Besondere Menschen. Eine Erinnerung an Klaus-Peter Hertzsch


Für mich ist er einer dieser wenigen besonderen Menschen, die einem im Leben begegnen.
Dieser zierliche, beinahe blinde kleine Mann mit den von Krankheit gezeichneten Händen und der zarten Jungen-Stimme.
Als mich gestern die Nachricht von seinem Tode erreichte – tauchten sofort Bilder auf. Bilder aus vergangenen Tagen, über ein Vierteljahrhundert liegen sie zurück und sind doch so gegenwärtig. Das Studium an der Friedrich-Schiller-Universität im schönen thüringischen Städtchen Jena unter den Bedingungen der Diktatur. Ich war von Naumburg gekommen, um bei ihm zu lernen.
Er hatte „etwas zu sagen“, etwas von der Sprache und etwas von der Hoffnung.
Als erstes kam die Erinnerung an seine zierliche Gestalt und die große Brille, die er brauchte, wenn er mal – was selten vorkam – etwas ablesen musste. Meistens sprach er auswendig. Sein phänomenales Gedächtnis habe ich immer bewundert. Egal, welches Lied angestimmt wurde – er konnte es auswendig. Früh schon hatte ihn seine Augenkrankheit gezwungen, zu improvisieren. Lesen war schlecht – aber auswendig lernen, das war möglich.
Und dann war da seine Stimme. Diese stets lächelnde, beinahe verschmitzte, oft hintergründige, zarte Stimme.
Wenn er ans einfache Pult trat im größten Raum der „Sektion Theologie“, wie das damals noch hieß, der überfüllt war von Menschen, die die Professor-Ibrahim-Straße aus der dunklen Stadt hinaufgestiegen waren, um ihm zu lauschen, wenn er vortrug. Ging da ans Pult, rückte mit der linken Hand die große Brille zurecht, schwieg einen Moment und begann. Und vom ersten Moment an hatte er uns gepackt, ergriffen, angefasst, berührt.
Vorlesungen über Literatur, die selbst Literatur waren. Gesprochenes Wort, Rede. Ja. Und doch druckreif. Erzählend, packend auch, heiter nicht selten und immer eröffnend. Eine Welt ging mir auf und nicht nur mir, das weiß ich von vielen, die bei ihm auch gelernt haben.
„Schattenland. Ströme“. Johannes Bobrowski und Max Frisch, Christa Wolf und andere. „Unsere Sprache ist klüger als wir“. „LTI“ von Klemperer haben wir gelesen – und daneben lag das „Neue Deutschland“. „Achtet auf die Sprache!“
Die Welt des in Verantwortung gesprochenen Wortes, die er hat er zugänglich gemacht, hat die Türen dahin geöffnet und die Ohren aufgeschlossen für DAS WORT, um das es ihm in allem, was er schrieb und sprach, immer zu tun war.
Erzählkurse gehörten zur Ausbildung. Wir sollten erzählen lernen. Ins gemütliche Dörfchen Tautenburg sind wir gefahren, um zu wandern, gemeinsam zu essen und – erzählen zu lernen.
Und: „Wenn es Ihnen schon möglich ist: legen Sie ihr Manuskript beiseite. Predigt ist Rede, nicht Lese……“
Weshalb wir erzählen lernen sollten?
Seine Antwort: „die angemessene Form, sich dem Geheimnis zu nähern, ist die Erzählung“.
Das war eine Theologie, die mich im Kern berührt hat, dazu hatte ich unmittelbaren Zugang. Das Buch der Bücher erschloss sich auf ganz neue Weise, wurde zum Lehrmeister, zum begehrten Studienobjekt.
Vielen anderen ging es ebenso.

Nun ist er gestorben. Prof. Dr. Klaus-Peter Hertzsch. Ein großer Lehrer. Ein Stiller im Lande, auf den man aber gehört hat, der geprägt hat, der Hoffnung gegeben hat, der uns hingewiesen hat auf die Große Hoffnung, auf die wir zugehen. Nicht nur im kleinen Thüringen, sondern in ganz Deutschland und weit darüber hinaus.

Bei youtube gibt es eine kleine Dokumentation über Ausschnitte aus seinem Leben. Darin sagt Klaus-Peter Hertzsch: „Es ist schön, wenn man einem sterbenden Menschen sagen kann: Auf Wiedersehen. Das ist tragender Glaube.“

Ich sage das nun: „Lieber Professor Hertzsch, ich bin sehr dankbar, dass wir uns begegnet sind. Und ich bin dankbar dafür, dass wir einen für mich sehr wichtigen Abschnitt unserer Lebenswege gemeinsam gegangen sind. Auf Wiedersehen.“

Ich wünsche nicht, dass „idea“ weiterhin mit meinem Geld unterstützt wird


Idea“ ist eine Nachrichtenagentur. Sie nennt sich „christlich“. Aber daran bestehen berechtigte Zweifel. Die Agentur äußert sich regelmäßig und überaus klar gegen die „EKD“ (Evangelische Kirche in Deutschland), und gegen „die Landeskirchen“. Besonders ärgerlich sind ihre klar anti-muslimische Grundhaltung, die in zahlreichen Texten deutlich wird und eine Instrumentalisierung der Not der zahlreichen Flüchtlinge in Europa für ihre  anti-muslimischen Ansichten.
Die EKD unterstützt – bislang – diese Agentur dennoch mit etwa 130.000 Euro.
Ich möchte, dass sich das ändert.
Ich möchte nicht, dass die EKD diese Agentur aus meinen Kirchensteuerbeiträgen weiterhin unterstützt.
Denn:
„idea“ unterhält Kontakte zur rechtsextremistischen „Jungen Freiheit“ (vgl. dazu den unteren Textabschnitt im oben verlinkten wikipedia-Text zu „idea“).
Sie fällt in etlichen Beiträgen durch einen hetzerischen Tonfall auf. Auf ein extremes Beispiel gehe ich gleich noch ein.
Es hat mehrere kritische Gespräche zwischen der EKD und „idea“ gegeben.
Dennoch wird die Agentur weiterhin finanziell unterstützt. Die EKD tut das – vermutlich – aus Rücksicht auf einige wenige konservative christliche Gruppen, für die „idea“ schreibt. Man kann das – bis zu einem gewissen Grade – als Noblesse der EKD gegenüber ihren Kritikern verstehen.
Wenn allerdings Texte wie „Ein blutiges Ausrufezeichen nach der EKD-Synode“ verbreitet werden, dann ist für mich der Rubicon überschritten.

Deshalb bitte ich die Synodalen der EKD-Synode, insbesondere diejenigen unter ihnen, die sich mit den Finanzen der EKD befassen, die weitere Finanzierung von „idea“ einzustellen.

Ich möchte nicht, dass die EKD diese Agentur aus meinen Kirchensteuerbeiträgen weiterhin unterstützt. Und ich vermute nicht ohne Grund, dass andere Kirchensteuerzahler meine Auffassung teilen.

Mittlerweile (nach etwa 3 Stunden nach Erscheinen dieses blog-Beitrags) hat idea den zitierten Text von seiner Homepage entfernt. Auch die Seite der Evangelischen Allianz, auf der der Text nicht nur verlinkt, sondern auch abgebildet war, hat ihn entfernt. Ich weise deshalb nun auf einen Text hin, der mich gestern erreicht hat und der maßgebliche Zitate aus dem kritisierten idea-Beitrag enthält, damit man sich – zumindest in gewissen Restbeständen – anhand des Textes eine eigene Meinung bilden kann. Man findet ihn hier.

