Wenn euch jemand befiehlt „Helm auf!“ – nehmt den grünen.


Als mich Dr. Rupert Neudeck vor einigen Jahren fragte, ob ich für das Kuratorium der Grünhelme zu gewinnen sei, habe ich ihm sofort zugesagt.
Der Grund dafür war simpel:
Das Kuratorium ist überkonfessionell und überparteilich zusammengesetzt.
Und wir brauchen dringend Menschen, die Gräben zuschütten.
Menschen, die Gräben ausheben und vertiefen, gibt es schon genug.
Die Grünhelme folgen einer alten Idee von John F. Kennedy. Es geht darum, in Krisengebieten mit kleinen Aufbauteams, die möglichst überkonfessionell zusammengesetzt sind, konkrete gemeinsame Aufbauarbeit zu leisten: Schulen, Krankenhäuser, feste Böden für Zelte (wie gerade in Idomeni), Ausbildung von Handwerkern.

Wenn man in diesen Tagen die Nachrichten aufmerksam liest und sich auf die Seele fallen lässt, könnte man verzagen. Denn diejenigen, die von „Abgrenzung“ oder gar „Ausgrenzung“ reden, sind viel  zu laut.
Die Eine Welt braucht aber vor allem Zusammenarbeit, nicht Auseinandersetzung.
Und deshalb sind die Grünhelme nötiger denn je.
Ich habe eine sehr große Achtung vor den jungen Menschen, die als Tischler, Maurer, Elektriker und aus anderen Gewerken einfach „raus gehen“. Für drei Monate zunächst. Für ein Taschengeld und eine kleine Versicherung.
Das sind Menschen, die brauchen keine „Selfies“, weil sie für andere Menschen in Not konkret anpacken.
Das sind Menschen, die reden auch nicht lange, sondern packen an.
Einige von diesen besonderen jungen Menschen habe ich persönlich kennengelernt bei einem Workshop der Grünhelme in der Nähe von Bonn vor einigen Jahren. Und mir hat die unaufgeregte, konkrete und sachliche Art sehr gefallen, mit der diese jungen Leute da ihre Aufgabe wahrnehmen.
Freiwillige allesamt.
Da ist keiner, der ein „Amt“ will, keiner, der die Öffentlichkeit sucht.
Keiner, dem es um Selbstdarstellung ginge.
Bescheidene, engagierte, gut ausgebildete junge Leute, Handwerker zumeist, die ihre Gaben und Fähigkeiten für eine gemeinsame Sache zur Verfügung stellen, die Gräben zwischen Religionen und Konfessionen überwinden durch konkrete, gemeinsame Arbeit.
So kann Frieden wachsen.
Und diese jungen Leute geben mir Hoffnung.
Deshalb unterstütze ich die Grünhelme gern. Und ich wünsche mir, dass der Kreis der Unterstützerinnen und Unterstützer weiter wächst.
Man findet sie nicht nur über ihre Homepage, sondern natürlich auch auf facebook.
Und: Weitersagen hilft ihnen.

