Orientierung finden in Zeiten des Krieges


Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit. Ein bekannter Satz. Er gilt auch heute.
Statt mit der Wahrheit werden wir aber von allen Seiten mit Propaganda zugeschüttet. Schützengräben werden ausgehoben. Lager bilden und verhärten sich. Bekämpft wird, wer anders denkt.
Am Ukraine-Konflikt ist alles dies zu beobachten.
Für die einen ist „Putin“ der Bösewicht, der den Konflikt schürt.
Für die anderen ist es „Europa“ oder sind es „die Amerikaner“.
Für wieder andere sind es „die Separatisten“.
Jedes Lager sammelt Munition in Form von Bildern und Texten. Bilder vor allem,
Grafiken. Karikaturen, „Geheime Strategiepapiere“. Via youtube, twitter, facebook und all den Instrumenten wird der Krieg geführt. Jedes Lager schießt aus allen Rohren.
Und die Menschen werden dadurch beeinflusst und lassen sich beeinflussen.
Denn sie haben nur diese medial vermittelten „Informationen“. Kaum einer verfügt über eigene, persönliche Kontakte und Informationen. Und selbst wenn, sind auch die weitgehend beeinflusst vom Denken in „pro“ und „contra“, je nachdem, mit wem man spricht.
Die Lage spitzt sich immer mehr zu.
Manöver finden statt. Demonstrative Handlungen. Begleitet von den dazu passenden Bildern. Man sieht Panzer. Man findet „geheime Strategiepapiere“. Man sieht Fotos. Man sieht Filmchen.
Kaum eine dieser „Informationen“ ist wirklich überprüfbar.
Anhand der Auswahl der Fotos kann man immerhin noch erkennen, in welcher Absicht sie geschickt wurden: ein „Putin“ in aggressiver Pose soll deutlichen machen, „wie er in Wahrheit ist“. Ähnliche Bilder gibt es auch von anderen Handelnden.
Die Stimmung ist aufgeheizt und aggressiv. Und mit jedem ungeprüften posting wird die Lage brenzliger.
Verteufelt wird, wer anderer Ansicht ist, als man selbst.
Alles dies führt am Ende, wenn keine Deeskalation gelingt, zum Krieg. Entweder zum „Kalten“ oder gar zum „heißen“ Krieg.
Für mich erschreckend und bedrückend, wie sehr sich auch Intellektuelle, Theologen, Autoren, Schriftsteller und Politiker an diesem Treiben beteiligen.
Ohne wirklich überprüft zu haben, werden Texte und Fotos, die die eigene Sicht der Welt belegen sollen, weiter geschickt und die Atmosphäre weiter vergiftet.
Jeder, der so handelt, beteiligt sich selbst aktiv an einer weiteren mentalen und materiellen Aufrüstung.
Es sind nicht nur „die Medien“, es sind nicht nur „die Politiker“, es ist jeder, der ungeprüft Bilder, Filme und Videos weitergibt mit der Behauptung, „die Wahrheit“ zu kennen – über den anderen.

Wie kann man sich in einer solchen Situation angemessen verhalten?
Wie kann man sich orientieren in einer Atmosphäre, die von tatsächlichem und gedrucktem Pulverdampf vergiftet ist? Wie kann man Orientierung finden in Zeiten des Krieges?
Man kann diese Schützengräben verlassen.
Man muss sich nicht daran beteiligen, die Atmosphäre weiter zu vergiften und weiter den Konflikt anzuheizen.
Man kann sich konsequent auf die Seite derer stellen, die die ersten Opfer sind: Zivilisten.
Kinder, Greise, Mütter und Väter.
Zivilisten sind die ersten, die einem Denken, das nur noch „Freund“ oder „Feind“ kennt, zum Opfer fallen.
Es ist deshalb sehr sinnvoll, die Schützengräben zu verlassen, sich an der weiteren Aufrüstung nicht mehr zu beteiligen und sich auf die Seite derer zu stellen, denen der Schutz der Zivilbevölkerung zum Anliegen geworden ist.
Das Internationale Kommitee vom Roten Kreuz ist so eine Organisation, die man unterstützen kann.
Oder der Rote Halbmond – die große Hilfsorganisation der Muslimischen Welt.
Beide arbeiten eng zusammen und zeigen, dass Kooperation auch in schwierigen Zeiten gelingen kann.

Man kann und man muss sich entscheiden.
Will ich meine Lebens-Energie dafür verwenden, Konflikte weiter anzuheizen? Will ich mit verantwortlich sein für eine Eskalation der Konflikte?
Oder will ich die mir gegebene Lebenszeit dafür verwenden, Leben zu schützen?
Jeder hat die Wahl.
Und jeder ist verantwortlich für das, was er tut.

Ich hab da mal ein paar Fragen – zur mysteriösen Task Force 373


Der Artikel im „Spiegel“ vom 12. Februar 2011 macht mich unruhig.
Da ist von einer „Killertruppe“ die Rede, von der amerikanischen „Task Force 373„, die „außerhalb des ISAF-Mandats“ arbeitet.
Ohne Parlamentsbeschluss also.
Im „deutschen Gebiet“ in Nordafghanistan.

Über dieses „Killerkommando“ hat der „Guardian“ sehr unschöne Dinge veröffentlicht: denn diese Truppe tötet offenbar Kinder, Zivilisten und afghanische Polizisten, die „mit den Taliban“ kooperieren.

Die geheimen Dokumente, die der „Guardian“ veröffentlicht hat, und die auch dem „Spiegel“ vorliegen, werfen Fragen auf:

1. Da die Task Force 373 in Nordafghanistan „arbeitet“, also in einem Gebiet, das unter deutschem Kommando steht:
Gibt es eine „Zusammenarbeit“ mit der deutschen KSK?
2. Wenn es eine solche „Zusammenarbeit“ gibt: wie sieht sie genau aus?
3. Weiß das Parlament von diesen Kommandos?
4. Glaubt das Parlament, daß das im Januar beschlossene neue ISAF-Mandat den Einsatz dieser Kommandos abdeckt?
Oder operieren die Kommandos „außerhalb des Mandats“ des Deutschen Bundestages und ohne, daß das Parlament davon weiß?

5. Wußten die Abgeordneten zur Zeit des Mandatsbeschlusses von einer Zusammenarbeit beider Kommandos?
6. Was wussten die Abgeordneten genau? Waren sie umfassend informiert?

