Der Darß zwischen 1933 und 1945. Erste Zwischenbilanz einer regionalgeschichtlichen Recherche


Weil auf den Homepages der Darß-Kommunen keinerlei Hinweise über die Zeit zwischen 1933 und 1945 zu finden sind, habe ich selbst am 01. September diesen Jahres begonnen, zu recherchieren.
Gespräche und Recherchen im Stadtarchiv Barth; Gespräche und Recherchen im Ortsarchiv Born; Gespräche und Recherchen im Pfarramtsarchiv Prerow und Sekundärliteratur selbstverständlich sind mittlerweile ausgewertet. Ich habe Frau Mählmann (Barth); Frau Nibisch und Herrn Becker (Born), Pastor Witte (Prerow) für ihre Unterstützung und Auskunftsbereitschaft zu danken.
Noch stehe ich am Anfang der Recherchen, dennoch kann bereits eine erste Zwischenbilanz gezogen werden. (Wer die einzelnen Recherchefunde und -fortschritte und ihre genauen Quellenangaben nachlesen will, findet sie auf der für das Projekt eingerichteten Facebook-Seite und hier im blog. Etliche Zeugenaussagen sind dort auch akustisch dokumentiert.
Mittlerweile weiß ich, daß auch in den Kommunen des Darß, also in Zingst, Prerow, Wieck, Born, Ahrenshoop und auch in Boddengemeinden wie Barth und in den Dörfern des ehemaligen Landkreises Franzburg-Barth schon vor dem 30. Januar 1933 der Bäder-Antisemitismus grassierte. Prerow beispielsweise war schon 1929 in seinem Tourismusprospekt stolz darauf, judenfrei zu sein. Die Menschen wählten überdurchschnittlich „konservativ“, also die Deutsch-Nationale-Volks-Partei (DNVP), später deutlich über dem Reichsdurchschnitt NSDAP. Zwar waren Anfang der dreißiger Jahre auch die Sozialdemokraten noch relativ stark, vor allem in den größeren Ortschaften, spätestens ab 1935 war auch das zu Ende.

Gauleiter war ein besonders scharfer Antisemit, Franz Schwede-Coburg in Stettin, der sich schon 1940 rühmte, Pommern sei judenfrei.
Der Kirchgemeinderat des Kirchspiels Prerow (mit Prerow, Ahrenshoop, Wieck und Born) war seit dem Sommer 1933 deutsch-christlich (Einheitsliste).
In Born wirkte maßgeblich der spätere Generalmajor der Waffen-SS Franz Mueller-Darß (seit 1933 NSDAP-Mitglied; seit 1936 SS; nach 1945 Bundesnachrichtendienst), der dem Reichsführer SS Heinrich Himmler direkt unterstellt und für das nationalsozialistische Diensthunde-Wesen im Wirtschafts- und Verwaltunghauptamt der SS (WVHA) und damit auch für die Ausbildung von Wachhunden für die Konzentrationslager verantwortlich war.
Mueller-Darß war ab 1940 „zuständig“ für die KZ-Außenlager in Wieck und in Born.
In Born gab es zusätzlich ab 1943/44 eine SS-Meilerei, in der die Häftlinge, die im KZ-Außenlager „Borner Hof“ in Born untergebracht waren, arbeiten mußten. Der Köhlermeister jener SS-Meilerei ist ein wichtiger Zeitzeuge (vgl. die Tonaufnahmen auf der facebook-Seite und im blog). Im Borner Hof (mitten im Dorf!) waren zeitweise bis zu 120 Häftlinge untergebracht, die von 20 SS-Wachmännern bewacht wurden.
Es gab mehrere Tote in diesem KZ. Die Tochter des Gastwirts vom „Borner Hof“ berichtete davon, daß sie die gestorbenen Häftlinge auf dem Hof des Hotels nackt habe liegen sehen. Auch sind zwei auf der Flucht erschossene Häftlinge bezeugt (Born und Prerow), sowie ein erschossener Flüchtling in Zingst.
Das KZ-Außenlager im Borner Hof in Born sowie die SS-Meilerei in Born sind von erheblicher regionalgeschichtlicher Bedeutung, weil nachgewiesen werden kann, dass der Kontakt zwischen Zivilbevölkerung, SS und KZ-Häftlingen sehr eng und vielfältig war (vgl. dazu die einzelnen Zeugen-Aussagen auf der facebook-Seite und im blog). Die Schutz-Behauptung, man habe „nichts gewusst“, ist nachweislich falsch.
Anhand von Ortsplänen wird ersichtlich, dass in Prerow schon sehr früh eine Umbenennung der wichtigsten Straßen im Ort stattgefunden hat (Hitler-Platz, Goebbels-Straße; Horst-Wessel-Straße etc.),, Ausdruck der „neuen Zeit“.
Von Pastor Pleß (Pfarrer in Prerow von 1931 – 1961) sind massive Probleme zwischen Kirche und NSDAP dokumentiert, obwohl Pleß dem Gedankengut der Deutschen Christen nachweislich sehr nahe stand.
Besonders die HJ-Jugendlager in Prerow auf der Pfarrwiese (teilweise mit mehr als 1500 HJlern) führten zu massiven Konflikten.
Badegäste beschrieben, dass der Strand in Prerow ab 1934/35 von Hakenkreuzfahnen übersät war. Ab spätestens 1935 hatten Juden keinen Zutritt mehr zum Strand.

Gleichzeitig gab es Zeugnisse des Widerstandes gegen Hitler und den Nationalsozialismus. Dietrich Bonhoeffer war 1934/35 im Zingsthof in Zingst, predigte dort auch öffentlich in der Kirche. Pastor Krause aus Zingst wurde gegen Ende des Krieges wegen Wehrkraftzersetzung inhaftiert und vor den Volksgerichtshof gestellt, konnte aber durch die einmarschierenden russischen Soldaten aus seiner Haft in Stralsund befreit werden.

Die Recherchen zu Ahrenshoop, Zingst und Wieck stehen noch ganz am Anfang. Dokumentiert ist ein Flüchtling aus Born, der in Zingst gefunden und erschossen wurde. Dokumentiert ist ebenfalls ein KZ-Außenlager in Wieck.

Barth und Zingst waren militärisch wichtige Orte.  Flugzeug- und Munitionsproduktion in Barth (KZ-Außenlager!) und militärisches Testgelände in Zingst prägten die Region nicht nur in Bezug auf Arbeitsplätze, sondern vor allem auch in Hinblick auf kriegswichtige Produktion und Propaganda. Das KZ-Außenlager und das Kriegsgefangenenlager sind dank jahrelanger Recherchen vor allem durch Frau Radau in Barth mittlerweile sehr gut dokumentiert.

Zwischenfazit: es finden sich recht brauchbare Quellen über die Zeit zwischen 1933-1945 auf dem Darß.
Deshalb ist es aus meiner Sicht völlig unverständlich, weshalb die Kommunen des jetzigen Amtes Fischland-Darß-Zingst die Jahre zwischen 1933 und 1945 in ihren öffentlichen Darstellungen faktisch verschweigen.
Es wäre aus meiner Sicht sehr angemessen, an wichtigen Orten jener Jahre, zum Beispiel am „Borner Hof“ Gedächtnis- und Informationstafeln anzubringen. Die Dokumentation des Geschehenen ist dafür umfänglich und ausreichend.

Ich werde auf der Projekt-Seite bei facebook und hier im blog fortlaufend über weitere Rechercheergebnisse berichten.

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