Besondere Menschen. Eine Erinnerung an Klaus-Peter Hertzsch


Für mich ist er einer dieser wenigen besonderen Menschen, die einem im Leben begegnen.
Dieser zierliche, beinahe blinde kleine Mann mit den von Krankheit gezeichneten Händen und der zarten Jungen-Stimme.
Als mich gestern die Nachricht von seinem Tode erreichte – tauchten sofort Bilder auf. Bilder aus vergangenen Tagen, über ein Vierteljahrhundert liegen sie zurück und sind doch so gegenwärtig. Das Studium an der Friedrich-Schiller-Universität im schönen thüringischen Städtchen Jena unter den Bedingungen der Diktatur. Ich war von Naumburg gekommen, um bei ihm zu lernen.
Er hatte „etwas zu sagen“, etwas von der Sprache und etwas von der Hoffnung.
Als erstes kam die Erinnerung an seine zierliche Gestalt und die große Brille, die er brauchte, wenn er mal – was selten vorkam – etwas ablesen musste. Meistens sprach er auswendig. Sein phänomenales Gedächtnis habe ich immer bewundert. Egal, welches Lied angestimmt wurde – er konnte es auswendig. Früh schon hatte ihn seine Augenkrankheit gezwungen, zu improvisieren. Lesen war schlecht – aber auswendig lernen, das war möglich.
Und dann war da seine Stimme. Diese stets lächelnde, beinahe verschmitzte, oft hintergründige, zarte Stimme.
Wenn er ans einfache Pult trat im größten Raum der „Sektion Theologie“, wie das damals noch hieß, der überfüllt war von Menschen, die die Professor-Ibrahim-Straße aus der dunklen Stadt hinaufgestiegen waren, um ihm zu lauschen, wenn er vortrug. Ging da ans Pult, rückte mit der linken Hand die große Brille zurecht, schwieg einen Moment und begann. Und vom ersten Moment an hatte er uns gepackt, ergriffen, angefasst, berührt.
Vorlesungen über Literatur, die selbst Literatur waren. Gesprochenes Wort, Rede. Ja. Und doch druckreif. Erzählend, packend auch, heiter nicht selten und immer eröffnend. Eine Welt ging mir auf und nicht nur mir, das weiß ich von vielen, die bei ihm auch gelernt haben.
„Schattenland. Ströme“. Johannes Bobrowski und Max Frisch, Christa Wolf und andere. „Unsere Sprache ist klüger als wir“. „LTI“ von Klemperer haben wir gelesen – und daneben lag das „Neue Deutschland“. „Achtet auf die Sprache!“
Die Welt des in Verantwortung gesprochenen Wortes, die er hat er zugänglich gemacht, hat die Türen dahin geöffnet und die Ohren aufgeschlossen für DAS WORT, um das es ihm in allem, was er schrieb und sprach, immer zu tun war.
Erzählkurse gehörten zur Ausbildung. Wir sollten erzählen lernen. Ins gemütliche Dörfchen Tautenburg sind wir gefahren, um zu wandern, gemeinsam zu essen und – erzählen zu lernen.
Und: „Wenn es Ihnen schon möglich ist: legen Sie ihr Manuskript beiseite. Predigt ist Rede, nicht Lese……“
Weshalb wir erzählen lernen sollten?
Seine Antwort: „die angemessene Form, sich dem Geheimnis zu nähern, ist die Erzählung“.
Das war eine Theologie, die mich im Kern berührt hat, dazu hatte ich unmittelbaren Zugang. Das Buch der Bücher erschloss sich auf ganz neue Weise, wurde zum Lehrmeister, zum begehrten Studienobjekt.
Vielen anderen ging es ebenso.

Nun ist er gestorben. Prof. Dr. Klaus-Peter Hertzsch. Ein großer Lehrer. Ein Stiller im Lande, auf den man aber gehört hat, der geprägt hat, der Hoffnung gegeben hat, der uns hingewiesen hat auf die Große Hoffnung, auf die wir zugehen. Nicht nur im kleinen Thüringen, sondern in ganz Deutschland und weit darüber hinaus.

Bei youtube gibt es eine kleine Dokumentation über Ausschnitte aus seinem Leben. Darin sagt Klaus-Peter Hertzsch: „Es ist schön, wenn man einem sterbenden Menschen sagen kann: Auf Wiedersehen. Das ist tragender Glaube.“

Ich sage das nun: „Lieber Professor Hertzsch, ich bin sehr dankbar, dass wir uns begegnet sind. Und ich bin dankbar dafür, dass wir einen für mich sehr wichtigen Abschnitt unserer Lebenswege gemeinsam gegangen sind. Auf Wiedersehen.“

Ich wünsche nicht, dass „idea“ weiterhin mit meinem Geld unterstützt wird


Idea“ ist eine Nachrichtenagentur. Sie nennt sich „christlich“. Aber daran bestehen berechtigte Zweifel. Die Agentur äußert sich regelmäßig und überaus klar gegen die „EKD“ (Evangelische Kirche in Deutschland), und gegen „die Landeskirchen“. Besonders ärgerlich sind ihre klar anti-muslimische Grundhaltung, die in zahlreichen Texten deutlich wird und eine Instrumentalisierung der Not der zahlreichen Flüchtlinge in Europa für ihre  anti-muslimischen Ansichten.
Die EKD unterstützt – bislang – diese Agentur dennoch mit etwa 130.000 Euro.
Ich möchte, dass sich das ändert.
Ich möchte nicht, dass die EKD diese Agentur aus meinen Kirchensteuerbeiträgen weiterhin unterstützt.
Denn:
„idea“ unterhält Kontakte zur rechtsextremistischen „Jungen Freiheit“ (vgl. dazu den unteren Textabschnitt im oben verlinkten wikipedia-Text zu „idea“).
Sie fällt in etlichen Beiträgen durch einen hetzerischen Tonfall auf. Auf ein extremes Beispiel gehe ich gleich noch ein.
Es hat mehrere kritische Gespräche zwischen der EKD und „idea“ gegeben.
Dennoch wird die Agentur weiterhin finanziell unterstützt. Die EKD tut das – vermutlich – aus Rücksicht auf einige wenige konservative christliche Gruppen, für die „idea“ schreibt. Man kann das – bis zu einem gewissen Grade – als Noblesse der EKD gegenüber ihren Kritikern verstehen.
Wenn allerdings Texte wie „Ein blutiges Ausrufezeichen nach der EKD-Synode“ verbreitet werden, dann ist für mich der Rubicon überschritten.

