Dienstlich habe ich auch mit der Bundespolizei zu tun und so ergibt es sich, dass ich eine Menge lerne. Zum Beispiel etwas von der Sprache.
Heute habe ich gelernt, dass die Beamten von „Schüblingen“ sprechen. „Schüblinge“ sind leibhaftige Menschen, die aus den verschiedensten Gründen aus Deutschland „abgeschoben“ werden.
Das Wort jedoch suggeriert, es handle sich um Sachen.
Tische werden „verschoben“, Pakete, Drogen, Gegenstände, manchmal auch Wahrnehmungen.
Das Wort „abgeschoben“ jedoch hat sich für Menschen etabliert. Nicht nur in der Behörden-Sprache, sondern auch im allgemeinen Sprachgebrauch.
Menschen, die „abgeschoben“ werden, sind nun also „Schüblinge“.
Dieses Wort entspricht offenbar einer offiziellen behördeninternen „Sprachregelung“, denn es wird an verschiedenen Grenz-Standorten verwendet.
Dieses Wort verschleiert.
Es klingt beinahe freundlich. So ähnlich wie „Pfifferling“ oder „Drilling“ oder „Rübling“, den man als Pilz-Freund erkennt.
„Schübling“ also. Eigentlich kennt man dieses Wort für eine Wurst-Ware. In Österreich war das Wort immerhin mal „Unwort des Jahres“, aber das hat keiner so recht mitbekommen.
Wenn nun eine Behörde von „Schüblingen“ spricht, wird plötzlich nicht mehr der Ingenieur, nicht mehr der Lehrer, nicht mehr der Student ausgewiesen, da wird nun also ein „Schübling“ „abgeschoben“. Da wird nicht mehr die Mutter mit ihren Kindern ausgewiesen, da werden „Schüblinge“ „abgeschoben“.
Aus einer Person wird eine Sache.
Es ist eine entmenschlichende Sprache.
Das ist ja auch der Sinn: auf diese Weise wird den Beamten, die mit diesem Thema Tag für Tag befasst und nicht selten auch sehr belastet sind, erleichtert, „damit“ umzugehen.
Nun hat das Bundesinnenministerium vorgeschlagen, „Ausreisezentren“ einzurichten. Auch dieses Wort klingt freundlich. So, als ginge es darum, die Urlaubsreise mit noch mehr Service beginnen zu können.
Diese Zentren haben den Sinn, die „Abschiebung“ der „Schüblinge“ „deutlich zu beschleunigen“. In diesen Zentren werden nun also Schicksale „gebündelt“. Dramen werden sich „abspielen“, denn durchaus nicht jeder ist mit seiner „Abschiebung“ einverstanden. Wer als Beamter auf einem Flughafen – in Frankfurt beispielsweise – arbeitet, kann davon erzählen.
Die „Abläufe“ einer „Abschiebung“ sollen durch die „Ausreisezentren“ „effizienter“ werden. Denn, so will es die Kanzlerin, es bedürfe nun einer „nationalen Kraftanstrengung, die Abschiebungen zu beschleunigen.“
Menschen werden zu „Sachen“. Und, was mit ihnen zu tun hat, soll „effizienter“ gestaltet werden. So organisiert ein Betriebsleiter seine „Auslieferungsketten“: die Förderbänder müssen geschmiert, die Räder geölt, die Transporte effizienter werden. Das Ergebnis zählt.
Wer solche Sprache erfindet – in der Regel kommen solche „Sprachregelungen“ aus den Tiefen eines Ministeriums (in den seltensten Fällen wird sich konkret nachverfolgen lassen, wer genau sie „erfunden“ hat) – und benutzt, der wird im Verlaufe dieses Sprachgebrauchs Menschen nach und nach wie Sachen, wie Gegenstände betrachten.
Es handelt sich dann schon bald nicht mehr um konkrete Menschen mit Lebensläufen, Schicksalen und Biografien, sondern um „Vorgänge“.
„Schüblinge“ eben.
Es gibt auch aus früheren Zeiten vergleichbare Sprache. Auch in diesen früheren Zeiten wurden Menschen zu „Sachen“, zu „Vorgängen“.
Am Ende ging es darum, bestimmte Abläufe in den Lagern noch effizienter zu machen. Verbrennungen mussten effizienter werden, die Öfen mussten größer werden (in der Erfurter Gedenkstätte Topf&Söhne findet man bedrückende Belege für solches Denken).
Bürokratien stehen ständig in der Gefahr, Menschen zu „Vorgängen“ zu machen, damit man sie „bearbeiten“ kann.
Auf der einen Seite sitzt da irgendein Beamter oder „Entscheider“ hinter irgendeinem Schreibtisch und entscheidet, dass dieser „Vorgang“ geschlossen und der vor ihm sitzende Mensch „abgeschoben“ werden muss.
Der Mensch wird zum „Schübling“.
Sobald man diesen „Schübling“ über die Landesgrenze „abgeschoben“ hat, zeigt die Bürokratie übrigens keinerlei Interesse mehr „an der Sache“.
Was aus diesen Menschen wird, die nun außerhalb der Grenzen Europas durch die Gegend irren, interessiert niemanden mehr.
Der „Vorgang“ ist abgeschlossen.
Der Aktendeckel ist zu.
Schlagwort: Europa
Sollen sie doch in der Wüste verrecken! Was Malta bedeutet
Heute, am 3. Februar 2017 haben die europäischen Staats- und Regierungschefs beschlossen, in Libyen „Auffang-Lager“ für Flüchtlinge zu errichten. Man will mit dieser „Maßnahme“ (eigentlich handelt es sich um ein ganzes Maßnahmepaket von 10 Punkten) die „Mittelmeerroute schließen“. Man will also verhindern, dass die Flüchtlinge nach Europa kommen.
Was aber bedeutet der Beschluss?
Ich will mich in diesem kurzen Beitrag nur auf einen Gesichtspunkt konzentrieren, der in der Debatte bislang nicht berücksichtigt wird:
Wir wissen, dass Nordafrika (und Libyen liegt bekanntlich in Nordafrika) schon in wenigen Jahren unbewohnbar sein wird. Und zwar deshalb, weil dort die Temperaturen in Hitzeperioden auf 50 Grad Celsius und mehr ansteigen werden. Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und Professor am Cyprus Institute in Nikosia hat auf diese Zusammenhänge hingewiesen und sie auch publiziert.
