Lesen lernen (9). Wir beginnen mit A wie „Apfel“

Lesen lernen (9). Wir beginnen mit A wie „Apfel“

Wir wollen ein Buch zusammen schreiben. Es soll heißen „Mein Alphabet-Geschichten-Buch.“ Zu jedem Buchstaben des Alphabets erfinden wir Geschichten, in denen Worte vorkommen, die mit dem jeweiligen Buchstaben anfangen.

Die erste Geschichte nun also dreht sich um den Buchstaben A.

Ich hatte mein altbewährtes kleines Diktiergerät mitgenommen und die Kinder erfanden mit Begeisterung Geschichten. Es sind Spontangeschichten.
Zunächst haben wir uns Worte überlegt, die mit A beginnen und die dann in der Geschichte vorkommen sollten. Diese Worte haben sich die Kinder auf einen Zettel geschrieben, damit sie die Worte beim Erfinden der Geschichte vor Augen hatten und dann habe ich das Mikrofon eingeschaltet. Die aufgezeichneten Geschichten habe ich inzwischen zu Hause abgetippt und werde sie den Kindern beim nächsten Mal mitbringen, damit sie erstens „ihre eigene Geschichte“ ihren Eltern und der Klassenlehrerin zeigen und zweitens, dann auch vorlesen können. Meine Hoffnung ist, daß sie dadurch ihre zum Teil wirklich massive Angst vor dem Lesen ein wenig abbauen können. Schließlich geht es ja nun nicht mehr um „irgendein Buch“, sondern um die „eigene Geschichte.“

Eine Geschichte, die mich besonders berührt hat, will ich hier eintragen, denn ich kenne in groben Umrissen die Rahmenbedingungen, unter denen das erzählende Kind derzeit lebt. Alles kommt vor in dieser kurzen Geschichte (die hörbaren Nebengeräusche übrigens, das sind die Handwerker …..). Ich hatte nach dieser Stunde den Eindruck, als hätte das Kind, das wohl zum ersten Mal seine eigene Stimme – noch dazu mit einer eigenen Geschichte – gehört hat, eine große Entdeckung gemacht: das Kind hat seine eigene Phantasie entdeckt, die es mitnehmen kann, wenn es sich mal wieder „weggeworfen“ vorkommt.
Hier nun die Geschichte vom Buchstaben A

Lesen lernen (8). Vielleicht machen wir ja ein Buch zusammen?

Lesen lernen (8). Vielleicht machen wir ja ein Buch zusammen?

Die Kinder sind bei mir in der Leseförderung, weil sie „Probleme“ haben, flüssig zu lesen und auch zu verstehen, was sie da gerade – manchmal mühsam – zusammengestoppelt vorgelesen haben. Lesen ist anstrengend für Kinder, der Vorgang, vom abstrakten Zeichen über den gelesenen Laut auch noch zu einem Sinn für das Ganze zu finden, ist sehr kompliziert und fordert das Kind enorm. Das ändert sich erst, wenn die Kinder ungefähr so schnell lesen können, wie sie sprechen. Kein Wunder also, wenn sich da der eine oder andere „Widerstand“ einstellt – das Kind „will nicht“. Die Gründe dafür sind vielfältig, häufig ist es Überforderung – das Kind soll etwas, das es noch nicht kann. Der erste Satz, den ich den Kindern einpräge, ist also: „sag nicht: ich kann nicht“. „Sag besser: ich kann noch nicht.“

Wenn es Widerstände gibt, brauchen wir Brücken, Hilfsmittel, kleine Kniffe. Wir versuchen nun, die kindliche Phantasie zu Hilfe zu nehmen, denn sie ist eine starke Ressource.
Die Idee ist simpel: Wir schreiben das Alphabet senkrecht auf ein Blatt Papier. Rechts daneben schreibt das Kind (in der Regel trainiere ich einzeln mit einem Kind) die Worte, die ihm zum jeweiligen Anfangsbuchstaben „einfallen“: Apfel bei A, auch Affe, etc. pp. Diese „Einfallsphase“ kann schon mal recht heiter sein, beim Schreiben dann wirds zwar gleich wieder mühsamer. Aber die Sache geht ja weiter.

Denn nun kann sich das Kind zum gefundenen Wort eine Geschichte ausdenken. Es kann eine völlig frei phantasierte Geschichte sein. Was zählt, sind die spontanen Einfälle. Das kann losgehen mit dem Buchstaben A und dem Satz „Eines Tages ging der Apfel in den Wald.“ Was auch immer.

