Als Radiohören lebensgefährlich war. Gartzer Geschichten. Clip 6. Etwas von der „Gartzer Zeitung“ und von Telefunken

Als Radiohören lebensgefährlich war. Gartzer Geschichten. Clip 6. Etwas von der „Gartzer Zeitung“ und von Telefunken

Beinahe beiläufig erwähnt Martha Dähn (*1902) im aufgezeichneten Gespräch von 1980, daß man zu Hause „mit nem Kissen drüber“ Radio gehört habe. Sie war gefragt worden, ob sie sich an das erste Radio in der Familie Engelmann noch erinnern könne?
Ihre Antwort:

„Und denn ham wir Radio anjemacht und denn durften wir doch nicht hören! Westen und so, also „England“. „England“ hat ja immer durchjesendet.
Und denn ham wir so’n Kissen drüberjemacht und denn ham wir immer so jehorcht[1].“

Damit gehörte Familie Engelmann zu den etwa 14 Millionen Deutschen, die trotz Verbot dennoch BBC gehört haben. Der Deutschlandfunk hat sich mit der Sache in einem kleinen Beitrag ausführlicher befasst.

Familie Dähn jedenfalls hatte schon vor 1933 diesen „schönen Telefunken“, von dem die Rede ist und war gut informiert. Und dann war zusätzlich ja noch die „Gartzer Zeitung“. Die kommt in der Erzählung von Martha Dähn öfter vor, meist im Zusammenhang mit irgendwelchen uckermärkischen Schnurren wie der von Frau Hahn. Sie erzählt:

Ach ja, dat wer ick dir noch erzähln:
Also, bei uns hat die öfter jeholfen. Frau Heifelder.
Und Frau Heifelder ihr erster Mann hieß Hahn.
Und die konnten sich nicht verstehn. Und denn ham sich[1] scheiden lassen.
Und denn hat der Hahn in der Zeitung setzen lassen, in der „Gartzer Zeitung“, da stand denn immer alles drin: wenn eener eine Beleidung hatte: „ich nehme die Beleidung zurück“
Und denn steht drin: „Wenn meine Frau wat borcht, Jeld borcht[2], ich komme für nichts auf. Hahn“
Und nächste Mal steht drin: „Mein Hahn is mir entlaufen. Wer ihn findet, kann ihn behalten!“
Dat stand alles drin in „Gartzer Zeitung[3]“. Du kannst dir denken, wie die Leut jelacht ham! Und eener kannt’n andern!
Der hatte so viel Sommersprossen und sie hat jesacht: „Och, du bist ja mit Brotsupp bebroken[4]“ . Also, die Brotsupp, die war so schwarz. Und er hatte so viel Sommersprossen.
Und so stand dat denn immer in‘ Zeitung. Und, na, dat war ja wat.

„Und dann kam irgendwann Radio. Wann habt ihr Radio gekriegt?“
„Du, wir hatten eigentlich jar nich so spät Radio. Wir hatten einen großen „Telefunken[5]“ uns jekauft, da lebte mein Willem[6] noch. Da hatten wir schon nen „Telefunken“. Dat war – wann war denn dat….,
Dat ham uns nachher die Russen, da waren doch die Paulus-Russen, also die Russen, die überjejangen[7] waren zu den andern, die gegen die Russen kämpften[8], und da hat uns eener den abjekauft. Wann war’n dat…,
Na, denk dir mal an, 33 is er jestorben[9], und da hatt’n wir’n ja schon!
Ja, den ham wir schon früh jehabt. Schön großet „Telefunken“.
Dat war ja nu wat Schönet, dat wir Radio hatten.
Und denn ham wir Radio anjemacht und denn durften wir doch nicht hören! Westen und so, also „England“. „England“ hat ja immer durchjesendet.
Und denn ham wir so’n Kissen drüberjemacht und denn ham wir immer so jehorcht[10].“

Im Zusammenhang des aufgezeichneten Gesprächs von 1980 hört sich die heutige Episode so an:


[1] Hochdeutsch: „haben sie sich“

[2] Geld borgt

[3] Im Archiv erhalten geblieben sind die Ausgaben bis 1926.

[4] Mit Brotsuppe bebrochen

[5] Als Markenfirma – nicht aber als Herstellerin – dominiert Telefunken für Deutschland in Sachen Radios bereits ab Mitte der 20er Jahre den Markt und erreicht 1933 einen Marktanteil von 17,4%, gefolgt von Saba mit 10,9 und Mende mit 10,1% [503]. Der Anteil fällt 1934 auf 12,1%.

[6] Wilhelm Dähn

[7] übergelaufen

[8] Die größte Spur bei der Verteidigung von Stalingrad hinterließen in diesem dramatischsten Moment – in der letzten Periode der Verteidigung, im Moment der Kapitulation und danach, die russischen Freiwilligen. 
Kurz vor dem Ausgang der Schlacht, wurde aus einem Teil der russischen Kämpfer eine Division gebildet, die in die Geschichte unter dem Namen «Von Stumpfeld“ nach dem Namen ihres Kommandeurs, General- Leutnant Hans Joachim von Stumpfeld eingegangen ist.. Die Division beteiligte sich aktiv an den Kämpfen, wurde von ehemaligen Rotarmisten aufgestellt, und ist allmählich zahlenmäßig gewachsen, die Offiziers- Stellungen wurden durch freiwillige ehemaligen Offiziere der roten Armee aufgefüllt. Aufgestellt am 12. Dezember 1942 in Stalingrad aus russischen Freiwilligen, Kosaken, Ukrainern und russischen Polizisten sowie deutschen Kommandeuren. Die Division war mit russischen Beutewaffen ausgestattet, die Panzerabwehr-Waffen stammten von der 9. Flak-Division. Die Division wurde im Februar 1943 in Stalingrad vernichtet.
Die ungeklärte Frage bleibt, wie solche „Überläufer“ nach Gartz kamen, um von Martha Dähn den „Telefunken“ zu kaufen.

[9] Da war Ilse Dähn sieben Jahre alt, als ihr Vater starb

[10] Während der Nazizeit war das Abhören von ausländischen „Feind“-Sendern streng verboten und wurde hart bestraft. Seit Kriegsbeginn, aber speziell als der Krieg die entscheidende Wende zu Ungunsten Deutschlands genommen hatte, war das Abhören ”feindlicher” Sender wie zum Beispiel der englischen BBC lebensgefährlich, denn es wurde als Landesverrat betrachtet und mit sofortiger Erschießung geahndet. Ein von Joseph Goebbels vorgelegter Entwurf für ein Gesetz über das Abhören kommunistischer Sender, das „Geldstrafen und Gefängnisstrafen nicht unter zwei Jahren“ vorsah, wurde 1937 auf Geheiß Adolf Hitlers nicht umgesetzt.[3]

In einem Monatsbericht aus Bayern, der zur Information der Gestapo angefertigt wurde, wird im April 1939 gemeldet:

„Bedenklich ist die immer größer werdende Sucht, die in deutscher Sprache ausgehenden Meldungen ausländischer Rundfunksender abzuhören. Das führt dazu, dass auch auf dem Lande von weniger begüterten Volksgenossen anstelle der einfachen billigen Volksempfänger die teuren und leistungsfähigen Rundfunkgeräte bevorzugt werden, mit denen auch die Sendungen aus dem Ausland gut abgehört werden können.“[4]

Hitler billigte später eine mehrfach veränderte Vorlage, bei der Goebbels das ablehnende Votum des Ministerrates durch vorzeitige Veröffentlichung überspielt hatte, und die Verordnung wurde am 7. September 1939 im Reichsgesetzblatt verkündet.