Am 17. 11. 2015 etwa mittags publizierte idea diesen Text:

idea

4 Std. ·

STELLUNGNAHME
idea hat einen Kommentar des Theologen und Journalisten Dr. Uwe Siemon-Netto veröffentlicht. Der Beitrag hätte in dieser Form nicht publiziert werden dürfen. Dafür entschuldige ich mich!
Ich habe veranlasst, dass dieser Kommentar nicht in ideaSpektrum veröffentlicht und aus dem Netz genommen wird. Er ist leider in seiner Wortwahl und in seinem Vergleich unangemessen und falsch.
Helmut Matthies, Leiter der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar)

Mittlerweile (18.11.2015; 18 Uhr) hat mich via facebook dieser Text erreicht, den ich hier – der Vollständigkeit halber auch einstelle. Man findet darin auch den kompletten, von mir kritisierten Text:
Uwe Siemon-Netto
16 Std. · Laguna Woods ·
An meine deutschsprachigen Leser: Den folgenden Kommentar schrieb ich letzten Sonnabend für Idea. die Präses der EKD-Synode, Irmward Schwätzer, drohte daraufhin dem idea-Chefredakteur Helmut Matthies mit einer Klage vor dem Deutschen Presserat.Daraudfhin distanzierte sich Matthies, ohne mich zu unterrichten, von diesem Beitrag, den er selbst bestellt und abgesehnet hatte.
Unten der Kommentar, dann mein Rundschreiben
Ein blutiges Ausrufzeichen nach der EKD-Synode
Uwe Siemon-Netto
Zwischen Bremen und Paris liegen 651 Kilometer Luftlinie. Blicken wir aber auf das, was fast zeitgleich in diesen beiden Städten geschah, dann scheinen sie in verschiedenen Universen zu liegen. Oder doch nicht? Das Massaker von Paris steht wie ein blutiges Ausrufzeichen hinter dem Gutmenschenkitsch, den sich Teile der EKD-Synode in punkto Islam gönnten. Man ist versucht, Psalm 2,4 zu zitieren: „Aber der im Himmel wohnet, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer.“ Da konstatierte doch der Bischof Markus Dröge vor der Synode seiner Kirche in Berlin, dass Christen Muslime nicht zum „Missionsobjekt“ machen dürften; da hatte zuvor schon eine Oberkirchenrätin aus Düsseldorf auf die Frage nach der Aktualität des Missionsauftrages Jesu geantwortet, man dürfe den Muslimen doch jetzt nicht auch noch den Glauben wegnehmen. Wir möchten mit Gott lachen aber können es nicht. Eher passt die Reaktion des Berliner Malers Max Liebermann (1847-1935) auf eine andere Form von Totalitarismus: „Ick kann janich so ville fressen wie ick kotzen möchte.“
Der Bischof, die Oberkirchenrätin und die ihnen zunickenden EKD-Quietisten seien gefragt: Wann haben Sie das letzte Mal in den Koran geblickt? Wann in die Zeitungen, die seit Jahren über die Gräuel des Islamismus berichten: wie er Andersgläubige köpft, kreuzigt, vergewaltigt, entführt? Das war alles weit weg. Jetzt geschieht es nur 651 Kilometer von Bremen entfernt. „Dieser Anschlag… meint uns alle und trifft uns alle“, sagte Angela Merkel, und sie hatte Recht.
Ach, das war alles nicht im Sinne des Erfinders? Doch, Herr Bischof, Frau Oberkirchenrätin! So steht’s im Koran. Entsinnen Sie sich noch aus Ihrem Theologiestudium des sola scriptura-Imperativs? Die Heilige Schrift ist der höchste Maßstab aller Lehre und Praxis. Nun ermahnt die heilige Schrift der Muslime diese aber nicht zur Feindesliebe, sondern ruft sie auf: „Erschlagt (die Ungläubigen), wo immer ihr auf sie stoßt“ (Sure 2, Vers 191) und: „So haut ein auf ihre Hälse und haut ihnen jeden Finger ab“ (Sure 8, Vers 12). Ähnliches ist im Koran an über hundert Stellen zu lesen. Die Mörder von Paris haben sich an den sola-scriptura-Grundsatz gehalten; sie unterwarfen sich der Autorität der heiligen Schrift – aber eben nicht unserer heiligen Schrift, sondern ihrer. Und ihren Glaubenssätzen sollten wir im Umgang mit Muslimen nicht unsere gegenüberstellen dürfen?
Spätestens nach Paris muss mit dem deutschen Protestantengesäusel zum Thema Islam Schluss sein. Niemand fordert, dass Muslime zur Konversion genötigt werden. Wir Christen haben eine viel mächtigere Waffe für den Umgang mit ihnen, nämlich das Wort des lebendigen Gottes. Dieses Geschütz bellt nicht wie Kanonen und tötet niemanden. Es ermahnt lediglich uns alle, auch die politisch-korrekt verwirrten Kleriker in den EKD-Gliedkirchen: „Gehet hin und lehret alle Völker, taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Matthäus 28,19).
——–
LiebeFreunde und Mitchristen,
mein beigefügter Kommentar erschien am 14. November im idea-Pressedienst. Er wurde aber am Montag wieder herausgenommen, so dass nur noch die Übersicht auf der ersten Seite darauf verweist, der Text jedoch fehlt. Auch in idea-Spektrum wurde er nicht veröffentlicht. Idea-Leiter Helmut Matthies, der diesen Beitrag bestellt hatte, hat mich weder telefonisch noch per Email davon informiert, dass und warum er dieses Stück kippen würde. Nachdem ich heute in mehreren Emails nach diesen ungewöhnlichen Vorgang gefragt wurde, will ich jetzt versuchen, seine furchterregenden Hintergründe nach bester Kenntnis zu erläutern.
Ich schicke voraus, dass ich Herrn Matthies, abgesehen von seinem Mangel an guter kollegialer Sitte, dies nicht übel nehme, weil ich inzwischen folgendes erfahren habe: Die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwätzer, hatte bei ihm am Montag angerufen, ihm eine Verleumdung der Synode vorgeworfen und mit dem Presserat gedroht. Es gibt offensichtlich auch Bestrebungen, die jährlichen EKD-Subventionen von 130.000 an idea zu streichen. Im Internet forderte dies jedenfalls ein Staatssekretär unter Hinweis auf meinen Kommentar. Ein Pfarrer forderte Matthies auf, sich für diesen Beitrag zu entschuldigen, und Herr Matthies tat dies denn auch in einer “Stellungnahme“ (siehe unten), die ich im Internet fand. Dass er mich weder vorher konsultierte noch hinterher informierte, halte ich zwar für feige und menschlich verwerflich, sehe es ihm aber nach, weil es zeigt, unter welch’ unmenschlichen Druck er von einflussreichen Leuten in gestellt wurde, die sich für Christen halten.
Ich kann Helmut Matthies’ finanzielle Gründe nachvollziehen, auch wenn ich sie theologisch für nicht vertretbar halte, weil ich ja in meinem Kommentar (!) nichts anderes tat, als mit spitzer Feder die Evangelische Kirche aufzufordern, in dem jetzt tosenden Dritten Weltkrieg ihr mächtiges Geschütz aufzufahren, nämlich das εὐαγγέλιον, auf das sie sich schließlich ihr Name beruft, den nach Deutschland strömenden Muslimen anzubieten. Dies lässt sich nicht mit neuprotestantischem Gestammel à la “Hmmm, ich denke mal” bewältigen sondern nur wie Christus uns geheißen: „Gehet hin und lehret alle Völker…”
Es ist bedauerlich, dass es mir nicht vergönnt war, mit Frau Schwätzer diesen Strauß vor dem Deutschen Presserat auszufechten, denn sie hat auf totalitäre Art in die redaktionelle Arbeit eines Presseorgans eingegriffen, hat einen Kommentar unterdrückt, also gegen die Meinungsfreiheit verstoßen (Grundgesetz Artikel 5, Absatz 1, Satz 1), und einen Chefredakteur erpresst. Dass dieser sich erpressen ließ, entspricht einer tragischen Tradition selbst rechtgläubiger Christen in Deutschland. Wie Dietrich Bonhoeffer 1943 schrieb: „Was steckt eigentlich hinter der Klage über die mangelnde Civilcourage? Wir haben in diesen Jahren viel Tapferkeit und Aufopferung, aber fast nirgends Civilcourage gefunden, auch bei uns selbst nicht.“
Liebe Freunde, mich schaudert’s angesichts der schwarzen Wolken, die allenthalben aufziehen. In seinen Reden über das Vaterunser sprach Helmut Thielicke in den Jahren 1944-45 von einer “Schuldlawine, die in der Geschichte der Völker immer mehr anschwillt …. ein Schuldverhängnis brütet über der Welt, über ihren Kontinenten und Meeren.” Diese Lawine hat wieder einmal die Evangelische Kirche in Deutschland erfasst, obwohl sie zweifellos diesen Gedanken empört von sich weisen wird. Kyrie eleison!
Uwe Siemon-Netto
PS: Helmut Matthies’ Entschuldigung: “STELLUNGNAHME idea hat einen Kommentar des Theologen und Journalisten Dr. Uwe Siemon-Netto veröffentlicht. Der Beitrag hätte in dieser Form nicht publiziert werden dürfen. Dafür entschuldige ich mich! Ich habe veranlasst, dass dieser Kommentar nicht in ideaSpektrum veröffentlicht und aus dem Netz genommen wird. Er ist leider in seiner Wortwahl und in seinem Vergleich unangemessen und falsch.Helmut Matthies, Leiter der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar)”
Bitte leiten Sie diese Nachricht an jene unter Ihren Freunde und Bekannten weiter, denen Sie meinen Kommentar am letzten Sonnabend geschickt hatten..