7. Wenn sie vom Einsatz der KSK und der Task Force 373 nichts wußten – weshalb haben sie dann einer Mandatsverlängerung dennoch zugestimmt?

Es sind ein paar harmlose Fragen eines Zivilisten.
Aber vielleicht interessieren sie ja auch den einen oder anderen Abgeordneten…..

Medien im Krieg – zivile Berichterstattung stärken!


Seit das Parlament die Verlängerung des Krieges beschlossen hat, versuche ich mit Freunden gemeinsam, das vielbeschworene zivile Element des Aufbaus zu stärken.
Nur zuschauen geht ja nicht.
Deshalb versuche ich seit einigen Tagen, zivile Nachrichten über Afghanistan zu sammeln, zu verdichten und zu schicken.
Denn: schon eine erste Recherche zeigt: die „offiziellen“ Nachrichten und vor allem die Nachrichten über Militär, Soldaten etc. überwiegen.
Ich schätze nach mehreren Tagen Recherche das Verhältnis zwischen „militärischen“ Nachrichten und solchen von Entwicklungshelfern, NGOs (nichtstaatlichen Organisationen), humanitären Helfern etc. auf 95 zu 5%.
Wir sehen: unser Bild von Afghanistan wird vom „militärischen“ dominiert.
Es fehlen die Nachrichten über die konkrete zivile Aufbauarbeit.
Ich versuche, mit Hilfe der Netze etwas dagegen zu tun.
Eines der wenigen Beispiele, das aus der konkreten Sicht von im Lande tätigen Entwicklungshelfern berichtet, ist die hier eingefügte Sendung vom Bayrischen Rundfunk. (28.1.2011)

Das neue Mandat. Was brauchen Entwicklunghelfer?
Dieser podcast von BR 2 zeigt, daß die Arbeit der Hilfsorganisationen schwieriger wird. Entwicklungshelfer sagen, es sei für ihre Sache besser, sich von den Militärs fern zu halten.
Wenn ich nach Deutschland komme und mir die Medien anschaue, kann man den Eindruck bekommen, daß es Fortschritte gäbe. Das ist ein Bild, das die Regierung so wünscht. Die Wahrheit ist aber oft eine andere“ sagt der deutsch-afghanische Entwicklungshelfer, der in Kabul arbeitet.

Ich versuche derzeit mit Hilfe eines Internetfachmanns die „zivilen“ Nachrichten im Kurznachrichtendienst twitter zu stärken. Diese Informationen sammle ich in der zweimal am Tag aktualisierten Internet-Zeitung (die im Grunde eine Suchmaschine ist) „Afghanistan-Nachrichten deutsch„, die ich über facebook und twitter „teile“.
Wer sich daran beteiligen möchte, hilft, etwas mehr „zivile“ Berichte aus dem Lande zu verbreiten, das nun schon über 30 Jahre Krieg erlebt.

Es ist ein kleiner, aber vielleicht wirksamer Beitrag zu etwas mehr Zivilität und Frieden.
Ein „Kieselstein“ eben, der vielleicht eine kleine Welle auslöst…..

Damit auch facebook nicht zu kurz kommt, habe ich dort eben eine Seite eingerichtet, die solche zivilen Nachrichten sammelt und verbreitet. Hier ist Platz für Berichte von Entwicklungshelfern, privaten Organisationen, Journalisten, die lange im Lande leben und eben für Berichte, die in den „normalen“ Medien viel zu kurz kommen.
Der link dazu hier:

Der Kampf um die Kinder – ARD Film zur Kinderhilfe Afghanistan e.V.


Was kann man als Zivilist tun nach dem Beschluss zur Verlängerung des Krieges?
Man kann die zivilen Kräfte stärken.
Deshalb habe ich hier auf dem blog eine Interview-Reihe eingerichtet, in der ich wichtige Stimmen von Praktikern versammle: Vertreter von Organisationen, die das Land seit jahrelanger Arbeit kennen und die am zivilen Aufbau in Afghanistan beteiligt sind, oft schon seit Jahrzehnten.
Dr. med. Reinhard Erös, ehemaliger Oberstarzt der Bundeswehr, ist einer von ihnen.
Die ARD hat nun in einer Dokumentation über seine Arbeit berichtet.
Ich schicke diese Dokumentation, weil ich die zivilen Kräfte stärken will. Vielleicht findet sich der eine oder andere, der diese Dokumentation über die Netzwerke weiter teilt, damit in der Fülle der uns heutzutage erreichenden Informationen und Bilder jene Verstärkung bekommen, die Verstärkung verdienen.
Hier nun der Film: „Der Kampf um die Kinder“. Da er bei Youtube nicht ungeteilt vorliegt, schicke ich die einzelnen, jeweils etwa 10 Minuten langen Abschnitte.

Teil 1

Teil 2

Teil 3

Teil 4

Teil 5

Ich wünsche diesem Film gute Verbreitung.

Alternativen zum Krieg (7). Standard-Interview mit Dr. Reinhard Erös (Kinderhilfe-Afghanistan)


Der ehemalige Bundeswehrarzt Dr. Reinhard Erös , der es bis zum Range eines Oberstarztes gebracht hat, arbeitet im Osten Afghanistan an der Grenze zu Pakistan.
In einem Gebiet, in dem „die Taliban“ das Sagen haben. Ich hatte ihn per Mail um ein Kurzinterview gebeten.
Frau Erös schrieb mir heute:

„mein Mann musste kurzfristig nach PAKISTAN.
ich erlaube mir, Ihnen in der Anlage ein aktuelles STANDARD-Interview zum
Abdruck in Ihrer Website zu überlassen.
lieber Gruß
Annette Erös“

Deshalb sei dieses bemerkenswerte Interview mit dem STANDARD nun hier abgedruckt, denn es zeigt die Innenansicht eines exzellenten Landeskenners. Es lohnt sehr, dieses Interview aufmerksam zu lesen:

Standard: Die deutschen Politiker debattieren gerade über Abzugsperspektiven der Bundeswehr aus Afghanistan. Was würde es in ihren Augen bedeuten, wenn die deutschen Soldaten das Land verlassen?