[1] Während des Krieges war das Abhören von ausländischen „Feind“-Sendern streng verboten und wurde hart bestraft. Seit Kriegsbeginn, aber speziell als der Krieg die entscheidende Wende zu Ungunsten Deutschlands genommen hatte, war das Abhören ”feindlicher” Sender wie zum Beispiel der englischen BBC lebensgefährlich, denn es wurde als Landesverrat betrachtet und mit sofortiger Erschießung geahndet. Ein von Joseph Goebbels vorgelegter Entwurf für ein Gesetz über das Abhören kommunistischer Sender, das „Geldstrafen und Gefängnisstrafen nicht unter zwei Jahren“ vorsah, wurde 1937 auf Geheiß Adolf Hitlers nicht umgesetzt.[3]

In einem Monatsbericht aus Bayern, der zur Information der Gestapo angefertigt wurde, wird im April 1939 gemeldet:

„Bedenklich ist die immer größer werdende Sucht, die in deutscher Sprache ausgehenden Meldungen ausländischer Rundfunksender abzuhören. Das führt dazu, dass auch auf dem Lande von weniger begüterten Volksgenossen anstelle der einfachen billigen Volksempfänger die teuren und leistungsfähigen Rundfunkgeräte bevorzugt werden, mit denen auch die Sendungen aus dem Ausland gut abgehört werden können.“[4]

Hitler billigte später eine mehrfach veränderte Vorlage, bei der Goebbels das ablehnende Votum des Ministerrates durch vorzeitige Veröffentlichung überspielt hatte, und die Verordnung wurde am 7. September 1939 im Reichsgesetzblatt verkündet.

Der Einsturz der Gartzer Brücke am 19. 9. 1926. Gartzer Geschichten. Clip 5

Der Einsturz der Gartzer Brücke am 19. 9. 1926. Gartzer Geschichten. Clip 5

„1926 is unsre Brücke jebaut und gleich einjestürzt. Da sind drei Mann mit umm’t Leben jekomm. 1926, wie Ilse jeboren is“ erzählt Martha Dähn, geborene Engelmann etwa im Jahre 1980.

Das war ein einschneidendes Ereignis für das Ackerbauernstädtchen und hat sich tief ins Ortsgedächtnis eingebrannt. Die alten Gartzer datieren ihre Erinnerungen nicht selten in die Zeit „vor der Brücke“ und in die Zeit „nach dem Einsturz der Brücke“. Und für die damals knapp 24-jährige Martha Dähn verbindet sich diese Erinnerung mit der Erinnerung an die Geburt ihrer Tochter Ilse am 22. Mai 1926.

Man kann heute noch recht gut recherchieren, was damals vor sich gegangen ist, einige Zeitungen aus jenen Jahren stehen ja inzwischen online zur Verfügung. Eine alte Holzbrücke über die Oder hatte es über Jahrhunderte gegeben, die Gartzer Landwirte hatten ja ihre Felder und Wiesen auf der anderen Seite der Oder und mussten oft über den Strom. Allerdings war die Holzbrücke eingestürzt und lange gab es keinen Ersatz, weshalb man Kühe und anderes Vieh mit einem Kahn über die Oder bringen musste. Martha Dähn wird an anderer Stelle davon erzählen.
Der Wunsch der Gartzer nach einer „neuen Brücke“ führte dann im Jahre 1925 zum Beginn des Baus. Ausgeführt wurde sie mit einer in Deutschland damals noch weitgehend neuen Brückenbau-Technologie: Stahlbeton.

Zehn Tage vor der Eröffnung der neuen Brücke, am 19. September 1926, stürzte diese neue Brücke ein. Das „Schwedter Tageblatt“, das ich hier der Einfachheit halber einlese und akustisch dokumentiere, berichtet folgendermaßen von den Ereignissen.
„Schwedter Tageblatt“ vom 21. 09. 1926:

Man kann sich die Aufregung in dem kleinen Ackerbauernstädtchen an jenem Wochenende lebhaft vorstellen. Das oben im Beitrag wiedergegebene Foto hat noch etwas von der Atmosphäre eingefangen. Und findige Unternehmer aus der Umgebung wussten die Sache auch zu nutzen, wie diese Anzeige im „Schwedter Tageblatt“ vom 21.09. 1926 belegt.

Die Sache zog natürlich Kreise und wurde untersucht. Im „Schwedter Tageblatt“ vom 21. 9. stand zu lesen, daß der für den Bau verantwortliche Betonmeister aus Berlin verhaftet worden sei. Weiter ist zu erfahren:

Allerdings wurde Betonmeister Firch schon bald wieder aus der Haft entlassen. Das „Schwedter Tageblatt“ weiß am 22. 9. 1926 in einem längeren Text inzwischen Folgendes:

Die Gartzer Stadtverwaltung hatte sich in jenen Tagen entschieden, trotz allem Unglück eine neue Brücke errichten zu lassen. Diese wurde – nach aufwändiger Beseitigung der Reste der Betonbrücke, große Teile mussten gesprengt werden – als Stahlkonstruktion ausgeführt. Diese Stahlbrücke konnte 1928 eröffnet werden und hielt bis zum April 1945, als sie von deutschen Pionieren gesprengt wurde, um den Vormarsch der Sowjetarmee, die schon breit aufgestellt am Ostufer der Oder lag, aufzuhalten. Auch zu diesem Abschnitt in der Ortsgeschichte kommen wir noch.

Wenn die mündliche Erinnerung in der Familie bis 1840 zurückreicht – als die Bahn von Berlin nach Stettin gebaut wurde….clip 4

Wenn die mündliche Erinnerung in der Familie bis 1840 zurückreicht – als die Bahn von Berlin nach Stettin gebaut wurde….clip 4

Martha Dähn (*1902) hatte im Jahre 1980 noch Erinnerungen an ihre Großmutter. Die war nämlich Zeitzeugin, als die Bahn von Berlin nach Stettin gebaut wurde. Die Berlin-Stettiner Eisenbahn-Gesellschaft war ein privates preußisches Eisenbahnunternehmen, das von 1840 bis 1885 bestand. Die Hauptstrecke der Gesellschaft war die 1842 bis 1843 eröffnete Bahnstrecke Berlin-Stettin. Bis 1877 erweiterte die Gesellschaft ihr Netz um weitere Strecken in Vor- und Hinterpommern auf eine Gesamtlänge von rund 960 Kilometern; sie gehörte damit zu den größten deutschen Privatbahnen. Am 13. Juni 1879 kaufte der preußische Staat die Gesellschaft zum 1. Februar 1880 auf.

Gartz/Oder war in den Anfangsjahren nicht an die Berlin-Stettiner Bahn angeschlossen, man musste mit der Kutsche zur Bahn fahren. Erst im Jahre 1913 wurde Gartz selbst mit einer kleinen Nebenbahn an die Hauptstrecke Berlin-Stettin angeschlossen.

