hat in den siebziger Jahren, dennoch muss es wiederholt werden, weil es im Bewusstsein des Nordens überhaupt noch nicht angekommen und politikwirksam geworden ist. Eher im Gegenteil. Das Thema wird verdrängt. Man redet lieber über „Was darf Satire?“
Schaut man sich die Wirtschaftsgeschichte der maßgeblichen Industriestaaten an, findet man schnell, dass sie ihren Reichtum schon früher aus dem Süden bezogen haben: während der Kolonialzeit.
Jean Ziegler weist in seinem Buch „Der Hass auf den Westen“ deshalb völlig zu Recht darauf hin, dass man durchaus verstehen kann, wenn die Länder des Südens, die von Kolonialismus und Klimawandel besonders betroffen waren und sind, allmählich zornig werden.
Wenn man sich daraufhin nun nocheinmal die oben eingefügte Grafik über die Folgen des Klimawandels anschaut; wenn man dabei zusätzlich bedenkt, dass
1. demnächst etwa 10 Milliarden Menschen die Erde bewohnen werden und
2. über ein Drittel des Menschheit in einem nur etwa 50 km breiten Streifen an den Küsten der Kontinente lebt (vor allem in sogenannten Mega-Citys, die jetzt schon über die Hälfte der Weltbevölkerung beherbergen)
3. die ärmeren Länder besonders unter dem Klimawandel zu leiden haben werden
4. die reicheren Länder vor allem mit Abschottung reagieren (Stichwort: FRONTEX)
dann kann man ermessen, was für ein mächtiges Gewaltpotenzial sich da aufbaut.
Wenn ich mir unter diesem Aspekt die – vor allem in Europa geführte – Debatte über Satire und „freie Meinungsäußerung“ nach dem Anschlag von Paris anschaue, dann finde ich vor allem eins: Hybris.
Denn: scharf formuliert und zugespitzt lautet der Konflikt:
Ein Armer kommt zum Reichen und sagt: „Gib mir Brot, meine Familie verhungert!“
Der schaut den Armen an und antwortet:
„Brot bekommst du nicht. Aber deine Religion taugt nichts. Und ich darf das sagen.“
Wir werden von diesem hohen Ross wohl absteigen müssen.
Wir werden wohl vor allem über die Ursachen der Gewalt sprechen müssen.
Aus einem einfachen Grund.
Wenn wir das wieder nicht tun, dann wird die Gewalt zunehmen.