Solche Kurzgeschichten nehme ich während der Stunde auf Tonband auf und schreibe sie zu Hause fix als Text auf – Lesestoff für die nächste Stunde. Das Kind liest dann seine eigene Geschichte. Wenn es will, kanns zur Entspannung auch danach die Geschichte malen.

Man kann später, wenn man will und wenn die Sache funktioniert – ich werde davon berichten -, die phantasierten Kurztexte zusammenfassen und ein „Mein Alphabet-Geschichten-Buch“ draus machen. Eltern und Großeltern freuen sich über so etwas und das Kind hat etwas sehr Persönliches, auf das es durchaus „stolz“ sein kann – ein Ergebnis der eigenen Bemühungen und der eigenen Phantasie.
Wir wollen es versuchen. Die Kinder haben Lust dazu, ich auch, Zeit kann ich dafür auch zur Verfügung stellen (Abtippen der aufgenommenen Geschichten). Ich bin neugierig, wie die Sache geht. Mein Ziel dabei: den Kindern ein Erfolgserlebnis zu verschaffen, etwas, auf das sie stolz sein können, denn da liegt der Hase zunächst im besagten Pfeffer: die Kinder trauen sich (noch) nichts zu, deshalb haben sie eine riesige Angst vor Fehlern, haben Angst vor dem Lesen und Schreiben. Angst aber ist ein schlechter Ratgeber. So ein kleines eigenes Geschichten-Buch könnte vielleicht ein wenig Abhilfe schaffen. Einen Versuch ist es wert.

Lesen lernen (7). „Das Kind ist ’schwierig'“

Lesen lernen (7). „Das Kind ist ’schwierig'“

Man hatte mir gesagt, das Kind, das ich nun kennenlernen würde, wäre „schwierig“. Wenn ich dieses Wort höre, werde ich sehr unruhig, weil ich weiß, dass das Wort wie ein Fallbeil wirken kann auf eine Kinderseele. Ich galt auch als „schwierig“. Und ich werde heute noch zornig, wenn ich ein solches Urteil höre, weil meist die Erwachsenen „schwierig“ sind und nicht die Kinder.
Man hätte „alles versucht“, wurde mir gesagt, es sei „der letzte Versuch“, wurde mir gesagt – und „wenn es nichts wird“, dann sei es halt so, dann könne man halt nichts machen.

Ach du meine Güte – was mag da wohl auf mich zukommen?

Kennenlernen also.
Da steht zunächst mal ein freundlich lächelndes Kind in der Tür.
Wir beginnen mit einem fröhlichen „Hallo“ und einem längeren Händedruck, das Kind schaut ganz verwundert, daß ich es nicht gleich loslasse, sondern stattdessen anschaue.
Dann setzen wir uns. Ein Lesebuch liegt auch auf dem Tisch – „das lesen wir gerade“ hatte die Lehrerin noch gemeint, dann hat sie uns beide alleine gelassen. Die Tür ist fest zu und das ist auch gut so, denn ich habe mir vorgenommen, erst einmal sehr aufmerksam und wach dem Kind zuzuhören, denn wenn ein Kind als „schwierig“ gilt, dann hat es meist mindestens einen sehr guten Grund dafür.

Und was ist? Gleich ganz oben auf der Seele, wir sitzen noch keine fünf Minuten beieinander, liegt da der schwere Satz:
„meine Eltern wollen sich trennen“.
Ach, Mist. Das Kind weiß nicht, wohin mit sich. Weiß nicht, was nun werden soll, weiß nicht, wohin es gehört. Das ist in der Tat „schwierig“. Das Kind zeigt wie ein Seismograph, was los ist in der Familie.
Die Lage ist „schwierig“, nicht das Kind.

Ich frage nach, will mir ein Bild machen, in was für einer Welt das Kind lebt. „Erzählst Du mir was von deinem Papa?“ Ja klar, ganz offen, freundlich, überhaupt nicht „schwierig“, offen eben, erzählt mir das Kind, wie es den Papa erlebt. Von Mama erzählt es auch und von den Geschwistern. Die sind älter. „Mama ist immer weg“ höre ich aus den Sätzen heraus und ich höre „die Geschwister haben auch keine Zeit.“
„Du bist oft allein“ fasse ich zusammen. „Ja“ sagt das Kind.