Diese Großmutter wird in der Familienerinnerung mit einem Satz zitiert: „Wenn die Bahn erst ohne Ross kommt, dann jeht die Welt nach ihrem Ende.“
Wir sind nun angekommen in der ackerbäuerlichen Umgebung von Gartz an der Oder etwa im Jahre 1840, genauer in Hohenselchow, wo die Großmutter von Martha Dähn herstammte, genauer: die Mutter ihres Mannes Wilhelm Dähn. So mancher konnte sich damals in den Dörfern an der Oder nicht vorstellen, daß eine Bahn „ohne Ross“ bewegt werden könnte und befürchtete das Ende der Welt.

Die Großmutter von Martha Dähn galt als „sehr belesen“. Das meinte konkret: sie hatte vor allem die Bibel gelesen, denn – so die Auskunft von Martha Dähn im Jahre 1980, als die hier zu besprechende Tonbandaufzeichnung entstand: „Wir hatten ja nüscht außer Bibel und Zeitung. „Gartzer Zeitung“. Da die Großmutter von Martha Dähn aber nun „sehr belesen“ war, hatte sie für jede Lebenslage „einen Spruch“ parat. Zum Beispiel, wenn die jungen Mädchen mit 14 (nach dem Abschluss der Acht-Klassen-Schule) aufs Feld mussten zur schweren Arbeit.

Im hier besprochenen Textabschnitt der Tonbandaufzeichnung erfahren wir nicht nur etwas über die verschiedene Aussprache in den Dörfern und Städten der Uckermark – in Hohenselchow sprach man „allet so’n bißchen auf „a“ – , sondern es taucht auch eine Schwester von Martha Dähns späterem Mann auf: Mariechen. Die beiden Geschwister verstanden sich gut, machten Musik zusammen und „amüsierten“ sich über die Aussprache der Großmutter aus Hohenselchow.

Wir erfahren außerdem etwas von der „Gartzer Zeitung“ und von der „Parole„. „Parole“ war eine deutsch-national ausgerichtete Zeitung, die sich vor allem an Kriegsveteranen wandte.

Die „Parole“, so erfahren wir auch im Text, „jing immer rum“ – wurde also von Haus zu Haus weitergereicht. Man sparte sich so ein teures Abonnement. Die „Kriegervereine“ und ihre Zeitung werden Ende der Zwanziger Jahre am Ende der Weimarer Republik eine zentrale Rolle spielen, denn sie waren – gerade in den ländlichen Regionen Pommerns – mit wahlentscheidend zugunsten der Nationalsozialisten.

Heute aber soll es um die Bahn Berlin-Stettin gehen. Wir stoßen auf die Erinnerung an den Bau der Bahn, die einfachen Bauern im Jahre 1840 befürchteten nun „das Ende der Welt“, wenn die Bahn „ohne Ross“ gefahren käme.
Heutzutage bemüht man sich wieder, die Bahnverbindung von Berlin nach Stettin so zu ertüchtigen, daß beide Metropolregionen besser miteinander verbunden werden können, allerdings war die Beziehung zwischen Szeczin und Berlin auch nach dem Kriege nie ohne Probleme, wie ein Beitrag anlässlich der Schienenverkehrswochen 2003 ausführlich darlegt.

Und nun Text und Original-Aufnahme des Gesprächsabschnittes der Tonbandaufzeichnung von 1980, die auf all die beschriebenen Details hinweisen:


„Und da hat die Großmutter, die alte, die war sehr belesen, die konnte die Bibel bald auswendig. Und denn war 1800 in der Sechziger (um 1860), da ham sie die Bahn jekricht Berlin-Stettin und da hat sie gesagt:
„Wenn die Bahn erst ohne Ross kommt, dann jeht die Welt nach ihren Ende.“
Und auch so: immer Sprüche!

Denn hat dat Dienstmädel jesacht, dat erzählte mir mein Mann immer, wat dein Großvadder is, da war dat so heiß, und die Mädels kamen mit vierzehn aus der Schule und denn gleich auf’n Acker und denn eine Hitze auf’n Kopp und denn dat Hacken, nich. Ach und dat fiel ihnen so sauer.
Und denn haben se jesacht:
„Großmutter, Großmutter, nu sach uns noch eens nen schönen Spruch!“
Und denn sacht se:
„So dir sauer wird um deine Arbeit, lass dir’s nicht verdrießen, denn Gott hat es so gewollt.“
Für allet hat se’n Spruch jehabt!
Und wenn se denn so öfter Hohenselchowsch[2] jesprochen hat, die sprechen allet so’n bisschen auf „a“, so sprechen die, denn jeder Ort hat seine andere Sprache.
Und denn ham’s bede[3] jelacht, er und Mariechen, er hat sich mit seine Schwester jut verstanden, die haben immer beide musiziert, also die haben sich wunderbar verstanden, und dann haben sich immer beide anjeguckt, wenn Großmutter denn immer so auf „a“ Hohenselchowsch jesprochen hat, denn ham se jelacht.  
Wie hat se immer noch jesacht:  „Da wird das Lachen werden teuer, wenn alles wird verjehn in Feuer“
Also, für allet hatte se nen Bibelspruch!
Ja. Weißt du, die haben doch früher jar nüscht weiter jehabt wie die Bibel.
Bibel und bisschen Zeitung.
Wir hatten bloß „Gartzer Zeitung“, wir hatten jar keene[4] andre Zeitung.
Und Vater hatte politisch noch „Parole[5]“. „Parole“, dat war von Deutsch-National, det jing immer rum[6].
Aber sonst jabt nischt[7] weiter wie „Gartzer Zeitung“.
Denn wusst‘ all’s[8], wat neu is, wat passiert.“

Im Originalton klingt der Abschnitt so:



[2] Hohenselchow ist ein Dorf in der Nähe von Gartz

[3] Beide

[4] Gar keine

[5] „Parole“ war die „Krieger-Zeitung“, also ein Blatt, das sich an ehemalige Kriegs-Teilnehmer wandte.

[6] Wurde von Haus zu Haus weiter gegeben

[7] Gab es nichts

[8] Dann wusstest du alles

Geschichten von der Oder. Clip 3. Von der Nachbarschaft, dem Gesangsverein und dem 5. Pommerschen Infanterie-Regiment „Prinz Moritz von Anhalt-Dessau“ Nr. 42, stationiert in Stralsund

Geschichten von der Oder. Clip 3. Von der Nachbarschaft, dem Gesangsverein und dem 5. Pommerschen Infanterie-Regiment „Prinz Moritz von Anhalt-Dessau“ Nr. 42, stationiert in Stralsund

Heute erinnert sich Martha Dähn, geborene Engelmann an ihre unmittelbaren Nachbarn in Gartz an der Oder. Sie denkt an die vielen Vereine, die es im Städtchen vor dem Ersten Weltkrieg gab; auch kommt ihr ältester Bruder Fritz Engelmann in die Erinnerung, weil der „als Infantrist“ im 5. Pommerschen Infanterie-Regiment „Prinz Moritz von Anhalt-Dessau“ Nr. 42, stationiert in Stralsund, deshalb nicht befördert wurde, weil er mal ohne Jagdschein erwischt worden war.