Am 20.11. 2015 erreichte mich diese e-mail, die ich dem hier fortlaufend ergänzten Text hinzufüge:

Bernhard Limberg <bernhard.limberg@idea.de>

14:21 (vor 6 Minuten)

an mich

Sehr geehrter Herr Kapsarick,

ich weise Sie auf unsere Stellungnahme auf Facebook vom 18. November 2015 (16:53 Uhr) hin, die in Ihrem Beitrag “Ich wünsche nicht, dass “idea” weiterhin mit meinem Geld unterstützt wird” bisher keinerlei Beachtung fand. Dort heißt es:

STELLUNGNAHME
idea hat am Montag den Kommentar „Ein blutiges Ausrufezeichen nach der EKD-Synode“ aus dem Internet entfernt. Jetzt kursiert im Netz die Behauptung, die EKD habe mit Maßnahmen gedroht, falls der Beitrag nicht gelöscht werde. Das stimmt in keiner Weise. Die Entscheidung, den Artikel zu entfernen, hat idea unabhängig und aus inhaltlichen Gründen getroffen.

Helmut Matthies, Leiter der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar)

Auch Uwe Siemon-Netto hat sich nach einem Gespräch mit Helmut Matthies auf seinem Facebbok-Profil geäußert (18. November 2015, 13:15 Uhr):

An meine deutschen Leser:
Idea-Redaktionsleiter Helmut Matthies hat mich eben angerufen. Wir haben uns ausführlich ausgesprochen. Der Konflikt ist beigelegt.

Es wäre fair, wenn Sie die neue Entwicklung berücksichtigen könnten.

Irritiert haben wir festgestellt, dass Sie diesen Kommentar zu Ihrem Blog-Beitrag unkommentiert belassen haben:
Fritz Penserot
November 16, 2015 um 14:58  <https://ulrichkasparick.wordpress.com/2015/11/16/ich-wuensche-nicht-dass-idea-weiterhin-mit-meinem-geld-unterstuetzt-wird/#comment-1109>
Wir dürfen als Christen diese ideologischen Wasserträger der Nazis nicht unterstützen!

Für Fragen steht Ihnen Herr Matthies oder ich gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Bernhard Limberg
Verantwortlicher Redakteur Internet & Fernsehen

idea e.V.
Evangelische Nachrichtenagentur

Postfach 18 20
35528 Wetzlar

Telefon 06441 915-117
Telefax 06441 915-118
Mobil 0170 4173293

http://www.idea.de/

idea ist wegen Förderung religiöser Zwecke als gemeinnütziger Verein anerkannt und im Vereinsregister Wetzlar unter der Nr. 736 registriert. Vorsitzender: Horst Marquardt

 

Christen in der AfD. Eine Textanalyse. Zwei „Predigten“ von Pastor Jakob Tscharntke


Ich hatte hier im blog angekündigt, mich mit konkreten Texten von Menschen auseinanderzusetzen, die sich im Bundesverband der Christen in der AfD organisiert haben. Ich will das 1. theologisch und 2. politisch tun. Man findet beim Bundesverband der Christen in der AfD z.B. auf dessen facebook-Seite sehr schnell die sogenannten „Protagonisten“. Menschen also, deren Schriften innerhalb des Bundesverbandes und darüber hinaus Verbreitung und Resonanz finden.
Beginnen wir mit Jakob Tscharnke. Pastor der Evangelischen Freikirche in Riedlingen. Er hat zwei „Predigten“ (vom 4. 10. 2015 (Der Christ und der Fremde) und vom 11.10. 2015 (Wie gehen wir als Christen mit der Zuwanderungsproblematik um) öffentlich zugänglich vorgelegt, um deren Analyse es nun gehen soll. Wer den Text selber nachlesen will, findet ihn hier.
Vorbemerkung:
Die Interpretation biblischer Texte hat eine lange, wechselvolle Geschichte. Schon Origines (185-254) hat auf einen „vierfachen Schriftsinn“ hingewiesen und damit all jenen gewehrt, die biblische Texte nur im „wörtlichen“ Sinn interpretieren wollen. Die wissenschaftliche Erschließung biblischer Texte hat seither enorme Entwicklungen erfahren, zu denen insbesondere die wissenschaftlich exakte Exegese gehört. Die historisch-kritische Methode ist dabei ein wesentlicher Baustein exakter Exegese. Sie ist nicht die einzige Methode. Die historisch-kritische Methode arbeitet streng am Text und fragt insbesondere nach Verfasser, Entstehungszeit, damaliger „Absicht“ und „Funktion“. Diese strenge Methode dient vor allem der Vermeidung der „Eisegese„. „Eisegese“ ist ein Hinein-Interpretieren gegenwärtiger Fragestellungen und gegenwärtiger Vorstellungen in die antiken Texte. Andersherum: wer „Eisegese“ betreibt, liest Aussagen aus den antiken Texten, die da nicht drin stehen.
Wendet man die historisch-kritische Exegese auf den oben zitierten Text zur „Predigt“ an, dann findet man: Jesaja 1, 2-7 ist etwa zwischen 740 und 701 vor Christus entstanden. Dieser Text – der ja Grundlage der „Predigt“ von Jakob Tscharntke ist, sagt also zur gegenwärtigen Fragestellung zum Umgang mit Flüchtlingen insbesondere aus muslimischen Ländern – zunächst einmal gar nichts. Er sagt auch nichts zum Thema „Der Christ und der Fremde“, weil dem Propheten Jesaja das Phänomen des Christentums völlig unbekannt war. Das Christentum ist viel später entstanden.
Aber nicht nur das.
Man findet im Text von Jakob Tscharntke eben auch starke Hinweise auf „Eisegese“. Tscharntke fragt: „Damit zu dem, was Gottes Wort wirklich sagt. Worin liegt der grundsätzliche Irrtum derer, die bei der derzeitigen Invasion (Hervorhebung von mir) nach Deutschland mit Argumenten wie der Nächstenliebe oder dem barmherzigen Samariter daherkommen?“
Der Text“interpret“ Tscharnke hat also bereits eine konkrete Vorstellung von dem, was sich gegenwärtig abspielt. Es handelt sich nach seiner Wahrnehmung um eine „Invasion“. Das ist ein Wert-Urteil. Und dieses Wert-Urteil macht ihn blind gegenüber den zahlreich (und vor allem wahllos) zitierten Bibel-Stellen, die zumal aus völlig verschiedenen Zeiten stammen, von verschiedenen Autoren sind und auch überaus verschiedene „Zwecke“ hatten. Herr Tscharntke sucht sich wahllos zusammen, was ihm in seinen theologischen Kram passt.
Ein solches Verfahren hat allerdings mit Theologe nichts mehr zu tun. Denn das ist Willkür am Text.
Wer bereits bevor (!) er sich mit dem eigentlichen Bibeltext auseinandersetzt, die feste Vorstellung hat, es handele sich bei den Flüchtlingen der Gegenwart um eine „Invasion“, der findet natürlich auch heraus, was dann als „Konsequenz“ festzustellen wäre:
„Jesus hat im Gleichnis vom barmherzigen Samariter von einem gesprochen, der unter die Räuber gefallen war. Er hat definitiv nicht davon gesprochen, daß wir unser Land von einfallenden räuberischen Horden ausplündern lassen müssten.“ (Man findet diese Textstelle in der „Predigt“ von Herrn Tscharnke weiter oben im link).
Halten wir fest: bei den Flüchtlingen der Gegenwart handelt es sich nach Auffassung von Herrn Tscharnke nicht nur um eine „Invasion“, sondern zudem um eine Invasion „von einfallenden räuberischen Horden“.
Mit biblischer Exegese oder gar mit Theologie hat das nichts mehr zu tun.
Das ist Ideologie.