Und dann kommt ein ganz offener Satz auf mich zu, der mich beinahe umwirft wegen seiner Ehrlichkeit, wir kennen uns ja kaum:
„Willst Du wissen, wie lange ich schon alleine bin?“ fragt mich das Kind.
„Seit vier Jahren!“

Da also liegt der Hase beerdigt.
Von wegen „schwierig“.
Das Kind ist in seelischer Not, weil die Erwachsenen nicht klar kommen.

Gelesen haben wir nix in dieser ersten Stunde.
Aber wir haben uns verabredet.
„Schon nächsten Dienstag?“ freut sich das Kind.
„Ja klar, schon nächsten Dienstag! Machs gut! Bis dann!“
„Machs auch gut!“

Und raus ist das Kind. Es wird wiederkommen.
Das ist schon mal ein Anfang. Wir haben uns verabredet. Wir wollen einen Weg zusammen gehen. Ich bin neugierig, wohin er uns führt. Eins weiß ich schon sehr genau, weil ich es fühlen kann: ich werde dieses Kind verteidigen und versuchen, es in Schutz zu nehmen, so gut es geht, wenn irgendwer meint, es sei „schwierig“.

Lesen lernen (6). Sagen, was ist

Lesen lernen (6). Sagen, was ist

Pausengespräch mit einem jungen Grundschullehrer. Wir hatten uns in der Vorwoche schon gut über Methoden der Leseförderung unterhalten, heute knüpfe ich an: „Und, wie gehts bei Ihnen, alles in Ordnung?“ frage ich. „Wir haben heute einen Vergleichstest geschrieben“ erzählt er, „da wird geprüft, was die Kinder im Jahrgang eigentlich können müssten und was sie tatsächlich können und wir Lehrer bekommen ins Zeugnis geschrieben, was wir den Kindern wieder mal noch nicht beigebracht haben. Aber wir schaffen einfach nicht alles. Das ist die bittere Wahrheit.“
„Wenn ich Sie mal offen fragen darf: hier fehlen KollegInnen an der Schule, der Eindruck täuscht mich doch nicht?“
„Etwa 20 KollegInnen fehlen. Zum „Ausgleich“ aber gehen etwa 17 demnächst in den Ruhestand oder an eine andere Schule. Und damit wir nicht übermütig werden, sollen wir im kommenden Jahr statt 4 sogar 5 Erste Klassen übernehmen. Wenn Sie wissen, wie das gehen soll, bekommen Sie den Nobelpreis“ sagt er und lächelt etwas müde.
„Ich kann ungefähr nachempfinden, wie sich das anfühlt – Sie müssen alles irgendwie versuchen, damit Sie nicht untergehen“ sage ich. Die Kinder sind gestresst und nicht selten überfordert, nicht wenige kommen aus nicht einfachen familiären Verhältnissen. Manche schieben gar ihre Kinder „in die Schule“ ab, „da sollen sich die Lehrer mal drum kümmern“ und die LehrerInnen wiederum haben auch nur eine Kraft zur Verfügung, der Krankenstand ist hoch.“
„Ja, meint er, ungefähr so fühlt sich das für die KollegInnen an. Unsere Möglichkeiten reichen vorn und hinten nicht. Eigentlich bräuchten mindestens 10% unserer SchülerInnen eine gezielte Förderung, wahrscheinlich sind es sogar mehr – aber das schaffen wir schlicht nicht mehr. Deshalb ist es ja so wichtig, daß wir von den Lesepaten ein wenig Entlastung erfahren und vor allem die Kinder die individuelle Förderung und Unterstützung bekommen, die sie unbedingt nötig haben.“

Ich gehe nachdenklich nach Hause an diesem Dienstag, meinem „Lesepaten-Tag“, den ich nun schon seit einigen Wochen bei den Berliner Lesepaten absolviere. Und mir gehen jene Schreihälse durch den Sinn, die auf irgendwelchen seltsamen Demos „das Abendland retten“ wollen, aber nichts konkret dafür tun, das „Abendland“ zu retten – Eine Lesepatenschaft, das wäre sinnvoll.