Deshalb bitte ich die Synodalen der EKD-Synode, insbesondere diejenigen unter ihnen, die sich mit den Finanzen der EKD befassen, die weitere Finanzierung von „idea“ einzustellen.

Ich möchte nicht, dass die EKD diese Agentur aus meinen Kirchensteuerbeiträgen weiterhin unterstützt. Und ich vermute nicht ohne Grund, dass andere Kirchensteuerzahler meine Auffassung teilen.

Mittlerweile (nach etwa 3 Stunden nach Erscheinen dieses blog-Beitrags) hat idea den zitierten Text von seiner Homepage entfernt. Auch die Seite der Evangelischen Allianz, auf der der Text nicht nur verlinkt, sondern auch abgebildet war, hat ihn entfernt. Ich weise deshalb nun auf einen Text hin, der mich gestern erreicht hat und der maßgebliche Zitate aus dem kritisierten idea-Beitrag enthält, damit man sich – zumindest in gewissen Restbeständen – anhand des Textes eine eigene Meinung bilden kann. Man findet ihn hier.

Am 17. 11. 2015 etwa mittags publizierte idea diesen Text:

idea

4 Std. ·

STELLUNGNAHME
idea hat einen Kommentar des Theologen und Journalisten Dr. Uwe Siemon-Netto veröffentlicht. Der Beitrag hätte in dieser Form nicht publiziert werden dürfen. Dafür entschuldige ich mich!
Ich habe veranlasst, dass dieser Kommentar nicht in ideaSpektrum veröffentlicht und aus dem Netz genommen wird. Er ist leider in seiner Wortwahl und in seinem Vergleich unangemessen und falsch.
Helmut Matthies, Leiter der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar)

