Mueller-Darss hat sich persönliche Häftlinge gehalten. Sie mussten bei ihm im Forsthaus arbeiten. Eine davon hieß Meta Zils. Es gibt ein Foto von Meta Zils. Und Akten in den Arolsen-Archives, aus denen hervorgeht, dass ihr geschiedener Mann Karl Zils sie nach dem Kriege gesucht hat:

Franz Wegener hat noch mehr über sie herausgefunden. In seinem Buch „Barth im Nationalsozialismus“ (Gladbeck 2016) ist zu lesen:

„Eine der ersten Insassen des KZ Ravensbrück war Meta Zils, eine Zeugin Jehovas mit der Häftlingsnummer 442. Meta stammte aus einem kleinen Dorf, gelegen vor dem (heute polnischen) Zanow. Metas Tochter Gerda berichtet über ihre Kindheit und das Schicksal ihrer Mutter:
„Als die Verfolgung begann, war meine Schwester sieben und ich acht Jahre alt. Es verging keine Woche ohne eine Hausdurchsuchung. Manchmal kam die Gestapo auch öfter. Mir ist nicht bekannt, dass bei meinen Eltern irgendwann Literatur der WT-Gesellschaft (Wachturm-Gesellschaft, der Verlag der Zeugen) gefunden wurde …. meinen Vater hatte die Gestapo … verhaftet. Das muss Ende 1936 gewesen sein … Vom Verhör in Zanow kehrte (meine Mutter) nicht wieder zurück … Der Zeitpunkt, als meine Mutter mit drei weiteren Glaubensschwestern … als Außenkommando nach Born/Darß, zum Brigadeführer der SS Franz Mueller (dem damaligen Darßer Forstmeister und Revierverwalter) abkommandiert wurden, ist mir nicht bekannt. Die vier Schwestern mussten in ihren Sträflingskleidern hauptsächlich Wald- und Feldarbeit verrichten, ohne Bewachung. Untergebracht waren die vier Zeugen Jehovas in der Waschküche auf dem Gelände des SS-Brigadeführers, in der auch die Kartoffeln für die Schweine gekocht wurden, von denen sich die Schwestern hauptsächlich ernährten, wenn nicht Reste von der Küche übriggeblieben waren. (Beiliegen zwei Fotos, eins das Gebäude mit Waschküche, das zweite, das Gebäude, das der SS-Brigadeführer Mueller bewohnte und als Gästehaus von Naziführern, wie z.B. Hermann Göring, diente.) Meine Schwester und mir, war es durch die Initiative eines im Nachbardorf Bliesenrathe (Bliesenrade, Wieck a.d. Darß) wohnenden mutigen Bewohners möglich, unsere Mutter zweimal heimlich bei Nacht zu besuchen. Kurz vor Kriegsende durften alle vier Frauen nach Hause gehen. Meine Mutter legte in ihrer Sträflingskleidung einen Fußmarsch von ca. 300 Kilometern zurück, bis sie meine Großeltern und uns Kinder in die Arme schließen konnte. Doch 1946 wurden wir aus der Heimat vertrieben. Unseren Vater konnten wir erst 1947 wieder finden. Obwohl er vier Jahre im KZ-Buchenwald war, hat er zum Schluss des Krieges noch in Hitlers Armee gedient und hat schwer krank den Krieg überlebt … Dass wir während der Haftzeit unserer Eltern nicht in ein Heim gekommen sind und bei unseren Großeltern bleiben konnten, haben wir sicher Jehova zu verdanken. Der Polizist, der meine Mutter zum Verhör abgeholt hatte, legte Fürsprache für uns ein.“ (a.a.O, S. 161-163).

Aus den in den Arolsen-Archives aufbewahrten Such-Akten geht hervor, dass Meta Zils, geborene Krüger, am 11.8.1906 in Wandhagen, Kreis Schlawe in Pommern geboren wurde. Ihr Mann sucht sie im Jahre 1946 von Neviges (NRW) aus.

Wenn der SS-Mann Mueller-Darss mal wieder Staatsbesuch zur Jagd zu Gast hatte, wird er die Häftlingsfrau Meta Zils gar nicht wahrgenommen haben. Vielleicht hat er ihr gar untersagt, während des Besuchs der hohen Gäste im Forsthaus Born die Kartoffelküche zu verlassen. Meta Zils gehört zu den Born-Häftlingen, deren Namen wir mittlerweile wissen, deshalb soll sie hier in der Dokumentation ihren Platz finden.