Dr. Erös: Ob die Bundeswehr in Afghanistan bleibt oder abzieht, ist  für das  Land völlig unerheblich. Denn sie ist militärisch ein Gartenzwerg mit gerade einmal 5000 Mann im Norden, von denen nur rund ein Sechstel für militärische Einsätze aus den Hochsicherheitscamps herauskommt. Zum Vergleich: Im Südosten, wo wir mit der Kinderhilfe arbeiten, sind 100.000 Amerikaner stationiert  – mit Kampfhubschraubern, -flugzeugen und Drohnen. Nur politisch spielt es eine Rolle, ob mit Deutschland einer der großen Nato-Partner das Land verlässt.

Standard: Braucht es nicht den Schutz der Bundeswehr, um den zivilen Wiederaufbau zu sichern?

Dr. Erös: Der Großteil der deutschen Hilfsorganisationen bettelt nicht um den Schutz den Bundeswehr, sondern empfindet ihn eher als gefährdend. Unsere Erfahrung im Südosten ist: Nicht Sicherheit ist Voraussetzung für Wiederaufbau und Entwicklung, sondern umgekehrt. Unsere Projekte wie Waisenhäuser, Schulen, Krankenstationen sind nur möglich und sicher, weil wir den amerikanischen Soldaten den Zutritt verweigern. Deshalb ist auch noch nie einem unserer Schüler oder Mitarbeiter ein Haar gekrümmt worden, keine unserer Schulen wurde je bedroht oder gar angegriffen.

Standard: Wie gelingt Ihnen das? In Deutschland hört man immer wieder von Schulen die attackiert oder geschlossen werden.

Dr. Erös: Ja, aber das sind fast alles Schulen, die vom westlichen Militär aufgebaut oder «beschützt» wurden. Das ist bei uns nicht der Fall. Wir bauen unsere Schulen auf Augenhöhe mit den Einheimischen. Die Regierung in Kabul und auch die deutsche Politik haben damit nichts zu tun. Wir finanzieren uns ausschließlich über private Spenden und das wissen die Menschen. Den Bau einer Einrichtungen sprechen wir ab mit den regionalen Behörden, den Stammes- und Dorfältesten, mit den religiösen und talibannahen Leuten. Erst dann, wenn ein Konsens beseht, beginnen wir. Und am Bau sind keine Firmen aus dem Ausland und keine teuer bezahlten Berater beteiligt, sondern die Einheimischen bauen die Schulen selbst.

Standard: Wie überzeugen Sie einen Talibanführer oder einen paschtunischen Clanchef vom Bau einer Mädchenschule?

Dr. Erös: Ich muss sie gar nicht überzeugen. Die kommen mittlerweile auf mich zu mit dem Wunsch, eine Schule, auch eine Mädchenschule, oder ein Waisenhaus zu bauen.

Standard: Hab ich das richtig verstanden? Die Taliban kommen zu Ihnen und sagen, sie wollen eine Mädchenschule?

Dr. Erös: Ja, das ist das Normale. Deutsche Medien tun immer so, als müsste man den Afghanen den Bau einer Schule quasi beibringen und Überzeugungsarbeit leisten, damit diese dummen, archaischen Leute den Sinn von Bildung kapieren. Aber das ist grundfalsch und entwürdigend. Wir haben vielmehr Mühe, allen Wünschen nach dem Bau von Mädchenschulen nachzukommen. Ich habe noch nirgendwo auf der Welt so einen großen Bildungshunger erlebt wie in Afghanistan. Und jedem, der sich über  das Land informieren will, kann ich nur raten in Schweizer oder englischsprachige Medien reinschauen. Die berichten wesentlich korrekter und differenzierter.

Standard: Also ist der Eindruck falsch, dass die Taliban Bildung für Frauen und Mädchen verhindern wollen?
Dr. Erös: Ja, heute ist das falsch. Man kann mit den Taliban darüber reden. Sie wollen nur keine westlichen Schulen mit westlichem Lehrinhalt, mit islamkritischen oder islamneutralen Lehrbüchern und amerikanische Soldaten als Erbauer oder Beschützer. Wenn es aber eine afghanische Schule mit afghanischen Lehrinhalten ist, gibt es mit den Taliban kein Problem.

Standard: Haben Ihre Schulen einen einheitlichen Lehrplan?

Dr. Erös: Ja, genau wie in Deutschland. Allerdings ist es oft schwierig ihn umzusetzen, denn die Qualität und Anzahl der Lehrer ist ein großes Problem, gerade in Naturwissenschaften in den gymnasialen Oberstufen. Besonders bei den Mädchenschulen ist es schwierig, Frauen als Lehrer für Physik, Mathematik und Chemie zu gewinnen. Aber der Lehrstoff ist vorgegeben vom Ministerium für Erziehung in Kabul. Dazu gehört, dass vier bis fünf Stunden pro Woche normaler afghanischer Islam unterrichtet wird. Genau wie bei uns der Religionsunterricht.

Standard: Auch in der Politik wird darüber diskutiert, mit den Taliban zu verhandeln. Für manchen in Deutschland klingt das absurd oder wie ein Einknicken. Ist es in Ihren Augen sinnvoll?

Dr. Erös: Ja, man muss mit den Taliban sprechen. Durch ihre Größer, Bedeutung und Durchhaltefähigkeit kann man sie nicht einfach übergehen. Doch die Politik hat sieben Jahre lang so getan, als wäre das möglich. Und jetzt, wo die Taliban immer stärker werden, erkennt man, dass man doch mit dem Feind sprechen muss. Aber nun ist das Problem anders gelagert: Die Taliban sehen sich auf der Siegerstraße und haben gar keinen Grund mehr, mit dem Westen zu verhandeln. Hier hat die westliche Politik, wie in so vielen Bereichen in Afghanistan, auf folgenschwere Weise versagt.

Standard: Wäre Afghanistan ohne die internationalen Truppen heute besser dran?

Dr. Erös: Viel besser. Die Voraussetzung, dass es in Afghanistan vorwärts geht, ist der Abzug der Nato und zwar so schnell wie möglich. Die westlichen Soldaten in Afghanistan sind Teil des Problems und vielleicht sogar der größte Teil.

Standard: Was wünschen Sie sich für Afghanistan, was sollte ein Ziel auch für uns in Deutschland sein?