Diese heute beschlossenen „Auffang-Lager“ für Flüchtlinge werden also nicht nur in einem jetzt schon politisch höchst instabilen Staatsgebilde errichtet, sondern zudem in einer Region, die in absehbarer Zeit unbewohnbar sein wird.
Regierungschefs müssen diese Zusammenhänge wissen. Und sie wissen sie auch.
Aber sie haben dennoch beschlossen, diese „Auffang-Lager“ eben genau dort zu errichten.
Ihr Beschluss bedeutet deshalb im Kern: „Sollen die Flüchtlinge doch in der Wüste verrecken! Hauptsache, sie kommen nicht zu uns.“
Auf Folgendes sei noch hingewiesen: die Klimaforschung geht bislang davon aus, dass diese Entwicklung etwa „ab Mitte des Jahrhunderts“ eingetreten sein wird, also etwa ab dem Jahre 2040, in etwa 20 Jahren also. Es wird aber schneller gehen.
Denn die neue US-Administration hat vom ersten Tag an deutlich gemacht, dass sie eine veränderte Energie-Politik durchsetzen will. Und die bedeutet einen noch stärkeren Anstieg der Emissionen. Das in Paris vereinbarte Ziel, den Anstieg der Durchschnittstemperatur auf 2 Grad zu begrenzen, ist nach Auskunft vieler Forscher nicht mehr erreichbar. Wir steuern gegenwärtig auf plus 3 Grad zu.
Mit anderen Worten: die Veränderungen werden nicht erst „in der Mitte des Jahrhunderts“ eintreten, sondern früher.
Und diese Veränderungen insbesondere in Nordafrika werden zu einem starken Anstieg der Zahl der Klimaflüchtlinge führen.
Man kann Menschen, die keine Lebensgrundlage mehr haben, nicht in „Auffang-Lagern“ einsperren. Entweder, sie sterben dort, oder sie machen sich auf den Weg, um einen Ausweg zu finden.
Mauern, Zäune und Lager sind keine Lösung.
Europa muss legale Fluchtwege einrichten und Einwanderungsgesetze beschließen, die Menschen in Not eine tatsächliche Lebens-Möglichkeit eröffnen.
Und zwar jetzt.
Was habt ihr vor? Wollt ihr sie in die Wüste schicken? Europa und die Flüchtlinge
Es ist eine kleine Meldung von n-tv, die mir da auf den Tisch flattert. Von der „Westbalkan-Konferenz“ wird berichtet: „Merkel will Dublin-System abschaffen“. Das klingt zunächst richtig. Ich lese weiter: „Diskutiert wird dabei auch ein Vorschlag, der ursprünglich aus Österreich stammt und von der EU-Kommission aufgegriffen wurde: Demnach sollen im afrikanischen Staat Niger „Resettlement“-Möglichkeiten geschaffen werden. Menschen, die in Europa kein Asyl bekommen aber auch nicht ohne weiteres in ihre Herkunftsstaaten abgeschoben werden können, sollen dort angesiedelt werden. „Wir unterstützen das“, kommentierte die Kanzlerin den EU-Vorschlag. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini betonte, bei diesem Projekt arbeite man mit den UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zusammen.“
Was ist los? Ihr wollt sie in die Wüste schicken?
Ich fange mit der Recherche an.
Was ist Niger für ein Land? „Existenzbedrohend für den größten Teil der nigrischen Bevölkerung sind regelmäßig wiederkehrende Dürren und Hungersnöte.“ schreibt Wikipedia. Also ein Land, das stark vom Klimawandel betroffen ist. Die Flucht vieler Menschen aus diesem Land ist also vorprogrammiert. Und dort will man in Europa abgelehnte Flüchtlinge ansiedeln?
Ja genau dort, wollen UN und EU nun „Resettlement“ machen. Die UN teilt auch mit, wie das gehen soll.
Ich will das nicht glauben und bitte per facebook um Recherche-Hilfe. Das will ich genauer wissen. Wir stoßen auf einen Text aus der WELT. „Wartesaal vor der Wüste“ vom August 2015.
Man (Europa) plant also derlei „Pilotprojekte“ in Niger und in Mali. Später vielleicht in anderen Ländern.
Das Ziel: man will die Zahl der Menschen, die nach Europa wollen, reduzieren.
Mit diesen Mitteln?
Das ist geradezu abenteuerlich. Denn man kann wissen, dass der Klimawandel, insbesondere in Äquatorial-Afrika, aber auch in anderen Gegenden der Welt zu einem massiven Anstieg der Flüchtlingszahlen führen wird.
Aber die EU „unterstützt“ das Vorhaben.
Mit Geld, versteht sich. Ein paar dreißig Millionen Euro will man sich die Sache im Niger kosten lassen. Portokasse also. Peanuts. Was für Lager sollen das werden?
Nein, ich kann und will nicht glauben, dass die reiche Welt sich mit derlei „Vorschlägen“ aus ihrer Verantwortung freikaufen will.
Bislang sind es nur recht dürre Informationen, die über das Vorhaben an die Öffentlichkeit kommen.
Noch weiß ich nicht, wie Pro Asyl. Brot für die Welt, Caritas und andre dieses Vorhaben beurteilen. Weitere Recherche ist nötig, um sich ein Bild zu machen, von dem was Europa da vorhat. Vielleicht können sich via Internet auch andere an dieser Recherche über „Resettlement in Niger und Mali“ beteiligen.
Aber in mir sträubt sich jetzt schon alles, wenn ich lesen muss, um was es ja im Kern wohl geht: „Schickt sie in die Wüste!“….
„Wir können doch nicht alle aufnehmen!“ Etwas über Vor-Urteile und das Bundeskanzleramt
„Und wenn wir jetzt sagen: ihr könnt alle kommen und ihr könnt alle aus Afrika kommen und ihr könnt alle kommen – das können wir auch nicht schaffen.“
Sagt die Bundeskanzlerin. Das entsprechende Video von einer Diskussionsrunde in Rostock ging gestern (17. Juli 2015) durchs Netz und wurde stark diskutiert.
Die Kurzform heißt: „Wir können doch nicht alle aufnehmen!“
Dieses „Argument“ stammt aus der rechten Szene.
Es ist erstens falsch und es wird zweitens gern verwendet, um gegen die Aufnahme von Flüchtlingen zu argumentieren.
1. Es ist falsch.
Denn es geht überhaupt nicht darum, „alle“ in Deutschland aufzunehmen. Die meisten Flüchtlinge der Welt werden von den ärmsten Ländern dieser Welt aufgenommen. Die UNHCR-Statistiken sind völlig eindeutig.
