Lampedusa – Freiheit gelingt nicht ohne Gerechtigkeit. Ein Zwischenruf


Es ist noch nicht lange her, daß man in ganz Nordafrika „Freiheit!“ und „Freie Wahlen!““ hörte. Regierungen stürzten. Militär übernahm die Macht. Es ist offen, wohin die Entwicklung gehen wird.
So mancher aus dem reichen Norden hat diesen Ruf per facebook und twitter unterstützt. Und hat doch übersehen: Freiheit gelingt nicht ohne Gerechtigkeit.

Denn die Unruhen in Nordafrika haben neben vielen anderen Gründen einen wichtigen Grund: Armut.

Und an der Armut in Afrika trägt Europa eine große Mitschuld.
Es ist daher an der Grenze zur Heuchelei, wenn im reichen Europa die Unruhen in Nordafrika mit einem wenig tapferen Rufe nach „Freiheit!“ unterstützt werden, ohne daß man gleichzeitig bereit ist, für mehr Gerechtigkeit einzutreten.

Etwa 5.000 Menschen erreichen die kleine italienische Insel – täglich.
Sie sind auf der Flucht vor allem vor der Armut in ihrer Heimat. Große Teile der Bevölkerung Afrikas muss von einem Minimum leben: von einem Dollar pro Tag. Ohne Krankenversicherung, ohne Rentenversicherung, ohne festes Dach über dem Kopf, ohne Zugang zu sauberem Wasser und ohne freie Verfügung über die eigenen Rohstoffe….
Die Unruhen in ganz Nordafrika kommen aus dem Inneren des Kontinents. Es gibt einen „Flüchtlingsdruck“ aus der Mitte Afrikas nach Norden.
Da haben sich Flüchtlingsströme auf den Weg gemacht. Bürgerkriegsflüchtlinge, Klima-Flüchtlinge, Armuts-Flüchtlinge.
Seit langem ist bekannt, daß europäische Agrarsubventionspolitik, abgeschottete europäische Märkte und nicht zuletzt der Klimawandel, der wesentlich von den reichen Industriestaaten verursacht ist, zu diesen Flüchtlingsströmen beitragen.

In Lampedusa wird Europa der Spiegel vorgehalten: Schau – dies sind auch die Folgen deines eigenen Handelns.
In Lampedusa sieht Europa die eigene Fratze der Besitzstandswahrung und der Fortsetzung einer „Kolonialisierung mit anderen Mitteln“.

Elias Bierdel, Vorsitzender des Vereins borderline-europe, hat es am 14. Februar 2011 in einem „Tagesschau-Interview“ sehr präzise ausgesprochen:

„Die EU ist speziell in Afrika unmittelbar am Fortdauern der dortigen Elendsverhältnisse beteiligt. Zum einen durch äußerst unfaire Handelsbeziehungen, wo Preise gezahlt werden, die weit unter den Welthandelspreisen liegen. Zum anderen kippen wir unsere Überschussproduktion auf die Märkte. Das ist vor allem in Westafrika der Fall, wo subventionierte Lebensmittel der EU, die man früher hier vernichten musste, dort so billig auf die Märkte gelangen, dass sie die Strukturen der einheimischen Landwirtschaft zerstören. Zudem überfischen wir die Gewässer vor der westafrikanischen Küste, so dass die Menschen dort einfach keine Fische mehr fangen können“….

Deshalb treffen die Unruhen in Nordafrika Europa ins Zentrum seines Selbstverständnisses.

Was wird Europa wirklich verteidigen: die Idee der Gerechtigkeit oder das eigene Portmonee?
Sind die europäischen Unterstützerrufe nach „Freiheit“ am Ende nur wohlfeil, weil man nicht bereit ist, den eigenen Lebenswandel, die eigene Art der Wirtschaft, die eigene Lobbypolitik zugunsten der eigenen Agrarwirtschaft und andrer Branchen wirklich zu verändern?

Solange Europa nicht endlich wirklich wirksam hilft, daß in Afrika die Armut bekämpft wird, solange sind die europäischen Unterstützerrufe nach mehr „Freiheit“ unglaubwürdig.
Denn ein Mensch, der in erzwungener Armut leben muss, ist nicht wirklich frei.