Dr. Erös: Die Afghanen endlich nicht mehr wie Kinder zu behandeln, sondern ihnen zu vertrauen und es ihnen zu überlassen, wie sie ihre Zukunft gestalten. Außerdem dürfen wir nicht mehr auf die arroganten und korrupten Spitzenpolitiker und Wirtschaftsleute in Kabul setzen, die das Geld dann nach Abu Dhabi oder Dubai schaffen. Wir müssen endlich das Militär herunterfahren und uns um die afghanische Jugend kümmern. In dem Land sind 60 Prozent aller Menschen unter 15 Jahren. Diese Generation wird in 10 Jahren die Geschicke des Landes bestimmen. Auf ihre Bildung, Ausbildung und langfristig sichere Jobs mit menschenwürdiger Bezahlung müssen wir unseren Schwerpunkt beim Wiederaufbau legen.

Alternativen zum Krieg (5) – die „Kinderhilfe Afghanistan“ von Dr. Reinhard Erös


Dr. med. Reinhard und Annette Erös haben die „Kinderhilfe Afghanistan“ ins Leben gerufen.

Als ich bei der Recherche nach zivilen Aufbauprojekten war, bin ich im Internet auf diese wichtige Arbeit gestoßen und habe gleich Kontakt aufgenommen.
Frau Erös hat mir zugesagt, daß ich auch noch ein Interview mit Dr. Erös über seine Arbeit bekomme. Ich werde den Text dann hier in der Reihe einfügen.

Heute soll zunächst auf den link aufmerksam gemacht werden. Die Kinderhilfe Afghanistan konzentriert ihre Arbeit auf die Grenzregionen zu Pakistan. Das ist ein besonders sensibles Gebiet.

Die Kinderhilfe Afghanistan „unterstützt in den Ostprovinzen Afghanistans und in grenznahen Flüchtlingslagern Friedensschulen, Mutter-Kind-Kliniken, Gesundheitsstationen, Waisenhäuser, Solarwerkstätten und weitere Projekte, die allesamt realistische Perspektiven für eine friedliche Zukunft des Landes am Hindukush bieten“. So schreibt es Dr. Erös auf der Homepage der Initiative.

Die KINDERHILFE AFGHANISTAN ist eine private Initiative der Regensburger Familie Dr. med. Reinhard und Annette Erös und ihrer fünf Kinder Veit (30), Urs (29), Welf (28) und der Zwillinge Cosima und Veda (18). Die Organisation wurde 1998 gegründet und unterstützt afghanische Kinder und Frauen in OST-AFGHANISTAN mit medizinischen und schulischen Einrichtungen. Der Bundeswehrarzt Dr. Erös hat über zwanzig Jahren Erfahrung im Bereich humanitärer und Katastrophenhilfe in Indien, Bangladesch, Kambodscha, Pakistan, Afghanistan, Iran, Albanien, Ruanda und Ost-Timor mit UNO, NATO und Internationalen Hilfsorganisationen.

Der Bundeswehrarzt im Range eines Oberstarztes Dr. Erös ist ein Mann der Tat. Er tut, wovon er überzeugt ist.

Dr. Erös engagiert sich seit 1985 in und für Afghanistan.1987 hatte sich er für mehrere Jahre von der Bundeswehr ohne Geldbezüge beurlauben lassen und lebte mit seiner Frau und seinen vier Söhnen bis Ende 1990 in der afghanisch-pakistanischen Grenzstadt Peschawar.
Dr. Erös arbeitete als Ärztlicher Leiter einer deutschen Hilfsorganisation im afghanischen Kriegsgebiet. Über 180 000 Kranke und Verletzte pro Jahr wurden in Afghanistan unter schwierigen und gefährlichen Kriegsbedingungen medizinisch versorgt.

Mir gefällt sehr, daß der ehemalige Bundeswehrarzt mit seiner Arbeit auch Resonanz in der ARD und anderen großen Medien gefunden hat. Eine ARD-Dokumentation gibt Auskunft über diese Arbeit:

ARD-Dokumentation: Kampf um die Kinder

Afghanistan zwischen Krieg und Hoffnung

Der Film begleitet Reinhard Erös auf einer seiner gefahrvollen Reisen durch Afghanistan. Er zeigt das Leben in der afghanischen Provinz, wo sich seit dem Krieg gegen die Russen kaum etwas verändert hat und berichtet von der Arbeit der Kinderhilfe Afghanistan für die Zukunft dieses Landes mit dem Bau und Unterhalt von Schulen und der Schaffung von Arbeitsplätzen und Gesundheitsstationen. Als erstes Filmteam aus dem Westen besucht die Crew die Universität der Taliban-Bewegung, die Jamia Hakkania im Norden Pakistans.

Wenn Sie an dieser Dokumentation interessiert sind, können Sie die DVD bestellen bei:

Dr. med. Reinhard und Annette Erös – Im Anger 25 – 93098 Mintraching – Tel.: (09406) 90560
eMail: eroes@kinderhilfe-afghanistan.de


Alternativen zum Krieg (3) – Interview mit Dr. Rupert Neudeck


UK: Herr Dr. Neudeck, Sie kennen Afghanistan seit langen Jahren. Seit wann genau?

RN: Ich war 1986 das erste Mal in Afghanistan, damals notgedrungen von Peshawar und den tribal areas in Pakistan illegal in das Nachbarland hineingekommen. 1987 wurden wir auf dem Weg in die Provinz Wardak von der Roten Armee entdeckt und wir mussten Hals über Kopf in Richtung Pakistan Grenze fliegen, was uns geglückt ist. Seite dem Oktober 2001 bin ich von Tadschikistan in den Provinzen Talhar und Kunduz tätig gewesen, in einer Zeit, da der Wiederaufbau-Enthusiasmus der Afghanen jede Frage einer militärischen Begleitung ganz obsolet werden ließ.

UK: Sie haben sowohl mit der CAP ANAMUR als auch mit den GRÜNHELMEN im Lande geholfen. Was waren die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
RN: Wir haben als Cap Anamur schon im Juni 2002 eine erste Klinik in der Provinz Takhar aufgebaut und etliche Schulen. Auch in der Provinz Kunduz waren wir tätig. Im Herbst 2003 haben die Grünhelme in der westafghanischen Provinz Herat Schulen in dem Distrikt Golram und in dem Distrikt Karoq aufgebaut, alle in den Dörfern, keine Schule in der Hauptstadt Herat. In den beiden Distrikten haben wir 30 Schulen aufgebaut und eine Entbindungsklinik und planen jetzt die 31. und 32. Schule.

UK: Die GRÜNHELME sind als „zivile Antwort auf den 11. September“ gegründet worden.
Bei den GRÜNHELMEN arbeiten Muslime und Christen gemeinsam „mit Menschen guten Willens“, um in konkreten Projekten der
Wiederaufbauarbeit einen Beitrag zum Frieden im Lande zu leisten.
Welche Erfahrungen haben sie im Lande gemacht?
Wie ist die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung?