Bei Instagram gibts die #lesepaten und auch die #berlinerlesepaten, auch zeigt sich der eine oder die andere bereits bei facebook. Was wir aber bräuchten, wäre eine deutlich bessere Internetpräsenz der Menschen, die sich als Lesepaten engagieren – denn wir brauchen dringend viele weitere Verbündete. In Berlin sind wir im Moment ca. 2500 Paten an etwa 300 Schulen, das genügt aber bei weitem nicht. Weshalb ich davon erzähle, wie es zugeht da draußen in der Welt der Kinder, wo man lesen und schreiben lernen soll.

In jedem Bundesland gibt es #Lesepaten. Am einfachsten sucht man zunächst „Bundesland“ plus „Lesepaten“ – dann wird man schnell fündig. In Berlin geht’s über folgenden Link weiter. Ich kann aus eigener sehr guter Erfahrung sagen: der Kontakt ging sehr schnell, sehr kompetent, das Polizeiliche Führungszeugnis war schnell da und auch bezahlt (die Paten bekommen die paar Euro erstattet) und dann gabs zeitgleich die ersten Vorschläge, welche Schule in der Nähe des Wohnortes wohl in Frage käme – und dann war schon der erste Kontaktbesuch dran. Innerhalb von vier Wochen von der ersten Mail an die Berliner Lesepaten war in meinem Falle die Sache „in Sack und Tüten“, wie man so sagt. Ich kann also nur empfehlen, den Kontakt zu suchen und aufzunehmen, man wird bestens unterstützt, damit man dann selbst andere unterstützen kann.

Lesen lernen (3). Verstehst Du auch, was du da liest?

Lesen lernen (3). Verstehst Du auch, was du da liest?

Wer als Lesepate an einer Schule mithilft weiß: da kann immer mal etwas dazwischenkommen. Da kommt beispielsweise der Schüler nicht, weil die Klassenlehrerin krank ist, weil deshalb ein Vertretungslehrer gekommen ist, der aber nicht gleich alle Vereinbarungen wissen kann. Manchmal ist auch das Kind krank und der Informationsfluss ist nicht so, wie er vielleicht sein könnte. Dann sitzt der Lesepate oder die -patin, wartet zunächst auf das Kind, nimmt sich dann ein Buch oder geht eine Runde spazieren, bis die nächste Förderstunde gekommen ist und andere Kinder erwartet werden.

Sowas ist völlig normal und kann immer mal wieder vorkommen, Menschen sind schließlich keine Automaten.

Viel interessanter ist, was inhaltlich geschieht.
In der letzten Förderstunde las das Kind überraschend gut. Das Kind glaubt aber, es könne „das“ nicht. Nun, schauen wir mal nach, ob „das“ stimmt.

Ich hatte ein einfaches Märchen der Gebrüder Grimm mitgebracht. „Das kennen wir schon, das haben wir schon mal gelesen!“ kam gleich der Spontankommentar. „Ja, das weiß ich. Lass uns den Text aber nochmal lesen, dann fällt er uns bestimmt leichter, wir kennen ihn ja schon.“
Das Kind war einverstanden. Ich merkte schnell, daß es keine rechte Orientierung im Getümmel der Schriftzeichen hatte, die Zeilen „verrutschten“, Worte gerieten durcheinander – also musste ein Blatt Papier her, das wir unter die zu lesende Zeile legen konnten. Ah, na siehste, schon ging die Sache viel leichter vonstatten.
Dann war eine zusätzliche kleine Hilfe nützlich: ein spitzer Bleistift, der auf das zu lesende Wort zeigte – auch das verbesserte den Fluss des Lesens wieder um eine weitere Nuance, die Kinderaugen konnten besser fokussieren, um welche Zeichenansammlung, also, um welches „Wort“ es ging.
Für schwierige Worte hatte ich einen „Leseroboter“ vorbereitet: einen gemalten Klingelknopf, auf den das Kind im Notfall drücken konnte – dann las der „Leseroboter“ das schwierige Wort – ich also. Aber, wir brauchten den gar nicht, denn die Sache lief von ganz alleine recht flüssig. Und nach etwa einer Viertelstunde war die Seite gelesen. Aaaaaaber:

Das Kind verstand gar nicht, was es da eigentlich gelesen hatte!
Wir üben das nach jedem gelesenen Satz: „Kannst Du mir sagen, was wir da gerade gelesen haben?“ Kopfschütteln nach jedem Satz. Das Kind wusste reineweg gar nix.
Also erzählte ich den gelesenen Satz nach, damit das Kind mitbekam, wovon überhaupt die Rede ist. Mir dämmerte langsam, was mir eigentlich längst hätte klar sein müssen:

Da ist ein garstiger Graben zwischen a) dem abstrakten Zeichen auf dem Papier b) dem Klang dieser Zeichen und c) dem Umstand, dass diese Zeichen auch noch eine verflixte Bedeutung haben! Ein gewaltiger Graben tut sich da auf, der schwer zu überwinden ist!
Ich musste bei erfahrenen Pädagogen nachfragen, was da eigentlich in einem Kind, das Lesen lernt, vor sich geht.