Mittlerweile (18.11.2015; 18 Uhr) hat mich via facebook dieser Text erreicht, den ich hier – der Vollständigkeit halber auch einstelle. Man findet darin auch den kompletten, von mir kritisierten Text:
Uwe Siemon-Netto
16 Std. · Laguna Woods ·
An meine deutschsprachigen Leser: Den folgenden Kommentar schrieb ich letzten Sonnabend für Idea. die Präses der EKD-Synode, Irmward Schwätzer, drohte daraufhin dem idea-Chefredakteur Helmut Matthies mit einer Klage vor dem Deutschen Presserat.Daraudfhin distanzierte sich Matthies, ohne mich zu unterrichten, von diesem Beitrag, den er selbst bestellt und abgesehnet hatte.
Unten der Kommentar, dann mein Rundschreiben
Ein blutiges Ausrufzeichen nach der EKD-Synode
Uwe Siemon-Netto
Zwischen Bremen und Paris liegen 651 Kilometer Luftlinie. Blicken wir aber auf das, was fast zeitgleich in diesen beiden Städten geschah, dann scheinen sie in verschiedenen Universen zu liegen. Oder doch nicht? Das Massaker von Paris steht wie ein blutiges Ausrufzeichen hinter dem Gutmenschenkitsch, den sich Teile der EKD-Synode in punkto Islam gönnten. Man ist versucht, Psalm 2,4 zu zitieren: „Aber der im Himmel wohnet, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer.“ Da konstatierte doch der Bischof Markus Dröge vor der Synode seiner Kirche in Berlin, dass Christen Muslime nicht zum „Missionsobjekt“ machen dürften; da hatte zuvor schon eine Oberkirchenrätin aus Düsseldorf auf die Frage nach der Aktualität des Missionsauftrages Jesu geantwortet, man dürfe den Muslimen doch jetzt nicht auch noch den Glauben wegnehmen. Wir möchten mit Gott lachen aber können es nicht. Eher passt die Reaktion des Berliner Malers Max Liebermann (1847-1935) auf eine andere Form von Totalitarismus: „Ick kann janich so ville fressen wie ick kotzen möchte.“
Der Bischof, die Oberkirchenrätin und die ihnen zunickenden EKD-Quietisten seien gefragt: Wann haben Sie das letzte Mal in den Koran geblickt? Wann in die Zeitungen, die seit Jahren über die Gräuel des Islamismus berichten: wie er Andersgläubige köpft, kreuzigt, vergewaltigt, entführt? Das war alles weit weg. Jetzt geschieht es nur 651 Kilometer von Bremen entfernt. „Dieser Anschlag… meint uns alle und trifft uns alle“, sagte Angela Merkel, und sie hatte Recht.
Ach, das war alles nicht im Sinne des Erfinders? Doch, Herr Bischof, Frau Oberkirchenrätin! So steht’s im Koran. Entsinnen Sie sich noch aus Ihrem Theologiestudium des sola scriptura-Imperativs? Die Heilige Schrift ist der höchste Maßstab aller Lehre und Praxis. Nun ermahnt die heilige Schrift der Muslime diese aber nicht zur Feindesliebe, sondern ruft sie auf: „Erschlagt (die Ungläubigen), wo immer ihr auf sie stoßt“ (Sure 2, Vers 191) und: „So haut ein auf ihre Hälse und haut ihnen jeden Finger ab“ (Sure 8, Vers 12). Ähnliches ist im Koran an über hundert Stellen zu lesen. Die Mörder von Paris haben sich an den sola-scriptura-Grundsatz gehalten; sie unterwarfen sich der Autorität der heiligen Schrift – aber eben nicht unserer heiligen Schrift, sondern ihrer. Und ihren Glaubenssätzen sollten wir im Umgang mit Muslimen nicht unsere gegenüberstellen dürfen?
Spätestens nach Paris muss mit dem deutschen Protestantengesäusel zum Thema Islam Schluss sein. Niemand fordert, dass Muslime zur Konversion genötigt werden. Wir Christen haben eine viel mächtigere Waffe für den Umgang mit ihnen, nämlich das Wort des lebendigen Gottes. Dieses Geschütz bellt nicht wie Kanonen und tötet niemanden. Es ermahnt lediglich uns alle, auch die politisch-korrekt verwirrten Kleriker in den EKD-Gliedkirchen: „Gehet hin und lehret alle Völker, taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Matthäus 28,19).
——–
LiebeFreunde und Mitchristen,
mein beigefügter Kommentar erschien am 14. November im idea-Pressedienst. Er wurde aber am Montag wieder herausgenommen, so dass nur noch die Übersicht auf der ersten Seite darauf verweist, der Text jedoch fehlt. Auch in idea-Spektrum wurde er nicht veröffentlicht. Idea-Leiter Helmut Matthies, der diesen Beitrag bestellt hatte, hat mich weder telefonisch noch per Email davon informiert, dass und warum er dieses Stück kippen würde. Nachdem ich heute in mehreren Emails nach diesen ungewöhnlichen Vorgang gefragt wurde, will ich jetzt versuchen, seine furchterregenden Hintergründe nach bester Kenntnis zu erläutern.
Ich schicke voraus, dass ich Herrn Matthies, abgesehen von seinem Mangel an guter kollegialer Sitte, dies nicht übel nehme, weil ich inzwischen folgendes erfahren habe: Die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwätzer, hatte bei ihm am Montag angerufen, ihm eine Verleumdung der Synode vorgeworfen und mit dem Presserat gedroht. Es gibt offensichtlich auch Bestrebungen, die jährlichen EKD-Subventionen von 130.000 an idea zu streichen. Im Internet forderte dies jedenfalls ein Staatssekretär unter Hinweis auf meinen Kommentar. Ein Pfarrer forderte Matthies auf, sich für diesen Beitrag zu entschuldigen, und Herr Matthies tat dies denn auch in einer “Stellungnahme“ (siehe unten), die ich im Internet fand. Dass er mich weder vorher konsultierte noch hinterher informierte, halte ich zwar für feige und menschlich verwerflich, sehe es ihm aber nach, weil es zeigt, unter welch’ unmenschlichen Druck er von einflussreichen Leuten in gestellt wurde, die sich für Christen halten.
Ich kann Helmut Matthies’ finanzielle Gründe nachvollziehen, auch wenn ich sie theologisch für nicht vertretbar halte, weil ich ja in meinem Kommentar (!) nichts anderes tat, als mit spitzer Feder die Evangelische Kirche aufzufordern, in dem jetzt tosenden Dritten Weltkrieg ihr mächtiges Geschütz aufzufahren, nämlich das εὐαγγέλιον, auf das sie sich schließlich ihr Name beruft, den nach Deutschland strömenden Muslimen anzubieten. Dies lässt sich nicht mit neuprotestantischem Gestammel à la “Hmmm, ich denke mal” bewältigen sondern nur wie Christus uns geheißen: „Gehet hin und lehret alle Völker…”
Es ist bedauerlich, dass es mir nicht vergönnt war, mit Frau Schwätzer diesen Strauß vor dem Deutschen Presserat auszufechten, denn sie hat auf totalitäre Art in die redaktionelle Arbeit eines Presseorgans eingegriffen, hat einen Kommentar unterdrückt, also gegen die Meinungsfreiheit verstoßen (Grundgesetz Artikel 5, Absatz 1, Satz 1), und einen Chefredakteur erpresst. Dass dieser sich erpressen ließ, entspricht einer tragischen Tradition selbst rechtgläubiger Christen in Deutschland. Wie Dietrich Bonhoeffer 1943 schrieb: „Was steckt eigentlich hinter der Klage über die mangelnde Civilcourage? Wir haben in diesen Jahren viel Tapferkeit und Aufopferung, aber fast nirgends Civilcourage gefunden, auch bei uns selbst nicht.“
Liebe Freunde, mich schaudert’s angesichts der schwarzen Wolken, die allenthalben aufziehen. In seinen Reden über das Vaterunser sprach Helmut Thielicke in den Jahren 1944-45 von einer “Schuldlawine, die in der Geschichte der Völker immer mehr anschwillt …. ein Schuldverhängnis brütet über der Welt, über ihren Kontinenten und Meeren.” Diese Lawine hat wieder einmal die Evangelische Kirche in Deutschland erfasst, obwohl sie zweifellos diesen Gedanken empört von sich weisen wird. Kyrie eleison!
Uwe Siemon-Netto
PS: Helmut Matthies’ Entschuldigung: “STELLUNGNAHME idea hat einen Kommentar des Theologen und Journalisten Dr. Uwe Siemon-Netto veröffentlicht. Der Beitrag hätte in dieser Form nicht publiziert werden dürfen. Dafür entschuldige ich mich! Ich habe veranlasst, dass dieser Kommentar nicht in ideaSpektrum veröffentlicht und aus dem Netz genommen wird. Er ist leider in seiner Wortwahl und in seinem Vergleich unangemessen und falsch.Helmut Matthies, Leiter der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar)”
Bitte leiten Sie diese Nachricht an jene unter Ihren Freunde und Bekannten weiter, denen Sie meinen Kommentar am letzten Sonnabend geschickt hatten..