Organisationen wie opportunity International Deutschland und andere haben auf diesen Zusammenhang immer wieder hingewiesen. Die großen Hilfswerke der Kirchen, DIAKONIE und CARITAS ebenso wie der Verband von 120 deutschen Entwicklungshilfeorganisationen, die bei VENRO zusammengeschlossen sind: Freiheit gelingt nicht ohne Gerechtigkeit.

Deshalb sei jedem facebooker, jedem twitterer, jedem blogger gesagt, der die Unruhen in Nordafrika mit einem harmlosen „Überstützung für die Freiheitskämpfer in Nordafrika!“ unterstützen will: solange wir nicht unsere eigenen Kaufentscheidungen, unsere eigene Produktwahl unser eigenes Alltagsverhalten zugunsten von mehr Gerechtigkeit verändern – solange sind unsere Unterstützeraufrufe im Internet und anderswo schlicht unglaubwürdig.
Es ist wohlfeil, aus dem warmen Sessel nach mehr „Freiheit!“ zu rufen, wenn es einen selbst nichts kostet…..

Deshalb ist es hochpolitisch, Organisationen wie faire Trade zu unterstützen.
„Sage mir, was du einkaufst und ich sage dir, ob ich dir glauben kann, wenn du „Freiheit für Nordafrika!“ rufst……

Jean Ziegler, ehemaliger Sonderberichterstatter der UNO für Welternährung, ruft es immer wieder den Mächtigen und den einfachen Konsumenten in die Ohren: ihr tragt eine hohes Maß Verantwortung an der Not Afrikas.
Es sind nicht nur die korrupten politischen Systeme dort, die vielfach das westliche Bild „prägen“ – nein: ihr seid es selbst. Durch eure Art des Wirtschaftens tragt ihr ein gehörig Maß an Mitverantwortung für die Not der Menschen dort.
Ihr
zwingt sie zur Flucht.

Deshalb ist es wohlfeil, nur mit Fingern auf „die Politik“ zu zeigen. Denn die Regierungen folgen lediglich dem größten Druck aus den eigenen Bevölkerungen.
So lange die eigenen Agrarlobbyisten – besonders anschaulich in Frankreich, aber auch in Spanien und Deutschland zu erleben – dermaßen starken Druck auf die Regierungen ausüben, solange also letztlich die Kunden am Ende der Handelskette bestimmen, was die Regierungen beschließen können – solange sind die Regierungen in Europa nicht wirklich frei, sich für eine gerechtere Handelsstruktur auch wirklich einzusetzen.
Ich sage das nicht, um europäische Regierungen in Schutz zu nehmen.
Da wäre deutlich mehr Mut möglich – Mut, sich mit den eigenen Bevölkerungen und ihrem Wunsch nach „billiger Ware“ anzulegen.
Aber ich sage es, damit uns klar wird, daß wir selbst es sind, mit unserem ganz alltäglichen Leben im Wohlstand, die zur Armut in Afrika beitragen.

Deshalb geht uns Lampedusa an.
Die Unruhen in Nordafrika treffen Europa ins Herz.
Es geht um unseren Wohlstand, der auf Ungerechtigkeit beruht.

Die Unruhen in Nordafrika und die Menschen auf Lampedusa sind für mich wie ein „Menetekel“ an der Wand: sie betreffen nicht nur Ägypten oder Syrien oder Tunesien.
Sie betreffen Köln und Berlin und Paris und London…..

„Freiheit!“ darf deshalb nur der glaubwürdig rufen, der hinzufügt „Gerechtigkeit!“
Denn: Freiheit gelingt nicht ohne Gerechtigkeit.
Freiheit und Gerechtigkeit sind wie siamesische Schwestern.
Die eine kann nicht leben ohne die andere.

6 Gedanken zu “Lampedusa – Freiheit gelingt nicht ohne Gerechtigkeit. Ein Zwischenruf

  1. Ein verstorbener Kollege sagte mir einmal, wenn die Fusionen der Lebensmitteldiscounter weitergeht, werden wir eines Tages 5 € für ein Paket Salz zahlen. Er wollte die Macht der Konzerne zeigen. Diese Macht verhindert u.a. eine fairen Handel mit der 3. Welt. Ich werde mich über die GEPA informieren. Evtl. erreicht man dann eine andere Sichtweise der Dinge.