„Ja, das ist ein großer Graben zwischen Lesen und Verstehen“ bestätigten mir alle Lehrer, mit denen ich darüber sprach. „Du mußt Dir vor allem eines klar machen: wenn das Kind einem relativ fremden Menschen gegenüber (also Dir als Lesepaten) einen Text liest, dann aktualisiert sich in seiner Emotionswelt alles an Enttäuschungs-Erfahrung, was dieses Kind schonmal erlebt hat. Es bekommt Angst, will auf gar keinen Fall „Fehler machen“, es strengt sich richtig an – und kommt unter enormen Stress, es will auf gar keinen Fall hören, was es schon so oft gehört hat: „Du kannst das nicht“; „Du lernst das nie“, „Was soll bloß aus Dir werden, wenn du nicht mal lesen kannst…..“ All das, was ein Kind, das besonders gefördert werden muss, schon hundertmal gehört hat. Wer aber unter solch enormem Stress liest – der kapiert gar nix. – Das Wichtigste ist also: sorge für Entspannung.“

Guter Tipp! „Sorge für Entspannung“. Das lässt sich einrichten. „Hier gibts keine Zensuren“; „hier sind wir nur ganz für uns und können uns Zeit lassen“; „wir können hier ganz einfach und ganz ohne Druck lesen und wenn mal was nicht gleich gelingt, ist das überhaupt gar kein Problem…..“
Und: „Lass das Kind wirklich kurze Sätze lesen. Das gibt ihm Erfolgserlebnisse – diese Erfolgserlebnisse stärken das Selbstvertrauen und helfen, sich weiter mit dem Lesen zu beschäftigen.“

Guter Tipp! „Verwende zunächst wirklich kurze Sätze“.
So lernen wir uns kennen, das Kind und ich.

„Du wirst sehen – irgendwann, keiner weiß den Zeitpunkt genau – wird das Kind auch verstehen, was es da gelesen hat. Hab Geduld!“

Guter Tipp! „Hab Geduld“. Denn die Aufgabe, abstrakte Zeichen mit Klängen zu verbinden und das alles dann auch noch mit einer Bedeutung zu versehen – das ist wirklich eine gewaltige Aufgabe.
Ich spüre, wie mein Respekt vor den Kindern wächst, die sich mit dieser gewaltigen Aufgabe abplagen. Vielleicht kann ich ihnen ja ein wenig Unterstützung geben, wenn es bergauf geht.

Lesen lernen (3). Vergiss Deinen Plan und höre erst mal zu

Lesen lernen (3). Vergiss Deinen Plan und höre erst mal zu

Natürlich überlege ich mir vor der Übungs-Stunde, was ich mit dem Kind in der Lese-Übungs-Stunde machen könnte, um es zu unterstützen. So langsam kann ich ja die Stellen sehen, die einer Unterstützung bedürfen. Also hatte ich mir überlegt, wir könnten mit einem Spiel beginnen: Einsilbige Worte finden, die ich in Großbuchstaben auf ein Blatt schreibe und die wir anschließend gemeinsam lesen. Dann kommen zweisilbige, dreisilbige und so weiter. Während dieser Übung, bei der wir „Einfälle“ suchen, kann das Kind malen, das macht es gern, wenn es aufgeregt ist. Malen entspannt das Kind, das war schon zu bemerken.
„Kannst Du mir einen Baum malen? Den male ich dann aus“.
Ok, ich male also mit dem Bleistift die Umrisse eines Baumes.