Das hier im Auszug dokumentierte Gespräch fand etwa im Jahre 1980 statt, Martha Dähn, geborene Engelmann, überblickte da schon fast achtzig Jahre. Am Ende ihres Lebens wird es beinahe ein Jahrhundert sein, das sie erlebt hat und erinnert. Immer wieder interessant: ihre persönliche Erzählperspektive. Sie erinnert nur authentisch Erlebtes. Da taucht der Nachbar auf, „Wilhelm Kohlmeier“, der Zigarrenmacher war. Ein Hinweis darauf, daß in Gartz (und Umgebung) Tabak angebaut und auch gleich vor Ort verarbeitet wurde. Der 11 Jahre ältere Bruder Fritz taucht auf, der beim Militär nicht befördert wurde; die vielen Vereine im Ort sind auch in lebendiger Erinnerung. Wir sehen das Städtchen Gartz aus der Perspektive eines Bauern-Kindes und einer Schülerin. Die alt gewordene Martha Dähn erinnert sich in diesem clip an ihre Kinder- und Jugendzeit, an die Jahre zwischen 1902 und etwa 1920, an ein gemütliches Ackerbauerstädtchen, das lange schon im Kriege untergegangen ist.

In der Transkription (der O-Ton folgt weiter unten) liest sich der heutige Abschnitt so:

„Wilhelm Kohlmeier war nicht reich, der Junggeselle. Der war Zigarrenmacher[1]. Wenn ich zu dem kam, dann lag der ganze Tisch schon voll mit Heringsabfällen und all so was. Ich hab ihm immer Essen hingetragen[2].
Morgens kam er an und holte sich Milch von uns, aber umsonst natürlich. Er hatte ja auch nicht mehr als die Rente. Und dann hat er uns öfter geholfen, und dann sagt er: „Ach singen….“ Er war früher im Gesangverein, aber nun waren ihm die Zähne rausgefallen[3] und nun blubberte das immer über.
„Nee“ sagt er, „dat is ja keen Singen“ und dann sang er:
„Der liebe Herrgott geht durch den Wald, der liebe Herrgott geht durch den Wald“.



Das haben sie im Gesangverein gesungen.
Und dann war’s so: die Vereine alle: Turnerverein rechts, Turnerverein links; Feuerwehr-Verein, landwirtschaftlicher Verein, Bürger-Verein, Krieger-Verein, was war’s denn noch, Bildungs-Verein, ach, was gab das alles für Vereine!
Ach ja, Schützen-Verein gab’s auch. Die waren im Schützenhaus hier bei uns. Und da waren die Schrey-Schützen alle mit Zylinder und schwarze Röcke, das waren all die studierten Schützen[4]. Die gab’s im Gartzer Schrey[5].
Und immer war wat los. All[6] Sonntag.

Und denn hatten’s noch nebenan ne Jagd. Wie die Jungs so jung waren, sonntags ganz früh um drei, um zwei gings schon zur Jagd.
Der älteste Bruder, der Fritz, der war ja elf Jahre älter wie ich, dann haben sie sich da oben anjebammelt[7] mit ne Schnur nen großen Wecker, denn musste der den wecken, nich.
Wenn’t denn zur Jagd ging, dass sie auch zeitig hinkamen. Unser Fritz war ja ein ruhiger Mann, so eine ruhige Art wie du.
Und denn secht Vadder: „Jeh du nich up Jagd! Dein Jagdschein is abjelaufen.“
„Ach, wird nich jrad eener kommen“.
Da kam ja die Schandarmerie[8]!
Wir hatten Polizei, aber dann kam noch die Schandarmerie.
Und mit eenmal kommt der Reimann, der war überhaupt so schabbig[9], und da kriegt er 20 Mark Strafe, weil er keinen Jagdschein hatte!
Und nachher dient er bei die Zweiundvierziger, nee, in Stralsund hat er jedient, stimmt. In Stralsund hat er jedient bei die Zweiundvierziger, als Infantrist[10].
Und denn gratuliern ihm die andern all und seggn (sagen): „Fritz, Mensch, du wirst wohl dit ma (diesmal) Jefreiter wern und wirst wohl irgendwat wern.“
Und denn kommt der Offzier uns secht:
„Engelmann, wir wollten Sie avangsiern[11], aber dat geht nich, Sie ham mal 20 Mark Strafe jehabt.“
So war dat.
Da kannst du sehen, wat für’n Umschwung dat all’s jewesen is. Wie dat heute aussieht!
Heut is eener froh, der jar nich Soldat wird! Und früher: ach, furchtbar!
Ja, 20 Mark Straf hat er müssen jem[12].“

Im Orginal-Ton hört sich das dann so an:

Soweit heute. Den nächsten Clip gibt’s in etwa einer Woche. Oral History – erzählte Geschichte.


[1] Man erfährt in diesem Gespräch eben auch etwas über die damals üblichen Berufe. In Gartz wurde unter anderem Tabak verarbeitet. Es gab Zigarrenmacher. Und wer arm war wie Wilhelm Kohlmeier, dem „fielen die Zähne aus“.

[2] Martha Engelmann (später Dähn) war noch Schulkind. Die Erinnerungen wechseln immer mal wieder die Zeiten. Hier also die Zeit etwa zwischen 1906 (sie ist 1902 geboren) und 1916/1920.

[3] Ein Hinweis auf die schlechte medizinische Versorgung für arme Leute in jenen Jahren

[4] Soziale Schichten unterschieden sich offenbar auch nach ihrer Kleidung.

[5] Der Gartzer Schrey ist ein Waldgebiet am westlichen Hohen Ufer der Oder. Der Oder-Neiße-Radweg führt heutzutage durch den Gartzer Schrey.

[6] Jeden Sonntag

[7] angebunden

[8] Gendarmerie, die war für die Dörfer zuständig. Sie war beritten.

[9] Ein jiddisches Wort. „schabbig“. Gemeint ist etwa „schäbig, häßlich, streng“.

[10]  5. Pommersches Infanterie-Regiment „Prinz Moritz von Anhalt-Dessau“ Nr. 42, stationiert in Stralsund.

[11] Avancieren, also befördern

[12] Gesprochene Abkürzung für „geben“

Geschichten von der Oder. Clip 2. Vom Zeppelin über der Uckermark und vom Untergang der Titanic

Geschichten von der Oder. Clip 2. Vom Zeppelin über der Uckermark und vom Untergang der Titanic

Das vorliegende Tonband ist vor etwa vierzig Jahren aufgenommen worden. Martha Dähn (*1902) erinnert sich an ihre Zeit in Gartz an der Oder am Ostrand der Uckermark. .“Schön am Strom gelegen“, wie Johannes Bobrowski vielleicht sagen würde. Dieses etwa einstündige Band teile ich in kleine Abschnitte auf und kombiniere Tondokument und Transskription, um es als Quelle für die Ortsgeschichte zur Verfügung zu stellen, solche alten „oral history“ Dokumente sind ja eher selten.

Martha Dähn, geborene Engelmann wohnte beinahe ihr ganzes Leben in Gartz an der Oder in der Großen Mönchenstraße 360. Von dort aus hat sie die Welt kennengelernt. Die Welt kurz nach der Jahrhundertwende im kleinen Ackerbürgerstädtchen Gartz mit etwa 3.500 Einwohnern. Man kannte sich. Bauern, Fischer, Handwerker, ein Gymnasium, ein Gericht, einen „Supperndenten“ von der Kirche, einen „Paster“ auch. Und dann natürlich das eine oder andere „Original“, wie es sich gehört für einen uckermärkisch-pommernschen Ort.