Ein Kollege von Herrn Tscharnke hat ihn nun angezeigt.
Nach meinem Kenntnisstand ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Das religiöse Mäntelchen der AfD. Der „Bundesverband Christen in der AfD“. Eine Ankündigung.


Die AfD gibt sich gern christlich. In dieser Partei arbeiten Menschen mit, die sich für Christen halten. Ob sie das sind, darüber will ich nicht urteilen. Das steht mir auch nicht zu.
Aber ich will mich auseinandersetzen mit deren Argumenten, mit ihrem politischen Weltbild und mit ihren „theologischen“ Argumentationsmustern. Weil ich der Auffassung bin, dass insbesondere in den öffentlichen Äußerungen des „Bundesverbandes Christen in der AfD“, wie man sie beispielsweise bei facebook und auch auf diversen Homepages und in etlichen print-Publikationen findet, eine Mischung von ausländer- insbesondere islamfeindlichem politischem Gedankengut und einer schon auf den ersten Blick ziemlich verquasten „Theologie“ daherkommt, die unbedingte Auseinandersetzung erfordert, weil sie, völlig fern von jeder exegetisch exakten Erkenntnis, so ziemlich alles mit allem zusammenquirlt – um die eigene politische Ansicht zu legitimieren.
Mein persönlicher Grund, mich dieser nicht vergnügungssteuerpflichtigen Arbeit zu unterziehen, ist ein historischer: eine Theologie, die zur Legitimierung eigener politischer Auffassungen zusammengebastelt wird, stand und steht in der Gefahr, Menschen zu verführen.
Historisches Beispiel ist die Auseinandersetzung zwischen „Bekennender Kirche“ und „Deutschen Christen“ in den Jahren zwischen 1933 und 1945. Mit dieser Zeit beschäftige ich mich nun seit etwa 35 Jahren. Auch, weil ich einen Beitrag leisten will, dass sich politische Verhältnisse, wie sie in jenen Jahren herrschten, nicht wiederholen.
Ich werde deshalb hier im blog in loser Folge einzelne Texte dazu bereitstellen, mich mit einzelnen Protagonisten der „Christen in der AfD“ auseinandersetzen und mit den von ihnen vorgetragenen Argumenten – politischer und theologischer Natur. Ich tue das als Theologe und als politisch denkender Mensch.
Eins ist mir dabei besonders wichtig: es geht um unbedingte theologische Klarheit. Denn – das hat die Auseinandersetzung der „Bekennenden Kirche“ mit den „Deutschen Christen“ gezeigt – nur Klarheit hilft weiter. Ohne die Klarheit von exzellenten Theologen wie Karl Barth oder Dietrich Bonhoeffer wären in jenen Jahren noch mehr Menschen den „Deutschen Christen“ hinterher gelaufen. Es waren viel zu viele, die unter Gebeten „für Volk und Vaterland“ ihren latenten Fremden- und insbesondere Juden-Hass zum Ausdruck brachten. Und die Kirchen haben durch ihr überlanges Schweigen in jenen Jahren Schuld auf sich geladen. Deshalb bedarf es jetzt der frühen und rechtzeitigen Auseinandersetzung und Klärung. Es wäre fatal, wollte man Gruppen wie die „Christen in der AfD“ nicht ernst nehmen. Denn hier wächst eine Melange aus rechtsorientiertem politischem Denken und einer „Theologie“ heran, die nicht ohne Widerspruch bleiben darf. Wenn eine „Theologie“ dazu dient, ausländerfeindliche – im Besonderen islamfeindliche – politische Ansichten zu bemänteln, dann muss ihr widersprochen werden. Denn nichts ist gefährlicher, als wenn Politik im Gewand der „Religion“ daher kommt.
Dies ist ein erster kurzer Text zu diesem Problemkreis, eine Ankündigung gewissermaßen, erste links sind gesetzt, damit sich der Leser eine eigene Meinung bilden kann. Man wird weitere Texte hier im blog künftig unter einer eigenen Kategorie „Christen in der AfD“ finden.

Mir ist so seltsam zu Mute bei dieser Silberhochzeit. Etwas zum Mauerfall


Gefühle soll man ernst nehmen.
Deshalb hab ich mich gefragt, weshalb mir so seltsam zu Mute ist bei diesem Jubiläum? 25 Jahre Hochzeit zwischen Ost und West. 25 Jahre Fall der Mauer? Silberhochzeit.
Große Worte sind in der Welt.
Von „Revolution“ wird da geredet. Friedlich sei sie verlaufen.
Von „Freiheit“ wird auch geredet. „Widerstandkämpfer“ habe es gegeben
Mir ist das alles eine Nummer zu groß und mich beschleicht das Gefühl, dass etwas „nicht stimmt“.
Ich wusste lange nicht, wie ich es in Worte fassen könnte.
Bis da heute ein Text geflogen kam. Ein Redetext.
Gehalten von einem Südamerikaner.
Es hat da zum ersten Mal ein Treffen von sozialen Gruppen aus aller Welt gegeben im Vatikan.
Und dieser südamerikanische Papst fand die Worte, die eine Erklärung wurden, woher mein Unwohlsein kommt bei dieser Silberhochzeit, die in Deutschland gefeiert wird in diesen Tagen.
Denn da stimmt etwas ganz und gar nicht. Nicht nur im Staate Dänemark.
Und Papst Franziskus hat es in Worte gekleidet:
„Die Sozialen Bewegungen bringen zum Ausdruck, wie dringend unsere Demokratien verlebendigt werden müssen, weil sie oft von unzähligen Faktoren entführt werden. Für die Gesellschaft ist eine Zukunft nur vorstellbar, wenn die Mehrheit der Bevölkerung eine aktive bestimmende Rolle mit spielt. Eine solch aktive Rolle geht über die logischen Verfahren einer formalen Demokratie weit hinaus. Die Aussicht auf eine Welt mit dauerhaftem Frieden und Gerechtigkeit verlangt von uns, jeden paternalistischen Assistentialismus hinter uns zu lassen und neue Formen der Partizipation zu entwickeln, damit die sozialen Bewegungen aktiv mitwirken können. So könnte der moralische Energieschub, der aus der Eingliederung der Ausgeschlossenen in den Aufbau einer gemeinsamen Zukunft entsteht, zu Regierungsstrukturen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene animieren. Und das konstruktiv, ohne Groll, mit Liebe.“
Was ist geworden aus der Aktivität der Vielen, die 89 auf der Straße waren?
Ist sie erstickt im Konsum?
Geht es nur noch darum, wer das schönste Selfie schickt?
Geht es nur noch darum, möglichst selber gut über die Runden zu kommen?
Ist das das Erbe von 89?

Wir müssen wieder von vorne anfangen. Oder, genauer: dort weitermachen, wo wir 1989 aufgehört haben.
Was sind „Maßstäbe des Menschlichen“ in einer wahnsinnig gewordenen Welt, in der sich alles nur noch um Geld zu drehen scheint, um die Sicherung der eigenen Interessen, um Einflusssphären und Gewalt?
Wie kann eine Gesellschaft aussehen, in der es nicht nur um Gewinnmaximierung sondern um Gemeinschaft geht?