Wir sammeln Worte, das Kind malt – und da liegt das „Thema des Tages“ ganz oben auf:

Beginnen wir ganz rechts: “Oh“ sage ich, als das Kind sagt „guck mal“. „Der Baum ist ja ganz schwarz!“ „Das ist ein Gruselbaum“ erfahre ich. „Und was ist das Kleine gleich daneben?“
„Das ist ein Killer. Das ist der Kettensägenmann“.
„Und neben dem Kettensägenmann, was ist das?“
„Das ist ein Kind. Die Haare gehen so hoch, weil er Angst hat. Der macht so: guck mal“ – und das Kind schließt die Augen und öffnet den Mund ganz weit und sagt dann: „wie bei einem Totenkopf, guck mal, so“ – und malt ganz links in das Bild einen Kopf mit zwei Kreuz-Augen und einem großen Mund – „wie bei einem Totenkopf“.
„Das ist aber ganz schön gruslig“ sage ich. Der große Gruselbaum und der Kettensägemann und das Kind mit der großen Angst – ist auf dem Bild vielleicht auch ein Vogel oder eine Blume?“

„Na gut“ sagt das Kind und malt einen blauen Vogel und eine blaue Blume und erklärt mir dann: „die Blume, die schreit – die ist ein Mensch und eine Blume – alles gleichzeitig. Aber die Blume hat die Zunge so – guck mal“ – das Kind zeigt mir einen Mund mit einer Zunge die an die oberen Zähne anschlägt – „Aber so kann die Blume doch gar nicht sprechen!“ sage ich. „Stimmt“ sagt das Kind. „Die Blume ist ein Mensch und eine Blume – alles gleichzeitig“.

Ich höre zu, versuche aufmerksam zu sein. Dieses Kind ist übervoll mit Angst. „Gestern hat mich einer geschubst und in den Rücken getreten, da bin ich hingefallen und mein Daumen war so – guck mal“. Eine Schramme am Bein gibts auch, wie mir gleich vorgeführt wird. „Tut aber nicht mehr weh“ war der Kommentar.

Da sitzt ein Kind neben mir, das Lesen lernen soll.
Aber die Seele ist mit etwas ganz und gar anderem beschäftigt – mit dem „Gruselbaum“ nämlich und mit dem „Killer“ und mit der „Blume, die ein Mensch ist und alles gleichzeitig.“

Ich höre zu. Ich rede ihm nichts aus. Ich lasse das Kind malen und erzählen. Da muss erst mal etwas „zur Sprache gebracht“ werden. Bevor die Angst nicht gesehen und angenommen wird, lernt das Kind gar nix. Geht ja nicht, wenn die Seele mit etwas anderem beschäftigt ist, das ganz oben auf liegt.

Später - die Stunde ist beinahe herum, wir haben eine Menge Worte gefunden, aufgeschrieben und gelesen, lese ich aus Irina Korschunows „Schulgeschichten“. Ich lese Satz für Satz und frage das Kind, ob das stimmt, was da steht. Ich lese zum Beispiel: „Viele Kinder gehen gern zur Schule. Aber es gibt auch Kinder, die Angst vor der Schule haben.“
„Stimmt das?“ frage ich.
Und das Kind antwortet: „Schule ist Kackwurst!“

Ich merke in dieser Stunde etwas Wichtiges: wenn du einem Kind das Lesen beibringen willst, dann höre zunächst einmal zu, was das Kind dir zu erzählen hat aus seinem Leben. Danach wird es bereiter sein, dir bei den Übungen zu folgen. So war es ja dann auch: wir haben zusammen Wörter gesucht, aufgeschrieben, gelesen. Das ging dann recht flott. Allerdings war die Konzentration nach einer halben Stunde dann auch schon wieder zu Ende, die Batterie der Aufmerksamkeit war schon wieder alle – deshalb gibts immer ein paar vorgelesene Sätze zum Schluss.
Wir werden mit den Bildern weiterarbeiten, denn der erste Satz heute hat mich dazu ermutigt. Wie sagte doch das Kind bei der Begrüßung: „Hast Du mein Bild von der letzten Stunde mit?“ Ja, hab ich.
Mal sehen, was Du beim nächsten Treffen malst, bevor wir lesen.

Ach ja, eins noch: wir suchen dringend nach weiteren Lesepaten. Am besten meldet man sich über die Berliner Lesepaten an, die wissen dann, wie es weitergeht. Lesepaten gibt es auch in anderen Städten.