RN: Das ist die wichtigste Frage, und unsere westlichen Länder haben noch lange nicht verstanden, dass dieses das wichtige Fundament der Zusammenarbeit ist:
Der Respekt und die Anerkennung einer anderen Lebenskultur. Wir meinen wie in kolonialen Zeiten tiefinnerlich noch diese Stämme und Völker leiten und bestimmen und dafür sorgen zu können, dass sie in unsere Richtung marschieren.
Die Arbeit in Afghanistan setzt aber voraus, dass nicht wir die wichtigen Partner sind, sondern die, die bisher ohne den großen westlichen Wohlstand auskommen mussten.
Wir haben immer Kontakt zu den Dorfbevölkerungen.
Wir beginnen mit den Dorfältesten beim Tee die Bedingungen für eine Schule zu besprechen. So habe ich mit unserem Cheftechniker Thomas Just das in der letzten Januar Woche in dem ort Tschischme Noghre und in dem Ort Sagheriha gemacht. Wir brauchen die Gewissheit, dass in dem Ort genügend Lehrer sind, dass die Schule und die Lehrer vom Staat nach Fertigstellung bezahlt werden. Und wir brauchen für unsere zwei Bauarbeiter-Grünhelme eine Unterkunft, kostenlos in dem Dorf in einem Lehmhaus.
Gläubig zu sein, das heißt ein Christ, Protestant oder Katholik zu sein ist für die Muslime in den Ortschaften meistens ein Vorteil. Denn sie verstehen immer: wir glauben an den einen Gott.

UK: Wenn Sie sich das veröffentliche Bild über Afghanistan in deutschen Medien anschauen: was fehlt?

RN: Es fehlt, man kann darüber lachen: Afghanistan und die Afghanen.
Unser Bild von Afghanistan beschränkt sich auf Hochsicherheitstrakte in dem Afghanistan, das wir ‚unseres’ nennen.
Nach Herat darf z.B. kein Funktionsträger des Bundestages und schon gar nicht ein Staatsminister, denn Deutsche dürfen sich und sollen sich nur in dem Afghanistan aufhalten, das das Mandatsgebiet der Bundeswehr ist. Dorthin fliegen mit der Bundeswehr-Airlines auch 98 Prozent aller deutschen Journalisten, die für den Flug und das Programm, das ihnen von der Bundeswehr gemacht wird, nicht zahlen müssen.
Ich fürchte, die Mitbürger in Deutschland sind grässlich fehlinformiert über dieses wunderbare und stolze Land.

UK: Der Deutsche Bundestag hat am 28. Januar 2011 das ISAF-Mandat erneut um ein Jahr verlängert.
Wäre eine Mandatierung zugunsten eines zivilen Aufbaus hilfreich gewesen?

RN: Es ist jetzt nach so vielen Jahren teuerstem Militär-Aufbau nur für unsere Soldaten (ein Afghane hat in einer deutschen Kaserne nichts zu suchen) sehr viel schwerer geworden, das militärische Glacis abzubauen. Aber es wird nur so gehen. Die Unsicherheiten sind gewachsen, es gibt ganze Distrikte auch in der Provinz Herat, in denen kriminelle Banden, Opiumbanden herrschen, oder auch Taliban oder Leute der alten Hezbi Islami.
Sie werden aber nicht bekämpft von den Soldaten der ISAF.
Das zivile Wiederaufbau-Mandat müsste damit beginnen, dass wieder deutsche Konsulate außerhalb der Militärbereiche der Bundeswehr aufgebaut würden.
Dazu müsste die Wirtschaft mit den Afghanen wieder gestärkt werden, denn schon heute befinden sich 2 Mio junger Afghanen wegen der Arbeit wieder illegal im Iran.

UK: Was ist aus Ihrer Sicht in Afghanistan im Moment besonders dringlich?

RN: Alle Maßnahmen, in denen die Wirtschaft gestärkt wird, wären sehr dringlich. In dem Distrikt Karoq haben die Taliban nichts zu suchen, die Dörfer haben alle etwas nach dem Taliban Sturz bekommen, Mobiltelefone, eine große Tarmac-Strasse, Schulen, eine Klinik.
Das bringt mehr zum Aufbau des Landes als alle teuren ISAF Einheiten, die von Europa aus aus der Luft versorgt werden.

UK: Wie können die Grünhelme konkret unterstützt werden?

RN: Eine Schule in Afghanistan kostet uns Grünhelme 40.000 Euro.
Eine Klinik 48.000 Euro.
Wir haben sieben Schulen aufgebaut, die von Schulen hier in Deutschland finanziert wurden: Buchen/Odenwald, Troisdorf 21 Schulen, Kassel Waldorf-Schule, Alfeld Gymnasium, Edith Stein Gymnasium Erfurt, Voerde KAB,  Thomas D (Phantastische Vier), Gemeinde Bad Vilbel.
Wir brauchend das Geld auf das Konto:

Konto Nr. 1070000 bei der
GLS eG  BLZ 430 609 67

Nachtrag: Dr. Rupert Neudeck kam grad wieder aus Afghanistan zurück. Die Schulen Nr. 31 und 32 sind in Vorbereitung….

„Wir sind Engel des Todes…..“ Nachdenken über ein Lied aus dem Internet


Dieses Lied kam heute über das Internet zu mir auf den Rechner.