Am 20.11. 2015 erreichte mich diese e-mail, die ich dem hier fortlaufend ergänzten Text hinzufüge:

Bernhard Limberg <bernhard.limberg@idea.de>

14:21 (vor 6 Minuten)

an mich

Sehr geehrter Herr Kapsarick,

ich weise Sie auf unsere Stellungnahme auf Facebook vom 18. November 2015 (16:53 Uhr) hin, die in Ihrem Beitrag “Ich wünsche nicht, dass “idea” weiterhin mit meinem Geld unterstützt wird” bisher keinerlei Beachtung fand. Dort heißt es:

STELLUNGNAHME
idea hat am Montag den Kommentar „Ein blutiges Ausrufezeichen nach der EKD-Synode“ aus dem Internet entfernt. Jetzt kursiert im Netz die Behauptung, die EKD habe mit Maßnahmen gedroht, falls der Beitrag nicht gelöscht werde. Das stimmt in keiner Weise. Die Entscheidung, den Artikel zu entfernen, hat idea unabhängig und aus inhaltlichen Gründen getroffen.

Helmut Matthies, Leiter der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar)

Auch Uwe Siemon-Netto hat sich nach einem Gespräch mit Helmut Matthies auf seinem Facebbok-Profil geäußert (18. November 2015, 13:15 Uhr):

An meine deutschen Leser:
Idea-Redaktionsleiter Helmut Matthies hat mich eben angerufen. Wir haben uns ausführlich ausgesprochen. Der Konflikt ist beigelegt.