„Einige von euch haben gesagt: Dieses System ist nicht mehr zu ertragen. Wir müssen es ändern. Wir müssen die Würde des Menschen wieder ins Zentrum rücken und dann auf diesem Grund alternative gesellschaftliche Strukturen errichten, die wir brauchen. Das müssen wir mit Mut, aber auch mit Intelligenz betreiben. Hartnäckig, aber ohne Fanatismus. Leidenschaftlich, aber ohne Gewalt. Und gemeinsam, die Konflikte im Blick, ohne uns in ihnen zu verfangen, immer darauf bedacht, die Spannungen zu lösen, um eine höhere Stufe von Einheit, Frieden und Gerechtigkeit zu erreichen“.

Friede, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung.
Das waren die Stichworte, die zur „Wende“ geführt haben.
Geblieben sind davon die Reisefreiheit (so man genug Geld hat), die Meinungsfreiheit (die schamlose Auswüchse entwickelt), die Wahlfreiheit (und die Wahlbeteiligung sinkt mit jeder Wahl).
Das ist zu wenig!
Wir wollten mehr.
Wir träumten von einer solidarischen Gesellschaft – aufgewacht sind wir im real existierenden Kapitalismus.
„Dieser Kapitalismus tötet“ – sagt Franziskus.
Eine im Konsum gefangene Gesellschaft kann Freiheit nicht feiern. Welche denn? Die, sofern man Geld hat, unbegrenzt zu konsumieren?
Nein, da stimmt etwas nicht mit dieser silbernen Hochzeit.

„Wir sprechen über Landbesitz, Arbeit und Dach über dem Kopf … wir sprechen über die Arbeit für Frieden und die Bewahrung der Natur … Aber warum schauen wir dann immer noch zu, wie menschenwürdige Arbeit beseitigt, so viele Familien aus ihren Häusern vertrieben, campesinos ihrer Länder beraubt, Kriege geführt werden und die Natur misshandelt wird? Weil man in diesem System den Menschen, die menschliche Person, aus der Mitte gerückt und sie durch etwas anderes ersetzt hat. Weil man dem Geld einen götzendienerischen Kult widmet. Weil man die Gleichgültigkeit globalisiert hat! Man hat die Gleichgültigkeit globalisiert nach dem Motto: Was geht mich das an, wie es anderen geht, wenn ich mich doch um mich selbst zu kümmern habe? Denn die Welt hat den Gott vergessen, der Vater ist. Sie ist wieder eine Waise geworden, weil sie Gott beiseite geschoben hat“.

Schaut man in die sozialen Netzwerke, kann man finden: die „Ironie“ ist beinahe zum Standard-Ausdrucksmittel geworden.
Auch nimmt Zynismus zu.
Besonders schlimm sind die „Euphemismen“ – Worte, die gut klingen sollen. Um etwas zu verbergen.

„Es ist schon komisch, wie Beschönigung und Bagatellisierung durch Euphemismen in der Welt der Ungerechtigkeit überhand nehmen. Man redet nicht in eindeutigen klaren Worten, sondern sucht nach beschönigenden Umschreibungen. Ein Mensch, ein abgesonderter Mensch, ein außen vor gehaltener Mensch, ein Mensch, der unter Elend und Hunger leidet, wird also als Mensch auf der Straße bezeichnet – eine elegante Lösung, nicht wahr? Sucht stets hinter jedem Euphemismus das Verbrechen, das sich dahinter verbirgt – im Einzelfall mag ich mich irren, aber im allgemeinen ist es so, dass hinter einem Euphemismus ein Verbrechen steckt“

„Bei diesem Treffen habt ihr auch über Frieden und Ökologie gesprochen. Das liegt in der Logik: Man kann kein Land besitzen, man kann kein Dach über dem Kopf haben, man kann keine Arbeit haben, wenn wir keinen Frieden haben und wenn wir den Planeten zerstören. Diese wichtigen Themen müssen die Völker und ihre Basisorganisationen dringlich diskutieren. Sie dürfen nicht allein von den politischen Führungskräften behandelt werden. Alle Völker der Erde, alle Männer und Frauen guten Willens, alle müssen wir zum Schutz dieser beiden kostbaren Gaben unsere Stimmen erheben, für Frieden und für die Natur, bzw. – wie Franz von Assisi sie nennt – für die Schwester Mutter Erde.

Kürzlich habe ich gesagt, und ich wiederhole das hier, wir stecken mitten im dritten Weltkrieg, allerdings in einem Krieg in Raten. Es gibt Wirtschaftssysteme, die um überleben zu können, Krieg führen müssen. Also produzieren und verkaufen sie Waffen. So werden die Bilanzen jener Wirtschaftssysteme saniert, die den Menschen zu Füßen des Götzen Geld opfern. Man denkt weder an die hungernden Kinder in den Flüchtlingslagern, noch an die Zwangsumsiedlungen, weder an die zerstörten Wohnungen, noch an die im Keim erstickten Menschenleben“.

Warum ist mir so seltsam zu Mute bei dieser Silberhochzeit?
Weil da etwas ganz gewaltig aus dem Lot geraten ist.
Deutschland ist stark geworden.
Aber ich wünsche mir kein Deutschland, dass wegen seiner Kraft nun auch noch militärisch eine „führende Rolle“ übernimmt.
Ich wünsche mir ein Deutschland, das anknüpft an das Erbe der Bürgerrechts- und Ökologiegruppen, die sich damals zunächst unter dem Dach einiger weniger Kirchen und Pfarrhäuser versammelten und sich die Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ an die Jacke nähten.

Wir stehen wieder ganz am Anfang. Lasst uns dort weitermachen, wo wir 1989 aufgehört haben.
Die Aufgabe ist zu groß, als dass wir sie allein den Parlamenten und Regierungen überlassen dürften.

(den kompletten Text der Rede von Franziskus vom Oktober 2014 findet man hier).

Das kommt mir spanisch vor. Oder: etwas von der Madonna.


"Rex Christos" am Ende Europas mit dem Blick nach Afrika.....Tarifa liegt in Andalusien. Dieser „letzte Ort Europas“ an der Straße von Gibraltar birgt zahlreiche Zeugnisse der Begegnung zwischen Afrika und Europa, zwischen Islam und Christentum, zwischen reicher und ärmerer Welt. Ein Foto geht mir nach. Man sieht im kleinen Hafen von Tarifa auf der Kaimauer eine Statue, die nach Afrika hinüber blickt. Auf dem Sockel der Statue eingraviert ein lateinisches „R“ und ein „chi“. „Rex christus“. Das ist gedacht gewesen als Kampfansage des katholischen Spanien gegenüber „den Muslimen“, die, zunächst 710 mit einer kleinen Gruppe von Kundschaftern kommend, dann ab 711 im Lande nach und nach die Macht übernahmen, bis sie – in Tarifa 1292, in anderen Orten später – wieder vertrieben wurden und der spanische Katholizismus seine Macht festigte. Noch heute feiert man diese Ereignisse. Noch heute ist die Auseinandersetzung zwischen spanischem Katholizismus und Islam in den Feierlichkeiten wirksam. Noch heute findet sich der Zusatz „….de la Frontera“ in der Ortsbezeichnung so mancher andalusischen Stadt. Orte „an der Front“.
Vor dieser Statue auf der Kaimauer ist ein Polizeischiff der Küstenwache zu sehen. Es dient auch der Abwehr von Flüchtlingen.
Ich finde solche Zeugnisse bedrückend.
Als sich politische Macht das Christentum aneignete und instrumentalisierte, geschah etwas Ungeheuerliches: der die Gewaltlosigkeit predigende Sohn eines jüdischen Zimmermanns, aufgewachsen in ärmlicher Umgebung, wurde zum Machtsymbol.
Eine entsetzlichere Verdrehung der Botschaft des Christentums ist nicht vorstellbar.
Wenn man sich mit der Geschichte der Entdeckung der „Neuen Welt“ befasst (das bleibt nicht aus, wenn man in Spanien ist), mit der Unterwerfung der dort lebenden Bevölkerungen – in nicht wenigen Gegenden kam diese Unterwerfung praktisch einer Ausrottung gleich- wird erschreckend deutlich, wozu ein missverstandenes „macht Euch die Erde untertan“ geführt hat.
Gegenwärtig rüstet Europa wieder und weiter auf. Vor allem gegen Flüchtlinge aus Afrika. Viele Millionen Dollar werden ausgegeben, um Zäune zu errichten,  um Schiffe auszurüsten, um Fluchtwege zu „verstopfen“.
Dieses Foto mag ein Symbol dafür sein. Wie ein Menetekel steht es da und kündigte schon vor etlichen Jahrhunderten an, worum es gehen würde. Um die Abwehr des Bruders.
Es geht darum, die eigene Macht zu behaupten. Und dabei soll auch die Madonna helfen.