 

 

Im Refrain heißt es:

„Wir sind Engel des Todes
direkt aus der Hölle
aufgetaucht aus dem (Nichts) (das Wort kann ich im Lied nicht genau verstehen)
dem Auftrag zu folgen
mit Waffen bestückt
begleitet von Kraft, Stolz und Ehre
Wir stürzen lachend ins Verderben
Wir sind Engel des Todes
direkt aus der Hölle
ausgebildet für den Kampf
motiviert für den Sieg
Wir regeln die Scheiße
das ist jetzt unser Krieg
bereit und entschlossen
den Terror auszumerzen
deutsche Fallschirmjäger
mit Leidenschaft im Herzen…“

Den weiteren Text erspare ich mir hier.
Dieses „Lied“ taucht wenige Tage vor einer Abstimmung im Deutschen Bundestag im Internet auf.
Bei dieser Abstimmung wird es um die Frage gehen, ob das Parlament das Mandat für die deutschen Soldaten in Afghanistan erneut verlängert.
Seit einiger Zeit ist – von hohen Offizieren öffentlich geäußert – klar, daß eine neue Großoffensive bevorsteht.
Die Frage ist also, ob das Parlament die Soldaten in diese Offensive schicken will.
Es sind in den vergangenen Wochen eine Menge Nebelkerzen ins Land geschossen worden, die den Eindruck erwecken sollen, „nur noch diese Schlacht“ sei zu bestehen, dann beginne der Abzug.
Interessanter weise haben sowohl die Kanzlerin als auch der Verteidigungsminister den Abzug mit der Formulierung „soweit die Sicherheitslage dies zulässt“ versehen.
Ein Beginn des Abzugs deutscher Soldaten ist also in weite Ferne gerückt, weil man sicher davon ausgehen kann, daß die Sicherheitslage sich nicht verbessert haben wird.
Das Internationale Rote Kreuz hatte schon vor Weihnachten in einer Aufsehen erregenden Pressekonferenz auf die tatsächliche dramatische Lage im Land aufmerksam gemacht.
Die Unsicherheit nimmt zu.
Die Gewalt wächst.
Der Krieg hat eben nicht zum gewünschten „Ergebnis“ geführt.
Hohe Militärs, auch Politiker sagen seit Längerem öffentlich: dieser Krieg ist nicht zu gewinnen.
Es geht darum, einen vertretbaren Abzug zu organisieren.

Doch davon will zu Guttenberg nichts hören.
Sein vielfach kommentierter PR-Besuch in Begleitung seiner Gattin nebst einem „embedded journalist“ kurz vor Weihnachten hatte ja schon das überdeutliche Ziel, an der „Heimatfront“ „gute Stimmung“ zu machen.
Die Soldaten bräuchten „mehr Anerkennung und Rückhalt in der Bevölkerung.“

Das hier zitierte „Lied“ verfolgt ein ähnliches Ziel.
Es geht darum, die „wahren Männer“ in ihrem „schweren Kampf“ dazustellen und zu unterstützen.

Ein Lied, geeignet für die „Heimatfront“.
Es soll Instinkte ansprechen.
„Männlichkeit“.
„Wir regeln die Scheiße, das ist jetzt unser Krieg…..“
Mentale Aufrüstung vor der beabsichtigten Großoffensive.

Nun, das alles ist längst keine rhetorische Spielerei mehr, über die man diese oder jene Meinung haben könnte.
Es geht um die Frage, ob das deutsche Parlament deutsche Soldaten in diesen Krieg schickt oder nicht.
Spätestens seit dem September 2009, jenem fürchterlichen Angriff auf einen entführten Tanklastzug, von einem deutschen Offizier befohlen – , bei dem über 140 Zivilisten ums Leben kamen, ist allen wohl klar, worum es hier geht:

Soll die militärische „Logik“ führen oder die Politik?
Folgt man „militärischer Logik“, dann müssen „die Gegner“ „ausgemerzt“ werden, wie es in diesem abscheulichen Liede hier heißt.
Das Wort vom „ausmerzen“ hat eine fürchterliche Geschichte in Deutschland.

Ich poste dieses Lied weiter, weil ich um die Kraft des Internets weiß.
Dieses Lied darf nicht unkommentiert bleiben.

Wir dürfen denen nicht folgen, die mit Hilfe solcher – jugendgemäß „aufgemachten“ Lieder – zeitgemäß über das Internet unter die Leute gebracht, die Aufrüstung an der „Heimatfront“ betreiben.

Um diesem Treiben einen wirksamen Riegel vorzuschieben, gibt es nur eins:

Ihr Abgeordneten,
wenn sie Euch fragen,
ob ihr das Mandat erneut verlängern wollt.
Sagt Nein!

Liebe Freunde in der SPD-Bundestagsfraktion, sagt Nein!


Ulrich Kasparick
Parl. Staatssekretär a.D.
Berlin
13. Januar 2011

Liebe Freunde in der SPD-Bundestagsfraktion,
die vom Vorstand der SPD in Potsdam beschlossenen Texte lassen es zu, daß ihr Ende Januar „Nein!“ sagt zum Antrag der Regierung, das Afghanistan-Mandat für die Bundeswehr erneut zu verlängern.
Ihr habt geschickt formuliert. Das eröffnet nun die Möglichkeit, Nein! zu sagen. Denn ihr habt euch festgelegt: ihr wollt, daß die Regierung ein klares Abzugsdatum nennt, das 2011 beginnen soll.
Die Regierung ist sich nicht einig – wie üblich.
Der Außenminister will einen weichgespülten Beschluss „….sofern die Lage es zulässt“, die ihm eine Friedensdividende im Inland bringen soll angesichts der katastrophalen Werte für die FDP. Das ist einfach zu durchschauen.
Der Verteidigungsminister hat mehrfach öffentlich geäußert, daß er sich dies offen halten will. Er entscheidet rein nach militärischen Gesichtspunkten. Von einem Verteidigungsminister, der Mitglied der CSU ist, ist nichts andres zu erwarten.

Von den Sozialdemokraten jedoch erwarten die Menschen im Lande – immer noch – eine Menge.
Zum Beispiel, daß sie zu ihren eigenen Beschlüssen stehen.

Was die Menschen nicht wollen, sind unklare Beschlüsse.
Hohe Militärs haben heute (13.1.2011) gegenüber der Presse (u.a. Leipziger Volkszeitung) angekündigt, daß sich die Bundeswehr nach dem Beschluss des Parlaments an einer „Großoffensive“ beteiligen werde.
Man trifft die Vorbereitungen bereits jetzt, damit es schon am 28. Januar losgehen kann.

Ihr wisst wie ich, daß bei solchen militärischen „Maßnahmen“ vor allem Zivilisten leiden.
Der Angriff auf einen Tanklastzug bei Kunduz Ende 2009 hat es gezeigt.
Wenn man rein militärischer Argumentation folgt, kann man solche Katastrophen wie in Kunduz nicht ausschließen.
Wenn man einer rein militärischen Argumentation folgt, kann die Politik nach Hause gehen.
Die Bundeswehr ist aber eine Parlamentsarmee.
Die Abgeordneten entscheiden. Niemand sonst.

Ich kann verstehen, daß ihr auch die Bündnisverpflichtungen Deutschlands beachten müsst.
Ich kann euer Bemühen erkennen, dennoch einen Weg zu suchen, der verantwortbar und klar geregelt zu einem Abzug des deutschen Kontingents führt.