Lesen lernen (2)

Lesen lernen (2)

Heute nun war die „Kennenlern-Stunde“, ich hab die Kinder zum ersten Mal gesehen. Ich war aufgeregt, doch, das war ich, obwohl es eigentlich keinen Grund gibt, schließlich sind 6 Enkel in der Familie und man hat so seine Erfahrungen miteinander. Man merkt ja schnell, ob man sich sympathisch ist, oder eher nicht; mit Kindern geht das ganz besonders schnell, ob es „klappt“ mit dem Kontakt, oder ob es eher „schwierig“ werden würde. Und selbstverständlich wollte ich, daß wir guten Kontakt finden.

Ich bin jedenfalls sehr viel sicherer wieder nach Hause gefahren: es hat „geklappt“, wir werden miteinander etwas machen können, was den Kindern möglichst hilfreich sein soll.

Erste Stunde also: kennenlernen. Wie geht das? Na, ein paar Fragen stellen zum Beispiel. Und etwas von sich selber erzählen. Der Job des Lese-Paten besteht dann vor allem und zunächst darin, sehr genau zu hören -auch auf die Botschaften „unter“ der gesagten Botschaft.

Da merkt man zum Beispiel eine „Konzentrationsschwierigkeit“. Das Kind wird schon nach 30 Minuten unruhig, steht auf, geht vom Tisch weg, will nicht lesen. Das Kind malt gern, während es einer Geschichte (natürlich wird auch etwas vorgelesen!) zuhört, offenbar malt es, um zu entspannen, Stress abzubauen. Und die Nachfrage: „Du malst gern? Was ist denn dein Lieblingsfach in der Schule?“ „Kunst“ ist die Antwort. Und dann kommt: „Aber ich gehe nicht gerne zur Schule.“

Da also klemmt die Säge und damit werden wir uns natürlich zu beschäftigen haben, denn die Gründe, weshalb das Kind „nicht gern in die Schule geht“, können sehr vielfältig sein. Wenn es aber „nicht gern in die Schule“ geht, wird es auch nicht gern lesen lernen. Wir haben nun verabredet, daß wir jedes Mal, wenn wir uns treffen, an dem heute begonnenen Bild weitermalen, zwischendurch etwas lesen (auch gern mal im Wechsel: jeder einen Satz), dann gibts etwas vorgelesen. Dann lesen wir wieder etwas. Immer im Wechsel. Und das Bildermalen wird uns eine Brücke sein, denn so eine Stunde kann sehr lang sein und wer eigentlich „nicht gern in die Schule“ geht, wird dann schnell unruhig, zappelig, möchte lieber „mit dem Handy spielen, aber das darf man hier ja nicht.“ Nee, besser ist es, das Ding auch mal auszulassen, das stimmt. Aber, wir werden zurecht kommen miteinander, da bin ich sicherer als vorher.

Andere wiederum beginnen damit, dass sie „eigentlich nicht lesen wollen“, signalisieren also Unsicherheit, vielleicht sogar einen Widerstand, dann aber stellt sich heraus, dass es mit dem Lesen eigentlich schon recht ordentlich geht und im Laufe der Stunde stellt sich dann auch heraus, daß es Schwierigkeiten mit den „Lernworten“ gibt. Ok. Da können wir ansetzen und üben helfen. Das Lesen jedenfalls – ich hatte einen sehr einfachen Text von den Gebrüdern Grimm, das Märchen vom „Süßen Brei“ mitgebracht – lief sehr viel besser als befürchtet und es wurde schon bald deutlich, wo der Haken beim Lesen liegt: Umlaute und „Mischlaute“ wie „sch“, „ch“ wie in „Licht“ oder „ch“ wie in „Krach“. Zweimal steht da „ch“ und trotzdem wirds verschieden gesprochen. Knifflige Sache.

So aber kommen wir zueinander. Ich verstehe meine Unterstützung als Lese-Pate so: zunächst einmal sehr genau hinschauen, hinhören, aufmerksam sein – um herauszufinden, wo denn eigentlich das „Leseproblem“ liegt. Und dann üben wir natürlich.
Übrigens gilt: Spaß darf ruhig dabei sein. Wie sagte kürzlich einer der Enkel zu mir: „Mathe kannst du nicht so gut, aber Witze kannste gut.“ Na, wenn das kein Lob ist. Ich freu mich jedenfalls auf die nächste Begegnung in der kommenden Woche. Und ich bin gespannt darauf, wie das mit dem Lesen-Lernen eigentlich genau vonstatten geht.