Es geht vielmehr darum, ein der ökonomischen Leistungskraft Deutschlands (und Europas!) angemessenes Zuwanderungskonzept zu etablieren. Wenn man die Zahl der von Deutschland aufgenommenen Menschen mit der Zahl derjenigen vergleicht, die von weitaus ärmeren Ländern – dem Libanon beispielsweise, da ist mittlerweile jeder zweite Einwohner ein Flüchtling! – vergleicht, dann sieht man sehr schnell, dass die reichen Industrieländer durchaus noch Entfaltungsmöglichkeiten für ihr Engagement haben. Deutschland auch.
Gegenwärtig befasst sich die deutsche Gesetzgebung in der Flüchtlingsfrage vor allem mit Abwehr. Es geht darum, die Zahl der Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen, zu begrenzen.
Dem soll auch die Regelung dienen, dass Entscheidungen über den Flüchtlingsstatus nun schneller fallen sollen.
Das Ziel ist: man will schneller abschieben können.
Denn: Deutschland sei mittlerweile „überfordert“. So ist allenthalben zu hören und zu lesen.
Schaut man sich andre Länder an – die Türkei beispielsweise oder Griechenland oder den Libanon und etliche andere – dann klingt die Behauptung, Deutschland sei „überfordert“ schlicht wie Hohn. Denn ökonomisch weitaus schwächere Länder leisten ein Vielfaches.
2. Das „Argument“ dient der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge. Es ist ein „Angst-Argument“. Da wird eine Vorstellung an die Wand gemalt, die Angst machen soll: „wenn die jetzt alle kommen, das überfordert uns!“; jetzt kommt die „Flüchtlingswelle“; wir werden von ihr „überrollt“.
Angst wird geschürt. Dumpfe, indifferente, unklare Angst vor dem „Fremden“.
Es ist ein sehr altes und sehr wirkungsvolles „Argument“ mit einer sehr langen Tradition.
Und es funktioniert.
Menschen lassen sich von dieser durch nichts zu begründenden Annahme, „alle“ würden nun nach Deutschland wollen, beeindrucken.
Wer sich die Zahl der Flüchtlinge auf der Welt genau anschaut, ihre Herkunftsländer und ihre Aufnahmeländer sieht, der findet sehr schnell heraus: es ist keineswegs so, dass „alle“ nach Deutschland wollen.
Und deshalb ist es bedrückend, dass dieses „Argument“ nun sogar von Vertretern der Spitze unseres Staates vorgetragen wird.
Hybris. Oder: etwas vom Brot.
Man muss innehalten in diesen Tagen. Sonst geraten die wichtigen Sachverhalte aus dem Blick.
Nach dem Terror-Anschlag von Paris wird in Europa zwar kräftig und auch ausführlich über die Frage „Was darf Satire?“ diskutiert, jedoch nicht über die viel wesentlichere Frage: „Was sind eigentlich Ursachen für Terror?“
Auch nach dem Attentat vom 11. September 2001 hat man diese wichtigere Frage nicht hinreichend erörtert. Und das hatte schlimme Folgen: einen Krieg zum Beispiel. Man kann aber die Ursachen von Gewalt nicht mit einem Krieg bekämpfen.
Deshalb will ich heute eine von der University of Notre Dame erarbeitete neue Grafik über die Folgen des Klimawandels besprechen.
Aus ihr geht hervor, dass der Klimawandel – der längst stattfindet – vor allem Länder in Afrika und Asien betrifft. Das ist zwar nicht neu, aber ausdifferenzierter als früher. Auffallend ist: etliche dieser besonders stark betroffenen Länder sind eben auch „Quellorte“ für Terroristen.
Was ist der Zusammenhang? Terrorismus rekrutiert sich auch aus Ungerechtigkeit und Armut. Armut ist unter anderem eine Folge des Klimawandels, der wiederum eine seiner Ursachen in den Wirtschaftsbedingungen des reichen Nordens der Erde hat.
Kurz: der Lebensstil des Nordens führt zur Armut im Süden. (Man kann sich unter diesem Aspekt ja mal die Wirkungen des Hochfrequenzhandels an den Börsen betrachten)
Papst Franziskus hat die Folgen des Kapitalismus kurz und prägnant zusammengefasst:
„Dieses Wirtschaftssystem tötet.“
Schon Willy Brandt hat gesehen, dass der Lebensstil des Nordens zur Armut im Süden führt, als er sich für einen stärkeren Nord-Süd- und Süd-Süd-Dialog eingesetzt hat in den siebziger Jahren, dennoch muss es wiederholt werden, weil es im Bewusstsein des Nordens überhaupt noch nicht angekommen und politikwirksam geworden ist. Eher im Gegenteil. Das Thema wird verdrängt. Man redet lieber über „Was darf Satire?“
Schaut man sich die Wirtschaftsgeschichte der maßgeblichen Industriestaaten an, findet man schnell, dass sie ihren Reichtum schon früher aus dem Süden bezogen haben: während der Kolonialzeit.
Jean Ziegler weist in seinem Buch „Der Hass auf den Westen“ deshalb völlig zu Recht darauf hin, dass man durchaus verstehen kann, wenn die Länder des Südens, die von Kolonialismus und Klimawandel besonders betroffen waren und sind, allmählich zornig werden.
Wenn man sich daraufhin nun nocheinmal die oben eingefügte Grafik über die Folgen des Klimawandels anschaut; wenn man dabei zusätzlich bedenkt, dass
1. demnächst etwa 10 Milliarden Menschen die Erde bewohnen werden und
2. über ein Drittel des Menschheit in einem nur etwa 50 km breiten Streifen an den Küsten der Kontinente lebt (vor allem in sogenannten Mega-Citys, die jetzt schon über die Hälfte der Weltbevölkerung beherbergen)
3. die ärmeren Länder besonders unter dem Klimawandel zu leiden haben werden
4. die reicheren Länder vor allem mit Abschottung reagieren (Stichwort: FRONTEX)
dann kann man ermessen, was für ein mächtiges Gewaltpotenzial sich da aufbaut.
Wenn ich mir unter diesem Aspekt die – vor allem in Europa geführte – Debatte über Satire und „freie Meinungsäußerung“ nach dem Anschlag von Paris anschaue, dann finde ich vor allem eins: Hybris.
Denn: scharf formuliert und zugespitzt lautet der Konflikt:
Ein Armer kommt zum Reichen und sagt: „Gib mir Brot, meine Familie verhungert!“
Der schaut den Armen an und antwortet:
„Brot bekommst du nicht. Aber deine Religion taugt nichts. Und ich darf das sagen.“
Wir werden von diesem hohen Ross wohl absteigen müssen.