Die niederländischen Sozialdemokraten haben wegen dieser Frage sogar die Regierungsbeteiligung riskiert.
Ihr aber seid zur Zeit Teil der Opposition, braucht also nicht mal ein so hohes politisches Risiko einzugehen wie die niederländischen Kollegen.
Es ist nicht die Zeit falscher Rücksichtnahmen.
Sondern es ist die Zeit klarer Alternativen zur Regierungspolitik.
Macht euch nicht gemein mit einer Politik, die unklar, uneinheitlich und verworren ist.

Guttenberg hat heute (13.11.2011) erneut deutlich gemacht, daß er einem Abzugsbeginn in 2011 nicht zustimmen kann.

Das bedeutet: ihr könnt – nach dem Beschluss des SPD-Vorstandes – dem neuen Mandat nicht zustimmen.

Die Regierung wird das Mandat mit ihrer Mehrheit durchsetzen.
Deutsche Soldaten werden sich der geplanten Großoffensive im Norden Afghanistans beteiligen.
Dabei wird Blut fließen. Soldatenblut und Blut vor allem von Zivilisten.

Nehmt es nicht auf euch, daß durch unklares Abstimmungsverhalten die deutsche Sozialdemokratie dafür mit Verantwortung trägt!

Ich wünsche euch: klare Gedanken, ein heißes Herz und ein wenig Mut.

Sagt „Nein!“

„ein solcher Film ist mehr wert als sechs Divisionen“ – etwas von Winston Churchill


Auf diesen Satz Churchills von 1942 über den Film „Mrs. Miniver“ stoße ich in dem ausgezeichnet gearbeiteten und sehr sorgfältig recherchierten Buch von Felix Moeller: „Der Filmminister. Goebbels und der Film in Dritten Reich“ (mit einem Vorwort von Volker Schlöndorff), bei Henschel Berlin 1998 erschienen.
Goebbels lobt diesen amerikanischen Film, denn er schildere ein Familienschicksal während des Krieges „in einer unerhört raffinierten und wirkungsvollen propagandistischen Tendenz“ ….Gegen die Deutschen fällt kein böses Wort, trotzdem ist die antideutsche Tendenz als vollendet anzusprechen. Ich werde diesen Film den deutschen Produktionschefs vorführen, um ihnen zu zeigen, wie es gemacht werden muss.“ (Moeller zitiert aus den Goebbels-Tagebüchern vom 8.7.1943; a.a.O. S. 289).
Ich habe mir dieses exzellente Buch aus meiner sehr umfänglichen Bibliothek zum Thema „Nationalsozialismus“ (seit meinem Studium begleitet mich dieses Thema) in den Winterkriegstagen des Jahres 2010 gegriffen, um mich zu belesen über die Absichten, Macharten und Ziele von Propaganda im Krieg.
Der äußere Anlass war eine als zivil daherkommende Inszenierung des deutschen Verteidigungsministers, der in Begleitung seiner Frau, die als „besorgte Mutter und Gattin“ zu den deutschen Soldaten in Afghanistan gereist war, vor der Kulisse der Armee einem wohl als „embedded journalist“ zu bezeichnenden Talk-Master ein umfängliches Interview „zur Lage“ gab.
Nicht zufällig kurz vor einer Regierungserklärung des Aussenministers zu Afghanistan, und nicht zufällig vor einer für den Januar anberaumten erneuten Entscheidung des Parlaments über eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr.

Die Macht der Bilder.
Wir leben in Zeiten, in den der Wunsch des breiten Publikums nach einfachen Unterhaltungssujets übergroß ist.
Insbesondere die privaten Fernsehkanäle und ihr Kampf um die „Einschaltqouten“ legen mit ihrem Programm davon beredtes Zeugnis ab.
Aber nicht nur die „leichte Unterhaltung“ erreicht den Deutschen, sondern auch die „Talk-Show“.
In den letzten Jahren hat sich die politische Kommunikation wesentlich aus dem Parlament heraus in die Talk-Shows verlagert.
Formate wie „Anne Will“, „Maischberger“, „Johannes B. Kerner“ und andere bestimmen, wie die Deutschen über Politik denken.
Ich kenne Kanzler, die das sehr genau wussten.
Und sie beeinflussen auch das Parlament.

Wenn nun ein Verteidigungsminister einen solchen Talk-Master zu einem Frontbesuch mitnimmt, dann wohl aus Rücksicht auf die Bedeutung dieser Talk-Shows für das Denken der Menschen.
Es geht um Beeinflussung.
Es geht um Propaganda.
Im Kriegswinter 2010.
Der Verteidigungsminister selbst hat als einer der ersten deutschen Politiker das Wort „Krieg“ – anfänglich etwas schwankend mit „kriegsähnlichen Zuständen“ bezeichnet – eingeführt. Es ist deshalb die Wirkung der Bilder besonders aufmerksam zu bedenken.
Nichts ist dem Zufall überlassen.

Nun wussten bereits Churchill und Goebbels sehr genau um die Wirkung der Bilder.
Vordringliche, offensichtliche Propaganda galt ihnen als schädlich.
Vielmehr komme es darauf an, „daß der Zuschauer die Beeinflussung gar nicht merkt“ (Goebbels).
Die „indirekte Propaganda“ galt es auszufeilen. (Moeller, a.a.O. 282).

Über den Film „Zwei in einer großen Stadt“ – mein Vater hat das Lied oft am Klavier gespielt und von dem Film geschwärmt, den er als Dreizehn- oder Vierzehnjähriger im Kino sah –  äußert sich Goebbels:
„Das ist eine Propaganda, deren Triebkraft und Ursprung man nicht erkennt und die gerade deshalb umso wirkungsvoller sein wird.“ (Tagebuch vom 28.10.1941; bei Moeller a.a.O. S. 266).
Über etliche biografische Filme, die große Mediziner, Künstler, Wissenschaftler  zum Gegenstand hatten, urteilt der Propagandaminister: „Die mediale Nutzung und Ausgestaltung des „Führer“-Mythos verzichtete offiziell auf Parallelen zu Hitler, um das Publikum zu – viel wirksameren – eigenen Erkenntnissen zu animieren.“ (Moeller, a.a.O. S. 269).