(p.s.: wer die Beiträge zu meiner Lese-Patenschaft auf einen Blick lesen möchte, kann die neu eingefügte Kategorie „Lesen“ abonnieren, dort jedenfalls werden sie einsortiert.

Anmerkung 2: die Handys übrigens führen nicht dazu, daß Kinder Lesen lernen, eher im Gegenteil. Wie ich heute gelernt habe, verabreden sich Drittklässler zwar per Handy – aber eben nicht mit dem getippten Wort, sondern mit einer VoiceMail. „Mein Handy schreibt den Text, den ich hineinspreche“ sagte mir einer meiner Schützlinge. Deshalb ist es gut und richtig, die Handys in der Schule oder im Lese-Unterricht draußen zu lassen.) Erst muss man die Grundkompetenz wirklich erlernen – dann erst kommt das Handy. Schweden hat deshalb die Digitalisierung an Schulen auch wieder etwas reduziert, man hat bemerkt, daß die Lese- und Schreibkompetenz der SchülerInnen nachließ.

Lesen lernen. Lese-Pate werden. (1)

Lesen lernen. Lese-Pate werden. (1)

Die letzte PISA-Studie hat gezeigt: die Lesekompetenz deutscher Schülerinnen und Schüler hat weiter nachgelassen. Wer aber nicht richtig lesen kann – und versteht, was er liest – der ist im Nachteil in allen anderen Bereichen. Lesen ist eine ganz zentrale „Grundkompetenz“. Wenn es da hapert, hapert es woanders auch.

Weshalb ich mich bei den Berliner Lesepaten gemeldet habe, um ein wenig zu helfen, daß Kinder, denen das Lesen aus verschiedensten Gründen nicht leicht fällt, Unterstützung bekommen. Der Kontakt kam – via Email – sehr schnell zustande, noch vor Weihnachten hatte ich das Große Polizeiliche Führungszeugnis im Briefkasten (man beantragt es beim Bürgeramt, die Kosten für die Lesepaten übernimmt das Amt), eine für mich passende Schule war ausgewählt und ein erster Kontakt zur Schule hergestellt.

Heute nun war ich zum ersten Mal in der Feldmark-Schule im Norden Lichtenbergs im ehemaligen barnimschen Dörfchen Falkenberg, das mittlerweile ein gewaltiges Neubaugebiet geworden ist. Hochhäuser, Neubaublocks, wohin man schaut, ich kann bequem mit der Straßenbahn dorthin fahren.

Die Feldmark-Schule liegt nicht mitten im Wohngebiet, sondern recht hübsch ganz am Rand der Falkenberger Krugwiesen, einem Naturschutzgebiet am Rande der Stadt. Man kann von hier aus sehr angenehm mit dem Rade nach Brandenburg hinein radeln, der Barnim beginnt hier und die Uckermark ist auch nicht weit.

Frau Schock ist an der Feldmark-Grundschule die Koordinatorin für die Berliner Lesepaten, sie war vor Jahren als Journalistin u.a. für die „Deutsche Welle“ unterwegs, wollte dann aber, wie sie mir sagte, „nochmal etwas Sinnvolles tun“ und hat sich als Seiteneinsteigerin für den Schuldienst gemeldet. Jetzt kümmert sie sich um die Lese-Paten. Ich frage sie, wie eine Schule an die Paten „herankommt“. „Das ist gar nicht so einfach“ sagt sie, „die Schule muss sich bewerben und der Bedarf ist sehr viel größer, als er im Moment gedeckt werden kann. Sie werden bald merken, was los ist.“

Das gilt auch für die Feldmark-Schule. Im Moment helfen drei Lese-Paten (jeweils für mehrere Kinder) – aber: „Wir könnten sehr viel mehr gebrauchen“, sagt Frau Schock.

Ich verabrede mit ihr, über meine Erfahrungen mit der Lese-Patenschaft zu schreiben. Damit noch andere ermutigt werden, „nochmal etwas Sinnvolles zu tun“ – und Lesepate werden. Für mich geht es am kommenden Dienstag los. Ich werde drei Kinder aus einer Zweiten und einer Dritten Klasse kennenlernen. Und dann schauen wir mal, ob wir gemeinsam was Gutes gebacken bekommen.

Übrigens: wer Lesepate werden möchte – zum Beispiel an der Feldmark-Grundschule in Falkenberg, der kann sich – über die Homepage der Schule – direkt an Frau Schock wenden. Sie regelt dann alles Weitere.