Neue Dokumente habe ich gefunden: in der „Entnazifizierungsakte“ Mueller-Darss, die ich im Staatsarchiv in Hamburg gefunden habe, ist ein „Zeugnis“ für Mueller-Darss enthalten, das es in sich hat. Der ehemalige Generalmajor der Waffen-SS hatte es tatsächlich fertig gebracht, sich ausgerechnet an die vier Zeuginnen Jehovas zu wenden, die bei ihm im Forsthaus Born schuften mussten. Mit Datum des Jahres 1947 können wir nun mit erstaunten Augen lesen, was zur Entlastung von Mueller-Darss vorgetragen wurde. Wir erfahren, wer die vier Frauen waren: Frieda Kudell aus Freiberg; Meta Zils aus Neviges (Rheinland), Frau Lange und Frau Sukov.

aus der Entnazifizierungsakte Mueller-Darss; Staatsarchiv Hamburg

Wir haben nun belegt, daß Mueller-Darss sich persönliche Häftlinge gehalten hat. Wir sehen allerdings auch, daß Mueller-Darss die vier Frauen „richtig eingeschätzt“ hatte: sie würden ihm ein eher positives Zeugnis ausstellen, denn Zeuginnen Jehovas akzeptieren ihr Schicksal als von Gott gegeben. Weshalb man sie auch nicht extra bewachen musste. Viele SS-Obere hatten sich deswegen gerade Zeuginnen Jehovas als Sklavinnen „gehalten“: sie mussten die Häuser säubern, die Wäsche waschen, den Haushalt führen, mussten kochen und sich um alles kümmern, was dem „Herrn“ vonnöten war. Sie taten das schicksalsergeben und ohne Bewachung, denn nach ihrem Verständnis lag ihr Leben „in Gottes Hand“. Die vier Frauen werden froh gewesen sein, überhaupt am Leben geblieben zu sein. Und sie werden sich gefürchtet haben, von ihrem ehemaligen Generalmajor der Waffen-SS, dem sie zu dienen hatten, erneut „in Schwierigkeiten gebracht“ zu werden. Deshalb ist der vielleicht wichtigste Satz dieses Zeugnisses zugunsten von Mueller-Darss: „Gott wird einem jeden vergelten nach seinen Werken.“

Am 7. Oktober 2021 erhielt ich aus dem Archiv des ehemaligen KZ Ravensbrück weitere Dokumente, in denen auch neue Fotos von Meta Zils aus den Fünfziger und Sechziger Jahren enthalten sind:

Quelle: Archiv der Gedenkstätte Ravensbrück
Quelle: Archiv der Gedenkstätte Ravensbrück

Meta Zils starb 1981 an Krebs. Ihre Tochter Gerda Liebert, geb. Zils hat später einen „Lebensbericht“ ihrer Mutter verfasst, aus dem auch die Frömmigkeit im Hause Zils erkennbar wird:

Quelle: Archiv der Gedenkstätte Ravensbrück, Akte Außenlager Born.

12 Gedanken zu “Meta Zils und der SS-Mann Mueller-Darss in Born a. Darß

  1. Liebe Petra, ich kann für Hilfe bei der Erforschung der eigenen Familiengeschichte im NS die Rechercheseminare der Gedenkstätte Neuengamme sehr empfehlen. Auf deren Homepage wirst du bestimmt schnell fündig. Viel Erfolg und liebe Grüße, Corinna

  2. In der Tat ein gewaltiger Unterschied, zumal mein Großvater kein Soldat war, er hatte einen kriegswichtigen Dienst.
    Puh.
    Ich glaube, ich muss mal ins Stadtarchiv gehen.

    1. in Born und in anderen Ortschaften wurden die Bauern oder Fischer, die Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, ins russische Sonderlage Fünfeichen „abgeholt“. Nicht wenige haben das nicht überlebt. Deshalb ist die Sache nicht banal. Ist Großvater denn bestraft worden? Welche Alliierten Truppen waren in der Gegend? (Amerikaner und Briten waren weniger streng).