Subtilität wirkt tiefer als offensichtliche Propaganda.
Das ist eine alte Erkenntnis.
Deshalb konnte Winston Churchill über den anti-deutschen Kriegsfilm „Mrs. Miniver“ sagen: „ein solcher Film ist mehr wert als sechs Divisionen“. (Moeller, a.a.O. S. 289).

Was hat das alles mit den Talk-Show-Meistern in Afghanistan zu tun?
Sehr viel.
Denn auch hier geht es um Subtilität.
Die Bilder sollen möglichst „zivil“ daherkommen.
Da sitzt der Talk-Master mit einem zivil gekleideten Verteidigungsminister wie in einem zivilen Studio – die Soldaten sind lediglich Staffage im Hintergrund – und „unterhält“ sich mit dem dem Minister „über Afghanistan“.
Die – ebenfalls zivil gekleidete – junge Ehefrau des Ministers ist wohlüberlegt mit in der Begleitung des Ministers.
Sie reist als „besorgte Mutter und Gattin“, wie man der Begleitpresse entnehmen kann.
Das „kommt gut an“ bei den Soldaten, ihren Familien und weit darüber hinaus.

Das ist Absicht.
Denn das Ziel der ganzen Inszenierung – und darum handelt es sich ja ganz offensichtlich – ist das Inland.
Die Bevölkerung in Deutschland. Die „Heimat-Front“, um ein altes Wort zu benützen.
Es geht darum, deren „Unterstützung für die Soldaten“ zu verbessern.
Denn: es ist bekannt. Die Deutschen stehen dem Afghanistan-Krieg zunehmend kritisch gegenüber.
Sie wollen mehrheitlich, daß damit so schnell wie möglich Schluss gemacht wird.

Das aber kann der Verteidigungsminister nicht gebrauchen.
Ihm liegt daran, daß das Mandat im Januar verlängert wird.
Dem dient auch die Regierungserklärung des Aussenministers vom Dezember 2010, wonach „mit dem Abzug 2011 begonnen“ werde.

Nichts ist damit klar.
Das Internationale Rote Kreuz hat gestern in einer überaus bemerkenswerten Pressekonferenz in Kabul auf die desaströse Lage im Land aufmerksam gemacht.
Die „New York Times“ berichtete noch gestern Nacht von diesem Ereignis, das deshalb so aussergewöhnlich ist, weil sich das Rote Kreuz sonst eher solcher Stellungnahmen enthält, um seine eigene Neutralität zu wahren.
Ein ehemaliger Focus-Journalist zitiert aus dieser Pressekonferenz in seinem Blog „Die Augen geradeaus“ vom gestrigen Tage:

„(Schon die Tatsache, dass das Internationale Rote Kreuz eine Pressekonferenz – in Kabul, T.W. – abhält, macht deutlich, wie sehr uns die Aussicht auf ein weiteres Jahr der Kämpfe mit dramatischen Konsequenzen für immer mehr Menschen nunmehr fast im ganzen Land bedrückt, sagt laut New York Times Reto Stocker, der Rotkreuz-Repräsentant in Afghanistan.)

In den vergangenen 30 Jahren, sagt Stocker, hatte das Rote Kreuz nie so wenig Zugang zu den entlegenen Gegenden Afghanistans – weil dort immer mehr gekämpft wird. Und das sind Regionen, in denen nicht nur das Rote Kreuz, sondern auch andere Hilfsorganisationen keinen Zugang mehr haben. Die Sicherheitslage sei so schlimm wie seit dem Sturz der Taliban vor neun Jahren nicht mehr, und nach allen anlegbaren Maßstäben – zivile Opfer, Flüchtlinge und Gesundheitsversorgung – habe sich die Situation verschlechtert. Gestiegen sei nur die Zahl der bewaffneten Akteure.

Zunehmend leidet die Zivilbevölkerung auch unter Sprengfallen, IEDs, die zwar gegen die internationalen Truppen gerichtet sind und sie auch gefährden – die Bevölkerung aber ist denen oft schutzlos preisgegeben. Genau so schutzlos stehen sie zwischen den (auch wenn der Begriff hier völkerrechtlich nicht korrekt sein mag) Kriegsparteien: Eine bewaffnete Gruppe verlangt vielleicht am Abend Verpflegung und Unterkunft, und am anderen Morgen müssen sich die Menschen rechtfertigen, warum sie dem Feind Unterschlupf gewährt haben, klagt Stocker.“

Es geht also offensichtlich bei der als „Fürsorge um die Soldaten“ inszenierten Reise des Bundesverteidigungsminister, und auch bei der Regierungserklärung des Bundesaussenministers mit seiner verharmlosenden Ankündigung, der Abzug deutscher Truppen „beginne 2011“ um etwas ganz anderes:

Es geht darum, den Deutschen beizubringen, daß der Krieg länger dauern wird.
Weshalb das Internationale Rote Kreuz

„die Aussicht auf ein weiteres Jahr der Kämpfe mit dramatischen Konsequenzen für immer mehr Menschen nunmehr fast im ganzen Land“ beklagt.

Die Chancen stehen gut, daß der Bundesverteidigungsminister sein Ziel erreicht: die „positiven Reaktionen der Truppe“ nach dem Besuch, die – BILD voran – gezielt nach Deutschland gesendet werden, werden ihre Wirkung in der Bevölkerung nicht verfehlen.
„Diese Talk-Show ist mehr wert als sechs Divisionen“ möchte man in Abwandlung des Churchill-Zitates sagen.
Diese inszenierte  „subtile Beeinflussung“ wird ihre Wirkung entfalten.
Der Protest gegen die „Kerner-Show“ wird sogar dazu führen, daß mehr Menschen diese inszenierte Sendung sehen werden. Denn die Aufregung darum war sehr groß.
Und, da der Deutsche solcherart Aufregung liebt – wird man einschalten und zuschauen.
Um sich hinterher – folgenlos – vielleicht darüber aufzuregen.

Deshalb richtet sich der Blick aufs Parlament.
Ich hoffe sehr, daß die Abgeordneten des Deutschen Bundestages dieses Spiel durchschauen.

Ich hoffe sehr, daß sie ihrer Verantwortung gerecht werden, und diesen Krieg so schnell wie möglich beenden.
Der Skandal ist weniger, daß der Verteidigungsminister mit seiner Frau und einem „embedded journalist“ in Afghanistan eine Inszenierung veranstaltet.
Der Skandal ist, daß da überhaupt deutsche Soldaten stehen.