Wir werden wohl vor allem über die Ursachen der Gewalt sprechen müssen.
Aus einem einfachen Grund.
Wenn wir das wieder nicht tun, dann wird die Gewalt zunehmen.
Nicht in meinem Namen! „Es geht nicht um Putin, es geht um Europa!“ Für eine neue Entspannungspolitik
Heute (5. 12. 2014) ist dieser wichtige Aufruf für eine neue Entspannungspolitik in Europa u.a. in der ZEIT und im TAGESSPIEGEL erschienen.
Ich unterstütze ihn und teile ihn deshalb hier mit:
Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!
Niemand will Krieg. Aber Nordamerika, die Europäische Union und Russland treiben unausweichlich auf ihn zu, wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten. Alle Europäer, Russland eingeschlossen, tragen gemeinsam die Verantwortung für Frieden und Sicherheit. Nur wer dieses Ziel nicht aus den Augen verliert, vermeidet Irrwege.
Der Ukraine-Konflikt zeigt: Die Sucht nach Macht und Vorherrschaft ist nicht überwunden. 1990, am Ende des Kalten Krieges, durften wir alle darauf hoffen. Aber die Erfolge der Entspannungspolitik und der friedlichen Revolutionen haben schläfrig und unvorsichtig gemacht. In Ost und West gleichermaßen. Bei Amerikanern, Europäern und Russen ist der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen. Anders ist die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau, wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin, nicht zu erklären.
Wir, die Unterzeichner, appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern. Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg, wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufruft. Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer.
Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden. Seit dem Wiener Kongress 1814 gehört Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas. Alle, die versucht haben, das gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert – zuletzt das größenwahnsinnige Hitler-Deutschland, das 1941 mordend auszog, auch Russland zu unterwerfen.
Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, als vom Volk beauftragte Politiker, dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen. Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müssten. Einbinden statt ausschließen muss das Leitmotiv deutscher Politiker sein.
Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden. Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um Europa. Es geht darum, den Menschen wieder die Angst vor Krieg zu nehmen. Dazu kann eine verantwortungsvolle, auf soliden Recherchen basierende Berichterstattung eine Menge beitragen.
Am 3. Oktober 1990, am Tag der Deutschen Einheit, sagte Bundespräsident Richard von Weizsäcker: „Der Kalte Krieg ist überwunden. Freiheit und Demokratie haben sich bald in allen Staaten durchgesetzt. … Nun können sie ihre Beziehungen so verdichten und institutionell absichern, dass daraus erstmals eine gemeinsame Lebens- und Friedensordnung werden kann. Für die Völker Europas beginnt damit ein grundlegend neues Kapitel in ihrer Geschichte. Sein Ziel ist eine gesamteuropäische Einigung. Es ist ein gewaltiges Ziel. Wir können es erreichen, aber wir können es auch verfehlen. Wir stehen vor der klaren Alternative, Europa zu einigen oder gemäß leidvollen historischen Beispielen wieder in nationalistische Gegensätze zurückzufallen.“
Bis zum Ukraine-Konflikt wähnten wir uns in Europa auf dem richtigen Weg. Richard von Weizsäckers Mahnung ist heute, ein Vierteljahrhundert später, aktueller denn je.
Die Unterzeichner
Mario Adorf, Schauspieler
Robert Antretter (Bundestagsabgeordneter a. D.)
Prof. Dr. Wilfried Bergmann (Vize – Präsident der Alma Mater Europaea)
Luitpold Prinz von Bayern (Königliche Holding und Lizenz KG)
Achim von Borries (Regisseur und Drehbuchautor)
Klaus Maria Brandauer (Schauspieler, Regisseur)
Dr. Eckhard Cordes (Vorsitzender Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft)
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin (Bundesministerin der Justiz a.D.)
Eberhard Diepgen (ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin)
Dr. Klaus von Dohnanyi (Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg)
Alexander von Dülmen (Vorstand A-Company Filmed Entertainment AG)
Stefan Dürr (Geschäftsführender Gesellschafter und CEO Ekosem-Agrar GmbH)
Dr. Erhard Eppler (Bundesminister für Entwicklung und Zusammenarbeit a.D.)
Prof. Dr. Dr. Heino Falcke (Propst i.R.)
Prof. Hans-Joachim Frey (Vorstandsvorsitzender Semper Opernball Dresden)
Pater Anselm Grün (Pater)
Sibylle Havemann (Berlin)
Dr. Roman Herzog (Bundespräsident a.D.)
Christoph Hein (Schriftsteller)
Dr. Dr. h.c. Burkhard Hirsch (Bundestagsvizepräsident a.D.)
Volker Hörner (Akademiedirektor i.R.)
Josef Jacobi (Biobauer)
Dr. Sigmund Jähn (ehemaliger Raumfahrer)
Uli Jörges (Journalist)
Prof. Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann (ehemalige EKD Ratsvorsitzende und Bischöfin)
Dr. Andrea von Knoop (Moskau)
Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz (ehemalige Korrespondentin der ARD in Moskau)
Friedrich Küppersbusch (Journalist)
Vera Gräfin von Lehndorff (Künstlerin)
Irina Liebmann (Schriftstellerin)
Dr. h.c. Lothar de Maizière (Ministerpräsident a.D.)
Stephan Märki (Intendant des Theaters Bern)
Prof. Dr. Klaus Mangold (Chairman Mangold Consulting GmbH)
Reinhard und Hella Mey (Liedermacher)
Ruth Misselwitz (evangelische Pfarrerin Pankow)
Klaus Prömpers (Journalist)
Prof. Dr. Konrad Raiser (eh. Generalsekretär des Ökumenischen Weltrates der Kirchen)
Jim Rakete (Fotograf)
Gerhard Rein (Journalist)
Michael Röskau (Ministerialdirigent a.D.)
Eugen Ruge (Schriftsteller)
Dr. h.c. Otto Schily (Bundesminister des Inneren a.D)
Dr. h.c. Friedrich Schorlemmer (ev. Theologe, Bürgerrechtler)
Georg Schramm (Kabarettist)
Gerhard Schröder (Bundeskanzler a.D.)
Philipp von Schulthess (Schauspieler)
Ingo Schulze (Schriftsteller)
Hanna Schygulla (Schauspielerin, Sängerin)
Dr. Dieter Spöri (Wirtschaftsminister a.D.)