Im heutigen clip erinnert sich Martha Dähn an den Zeppelin und an die Titanic. Vom Untergang der Titanic erfuhren die Menschen aus der Zeitung oder, wie man damals sagte, von den „Zigeunern“, denn, wenn die „zum Volksfest“ nach Gartz kamen, hatten sie die neuesten Nachrichten „auf die Planen gemalt“, Fernsehen und Radio gabs ja noch nicht. Wir hören auch von Zauberern und „Hipnotisierern“, erahnen etwas von der Stimmung bei einem Gartzer Volksfest kurz nach der Jahrhundertwende, so, wie es sich in der Erinnerung der mittlerweile Achtzigjährigen eingegraben hat. Im Originalton klingt das so:

Zepplin[1], ja! So 1911 muss et jewesen sind. 1910 oder 1911. Da warick noch’n klein Mädchen. Und da haben se lauter Zettel runterjeschmissen.  Wees ick noch janz jenau. Wie die Zijarre[2] so rüber kam so janz langsam. Ja.“

Wann war dat, 1910 oder 1911, wo die Titanic[1] unterjejang is?
Da kam se bei uns: so’n großen Wagen, mit lauter Leinen bespannt ringsrum und da war dat all’s jezeichnet. Der janze Untergang der Titanic.

Da ist so’n Zauberer jewesen, eener, der hat denen wat vorjemacht, und da hat er jesacht: „Bei mir jehen die Leute durch’n Baumstamm!“ Er ginge jetzt durch’n Baumstamm.
Und da ham die jesacht: „Nee, dat is nich wahr!“
Und dann isser, ham auch wirklich jedacht, er jeht durch’n Baumstamm, und eene Frau hat jesacht: „Nee, der is nich durch’n Baumstamm, der is gleich nebenbei jejang.“  Die hat dat jesehn.
„Huh, Wasser, Wasser!“ hat er jesacht und da hat sie janz und jar die Röcke hat se hoch jenomm.
Und die Leute haben jelacht, und wie! Du, früher war dat überhaupt, wo dat allet frei war, da kam so ne, na, die so hipnotisiert[2] ham. Und dat war, wie hieß er denn noch, Mensch, siehste, ick hab den Nam‘ verjessen.
Die sagen, der is früh jestorben.
Da hat er se immer hipnotisiert, da war’n Leute bei uns, der hatte die Gasanstalt, und wir jingen ja immer da hin, wenn wat los war. Bei uns war ja wenig und denn jing[3] wir da hin.
Und da sacht er zu ihm, er soll uffen Tisch, nee, ein Flugzeug fährt über, nich, und er soll winken und so jelenkig und denn hopst er aufen[4] Tisch und hat jewunken, als ob er richtig da dem Flugzeug zuwinkt, haha, dabei war jar nüscht.
Und erst sacht er, wir mussten alle so machen, guck mal, so. Und die dat so nich auseinander krichten, ob er damit wat bezweckt, die hat er wohl, die hat er auch meist hoch[5] jeholt. Und denn hat er allet versteckt bei die Leut und denn immer wieder rausjeholt, ach, wie hieß denn dieser Kerl noch, dat war so ein Schwarzer. Da zogen sie ja all mit sowat rumher.
Und denn nachher, da waren welche da, die ham solche Ringkämpfe jemacht. Und denn mussten welche vom Publikum ruff komm‘, wer da mitmacht, nich. Und denn da ruff[6]. Und denn nachher, ach, dat war immer ein Gaudium! Da war immer wat los.“


[1] Die „Titanic“ galt damals als das schnellste und sicherste Passagierschiff der Welt. Auf seiner ersten Fahrt ist das Schiff am 14. April 1912 auf einen Eisberg gefahren und untergegangen.

[2] Ein Hypnotiseur also

[3] Gingen

[4] Auf den

[5] Auf dem Markt war wohl eine kleine Bühne aufgebaut. Und die ausgesuchten Leute mussten dann „hoch“ auf die Bühne für die Kunststückchen beim Jahrmarkt.

[6] Rauf auf die Bühne. Den einfachen Bauersleuten ist das nicht leicht gefallen. Jetzt konnte einen ja jeder sehen…..



[1] Zeppelin. Ein mit Wasserstoff gefülltes, riesiges Luftschiff

[2] „Zigarre“ sagten die Leute, weil das Luftschiff wie eine große Zigarre aussah

Geschichten von der Oder. clip 1

Geschichten von der Oder. clip 1

Gartz ist ein kleines Städtchen an der Ostgrenze der Uckermark, direkt an der Oder gelegen. Ehemals ein hübsches, intaktes Ackerbauernstädtchen, sieht man heute immer noch die verheerenden Folgen eines Angriffs der Roten Armee vom 20. April 1945, der die Stadt zu 90% zerstörte. Dumme Hitlerjungen waren auf die St. Stephans-Kirche geklettert und hatten statt der weißen die Hitler- Fahne gehisst, dabei war der Krieg längst entschieden.
Gartz ist die Heimatstadt von Martha Dähn, geb. Engelmann. Ihr Vater war Landwirt und Ratsmann in Gartz, er gehörte zum Deich-Verein und war im Ort „bekannt wie’n bunter Hund“, wie man so sagt „und allet ehrenamtlich“, wie seine Frau gelegentlich schimpfte, doch dazu später.
Es gibt in meinem Archiv ein Tonband etwa aus dem Jahre 1980 mit einem knapp einstündigen Kaffee-Gespräch mit Martha Dähn (*1902 – +2000), in dem ihre Erinnerungen bis etwa 1860 zurückreichen, die Zeit, als die Berlin-Stettin-Bahn gebaut und ständig erweitert wurde – ein interessantes Zeitzeugnis nicht nur für das Heimat-Archiv in Angermünde, sondern vielleicht auch für den einen oder anderen in Gartz selbst.
Ich will deshalb diese Tonbandaufzeichnung in kleine podcast-Einheiten aufteilen, mit erklärenden Texten versehen und als „erzählte Geschichte“ öffentlich machen, vielleicht entsteht aus dem Ganzen eines Tages ja auch ein kleines Buch, mal sehen, was da werden will.
Martha Dähn hat am Ende ihres Lebens fast ein ganzes Jahrhundert überblickt und was sie von der Weltgeschichte wusste und verstand, das erzählte sie in Geschichten und Anekdoten. Das Erzählen lag in der Familie, auch ihr Vater erzählte so. Und beim Tabak-Fädeln hörte man ja auch das eine oder andere, was sich weiterzugeben lohnte.
Einen kleinen Ausschnitt ihrer Geschichten werden wir nun nach und nach kennenlernen und eintauchen in die Zeit kurz nach der Jahrhundertwende, die Zwanziger Jahre, die Inflation; die Weimarer Republik; die Hitler-Zeit. Ihre im Gespräch dokumentierten Geschichten spielen mehrheitlich in den Jahren zwischen 1902 und 1933, was danach kam, kann ich ergänzen, weil ich ihre Geschichten gut kenne, auch die nicht als Tondokument überlieferten.
Martha Dähn spricht in der vorliegenden Aufzeichnung eine Mischung aus Hochdeutsch und Pommersch Platt. Weshalb ich die Abschnitte des Tondokuments auch als transskribierten Text abbilde.

Also dann, beginnen wir: Martha Dähn. Geboren am 2. Dezember 1902 in Gartz an der Oder. Sie wohnte fast ihr ganzes Leben lang in der Großen Mönchenstraße 360. Das Haus sieht heute so aus:

Große Mönchenstraße 360. Bis 1987 im Besitz der Familie Kasparick, dann an die Stadt gegeben.

