Am Abend dieses Tages schicke ich nun noch diesen Text von Martin Buber.
Der Text stammt von 1957 und ist, wie kann es bei Buber anders sein, hineingesprochen, genauer: hineingerufen in eine konkrete Situation; die der fundamentalen Konfrontation der Blöcke mitten im Kalten Krieg.
Dennoch: was er auf die damalige Situation bezog, gilt in neuer Weise heute, in der sich zuspitzenden Krise, die mit „Klimawandel“; „Bankenkrise“, „wachsender Ungerechtigkeit“ ihre Stichworte gefunden hat.
Damals wie heute geht es um das geschwundene Vertrauen.
Damals wie heute geht es darum, mit Hilfe der Sprache zu einem wirklichen Dialog zurückzufinden, der notwendig ist, um das Gemeinsame gegenüber dem Zerstörerischen zu stärken.
Es geht darum, zu einem wirklichen Dialog, zu einem wirklichen Gespräch zu finden:
Martin Buber
Haltet ein!
(1957)
Es ist höchste Zeit, daß wir Menschen den Politikern unseren Standpunkt klarmachen.
Wir wollen nicht, daß die Menschheit sich selbst zu vernichten beginnt.
Hört auf mit diesem Spiel, bei dem unser aller Leben zum Einsatz kommt und bei dem beide Partner verlieren müssen!
Wir gaben euch die Macht, über die ihr heute verfügt, weil dir dachten, ihr seiet Persönlichkeiten, die immer und unter allen Umständen wissen, was sie tun.
Wir sehen nun ein, daß wir uns getäuscht haben.
Die Spielleidenschaft hat euch der Fähigkeit beraubt, die wahre Natur des Spieles, das ihr treibt, zu erkennen und zu sehen, wohin es führen kann. Ihr kennt euch aus in allen Tricks des Spieles und wandelt sie methodisch ab, aber ihr seid nicht gewahr, daß das Spiel selbst in euren Händen zu etwas anderem geworden ist.
Nun wird das Spiel mit euch gespielt.
Ihr seht nicht ein, daß, wenn ihr jetzt nicht haltmacht, der Moment kommen muß, und dies vielleicht schon sehr bald, wo der weitere Ablauf der Ereignisse nicht mehr von euch abhängen wird und wo es auch nicht mehr möglich sein wird, innezuhalten.
Wir kennen diesen Ablauf aus früheren Erfahrungen – aber selbst die schlimmste jener Erfahrungen wird ein Kinderspiel sein gegenüber dem, was diesmal kommen wird – wenn es kommt.
Diesmal bedeutet das Kriegsspiel Zerstörung aller Länder und Völker – bis es nichts mehr zu zerstören gibt und niemanden, der zerstören kann.
Das Grundgesetz alles Spieles heißt: die Erfolgschance darf nicht kleiner sein als das Risiko. Diesmal wird das Risiko unendlich groß, die Chance eines Erfolges gleich Null sein.
Haltet ein, solgane ihr noch könnt!
Und wenn man uns fragt, was dieses „Einhalten“ im vorliegenden Fall bedeuten soll, so muß die Antwort lauten:
Es hat zu allen Zeiten und überall Interessenkonflikte gegeben, es gibt sie jetzt, und sie werden ausgefochten. Doch ist solchen Streitigkeiten eine Grenze gesetzt – es kommt der Moment, wo ein Kompromiß der einzig vernünftige Ausweg ist.
Darunter verstehen wir keine sogenannte Versöhnung oder Befriedung, sondern ein wohlabgewogenes Abkommen, das vor kommenden Generationen vertreten werden kann, einen Ausgleich der Interessen, der den lebenswichtigen Bedürfnissen der Völker beider Seiten – nachdem die nichtlebenswichtigen zuvor ausgeschieden worden sind – gerecht wird.
Der kritische Moment ist gekommen.