      1. Ich weiß leider nichts, habe aber nie von einer Bestrafung gehört und diese Zwangsarbeitersache hat er nur ein einziges Mal erwähnt. Es war in Ostholstein, ich glaube, da waren die Briten.

      2. Es gab ein Gefangenenlager an dem Ort, in dem Zwangsarbeiter untergebracht wurden. Davon 12-16 Personen bei Privatleuten. Gibt es eine Chance, die Namen dieser Personen herauszufinden und welche bei meinen Großeltern arbeiten mussten?

      3. wenn wir beide von Born auf dem Darß sprechen: da gab es ab 16. September 1944 im „Borner Hof“ ein Gefangenenlager für russische Kriegsgefangene, die für die SS im Wald u.a. Stubben sprengen mussten. Davon getrennt gab es 1940 in Zingst ein Winterkommando aus Neuengamme, das Schilfschneiden musste, ebenso 1941 in Wieck/Darss. Außerdem gab es in Born eine SS-Meilerei, die von Häftlingen bedient werden musste. Die Wachmannschaften für das KZ-Außenlager im „Borner Hof“ waren in der oberen Etage vom „Borner Hof“ untergebracht, die Häftlinge im Erdgeschoss in dreietagigen Pritschen.
        Im Dorf selbst gab es aber außerdem Häftlinge oder „Ostarbeiter“ (Zwangsarbeiter) bei Privatleuten. Mit sind fünf Namen solcher Familien genannt worden, ich hatte allerdings noch keine Gelegenheit, diese Angaben zu überprüfen. Dass 12-16 Personen „bei Privatleuten“ im Dorf untergebracht gewesen sein sollen, ist für mich eine neue Information.
        Schließlich gibt es vom April 1945 eine Namensliste von 35 Häftlingen, die von Born nach Barth ins dortige KZ-Außenlager verlegt wurden, weil sie offensichtlich zur Arbeit nicht mehr tauglich waren. Die Namensliste habe ich auf der Projektseite bei facebook öffentlich gemacht (unter „Fotos“). Diese Häftlinge dürften unmittelbar nach ihrer Verlegung auf den Todesmarsch gegangen sein, der Ende April begann.

      4. Äh, nein, wir sprechen nicht vom Gleichen. Ich meinte das Lager bei meinem Großvater in Ostholstein. Aber vielleicht gibt es über das Stadtarchiv und über die Gedenkstätte Neuengamme Informationen oder Namenslisten.
        Für mich ist die Info neu, dass man sich Zwangsarbeiter bestellt hat. Ich glaube, ich werde die NS-Vergangenheit meiner Familie erforschen, darüber wurde sich hartnäckig ausgeschwiegen. Und der Hinweis auf „Schutzbehauptungen“ passt in dieses Schweigen. Aber meine Großeltern sind alle in den 70ern verstorben.

  3. Waren es generell Bauern, die Zwangsarbeiter zugewiesen bekommen haben, oder waren es eher Funktionäre und Linientreue?
    Ich weiß, dass meine Großeltern Zwangsarbeiter bei sich hatten, und dass diese nicht ins Haus gelassen werden durften. Das wurde von der SS streng kontrolliert, erzählte mein Vater mal beiläufig. Meine Großmutter hat es trotzdem hin und wieder getan. Aber was sagt das über meine Großeltern? Und wo kann man so etwas herausfinden, wenn es keine Familie zum Fragen mehr gibt?

    1. man bekam die Zwangsarbeiter nicht „zugewiesen“, man hat sich welche „bestellt“, das ist ein gewaltiger Unterschied.
      Das angebliche Kontaktverbot war auch keineswegs durchgehalten, es ist eine der üblichen Schutzbehauptungen. Manch einer will ja heutzutage schon als Widerständler gefeiert werden, nur, weil er dem Zwangsarbeiter was zu essen gegeben hat.
      Für Born kann man anhand von dokumentierten Zeugenaussagen zeigen, dass sogar die KZ-Häftlinge (!) in den Häusern aus und ein gingen, z.B. um Pferde tierärztlich zu versorgen, Kinder zu verbinden (nach einem Unfall) oder, um beim Ofensetzen zu helfen. Insbesondere in den Außenkommandos der KZs gab es einen regen Kontakt zwischen Zivilbevölkerung, SS und Häftlingen.

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