Als Martha Dähn am 2. Dezember 1902 auf die Welt kam, herrschte ein kalter Winter. Es sei so kalt gewesen, erzählt sie, daß ihrer Mutter „die Schmalztöpfe zerfroren“ seien. Aber, hören wir ihre Stimme selbst:

„Meine Mutter“. Die stammte aus der Wels-Familie. Und in der Familie gab es „eine Menge Jungs, wie bei den Dähns auch“. Und die waren alle kräftig und konnten ordentlich zulangen. Vom „Onkel Otto“ und seinem Bruder „Onkel Fritz“ gibt es folgende Geschichten:

„Nee, Onkel Otto, wir hatten doch, über die Oder hatten wir doch Wiesen.
Und da ham wir über die Oder im Sommer immer dat Vieh rüber jebracht. Immer in Kähnen, da war noch keene Brücke[1], so rin in die Kähne und war hintenrum ne Barriere jebaut und da wurden se rüber jebracht.
Und mit einmal ein Bulle, der is raus und is losjeschwomm.
Und Otto hinterdran geschwommen. Bis unten nach Mescherin, hinterm Schrey!
Und da hat er’n jekricht und denn hat er’n wieder hoch jebracht.
Dat waren die Welsens, die waren so kräftig, weißt du.
Onkel Otto, der Ält’ste, der die Gastwirtschaft jekricht hat, der hat zu seine Kameraden jesacht beim Militär: „Ich stell mich untern Pferd und heb’t hoch!“
Und da ham die jesacht: „Dat is doch Quatsch!“
Da hat er aber’n Verweis jekricht.
Hat er sich unterjestellt und hat dat Pferd hochjehoben, war aber’n ruhiges Tier. Onkel Fritz, wat Hilde[2] ihr Vater war, der machte so mit’n Groschen und hat ihn auf’m Tisch umjebogen! Die hatten all so ne Kraft!
Aber sind all nich alt jeworden, weiß du.
Ja, die Welsen, die hatten mächtig Kraft, dat waren die, die von den Ungarn abstammen“.


Von den „Welsen“ und von den „Dähns“ werden wir noch mehr zu hören bekommen. Im nächsten Clip.


[1] Die Brücke wurde 1926 gebaut

[2][2] Hilde Schuhmacher, geb. Wels wohnte mit im Haus Große Mönchenstraße 360

Dimensionen des Wandels. Es gibt keine Ausreden mehr


Alte Schlehen-Hecke bei Güterberg (Uckerland)
Alte Schlehen-Hecke bei Güterberg (Uckerland)

Wir pflanzen auf unserem Land. Aus guten Grund.
Denn der Klimawandel geht mit einem Tempo vor sich, dass einem der Atem stocken könnte. Wir sind verpflichtet zu handeln. Wir sind es unseren Kindern und Enkeln schuldig. Es gibt keine Ausreden mehr. 
Morgens ist in Uckerland Lektüre-Zeit. Deshalb habe ich mir eine Studie angesehen, die das Max-Planck-Institut für Chemie (Deutschland) und das Cyprus-Institut in Nicosia (Griechenland) veröffentlicht hat.
Zwei Annahmen liegen der Prognose bis 2050 zugrunde (das ist schon in 34 Jahren!)
a) Es gelingt der Weltgemeinschaft tatsächlich, die CO2-Emissionen so zu begrenzen, das die weltweite Durchschnittstemperatur nicht mehr als 2 Grad ansteigt. Selbst dann wäre die beschriebene Region von katastrophalen Hitzewellen heimgesucht.
b) alles läuft weiter wie bisher: dann steigt die Durchschnitts-Temperatur um 4 Grad.
Das aber hält der Mensch nicht mehr aus.

Das aber macht große Teile Nordafrikas und des Nahen Ostens unbewohnbar.
500 Millionen Menschen leben in dieser Region. Und sie werden sich auf den Weg machen.
Israel wird betroffen sein: all die Jahrzehnte, die der Jüdische Nationalfonds in mühsamer Arbeit in Bewaldung investiert hat – vergeblich.
Jordanien wird betroffen sein. Dort sind die Bedingungen schon jetzt katastrophal.
Nordafrika – von dort kommen jetzt schon die boat people.

2050.
Das ist in 34 Jahren. Eine winzige Zeitspanne. Ein Wimpernschlag.
Unsere Gesellschaften aber dümpeln vor sich hin, nur mit sich selbst beschäftigt, nur auf den eigenen Wohlstand bedacht – dass einen das blanke Entsetzen packen kann.

Ich weiß wohl, dass sich auch etwas tut in der Welt.
Die divestment-Bewegung macht Fortschritte. Mehrere Billionen (!) Dollar sind bereits aus Kohle-Investments abgezogen worden, obwohl die weltweite Kampagne noch relativ jung ist.
Erneuerbare Energien werden – auch in China und Indien – in großem Maßstab eingesetzt. Selbst Saudi-Arabien bereitet sich auf den Ausstieg aus dem Ölgeschäft vor.

Allerdings: die Zeit reicht voraussichtlich nicht mehr. Denn Investitionen in Erneuerbare benötigen ebenso Zeit wie gesellschaftliche Prozesse des Umdenkens.
Pflanzungen benötigen ebenfalls Zeit, bis sie ihre volle Wirkung entfalten können. Etwa 20 – 30 Jahre braucht eine neue Pflanzung dafür.

Wer eher pessimistisch veranlagt ist, wird angesichts dieser gewaltigen Dimensionen des Wandels sagen: Die Erneuerbaren, die Aufforstung, das Divestment – alles gut gemeint, aber: Zu spät.
Lasst uns noch ein paar Jahre feiern. Nach uns die Dürre.

In trüben Momenten fliegen mich derlei Gedanken auch an, ich sag es offen.
Dann allerdings gehe ich zurück in den gegenwärtigen Moment. Den nur den „haben“ wir, flüchtig, wie er ist.
Was also kann ich heute tun? Gestern ist vergangen und was morgen sein wird, kann ich nicht wissen. Ich habe nur den heutigen Tag. Was also kann ich tun?
Ich kann die Pflanzungen weiter vorbereiten, die für den Herbst auf Kirchenland vorgesehen sind.
Denn: wir haben Verantwortung. Es gibt keine Ausreden mehr.
Wer sich beteiligen will, kann das hier tun.