Madonna und Bodega. Prozession in Sevilla
Madonna und Bodega. Prozession in Sevilla

Wenn man in Andalusien Gelegenheit hat, an einer der vielen dort üblichen Prozessionen teilzunehmen, bei der eine Madonnenfigur aus der Heimatkirche herausgetragen, durch den Ort geführt, öffentlich gezeigt und dann wieder in die Heimatkirche getragen wird, dann wird man den Eindruck nicht los, dass es bei diesen Prozessionen auch darum geht, zu zeigen, wer die Macht im Lande hat. Diese Prozessionen hinterlassen sogar bei Menschen, die sich für areligiös halten, einen starken Eindruck. Über 80 Bläser gehen, in langsamen Schritt, mit Posaunen, Oboen, Klarinetten, Saxophonen, Pauken und Becken musizierend hinter der schwankenden Patronin her, die von Freiwilligen getragen wird, die sich die Augen haben verbinden lassen, nur geführt von sparsamen Signalen eines Vormannes. Junge Männer, denen es eine Ehre ist, die zentnerschwere Madonna zu tragen.
Die Plätze sind voll. Zu Tausenden stehen die Menschen, begrüßen die Madonna, die gleichzeitig immer auch Patrona des Ortes oder einer Zunft ist, klatschen, fotografieren, wollen in ihrer Nähe sein. Man kann den Eindruck haben, da würde eine ägyptische Gottheit durch die Stadt getragen. Ganz Ursprüngliches wird da bei den Menschen berührt. Und die Menschen wollen es. Beteiligen sich. Freiwillig. Kommen zu Tausenden, nicht nur als Besucher, sondern sie wollen „mit der Madonna mitgehen“.
„Ich bin da. Ihr braucht euch nicht fürchten“ so ist eine der Botschaften, die von der Patrona ausgeht, wenn sie mitten durch die Märkte, durch die engen Gassen voller Cafes und Restaurants, vorbei an Kneipen und Bodegas getragen wird. Mitten im andalusischen abendlichen Alltag erscheint sie, geht durch das Volk, und verschwindet wieder…..
Sie zeigt auch, wer die Macht tatsächlich hat im Lande.
Parteien kommen und gehen. Die Madonna bleibt.
Und das Volk liebt sie auf eine Weise, gegen die die scheinbar Mächtigen ganz und gar ohnmächtig sind. Weshalb sie sich mit ihr verbünden.
Das ist jedoch nicht unproblematisch, insbesondere, wenn es um die Beziehungen zu anderen, beispielsweise muslimischen Völkern geht.
Die Geschichte der Verfolgung Andersgläubiger ist lang in Spanien. Schon 100 Jahre vor der Inquisition hat man in Sevilla systematisch mit der Verfolgung von Juden begonnen, denen man vorwarf, nicht wirklich zum Christentum konvertiert zu sein. Die gebildeten Juden flohen in die Metropolen Europas – nach Paris, Hamburg, in die Türkei. Die Handwerker flüchteten nach Nordafrika. Es ist eine grausame, tief schwarze Geschichte, die da in Andalusien und anderen Orten stattgefunden hat. Vom jüdischen Viertel Santa Cruz in Sevilla steht praktisch nur noch ein einzelnes Grab – mitten in einem Autoparkplatz, alles andre ist Legende für Touristen. Von den zahlreichen Synagogen des Viertels gibt es faktisch keine mehr. Sie sind längst zu katholischen Kirchen geworden. Santa Cruz ist das zentrale Beispiel dafür.
Wie also wird es weitergehen zwischen katholischem Christentum und Islam?
Die Auseinandersetzung ist uralt. Gegenwärtig eskaliert die Auseinandersetzung erneut. Das christliche Abendland hat eine Allianz von über 40 Staaten gegen einen radikalen IS geschmiedet, der alles zerstören will, was sich nicht seinem Willen unterwirft.
Die entscheidende Frage aber wird wohl nicht sein, wer gegen wen gewinnt, sondern, ob und wie es nach all der fürchterlichen Geschichte der Intoleranz und gegenseitigen Vernichtung nicht doch endlich gelingen kann, dass die Bruderreligionen in der einen Welt friedlich nebeneinander und vielleicht sogar miteinander leben. Dass die Begegnung der Kulturen auch zu wundervollem Reichtum führen kann, zeigt ja auch gerade Andalusien. Die Begegnung der arabischen Architektur mit der Gotik ist sicher eines der beeindruckendsten Beispiele dafür. Zu besichtigen zum Beispiel in Grenada.
Wie also kann es gelingen, dass die Bruderreligionen lernen, nebeneinander und vielleicht gar miteinander zu leben?
Es wird dabei auf diejenigen in beiden Religionen ankommen, die sich nicht von der Gewalt, sondern vom eigentlichen, ursprünglichen Kern ihrer Religion bestimmen lassen. Es wird dabei auf diejenigen in beiden Religionen ankommen, die von der Versöhnung, von der Begegnung, von der wechselseitigen Bereicherung sprechen und in ihr eine wirkliche Perspektive gemeinsamen Lebens erkennen.
Solche Stimmen haben es gegenwärtig schwer. Es kommt darauf an, sie zu stärken.

Da ist die Staatsanwaltschaft Sachsen wohl zu weit gegangen….


Lothar König ist mein Nachfolger als Stadtjugendpfarrer in Jena. Ich kenne ihn seit der Ausbildung als engagierten und oftmals unbequemen, aber geradlinigen Menschen. Albrecht Schröter ist ein langjähriger Kollege, sowohl im Pfarramt als auch später in langen Jahren des politischen Engagements. Was da durch sächsische Behörden in Jena geschehen ist, nämlich die Durchsuchung einer Pfarrerdienstwohnung in Abwesenheit des Jugendpfarrers, geht offensichtlich zu weit. Deshalb ist Solidarität vonnöten mit engagierten Menschen.

Dr. Albrecht Schröter hat als Jenaer Oberbürgermeister klare Worte gefunden, die hier wiedergegeben werden sollen. Es ist sicher nicht nur für ihn und Lothar König wichtig, daß eine breitere Öffentlichkeit von den Vorgängen erfährt und sich zu Wort meldet.

Es ist ein guter und großer Unterschied zu früheren Zeiten, in den Behörden ähnlich gegen engagierte Jugendpfarrer vorgingen, dass die Sache nun sowohl im thüringischen wie im sächsischen Landtag ein politisches Nachspiel haben wird.

Ich wünsche Albrecht Schröter und der Stadt Jena, für die er spricht, sehr, dass seine Rede vor der Johannisstraße 14 von heute gute Verbreitung findet.

Gelassenheit. Eine Erinnerung


Der Erfurter Meister Ekkehart (1260-1328) hat das Wort von der Gelassenheit geprägt und die deutsche Sprache um dieses schöne Wort bereichert.
Gemeint ist: Gegründet sein. Seinen Ort gefunden haben, ein-gelassen sein. Verbunden sein mit dem Grund, der alles trägt.
Gelassenheit ist eine rare Tugend in Zeiten wie unseren, die von täglich neuer Aufregung geprägt sind.