Was zieht ihr Wissenschaftler selbst vor: Gegenseitige Zugeständnisse auf Grund sorgfältiger und fairer Überlegung – oder den ungewollten Selbstmord der Menschheit?“
und in seiner Ansprache anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels führt Buber 1953 aus:
„….Die Krisis des Menschen, die in unseren Tagen kenntlich geworden ist, gibt sich am deutlichsten als Krisis des Vertrauens kund, wenn wir diesen Begriff des Wirtschaftslebens so gesteigert anwenden wollen. Man fragt: Vertrauen zu wem? Aber die Frage enthält schon eine Begrenzung, die hier nicht zulässig ist. Es ist das Vertrauen schlechthin, das dem Menschen dieses Zeitalters immer mehr abhanden gekommen ist. Und damit ist aufs engste die Krisis der Sprache verbunden; denn im wahren Sinn zu einem sprechen kann ich nur, wenn ich erwarten darf, daß er mein Wort wahrhaft aufnehme. ….Dieser Mangel an Vertrauen zum Sein, diese Unfähigkeit zum rückhaltlosen Umgang mit dem Andern weisen auf eine innerste Erkrankung des Daseinssinns hin. Eine der Äußerungsformen dieser Erkrankung, und die aktuellste von allen, ist das, wovon ich ausgegangen bin:
daß ein echtes Wort zwischen den Lagern nicht aufkommt.
Kann solche eine Krankheit heilbar sein? Ich glaube, daß sie es ist, und von diesem meinem Glauben aus spreche ich zu Ihnen. Ich habe keine Beweise für meinen Glauben, ein Glaube ist nicht beweisbar, sonst wäre er nicht, was er ist, das große Wagnis. Statt eines Beweises rufe ich den potentiellen Glauben eines jeden meiner Hörer an, der ihn zu glauben vermag.
Wenn es Heilung gibt, wo kann die heilende Handlung ansetzen? Vielmehr, wo muß die Wesensumkehr beginnen, auf die die heilenden Mächte, die Heilsmächte auf dem Grunde der Krisis warten?
Daß die Völker, die Völkermenschen kein echtes Gespräch mehr miteinander führen können, ist nicht bloß das aktuellste, es ist auch das uns am dringensten anfordernde Phänomen der Pathologie unserer Zeit.
Ich glaube trotz allem, daß die Völker in dieser Stunde ins Gespräch, in ein echtes Gespräch miteinander kommen können.
Ein echtes Gespräch ist eins, in dem jeder der Partner den andern, auch wo er in einem Gegensatz zu ihm steht, als diesen existenten Andern wahrnimmt, bejaht und bestätigt; nur so kann der Gegensatz zwar gewiß nicht aus der Welt geschafft, aber menschlich ausgetragen und der Überwindung zugeführt werden.
Zum Beginnen des Gesprächs sind naturgemäß jene berufen, die heute in jedem Volk den Kampf gegen das Widermenschliche kämpfen.
Sie, die die ungewußte große Querfront des Menschentums bilden, sollen sie bewußt machen, indem sie rückhaltlos miteinander sprechen, nicht über das Trennende hinweg, sondern entschlossen, es gemeinsam zu tragen.
Ihnen entgegen steht der Nutznießer der Völkertrennung, das Widermenschliche im Menschen, welches das Untermenschliche ist, der Feind der werden wollenden Menschheit.
Das Wort Satan bedeutet im Hebräischen Hinderer.
Das ist die rechte Bezeichnung des Widermenschlichen im Menschen und im Menschengeschlecht.
Lassen wir uns von dem satanischen Element darin nicht hindern, den Menschen zu verwirklichen! Erlösen wir die Sprache aus ihrem Bann! Unterfangen wir uns, trotz allem, zu vertrauen!“
Ich füge an diese hier zitierten Worte des großen Denkers Martin Buber nur an:
immer wenn mir jemand einreden will, weshalb (um nur einen der zahlreichen Konflikte zwischen den Völkern zu benennen; man könnte ebenso beispielsweise die weiterhin scheiternden Verhandlungen zu einem wirksamen Klimaschutzabkommen exemplifizieren) das westliche Bündnis beispielsweise in Afghanistan mit Panzerhaubitzen und dergleichen Kriegsgerät einen Beitrag leiste, zur Verständigung zwischen den Völkern beizutragen; immer wenn man ohne Beweis behauptet, „die Taliban“ seien vom westlichen Bündnis aus was auch immer für Interessen zu „bekämpfen“:
dann erinnere ich mich an diese hier zitierten Worte über das wirkliche Gespräch zwischen den Völkern;
an diese tiefen Worte über das wirkliche Gespräch zwischen den Kulturen.
Dieser wirkliche Dialog ist dringender ist denn je.
Denn die Alternative ist die Selbstzerstörung.
(die Zitate stammen aus: Martin Buber. Nachlese. Verlag Lambert Schneider. Heidelberg 1966; S. 228 ff.)