Drei Jahre Arbeit sind nun zu Ende. Die Recherchen über Franz Mueller-Darss, den „Forstmeister“ vom Darss und engen Kumpan von Heinrich Himmler und Hermann Göring, den Kadetten von Plön und Lichterfelde, den dreimal verheirateten festangestellten Mitarbeiter des BND, hinter dem die Staatssicherheit her war – all das ist nun abgeschlossen. Viele Dokumente haben sich finden lassen und lagern nun in meinem Archiv. Ein Teil davon ist im Buch gelandet, das heute am 19. Januar 2022 fertig geworden ist und seinen Weg machen wird.
Keine Ahnung, ob es Reaktionen auf das Buch geben wird, keine Ahnung, was für Reaktionen das sein werden. Wenn ein Buch fertig ist, dann ist es, als wenn ein Kind auszieht und seine eigenen Wege geht. Man ist nun aber mit dem Stoff dauerhaft verbunden. Wer nach „Mueller-Darss“ recherchiert, wird nun auch auf meinen Namen stoßen. Das ist seltsam, beinahe unangenehm, denn Mueller war ein SS-Bonze, mit dem ich eigentlich nichts zu tun haben möchte. Allerdings habe ich dennoch mit ihm zu tun und mit der Generation der Großväter und Großmütter, der er ja angehört hat und die hauptsächlich verantwortlich sind für jene verheerenden 12 Jahre, die mit dem Stichwort „Nationalsozialismus“ nur unzureichend bezeichnet sind.
Diese Verbindung bleibt nun und das entspricht ja im Kern auch mindestens einem Teil der Wahrheit, denn meine Generation, die Generation der jetzt Mitte sechzig Jährigen, bleibt ja verbunden mit der Generation der Großväter und zwar vermittelt durch die Generation der Kriegskinder, zu denen meine Eltern gehörten. Es ist ja alles noch da in den Familien, wenn man auch nicht darüber redet.
Allerdings: je weniger man darüber redet, um so wirksamer sind diese Sachverhalte. Erst, wenn „der Name genannt“ ist; erst, wenn das „Zauberwort ausgesprochen“ wurde – öffnet sich die Tür. Deshalb sind Bücher zur Vergangenheitsklärung nach wie vor wichtig. In diesem Falle ist es eine Art Täter-Biografie geworden. Mueller gehört zu jenen, denen man einen direkten Mord nicht nachweisen kann, wenn auch die Gräben schon ausgehoben waren, in die die russischen Kriegsgefangenen dann fallen sollten nach ihrer Erschießung in Born auf dem Darss. Aber er gehört zu jenen Profiteuren des Nationalsozialismus, denen es egal war, ob es Russen, „Zigeuner“ oder Zeugen Jehovas waren, die ihm dienten. Mueller unterhielt im Forsthaus in Born mit den vier Zeuginnen Jehovas, die ihm dienen mussten, eine Art „privates Häftlingslager“, wie es andere SS-Obere auch hatten. Er war vor allem an einem interessiert: an seinem persönlichen Fortkommen. Dafür hat er all die Verbindungen weidlich ausgenutzt, die sich ihm durch die Gelegenheit boten, hochrangige Persönlichkeiten aus Berlin zur Jagd auf dem Darss einladen zu können. Mueller war am Ende des Krieges der ranghöchste Amtsleiter im SS Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt im Range eines Generalmajors. Das hat er sich noch im Januar 1945 schriftlich geben lassen, man konnte ja nicht wissen, ob das mal für die Rente gut sein würde. Und später beim BND war es genau so: seitenlang geht das in den Akten, wenn er um Pension und Einkünfte feilscht. Diese Karrieristen, die, im Kaiserreich in den Kadettenanstalten Plön und Lichterfelde gedrillt und zu unbedingtem Gehorsam erzogen – diese Karrieristen, denen der „Korpsgeist“ der SS über alles ging – die waren die Träger des menschenverachtendsten politischen Systems, das die Erde bisher gesehen hat. Um all das geht es im nun vorliegenden Buch anhand der eingesehen Aktenbestände aus dem Bundeshauptarchiv (SS-Personalakte), dem Landeshauptarchiv Hamburg (Entnazifizierungsakte); dem Archiv der ehemaligen Staatssicherheit (Außenstelle Rostock) und dem Archiv des Bundesnachrichtendienstes. Was ich finden konnte, habe ich ausgewertet und aufgeschrieben.
Das nun vorliegende Buch soll vor allem eines sein. Eine Erinnerung an die Häftlingsfrauen, die in Born schuften mussten, an die Sinti und Roma-Mädchen, die Zingst, in Wieck und in der INähe von Prerow die Sommerernte einfuhren und im Winter Schilf schneiden mussten und an die über 100 russischen Kriegsgefangenen, von denen wir nicht mal die Namen wissen.
Für sie habe ich dieses schriftliche Denkmal gesetzt. Damit man sie nicht vergisst.
Projekt abgeschlossen. Projekt abgeschlossen? Nein. Mit dieser Geschichte wird man nicht „fertig“ wie mit einer Tasse Kaffee oder einem Stapel Holz, der zu hacken ist. Diese Geschichte geht weiter. Sie geht weiter mit der Generation der Kriegskinder. Meine Eltern gehörten dieser Generation an.