Prof. Dr. Fulbert Steffensky (kath. Theologe)
Dr. Wolf-D. Stelzner (geschäftsführender Gesellschafter: WDS-Institut für Analysen in Kulturen mbH)
Dr. Manfred Stolpe (Ministerpräsident a.D.)
Dr. Ernst-Jörg von Studnitz (Botschafter a.D.)
Prof. Dr. Walther Stützle (Staatssekretär der Verteidigung a.D.)
Prof. Dr. Christian R. Supthut (Vorstandsmitglied a.D. )
Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik (ehemaliger Berater im Bundeskanzleramt für Sicherheit und Außenpolitik)
Andres Veiel (Regisseur)
Dr. Hans-Jochen Vogel (Bundesminister der Justiz a.D.)
Dr. Antje Vollmer (Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages a.D.)
Bärbel Wartenberg-Potter (Bischöfin Lübeck a.D.)
Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (Wissenschaftler)
Wim Wenders (Regisseur)
Hans-Eckardt Wenzel (Liedermacher)
Gerhard Wolf (Schriftsteller, Verleger)
social media als Chance zur Deeskalation

Feindbilder haben Konjunktur.
Wer die Debatte um die Ukraine, Russland und die Krim verfolgt, bemerkt es sofort.
Unsere Gesellschaften haben es wie einen Reflex erlernt: zeichnet sich eine scharfe Kontroverse ab, die aus verschiedenen Interessen resultiert, antworten die am Konflikt beteiligten Parteien mit Feindbildern, die nicht selten zur militärischen Eskalation führen.
Die Frage ist:
Wie lernt man Frieden?
Wie lernt man Deeskalation?
Es beginnt mit der persönlichen Begegnung und mit der Anerkenntnis, dass jeder Mensch das gleiche Recht auf Leben hat.
Das ist eine wichtige Erfahrung aus der Zeit, in der die politischen Blöcke im geteilten Deutschland scheinbar unversöhnlich gegenüber standen.
Social media kann wie kaum ein anderes Instrument diese dringend notwendige persönliche Begegnung zwischen den „Fronten“ anbahnen und fördern.
Es ist schnell.
Es ist direkt.
Es ist öffentlich und kann viele Millionen Menschen erreichen.
Leider werden die neuen technologischen Möglichkeiten bislang überwiegend dafür verwendet, die jeweiligen Feindbilder zu pushen. Der „Krieg“ findet auch im Netz statt.
Man muss sich daran aber nicht beteiligen.
Was fehlt, sind Plattformen, Netzwerke, Gruppen, die den Dialog zwischen den Konfliktparteien, genauer: zwischen den Bevölkerungen befördern. Und zwar dergestalt, dass sich nicht Ministerpräsidenten, Generäle und diverse andere beteiligen, sondern Zivilisten. Schüler, Eltern, Lehrer, Pensionäre, Männer und Frauen.
Wenn sich die Zivilgesellschaften am Dialog beteiligen, in dem sie zueinander Kontakt aufnehmen, haben die „Falken“ weniger Chancen, ihre „entweder-oder“ Politiken umzusetzen.
Diese technischen Möglichkeiten, die uns heutzutage zur Verfügung stehen, sind neu.
Sie sind in Friedensprozessen noch wenig erprobt.
Aber sie liegen bereit.
Es liegt an den Nutzerinnen und Nutzern des Internets selbst, ob sie dieses Instrument einsetzen, um Feindbilder zu verstärken, oder ob sie es einsetzen, um Begegnung zwischen Menschen zu unterstützen.
Wenn die Zivilgesellschaften erkennen würden, was sie da für ein großartiges Instrument zur Verfügung haben, um Friedensprozesse, gegenseitige Verständigung und Kompromisse und Dialog zu unterstützen, könnte die internationale Friedensarbeit wesentliche neue Impulse bekommen.
Wir müssen angesichts der hochkomplexen Konflikte in der Einen Welt dazu lernen.
Wir müssen lernen, miteinander auszukommen.
Wechselseitige Feindbilder und in ihrer Folge nicht selten militärische Konflikte dienen diesem Ziel nicht.
Das Internet und insbesondere social media jedoch sind eine große Chance, Gewalt nicht eskalieren zu lassen, sondern zur Verständigung zwischen den Menschen zu kommen.
Es liegt auch an uns, ob Frieden wird.
Die Skepsis überwiegt. Eine ungehaltene Neujahrsrede.
Schaue ich mir die erkennbaren langfristig wirkenden Entwicklungen im zurückliegenden Jahr an, überwiegt die Skepsis. Man muss nicht erst Erwin Chargaff lesen, um zum begründeten Skeptiker zu werden.
Fukushima: in San Francisco hat man mittlerweile erhöhte Radioaktivität gemessen. Das, was da tagtäglich in Fukushima ins Meer fließt an hochkontaminiertem Wasser ist durch die Meeresströmungen nun in Amerika angekommen. Und wird sich weiter über die Welt verteilen. 650 Jahre etwa dauert das, wie Meeresforscher wissen. Bei einer Halbwertzeit von 16.000 Jahren kein Problem. „Fukushima ist überall“ haben einige zutreffend formuliert. Was bedeutet das?
Es bedeutet, dass die maßgeblichen Industrienationen das Desaster nicht wirklich begriffen haben. Denn es fehlt an einem wirksamen Ausstieg aus dieser Art der Energiegewinnung. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das nächste Kraftwerk in die Luft fliegt. Günther Anders hatte Recht: der Mensch steht entsetzt vor den von ihm erschaffenen Maschinen und beherrscht sie schon längst nicht mehr. Fukushima ist längst das Symbol für eine zerstörende Art des des Wirtschaftens geworden.
„Diese Wirtschaft tötet“ hatte Papst Franziskus kürzlich markant formuliert. Sie tötet nicht nur Andere, Schwächere, Marginalisierte. Sie tötet sich selbst.
TTIP. Das geplante Freihandels-Abkommen zwischen der EU und den USA. Streng geheim verhandelt unter Ausschluss der Parlamente. Es sieht einen „Investitionsschutz“ für Multis vor, der es ihnen ermöglichen soll, Staaten auf Schadenersatz zu verklagen, falls deren nationale Gesetzgebung geplante Investitionen – in Kraftwerke beispielsweise – „behindert“. Der Widerstand dagegen formiert sich zwar, ist aber bislang völlig ohne Einfluss. Nicht mal die Berichterstatter im EU-Parlament sind über das Abkommen informiert. Nur weniges sickert an die Öffentlichkeit.