Meine Erinnerung geht an einen Ort, an dem Gelassenheit anschaulich geworden ist. Volkenroda bei Meiningen.
1131 wurde jener Ort von ein paar Männern gegründet, die ihrem Zeitgeist widersprochen und Mönche geworden waren – Zisterzienser.
Sie wollten nicht länger vom Ertrag des Zinses, von der Rendite des Geldes, sondern von ihrer Hände Arbeit leben.
Deshalb gründeten sie die Klöster ihrer Lebensgemeinschaft abseits von den aufstrebenden Städten, in denen die reichen Händler lebten; weit draußen auf dem Lande, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
Jene Orte des Protestes gegen den Zeitgeist wurden jedoch über die Jahrhunderte Stätten der Kultur, der Gelassenheit, der Gesundheit.
Denn die Wurzeln, die sie tief in die Erde trieben und die Äste, die sie dem Himmel entgegenstreckten waren so kräftig und gesund, daß über die Jahrhunderte hinweg Menschen in ihnen Orientierung und Halt fanden.
Die Menschen kamen und suchten diese besonderen Orte auf. Denn es waren Kraft-Orte. Orte der Orientierung in orientierungsloser Zeit.
Orte der Verwurzelung in einer entwurzelten Gesellschaft.
Orte, an denen Gelassenheit erfahrbar wurde.

Thomas Müntzer hat 1525 mit seinen kriegerischen Bauern jenen alten Ort weitgehend zerstört.
Alle Versuche, den Ort wieder herzurichten, blieben erfolglos.
In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war der Ort praktisch nur noch eine vermüllte Ruine.

Heute jedoch, zwanzig Jahre später, lebt der Ort, der auf der EXPO 2000, der Weltausstellung, die Aufmerksamkeit der Welt auf sich lenkte.
Denn auf der EXPO wurde jener „Christus-Pavillon“ zum ersten mal gezeigt, der nun in Volkenroda neben der alten Kirche der Zisterzienser ein Zentrum der ganzen Anlage geworden ist.
Gelassenheit.
An diesem Ort kann man sie finden.
Der Ort selbst spricht mit seiner Geschichte das Wort aus.

1000jährige Eiche in Volkenroda/Thüringen

In Volkenroda fand ich heute am Morgen auch einen alten Baum.
Etwa 1000 Jahre alt ist er.
Auch er ein Zeichen von tief gegründeter Gelassenheit.

Ich war an jenen Ort gekommen, weil mich jemand eingeladen hatte. Dr. Schoedl, den Leiter des europäischen Jugendbegegnungszentrums Volkenroda hatte ich bei einer Gesprächsrunde im Mitteldeutschen Rundfunk kennen gelernt. Wir sprachen damals über die Stille. Über unsere schnelle, laute und oftmals krankmachende Gesellschaft; wir dachten nach über die Not-Wendigkeit, in aller Hektik und Betriebsamkeit die Orientierung und vor allem, eine gute Verwurzelung zu behalten. Zuviele Entwurzelte leben in unserer Gesellschaft, die sich immer schneller nur noch um sich selber dreht.

Nun kamen da vier zusammen an jenem Ort in Thüringen: der Computerfachmann und Fotograf Markus Spingler, der mit wundervollen schwarz-weiß Fotografien und einfühlsamen Texten dem Thema „Stille“ nachspürt.
Der Saxophonist Rainer Schwander und der Gitarrist Bernhard von der Goltz, die beide seit über dreißig Jahren der Musik nachspüren, jener Brückenbauerin zwischen Himmel und Erde. Wer den Jan Garbarek einmal gehört hat, der hat eine Vorstellung, wie das Sopransaxophon von Rainer Schwander im abendlichen Pavillon in Volkenroda gestern geklungen hat.

Ich hatte ein paar Texte mitgebracht, die vom Hören sprechen, von der Not-Wendigkeit einer wirklichen Orientierung in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt. Einen Text hatte ich auch, der handelt von der Musik, vom „sound of silence“, den nicht nur Simon&Garfunkel kannten.
Und siehe da: es fügte sich ein wundervoller Abend in uraltem Gelände.
Männer, die sich nie vorher gesehen, geschweige denn, je etwas gemeinsam gemacht hatten, fügten ihre Arbeiten zu einem sehr schönen Ganzen zusammen: Bild, Wort, Musik.
Und: sie „verstanden“ sich.
Jeder in seiner Sprache, in der Sprache der Musik, des Bildes, des Wortes – und doch sprachen wir von gemeinsamer Erfahrung.

Spät noch am Abend standen wir draußen im Hof der alten Klosteranlage bei einem Gläschen Rotwein und spürten dem nach, was da gerade geschehen war:
eine Erfahrung von Gelassenheit.

Das wird bleiben: die Erinnerung
an  denkwürdigen Ort, der scheinbar hoffnungslos verlassen war – und doch neu aufgeblüht ist.
Die Erinnerung an den Baum – der so viel mehr gesehen hat als eine Menschengeneration sehen kann.
Die Erinnerung an die Klänge des Abends und die Bilder, die eine Brücke schaffen zwischen Himmel und Erde.

Ein guter Ort.
Uralt.
Gut verwurzelt.
Ein Ort der Gelassenheit.

Essen – fressen – messen. Etwas zur Grünen Woche


Impuls 1: Ich les ja gern im „KLUGE“. Denn das „Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache“ (24. Auflage!)  fördert oft etwas zu Tage, das in den Worten steckt. Verborgen meist. Und doch wirksam.
Weshalb ich heute beim Wörtchen „essen“ nachschaue, das usprünglich „beißen“ meinte. Da es verwandt ist mit dem Wörtchen „fressen“, lese ich dort und finde, daß dieses Wort „aufessen, verzehren“ meint und lerne weiterhin, daß die Unterscheidung zwischen „essen“ beim Menschen und „fressen“ beim Tier erst in mittelhochdeutscher Zeit beginnt. (Kluge, S. 316). Also erst um 1050-1350. Also aus der Zeit der Staufer stammt.

Impuls 2: Die Grüne Woche ist die weltgrößte Ernährungsgütermesse. Der Besucher kann sehen und essen, was es so zu essen gibt. Bei uns.
Manche Berliner nennen sie die „Fressmesse“.
Was etwas über das Tier sagt. Das da wohl im Menschen steckt.
Denn „fressen“, so lernten wir eben, sagt man etwa seit 800 Jahren – vom Tier.

Impuls 3: nun hatten wir gestern bei facebook ein interessantes Gespräch über den Zusammenhang unserer Ess- und Konsumgewohnheiten und dem Hunger in der Welt. Auslöser war mein Satz: „So ein Stand der Welthungerhilfe wäre doch auch irgendwie passend auf der Grünen Woche….“. An diesem Satz „entzündete“ sich das Gespräch.
Über das „aufessen“ oder „fressen“ oder „beißen“ – um wieder beim KLUGE vorbeizuschauen.

Impuls 4: Das Wort „Messe“ findet sich in zweierlei Bedeutung: einmal als „Gottesdienst, kirchliches Fest, Jahrmarkt, Großausstellung“.  Abgeleitet aus „Ite missa est“ („Gehet, es ist entlassen“), mit denen ursprünglich die zum Abendmahl nicht Berechtigten bei Beginn der Abendmahlsfeier entlassen wurden.
Und es findet sich als „Messe“ der Offiziere an Bord eines Schiffes (aus französisch mess); üblich seit dem 19. Jahrhundert, und bezeichnet den gemeinsamen Speiseraum der Seeoffiziere,  in dem man verzehrt, was „aus der Küche geschickt“ wurde.

Dies alles steckt also in den Worten, die wir benutzen.
Folgt man Jean Ziegler, dem langjährigen Sonderberichterstatter der UN für Welternährung in seiner Argumentation, die insbesondere europäische Agrarsubventionen, multinationale Lebensmittelkonzerne, fehlende Kontrolle und zaghafte Parlamente kritisiert; verbunden mit dem Hinweis, die Erde hätte durchaus genug Ressourcen, um alle Menschen zu ernähren,  – kann man eine enge Verwandtschaft zum volkstümlichen Denken erkennen, das im Wort von der „Fressmesse“ sichtbar wird.
Da sitzen offenbar „Tiere“ zusammen (fressen wird seit 800 Jahren dem Tier zugeordnet), die „beißen“ und „sich einverleiben“ was „aus der Küche geschickt“ wurde. Wobei mit „Küche“ wohl jene Länder zu verstehen sind, „die zubereiten müssen, was wir verzehren“. Entwicklungsländer an erster Stelle.