Zwei Tage im September


kleine Kaffee-Pause am Vorbereitungstag
kleine Kaffee-Pause am Vorbereitungstag

Zwei mal im Jahr nehmen wir mit unserem Internet-Garten teil am „Tag des offenen Gartens“, an dem etwa 30 Gärten in der Uckermark beteiligt sind. Im Juni zur Hauptblüte und im September, wenn einige der Rosen ein zweites Mal blühen. Diese Tage lassen das Netzwerk von Menschen, die den Garten kennen und unterstützen jedes Mal ein Stück weiter wachsen.nach getaner Arbeit erholt sich der "Rosengarten-Club" bei einer Tasse Kaffee

Schon zur Vorbereitung des Gartens sind Helfer gekommen. 10 Leute am Vormittag, nochmals sechs Helfer am Nachmittag.
Nicht nur Rasenflächen sind zu mähen, im Garten selbst wird in den Beeten Unkraut beseitigt, Bänke werden gestellt, Stühle sind zu tragen.
Kleine Zeltdächer werden aufgestellt, damit die Gäste, falls es mal einen Regenschauer geben sollte, etwas Schutz finden.
Im Haus selbst wird eine „Schlechtwettervariante“ vorbereitet. Man kann ja nie wissen, ob das Wetter hält. Schließlich ist schon September.

junge Musiker vom Konservatorium für Türkische Musik Berlin am Rosengarten
junge Musiker vom Konservatorium für Türkische Musik Berlin am Rosengarten

In diesem Herbst gibt es eine weitere Neuerung: die Besucher können nicht nur den Garten besuchen, etwas über seine Entstehungsgeschichte hören, sondern wir haben einen „Türkischen Abend am Rosengarten“ geplant, der in Zusammenarbeit mit dem Türkisch-deutschen Club in Potsdam (Vorsitzender: Hikmet Güvenc) vorbereitet wird. Herr Hasan Kaygusuz von der Firma Ka-Energy Solulutions (www.ka-energy.com) war so freundlich und hat einen Kontakt zu drei jungen Musikern vom Konservatorium für Türkische Musik hergestellt, die uns klassische Musik aus ihrem Heimatland vortragen.

Einer von ihnen macht grade sein Abitur, einer wird Geschichts-Lehrer und einer studiert Wirtschaftswissenschaften.
Und alle drei begeistern sich für klassische Musik.

 

 

 

IMG_2499_1Dem Publikum gefällt es.
Das Wetter hat gehalten. Wir können unter freiem Himmel draußen sein und genießen in wunderbarer Atmosphäre die Musik, haben Gelegenheit zum Gespräch und zum Kennenlernen.
Direkte Begegnung fördert die Verständigung der Kulturen am besten.
Und Musik hilft dabei allemal.
Corinna Woldegk, die ein wunderbares orientalisches Buffet zubereitet hat, bekommt Lob aus berufenem Munde: „Bei diesem Essen und dieser Musik habe ich mich wie zu Hause gefühlt“ sagt Hikmet Güvenc.
Prima. So soll es sein. Die Menschen sollen sich bei uns „wie zu Hause“ fühlen.

Bis in den späten Abend sitzen wir beieinander, erzählen, hören zu, genießen den milden Abend. Sogar der Vollmond kommt gezogen. Ein wunderbarer Abend, der viele neue Kontakte ermöglicht, der den Kreis der Freunde und Förderer des Rosengartens weiter wachsen lässt.
Der Sonntag bringt einen neuen Impuls.
Carmen Winter, die ich bislang nur von facebook kannte, ist gekommen, um zu lesen.
Die Brandenburgerin, die in Frankfurt/Oder lebt und schreibt, liest aus ihrem Buch „Der König und die Gärtnerin“. Wunderbar präzise gearbeitete Literatur über ein ungleiches Paar.

Der zweite Tag endet mit einer kleinen Orgelmusik in der alten Hetzdorfer Dorfkirche.
Wir haben unserem Schirmherrn, Herrn Stefan Zierke, MdB, Frau stv. Landrätin Carina Dörk und dem langjährigen Vorsitzenden des Vorstands der Kreissparkasse Uckermark, Herrn Uwe Schmidt für alle Unterstützung zu danken.
Zu danken ist den vielen Helferinnen und Helfern, die den Garten vorbereitet haben und betreuen und – nicht zuletzt – den vielen Besucherinnen und Besuchern, die sich auf den Weg gemacht haben, um mal mit eigenen Augen zu besehen, was es mit diesem seltsamen Gärtchen, das vor zwei Jahren im Internet entstand und nun so wunderbar blüht und gedeiht, in Wirklichkeit auf sich hat.

 

Eine unscheinbare Schönheit mit viel Erfahrung: die rosa gallica officinalis


rosa gallica officinalis im Internet-Rosengarten in Hetzdorf (Uckermark)
rosa gallica officinalis im Internet-Rosengarten in Hetzdorf (Uckermark)

Seit etwa 1310 wird sie in Europa kultiviert. Nicht im „Schaugarten“, sondern in der „medizinischen Abteilung“ des Klostergartens.
Genau das fasziniert mich.
Und ich fange an, mehr über diese unscheinbare Schönheit zu recherchieren.
Denn der Internet-Rosengarten in Hetzdorf (Uckermark) ist in der zweiten Phase seiner Entwicklung: Angelegt wurde der Garten vor zweieinhalb Jahren. Über 2.000 Menschen haben ihn schon besucht. Die Resonanz in Fernsehen, Rundfunk und print war die erste große Überraschung, die der Garten bereit hielt.
Etwa 32.000 Menschen in 23 Ländern kennen unser Projekt mittlerweile. Das Internet machts möglich.
Nun ist die Phase 1, der Aufbau des Gartens, abgeschlossen.
Die Phase 2 beginnt:
Wir denken über Vermehrung unserer Pflanzen nach und über Produktentwicklung.
Die Frage ist: was wussten die Altvorderen von dieser Pflanze? Welche Produkte sind aus dieser „Apotheke des Mittelalters“ gewinnbar? Mit was für einer Technologie haben die Alten gearbeitet? Verbergen sich gar dringend benötigte Arbeitsplätze in dieser scheinbar unscheinbaren Pflanze?
Es ist damit zu rechnen, dass die Recherche Interessantes zu Tage fördert, denn diese „Mutter der einheimischen Rosen“ wurde über viele Jahrhunderte genutzt. Menschen haben sich seit langer Zeit mit dieser besonderen Rose beschäftigt. Zahlreich sind die „Produkte“, die man aus ihr gewonnen hat. Da sind Schätze zu heben.
Angefangen vom „Rosenessig“, über das „Rosenwasser“ bis hin zum „Rosenöl“ – letzteres ist jedoch in der Herstellung überaus aufwändig.
Man nutzte die Blätter der Blüte ihrer zusammenziehenden (adstringierenden) Wirkung wegen gegen allerlei Krankheiten. Dazu wurden Tees bereitet, man stellte Salben her, verwendete sie für Kompressen.
Aber man nutzte sie auch zur Herstellung von edlen Speisen, veredelte den Wein damit, würzte warme und kalte Speisen, bereitete Marmeladen und Konfitüren, stellte Liköre her – das Rosenwasser machte es möglich.
Bei der Recherche stoße ich auf Landschaften im Orient,  in denen Dörfer liegen, die alle von der Rose leben – Arbeitsplätze also enthält die Rose auch. Manuelle Arbeit. Handarbeit. Dringend benötigte Arbeit in Zeiten von Automatisierung und Massenfertigung.
Die Kunst der Nutzung dieser alten Pflanze besteht in der Veredelung. Der Duft allein ist schön. Aber regelrecht spannend wird es, wenn man sich fragt, was sie noch an altem Wissen in sich trägt.