Dieses Abkommen wird zu einer weiteren Beschleunigung der Zerstörung natürlicher Ressourcen führen, denn das durch das Abkommen beabsichtigte Wachstum ist nicht nachhaltig. Es geht im Kern darum, die bestehende Art des Wirtschaftens noch „effektiver“ zu machen. Hauptziel: Gewinnmaximierung. Das zwischen den USA und Europa geplante Abkommen ist ja nicht das einzige seiner Art. Der Prozess der beschleunigten Gewinnmaximierung im Namen des Wachstums wird ja auch durch zahlreiche vergleichbare Abkommen gesichert.
Geheimdienste. Der Chaos-Computer-Club hat nun auf seiner Jahrestagung in Hamburg die schlichte, aber verstehbare Formulierung gefunden: „Der NSA gehört das Internet“. Totale Überwachung der weltweiten Kommunikation durch die „Dienste“ der reichen Welt. Egon Bahr warnt deshalb vor einem Krieg: „Es wäre das erste Mal, dass eine grundlegend neue Technik nicht für einen Krieg eingesetzt würde“. Hört man solche Stimmen? Nein.
Das Grundgesetz gilt nicht mehr. Die Grundrechte der Bürger, einst streng durch die Verfassung geschützt, sind beliebig geworden. Die Geheimdienste schert das alles nicht. Das Parlament und die Regierung auch nicht. Das ist katastrophal. Denn das Fundament der Demokratie hat keine wirksame Verteidigung mehr. Das Fundament wankt.
Es gibt keinen wirksamen Widerstand gegen diese Entwicklung. Weder in den Parlamenten, noch in den Regierungen, noch in den Bevölkerungen. Das Wort vom „cyber war“ ist längst gängiger Sprachgebrauch. Und die Sprache zeigt wie ein Seismograf, was zu erwarten ist.
Europa. Die Fundamentalismen nehmen zu. Rechtsorientierte Parteien werden stärker. Der bevorstehende Europa-Wahlkampf wird dies überdeutlich zeigen. Das Mittelmeer ist zu einem Massengrab geworden. Über 20.000 Flüchtlinge sind mittlerweile auf dem Weg nach Europa ertrunken. Und die Union schottet sich immer mehr ab (FRONTEX etc.). Der Widerstand dagegen ist marginal (von einigen Weihnachtsansprachen abgesehen) und völlig folgenlos. Leute wie der unermüdliche Jean Ziegler werden zwar gelesen, man klatscht ihm auch Befall. Aber es bleibt folgenlos.
Der Kampf um die Sicherung der letzten Rohstoffe nimmt weiter an Schärfe zu. Sogar der international eher bedeutungslose deutsche Koalitionsvertrag nimmt das Stichwort von der „Rohstoffsicherung“ auf und verlangt entsprechende „Maßnahmen“, um der „Wirtschaft“ den „Zugang zu den Ressourcen“ zu ermöglichen. Man erwartet von der Politik, „behilflich“ zu sein. In Afrika vor allem. Denn dort lagern die für eine IT-gestützte Wirtschaft die wertvollen seltenen Erden.
Die Spannungen zwischen reicher und armer Welt nehmen zu.
Das Tempo der Zerstörung der natürlichen Grundlagen des menschlichen Lebens nimmt zu.
Der politische Widerstand gegen solche Zerstörungstendenzen ist minimal, eigentlich gar nicht vorhanden, denn der Glaube an das „Wachstum“ ist ungebrochen.
Demokratie. Politische Stiftungen haben darauf längst hingewiesen: die Skepsis sehr vieler Menschen gegenüber demokratischen Systemen nimmt weltweit ab. Fundamentalismen gewinnen Oberwasser. Die Spannungen steigen weiter an, weil die Ungerechtigkeit wächst. In der stärksten Volkswirtschaft Europas führt die übergroße Koalition zu einer weiteren Entmachtung des Parlaments, ein schon seit längerem zu beobachtender Trend. Die politische Klasse, insbesondere Regierungen und Parlamente haben eine erschreckend geringe Akzeptanz.
Zynismus. Verfolgt man die öffentliche Debatte insbesondere in den Netzwerken, fällt der zunehmende Zynismus, der sich als „Humor“ tarnt, sofort ins Auge. Viele Menschen haben im Grunde ihre Fahne eingezogen, haben „resigniert“, retten sich ins Kabarettistische und in den Zynismus, verkriechen sich in noch verbliebene private Nischen.
Nun ist es zwar auch so, dass ausserparlamentarische Initiativen und Netzwerke durch das Internet an Bedeutung gewinnen. Die Zivilgesellschaft organisiert sich auf diesem Wege weltweit. Das ist eine tröstliche Entwicklung. Ihre politische Wirksamkeit jedoch ist – abgesehen von einigen wenigen Petitionen – marginal.
Nun habe ich nicht wenige Jahre meines Lebens – um genau zu sein, mehr als die Hälfte des bisher gelebten Lebens – als politisch aktiver Mensch verbracht. Während der zweiten deutschen Diktatur und in dem Vierteljahrhundert danach.
Mir sind Abläufe und Gepflogenheiten in Parlament und Regierung aus eigener Arbeit und eigenem Erleben durchaus vertraut.
Vielleicht auch gerade deshalb überwiegt die Skepsis, ob es noch gelingen kann, wirklich umzusteuern.
Das kommende Jahr 2014 wird an die „Schlafwandler“ erinnern. Christopher Clark hat dieses bemerkenswerte Buch 2013 vorgelegt.
Manchmal ist mir, als taumelten die modernen Gesellschaften ähnlich wie 1914 gleichsam „wie Schlafwandler“ in eine erneute, weltweite Katastrophe.
Es sollte mich freuen, wenn ich mich irre.
Mit den vereinigten Armeen gegen Flüchtlinge …. etwas über die christlichen Grundwerte Europas
Still und klammheimlich kommt der Krieg. Man nennt ihn „Manöver“. Im April soll es beginnen. NATO-Generalsekretär Rasmussen hatte schon in der vergangenen Woche darauf hingewiesen, daß „einige der Aktionen“ dieses „Manövers“ „UN-Mandat haben sollten“. Das lässt nichts Gutes ahnen.
Heute ist zu erfahren, daß Amerika und NATO „prüfen“, die Überflugsrechte über Libyen einzuschränken. Damit verbunden ist die Aufkündigung eines Nichtangriffpakts zwischen Italien und Libyen, versteckt in einem „Freundschaftsvertrag“, der nun „ausgesetzt“ ist.