    1. es ist ein sehr interessanter Zusammenschluss von Produzenten und Konsumenten mit mittlerweile über zwanzig Jahren praktischer Erfahrung. Sehr lohntend dazu auch das Buch von Jeffrey Sachs: Das Ende der Armut.

  2. Ich werfe Kieselsteine in den Strom.
    Die dargestellten Zusammenhänge sind, soweit ich sie beurteilen kann richtig. Die daraus enstandenen Schlussfolgerungen halte ich für gewagt.
    1. Einige Millionen Menschen in Deutschland können sich nicht einmal die sogenannten billigen Nahrungsmittel und Kleidung leisten. Die Tafeln und Sozialkaufhäuser sind in jeder Stadt zu finden!
    2. Wer Garantiert denn, dass die durch den Verkauf erzielten Gelder auch wirklich den Bauern / Produzenten in o. g. Staaten erreichen??
    3. Eine Regierung, welche vor der Agrarlobby einen Kniefall macht, ist keine Regierung. Die dramatischen Auswirkungen für die Menschen in, z.B Afrika, sind doch so gravierend, dass entsprechende Gesetze einfach unumgänglich sind.
    Da zeig ich doch auf die Politik und nicht auf den Verbraucher.

    1. zu 2. Die Firmen, die fairen Handel betreiben sind in der GEPA organisiert: http://www.gepa.de/p/. Die GEPA achtet auch auf Zertifizierung. Dazu gehört, daß den Erzeugern das Geld auch tatsächlich zur Verfügung steht. Ein Ziel der GEPA-Arbeit ist es, möglichst den Zwischenhandel auszuschalten, weil die Händler und Handelsketten am meisten am Produkt verdienen. Die TEEKAMPAGNE hat in vorbildlicher Weise gezeigt, wie das geht: an der Universität entwickelt; weltweit beste Qualität zum niedrigsten Preis.
      zu 1.: das ist ein „übliches“ Argument, nur eben leider nicht stichhaltig. Es führt nicht weiter, die Not der Menschen gegeneinander ins Feld zu führen, denn beide Seiten, diejenigen, die in Europa zu den Tafeln gehen und diejenigen die unter abgeschotteten Märkten zu leiden haben, unterliegen dem gleichen System einer ungerechten Welthandelsordnung. Ich sage ja gar nicht, daß alle Menschen, die selbst auf Hilfe angewiesen sind, fair gehandelte Produkte kaufen sollen. Ich sage aber: Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. Und der Reichtum stammt aus der Armut in anderen Ländern. Es gibt nämlich nur diese EINE Welt. Wir sind reich, weil (!) die anderen arm sind. Es gibt umfangreiche Literatur dazu.
      zu 3. Alle Regierungen, die ich kenne, machen einen Kniefall vor der Agrarlobby. Und sie tun es deshalb, weil die Agrarlobby bei den Kunden einen starken Rückhalt hat. Jean Ziegler und andere haben das sehr eindrücklich an Konzernen wie Nestlé gezeigt, die ja zur „Kette“ dazugehören: die ganze verarbeitende Industrie und der Handel. Wenn der Kunde sich weigern würde, solche Produkte zu kaufen – das wäre ein „Argument“, das die Unternehmen verstehen.
      Glücklicherweise hat faire Trade ein gutes Wachstum. Immer mehr Menschen begreifen diese hoch komplexen Zusammenhänge.
      Aber: stellt man ihr Marktvolumen mit dem „traditionellen Handel“ in Vergleich, sieht man, wieviel Arbeit noch zu tun ist.
      Mein Beitrag: ich stärke den fairen Handel, so gut ich kann.
      Es lohnt sich sehr, mit den Praktikern des fairen Handels über diese Dinge zu sprechen. Am Beispiel der Banane ist das sehr ausführlich untersucht und dokumentiert worden. Auch am Beispiel von Kaffee und Tee. Man findet entsrprechende Literatur auch auf der Seite der GEPA.

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