Einfache Herstellung von Hydrolat: Rosenwasser aus handgepflückten Blüten der rosa gallica officinalis
Einfache Herstellung von Hydrolat: Rosenwasser aus handgepflückten Blüten der rosa gallica officinalis

Wir beginnen mit einer einfachen Herstellung eines Hydrolats: Rosenwasser.
Im Internet bin ich fündig geworden und habe diese einfache Herstellungsweise aus Bulgarien gefunden. Je einfacher, je besser.
Dieses hier gezeigte unscheinbare Gefäß ist der Beginn von mehr. Denn mit Rosenwasser lassen sich zahlreiche weitere Produkte herstellen: Essenzen, Seifen, Gebäck, Parfüms.
Wir sammeln gerade alte Rezepte, für die man Rosenwasser benötigt. Ein altes Rezept aus der Klosterküche von 1720 zur Herstellung von Gebäck klingt interessant. Wir werden es ausprobieren.
Eine Grundregel wird unsere Arbeit leiten: wir verwenden keine Chemie und wir probieren alles selber aus. Nur, was von uns selbst geprüft und für brauchbar befunden wurde, geben wir weiter.
Es ist eine überaus spannende Phase, in die unser Garten-Projekt nun eintritt. Wir gehen diesen Weg als Lernende, die bereit sind, sich um altes Wissen zu bemühen, offen für Überraschungen.
Der Garten hatte schon so viele Überraschungen für uns bereit. Wir sind gespannt, wohin er uns noch führen wird.

„Denn da ich’s wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine“. Etwas über Psalm 32 und die historische Recherche


Wenn man sich für exakte historische Forschung interessiert und sich anhand von Dokumenten beispielsweise mit dem „Dritten Reich“, also der Zeit zwischen 1933 und 45 beschäftigt, was ich mittlerweile seit über 30 Jahren tue, dann begegnet man immer wieder einem seltsamen Phänomen:
Wenn es konkret wird, dann war vor Ort alles irgendwie „anders“, dann waren die damals Lebenden nicht wirklich betroffen, beteiligt, benutzt, engagiert, wie auch immer. Es ist, als hätten die damals Lebenden irgendwie auf dem Mond gelebt, aber nicht unter den konkreten geschichtlichen Umständen, wie sie dokumentiert sind.
Mir ist noch eindrücklich in Erinnerung, als ich im Familienalbum ein Foto meines Vaters in HJ-Uniform fand. Mein politisch interessierter, kritischer Vater?
Ja. Da war das Foto.
Das war ein Schreck anfangs.
Dann kamen Fragen.
Dann war Gesprächsbedarf. Immer wieder. Ich wollte mehr wissen. Wollte Details erfahren. Wollte Alltagsgeschichten hören. Wollte verstehen.
Dieser Wunsch nach Klarheit hat nicht nachgelassen, ich bin dieser Spur später im Studium gefolgt, habe mein Staatsexamen über diese Zeit geschrieben, mit sehr vielen Zeitzeugen gesprochen und bin sehr oft immer wieder auf dieses seltsame Phänomen gestoßen: da gab man sich einerseits betroffen über all das „Schreckliche“, was damals passiert ist (und ja auch zu großen Teilen dokumentiert ist), hat sich auch tapfer davon distanziert, aber irgendwie hatte die Familie des Gesprächspartners selbst damit „nichts zu tun“.
Seltsam.
Es gibt auch andere Erfahrungen: da beginnen Menschen, nicht selten erst auf dem Sterbebett, endlich offen von dieser Zeit zu sprechen. Ich habe so manches Gespräch erlebt, wo es so verlief. Auch in der eigenen Verwandtschaft.
Die Mitscherlichs haben in ihrem wichtigen Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ auf zentrale seelische Vorgänge hingewiesen, die solchem Verhalten zugrunde liegen können. Und es ist beispielsweise anhand von Feldpostbriefen von Wehrmachtssoldaten auch dokumentiert und analysiert worden, weshalb in diesen Briefen so oft Belangloses steht, obwohl man mitten in den konkreten Schrecken des Krieges gelebt hat.
Der für mich wichtigste Punkt ist: wer zu verharmlosen versucht, weil er immer noch nicht sehen will, was dokumentiert ist; wer glaubt, in seinem Ort, in seinem Dorf, in seiner Familie sei es irgendwie „anders“ gewesen, der gibt den Kräften Vorschub, die zerstörerisch wirken.
Psalm 32 hat völlig Recht: wenn jemand etwas „verschweigen“ will, weil er zum Beispiel einfach nicht fassen kann, dass seine eigenen Vorfahren involviert waren – was nicht unbedingt bedeutet, dass sie „Täter“ waren! – , der hilft nicht zu einem wirklich aufrechten Gang, sondern der verstärkt Ungutes. Es ist belegt und auch umfänglich beschrieben worden, dass Menschen daran körperlich und seelisch krank werden können. Es ist mittlerweile sogar in umfangreichen Studien untersucht worden, dass die seelischen Folgen des Verschweigens dessen, was da zwischen 33 und 45 war, bis in die dritte und sogar vierte Generation (!) nachwirken. (Eindrücklich beschrieben im Buch „Wir Kinder der Kriegskinder“).
Therapeuten und Seelsorger wissen, dass gerade das Aussprechen der „unangenehmen“ Dinge, derer, die man „nicht sehen will“ befreiende Wirkung haben kann und hat.
Gründliche historische Recherche kann deshalb einen wichtigen Beitrag leisten, dass Menschen wieder frei durchatmen können, wenn sie Familien die Gelegenheit gibt, anhand der Dokumente offen zu sprechen.
Die in den Sprüchen Salomonis weitergegebene Weisheit ist eben zutreffend: ‚“Wer seine Missetat leugnet, dem wird’s nicht gelingen. Wer sie aber bekennt und lässt, der wird Barmherzigkeit erlangen.“ (Sprüche 28,13)
Ich verstehe meine Aufgabe als Theologe und Seelsorger deshalb im Zusammenhang meiner Recherchearbeiten auch in diesem Sinne: anhand der Dokumente Menschen zu helfen, offen zu sprechen. Damit „zur Sprache kommt“, was sonst unverarbeitet irgendwo im Dunkeln der Seele sein Unwesen treibt.
Das ist, wie jeder Praktiker weiß, mitunter unangenehm, nicht selten auch schmerzlich. Das weiß ich wohl.
Aber zur seelischen Gesundheit gehört es eben auch, wenn man sich mit der eigenen Familien- oder Dorfgeschichte beschäftigt, dass eine Loslösung von dieser Zeit in Wahrheit erst dann gelingen kann, wenn man wirklich wahrnimmt, was war. Möglichst exakt belegt an Dokumenten. Wenn das gelingt, dann kann eine wirkliche innere Ablösung von der Generation der Großeltern beispielsweise gelingen. Eine solche Ablösung bedeutet nicht, dass man nun alles gut findet, was damals geschehen ist. Und es bedeutet auch nicht, dass man nun alles schlecht findet, was die Vorfahren so getan haben.
Sondern es bedeutet: ich kann meine Vorfahren auch achten, wenn ich um ihre Verfehlungen weiß und sie anerkenne.
Dann werde ich frei, ganz in der Gegenwart zu leben und heute Verantwortung zu übernehmen.
Im Alten Testament ist ein jüdisches Sprichwort überliefert, das lautet: „Von den Trauben, die die Väter aßen, werden den Söhnen die Zähne stumpf“ (z.B. bei Hesekiel 18,2)
So ist die oft zu beobachtende Erfahrung, die man auch heute immer wieder machen kann.
Der Text geht allerdings weiter. Da steht nämlich: „So soll es unter euch nicht sein.“
Jede Generation trägt Verantwortung für die Zeit, in der sie lebt.
Dass wir frei werden zu dieser Verantwortung für die Gegenwart, daran liegt mir.