Zwei deutsche Fregatten sind bereits ins „Einsatzgebiet“ unterwegs, wir erfuhren in der vergangenen Woche davon. Ein Mandat des Bundestages gibt es dafür nicht.
Aber, das scheint ja auch egal zu sein, denn soetwas kann man sich ja noch nachträglich besorgen. Im Denken des NATO-Generalsekretärs wird ja deutlich, wie die Reihenfolge ist: „einige Aktionen sollten ein UN-Mandat haben“….sagt er. Und meint: na, dann „besorgen“ wir uns eben eins…..
Wie im verlinkten Text der „Süddeutschen“ zu sehen ist, laufen die außenpolitischen Aktivitäten auf höchsten Touren. Auch der Bundesaußenminister meint, „darüber“ müsse man „zunächst mit der UN reden“. Aber dann wird das schon. Und, wie die Italiener meinen: „keine Option ist ausgeschlossen“. Also auch eine Invasion nicht.
Worum geht es im Kern?
1. Man will die Flüchtlingsströme möglichst in Afrika halten. Sie dürfen auf keinen Fall nach Europa kommen. Denn das würde den europäischen Frieden nun doch sehr gewaltig stören. Die reiche Welt will die Folgen ihrer Politik nicht sehen. Denn: die europäische Agrarsubventionspolitik, die Waffenhilfe, die Öl-Geschäfte – all das hat mit dazu beigetragen, daß es eine große Ungerechtigkeit und Armut in Afrika gibt. Europa hat einen großen Anteil an der Armut in Afrika. Wenn nun die Flüchtlinge aus Nordafrika nach Europa wollen – dann geht das zu weit. Wer will schon gern an seine eigenen Fehler erinnert werden. Deshalb sollen die Flüchtlinge in Afrika bleiben.
2. Man will weiterhin von den nordafrikanischen Öl-Quellen profitieren. Und man wird auch an den Agrarsubventionen nichts ändern. Europa will im Grunde weitermachen wie bisher. Nur eben: die Flüchtlinge stören.
3. Irgendwie muß „das da“ politisch stabilisiert werden. Deshalb wird von den Strategen gern davon gesprochen, es ginge um die „Sicherung der Demokratie“. Man verbreitet die Nachricht, eine NATO-Invasion finde ja nur statt, um „die Opposition“ zu stärken. Ah ja. Man ist dankbar für einen solch erklärenden Hinweis.
4. es geht also darum, daß die reiche Welt mit Hilfe ihrer vereinigten Armeen, die in der NATO zusammengeschlossen sind, eine Invasion in Afrika vorbereitet, um die Flüchtlinge möglichst in Afrika zu halten und doch den Zugang zu den Rohstoffen weiterhin zu sichern. Deshalb ist natürlich damit zu rechnen, daß die ganze „Aktion“ ein UN-Mandat bekommen wird. Klar. Denn die reiche Welt hat in der UN den größten politischen Einfluss.
Diese Invasion, die da derzeitig ganz im Stillen vorbereitet wird, während sich Deutschland über gewisse Promitionsverfahren aufregt, wird die Zustimmung in der deutschen Bevölkerung finden. Denn schließlich will niemand Flüchtlinge in der Nachbarschaft sehen. Sie stören den Sonntagsfrieden.
Schließlich will man weiterhin billige Bananen und Kaffee kaufen. Und man will weiterhin in Ruhe gelassen werden im reichen Europa…..da stören die Flüchtlinge einfach.
Daß die Vorbereitungen zur Invasion der reichen Welt in Nordafrika zu einem Zeitpunkt kommen, in denen peak-Oil überschritten ist, hat natürlich keinerlei Bedeutung. Es geht selbstverständlich überhaupt nicht darum, die letzten noch vorhandenen Öl-Reserven zu sichern. Nein, niemals! Es geht um die „Sicherung der Demokratie“ und die „Stärkung der Opposition“! So steht es in der Zeitung…..
Dieser sich abzeichnende Konflikt zeigt mit ungewohnter Direktheit und Brutalität den völligen moralischen Ausverkauf Europas und Nordamerikas.
Niemand redet gegenwärtig von einer eigentlich notwendigen Neuordnung der Weltmärkte. Niemand redet von der Abschaffung der europäischen Agrarsubventionen, niemand redet von der eigentlich notwendigen Unterstützung der nordafrikanischen und anderen afrikanischen Länder beim Aufbau einigermaßen tragfähiger wirtschaftlicher Strukturen.
Nein.
Es ist banaler: die Flüchtlinge dürfen nicht nach Europa, aber das Öl soll weiter fließen.
Das sind die eigentlichen Werte des christlichen Abendlandes.
Der Umstand, daß in der NATO nur Nationen verbunden sind, die sich „christlich“ nennen und auf „christlichen Grundwerten“ stehen, macht die Sache nicht besser.
Der Umstand, daß muslimische Länder oftmals zu den armen Ländern der Erde zählen, macht die Sache nicht besser.
Die reiche, christliche Welt, gegen die ärmere, muslimische Welt?
Geht es darum? Wird im Konflikt um Nordafrika eigentlich diese Schlacht geschlagen?
Wenn es so wäre, hätte Europa jetzt schon verloren.
Lampedusa – Freiheit gelingt nicht ohne Gerechtigkeit. Ein Zwischenruf
Es ist noch nicht lange her, daß man in ganz Nordafrika „Freiheit!“ und „Freie Wahlen!““ hörte. Regierungen stürzten. Militär übernahm die Macht. Es ist offen, wohin die Entwicklung gehen wird.
So mancher aus dem reichen Norden hat diesen Ruf per facebook und twitter unterstützt. Und hat doch übersehen: Freiheit gelingt nicht ohne Gerechtigkeit.
Denn die Unruhen in Nordafrika haben neben vielen anderen Gründen einen wichtigen Grund: Armut.
Und an der Armut in Afrika trägt Europa eine große Mitschuld.
Es ist daher an der Grenze zur Heuchelei, wenn im reichen Europa die Unruhen in Nordafrika mit einem wenig tapferen Rufe nach „Freiheit!“ unterstützt werden, ohne daß man gleichzeitig bereit ist, für mehr Gerechtigkeit einzutreten.
Etwa 5.000 Menschen erreichen die kleine italienische Insel – täglich.
Sie sind auf der Flucht vor allem vor der Armut in ihrer Heimat. Große Teile der Bevölkerung Afrikas muss von einem Minimum leben: von einem Dollar pro Tag. Ohne Krankenversicherung, ohne Rentenversicherung, ohne festes Dach über dem Kopf, ohne Zugang zu sauberem Wasser und ohne freie Verfügung über die eigenen Rohstoffe….