Der Film „we feed the world“ (Wir essen die Welt) macht es deutlich.
Was also findet da in diesem „Gottesdienst“, in diesem „Jahrmarkt“, in dieser „Großausstellung“, die man die „Grüne Woche“ nennt, statt?
Was wird da gefeiert und ausgestellt?

Da feiert sich die reiche Welt. Offensichtlich.
Da feiern die „Beißer“, was ihnen „aus der Küche geschickt wird“ und lassen die Korken knallen.

Es hat für mich etwas vom „Tanz ums goldene Kalb“ um jenes uralte Bild zu zitieren, das uns überliefert wurde, um den „Abfall“ vom eigentlich gelingenden Leben zu illustrieren.
Daß das „ite missa est“ (ihr seid entlassen) auf eine Aus-schließlichkeit hinweist, sei nur am Rande vermerkt.
Da werden offensichtlich Menschen „vom Tisch entlassen“. Oder anders: „nicht zugelassen“.

Was zu kritisieren ist.
Denn: es gibt nur die Eine Welt.
Und niemand gibt uns das Recht, den Menschen neben uns den Tisch zu verweigern.
Noch dazu, wenn sie ihn uns gedeckt haben…

Deshalb wäre es ja vielleicht doch eine gute Idee, die „Grüne Woche“ mit ihren vielen Tausend Besuchern, die sich die Gaumen verwöhnen und die Bäuche stopfen lassen, die sich „einverleiben“, was ihnen andre „aus der Küche geschickt“ haben, zu verbinden mit dem Thema „Gerechtigkeit“.
Warum sollte eine „Grüne Woche“ nicht ein Begleitprogramm entwickeln, in dem man in Tagungen, Konferenzen, Seminaren, Diskussionen, Filmvorführungen, Interviews etc. pp. auf die vielfachen und äußerst verzwickten Zusammenhänge zwischen unserem europäischen Wohlstand und dem Hunger in der Welt hinweist und mehrheitsfähige Alternativen entwickelt, die schließlich politikwirksam werden könnten?

Es ist eine Überlegung wert.
Wünsche guten Appetit.

Das Fanal – Erinnern an die Selbstverbrennung des DDR-Pfarrers Oskar Brüsewitz 1976


Am 18. August 1976 verbrannte sich Pfarrer Oskar Brüsewitz aus Rippicha öffentlich in der Innenstadt der DDR-Kreisstadt Zeitz.
Er hatte zwei selbstgemalte große Plakate aufgestellt:
„Funkspruch an alle….Funkspruch an alle….
Die Kirche in der D.D.R. klagt den Kommunismus an! wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen.“

Ich war zu seiner Beerdigung. Sie fand am 26. August 1976 nachmittags um 14.00 statt. Wir waren zu viert im Auto von Naumburg nach Rippicha gefahren.
Zusammen mit Rainer Bohley, unserem Rektor am Proseminar, einer kleinen kirchlichen Schule, in der man Abitur machen konnte.
Die Linie führt von Brüsewitz‘ Selbstverbrennung über die Ausweisung von Wolf Biermann zu den bei der Rosa-Luxemburg-Demonstration 1988 zu Unrecht Inhaftierten über die Friedensgebete, aus denen die „Montagsdemonstrationen“ wurden direkt bis zum „Fall der Mauer“ 1989.

Nun, im Januar 2010, halte ich „Das Fanal“ in den Händen.
Die Geschichte von Schuld und Verstrickung.
Eine Geschichte von Staatssicherheit, Kirche, SED und Spitzeltum; eine Geschichte von Gerüchten und Verdächtigungen, von Angst und Mut.
Ein Buch, das versucht, die genauen Vorgänge zu rekonstruieren. Es ist schon 1999 erschienen, doch heute erreicht es mich erst.
Alte Bilder werden lebendig.
Die vielen vielen Menschen. Die „schwarze Reihe“ der Männer und Frauen in Talar.
Die Staatssicherheit.
Die Fernsehkameras der ARD.
Die anschließende „Ausweisung“ des ARD-Korrespondenten Lothar Loewe, man entzog ihm die Akkreditierung.
Die folgenden heißen Diskussionen, nächtlichen Gespräche im Freundes- und Bekanntenkreis über den Tod des Pfarrers.
In meinem Tagebuch von 1976 lese ich von den „regelrechten Hetzkampagnen der SED-Zeitung ‚Neues Deutschland‘ gegen Brüsewitz“.
Die „Schaukästen“ meines Vaters, in denen er als Pfarrer, der das offene Wort pflegte, gegen das „Neue Deutschland“ wetterte unter der Überschrift: „Halbe Wahrheiten sind ganze Lügen“.
Das „ND“ hatte versucht, Pfarrer Brüsewitz als „geisteskrank“ und „anormal“ darzustellen.

Mir begegnen sehr viele vertraute Namen in dem Buch.
Bischof Krusche, Propst Bäumer, OKR Stolpe, OKR Schultze, OKR Detlev Hammer…
Menschen, die ich persönlich kenne oder kannte. Einige sind schon gestorben.
Ich tauche ein in ein Stück eigener Geschichte, hole Bilder wieder in die Gegenwart, die schon so lange versunken schienen.

Vielleicht ist es ja nicht zufällig, dass mir das Buch in diesen Tagen begegnet, in denen eine erneute öffentliche Debatte um den „Kommunismus“ aufgeflammt ist.
Brüsewitz hat seinen Tod als Zeugnis „gegen den Kommunismus“ verstanden. So jedenfalls hat er es vor seinem Tod dem behandelnden Arzt in Halle gesagt.

Das Buch ist gut geschrieben. Bis Redaktionsschluss zugängliche Dokumente sind sorgfältig ausgewertet, einige Dokumente sind nachträglich vielleicht noch zugänglich geworden, das schadet dem Ganzen aber nicht.
Es gewährt auch den Jüngeren Einblick in eine Gesellschaft, die nach dem Willen der SED, der Blockparteien (maßgeblich in dem Zusammenhang die CDU) und der Staatssicherheit geformt werden sollte.
Es gewährt Einblick in ein kompliziertes Beziehungs- und Begründungsgeflecht, das das stets angespannte Verhältnis zwischen Kirche und Staat betrifft.
Es ist insofern ein Lehr-Buch. Ein Lehr-Buch über die Zweite deutsche Diktatur.

„Das Fanal“ ist ein bemerkenswertes Buch. Denn es versucht, in ein kompliziertes Geflecht von individueller Biografie, schuldhaftem Verhalten von Kirche und SED-Staat ein wenig mehr Licht zu bringen, damit das Verständnis wachsen kann für das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der Zweiten Deutschen Diktatur.
Dieses Leben in der Diktatur war hoch komplex und oft auch kompliziert; die Charaktere der im „Fall Brüsewitz“ Handelnden waren sehr verschieden.
Es gab Angepasste und Ängstliche, aber es gab auch klare und mutige Menschen. Es gab Taktiker und Denunzianten, aber es gab auch Freunde und Gefährten.

Oskar Brüsewitz war kein einfacher Mensch.
Er war gradeaus. Unkonventionell.
Er war ein wichtiger Mensch. Und ein mutiger Mensch zudem.
Seine persönliche, direkte und konsequente Verkündigung als Pfarrer in der Zweiten deutschen Diktatur hat mit dem „unterirdischen Beben“, das sie auslöste, einen großen Beitrag geleistet zum Fall der Mauer.

Lohnenswerte Lektüre:
Helmut Müller-Enbergs; Wolfgang Stock, Marco Wiesner.
Das Fanal.
Das Opfer des Pfarrers Brüsewitz aus Rippicha und die evangelische Kirche.
Aschendorff-Verlag 1999
ISBN 3-402-05263-6.