Die Unruhen in ganz Nordafrika kommen aus dem Inneren des Kontinents. Es gibt einen „Flüchtlingsdruck“ aus der Mitte Afrikas nach Norden.
Da haben sich Flüchtlingsströme auf den Weg gemacht. Bürgerkriegsflüchtlinge, Klima-Flüchtlinge, Armuts-Flüchtlinge.
Seit langem ist bekannt, daß europäische Agrarsubventionspolitik, abgeschottete europäische Märkte und nicht zuletzt der Klimawandel, der wesentlich von den reichen Industriestaaten verursacht ist, zu diesen Flüchtlingsströmen beitragen.
In Lampedusa wird Europa der Spiegel vorgehalten: Schau – dies sind auch die Folgen deines eigenen Handelns.
In Lampedusa sieht Europa die eigene Fratze der Besitzstandswahrung und der Fortsetzung einer „Kolonialisierung mit anderen Mitteln“.
Elias Bierdel, Vorsitzender des Vereins borderline-europe, hat es am 14. Februar 2011 in einem „Tagesschau-Interview“ sehr präzise ausgesprochen:
„Die EU ist speziell in Afrika unmittelbar am Fortdauern der dortigen Elendsverhältnisse beteiligt. Zum einen durch äußerst unfaire Handelsbeziehungen, wo Preise gezahlt werden, die weit unter den Welthandelspreisen liegen. Zum anderen kippen wir unsere Überschussproduktion auf die Märkte. Das ist vor allem in Westafrika der Fall, wo subventionierte Lebensmittel der EU, die man früher hier vernichten musste, dort so billig auf die Märkte gelangen, dass sie die Strukturen der einheimischen Landwirtschaft zerstören. Zudem überfischen wir die Gewässer vor der westafrikanischen Küste, so dass die Menschen dort einfach keine Fische mehr fangen können“….
Deshalb treffen die Unruhen in Nordafrika Europa ins Zentrum seines Selbstverständnisses.
Was wird Europa wirklich verteidigen: die Idee der Gerechtigkeit oder das eigene Portmonee?
Sind die europäischen Unterstützerrufe nach „Freiheit“ am Ende nur wohlfeil, weil man nicht bereit ist, den eigenen Lebenswandel, die eigene Art der Wirtschaft, die eigene Lobbypolitik zugunsten der eigenen Agrarwirtschaft und andrer Branchen wirklich zu verändern?
Solange Europa nicht endlich wirklich wirksam hilft, daß in Afrika die Armut bekämpft wird, solange sind die europäischen Unterstützerrufe nach mehr „Freiheit“ unglaubwürdig.
Denn ein Mensch, der in erzwungener Armut leben muss, ist nicht wirklich frei.
Organisationen wie opportunity International Deutschland und andere haben auf diesen Zusammenhang immer wieder hingewiesen. Die großen Hilfswerke der Kirchen, DIAKONIE und CARITAS ebenso wie der Verband von 120 deutschen Entwicklungshilfeorganisationen, die bei VENRO zusammengeschlossen sind: Freiheit gelingt nicht ohne Gerechtigkeit.
Deshalb sei jedem facebooker, jedem twitterer, jedem blogger gesagt, der die Unruhen in Nordafrika mit einem harmlosen „Überstützung für die Freiheitskämpfer in Nordafrika!“ unterstützen will: solange wir nicht unsere eigenen Kaufentscheidungen, unsere eigene Produktwahl unser eigenes Alltagsverhalten zugunsten von mehr Gerechtigkeit verändern – solange sind unsere Unterstützeraufrufe im Internet und anderswo schlicht unglaubwürdig.
Es ist wohlfeil, aus dem warmen Sessel nach mehr „Freiheit!“ zu rufen, wenn es einen selbst nichts kostet…..
Deshalb ist es hochpolitisch, Organisationen wie faire Trade zu unterstützen.
„Sage mir, was du einkaufst und ich sage dir, ob ich dir glauben kann, wenn du „Freiheit für Nordafrika!“ rufst……
Jean Ziegler, ehemaliger Sonderberichterstatter der UNO für Welternährung, ruft es immer wieder den Mächtigen und den einfachen Konsumenten in die Ohren: ihr tragt eine hohes Maß Verantwortung an der Not Afrikas.
Es sind nicht nur die korrupten politischen Systeme dort, die vielfach das westliche Bild „prägen“ – nein: ihr seid es selbst. Durch eure Art des Wirtschaftens tragt ihr ein gehörig Maß an Mitverantwortung für die Not der Menschen dort.
Ihr zwingt sie zur Flucht.
Deshalb ist es wohlfeil, nur mit Fingern auf „die Politik“ zu zeigen. Denn die Regierungen folgen lediglich dem größten Druck aus den eigenen Bevölkerungen.
So lange die eigenen Agrarlobbyisten – besonders anschaulich in Frankreich, aber auch in Spanien und Deutschland zu erleben – dermaßen starken Druck auf die Regierungen ausüben, solange also letztlich die Kunden am Ende der Handelskette bestimmen, was die Regierungen beschließen können – solange sind die Regierungen in Europa nicht wirklich frei, sich für eine gerechtere Handelsstruktur auch wirklich einzusetzen.
Ich sage das nicht, um europäische Regierungen in Schutz zu nehmen.
Da wäre deutlich mehr Mut möglich – Mut, sich mit den eigenen Bevölkerungen und ihrem Wunsch nach „billiger Ware“ anzulegen.
Aber ich sage es, damit uns klar wird, daß wir selbst es sind, mit unserem ganz alltäglichen Leben im Wohlstand, die zur Armut in Afrika beitragen.
Deshalb geht uns Lampedusa an.
Die Unruhen in Nordafrika treffen Europa ins Herz.
Es geht um unseren Wohlstand, der auf Ungerechtigkeit beruht.
Die Unruhen in Nordafrika und die Menschen auf Lampedusa sind für mich wie ein „Menetekel“ an der Wand: sie betreffen nicht nur Ägypten oder Syrien oder Tunesien.
Sie betreffen Köln und Berlin und Paris und London…..
„Freiheit!“ darf deshalb nur der glaubwürdig rufen, der hinzufügt „Gerechtigkeit!“
Denn: Freiheit gelingt nicht ohne Gerechtigkeit.
Freiheit und Gerechtigkeit sind wie siamesische Schwestern.
Die eine kann nicht leben ohne die andere.