Es wäre fair, wenn Sie die neue Entwicklung berücksichtigen könnten.

Irritiert haben wir festgestellt, dass Sie diesen Kommentar zu Ihrem Blog-Beitrag unkommentiert belassen haben:
Fritz Penserot
November 16, 2015 um 14:58  <https://ulrichkasparick.wordpress.com/2015/11/16/ich-wuensche-nicht-dass-idea-weiterhin-mit-meinem-geld-unterstuetzt-wird/#comment-1109>
Wir dürfen als Christen diese ideologischen Wasserträger der Nazis nicht unterstützen!

Für Fragen steht Ihnen Herr Matthies oder ich gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Bernhard Limberg
Verantwortlicher Redakteur Internet & Fernsehen

idea e.V.
Evangelische Nachrichtenagentur

Postfach 18 20
35528 Wetzlar

Telefon 06441 915-117
Telefax 06441 915-118
Mobil 0170 4173293

http://www.idea.de/

idea ist wegen Förderung religiöser Zwecke als gemeinnütziger Verein anerkannt und im Vereinsregister Wetzlar unter der Nr. 736 registriert. Vorsitzender: Horst Marquardt

 

Christen in der AfD. Eine Textanalyse. Zwei „Predigten“ von Pastor Jakob Tscharntke


Ich hatte hier im blog angekündigt, mich mit konkreten Texten von Menschen auseinanderzusetzen, die sich im Bundesverband der Christen in der AfD organisiert haben. Ich will das 1. theologisch und 2. politisch tun. Man findet beim Bundesverband der Christen in der AfD z.B. auf dessen facebook-Seite sehr schnell die sogenannten „Protagonisten“. Menschen also, deren Schriften innerhalb des Bundesverbandes und darüber hinaus Verbreitung und Resonanz finden.
Beginnen wir mit Jakob Tscharnke. Pastor der Evangelischen Freikirche in Riedlingen. Er hat zwei „Predigten“ (vom 4. 10. 2015 (Der Christ und der Fremde) und vom 11.10. 2015 (Wie gehen wir als Christen mit der Zuwanderungsproblematik um) öffentlich zugänglich vorgelegt, um deren Analyse es nun gehen soll. Wer den Text selber nachlesen will, findet ihn hier.
Vorbemerkung:
Die Interpretation biblischer Texte hat eine lange, wechselvolle Geschichte. Schon Origines (185-254) hat auf einen „vierfachen Schriftsinn“ hingewiesen und damit all jenen gewehrt, die biblische Texte nur im „wörtlichen“ Sinn interpretieren wollen. Die wissenschaftliche Erschließung biblischer Texte hat seither enorme Entwicklungen erfahren, zu denen insbesondere die wissenschaftlich exakte Exegese gehört. Die historisch-kritische Methode ist dabei ein wesentlicher Baustein exakter Exegese. Sie ist nicht die einzige Methode. Die historisch-kritische Methode arbeitet streng am Text und fragt insbesondere nach Verfasser, Entstehungszeit, damaliger „Absicht“ und „Funktion“. Diese strenge Methode dient vor allem der Vermeidung der „Eisegese„. „Eisegese“ ist ein Hinein-Interpretieren gegenwärtiger Fragestellungen und gegenwärtiger Vorstellungen in die antiken Texte. Andersherum: wer „Eisegese“ betreibt, liest Aussagen aus den antiken Texten, die da nicht drin stehen.
Wendet man die historisch-kritische Exegese auf den oben zitierten Text zur „Predigt“ an, dann findet man: Jesaja 1, 2-7 ist etwa zwischen 740 und 701 vor Christus entstanden. Dieser Text – der ja Grundlage der „Predigt“ von Jakob Tscharntke ist, sagt also zur gegenwärtigen Fragestellung zum Umgang mit Flüchtlingen insbesondere aus muslimischen Ländern – zunächst einmal gar nichts. Er sagt auch nichts zum Thema „Der Christ und der Fremde“, weil dem Propheten Jesaja das Phänomen des Christentums völlig unbekannt war. Das Christentum ist viel später entstanden.
Aber nicht nur das.
Man findet im Text von Jakob Tscharntke eben auch starke Hinweise auf „Eisegese“. Tscharntke fragt: „Damit zu dem, was Gottes Wort wirklich sagt. Worin liegt der grundsätzliche Irrtum derer, die bei der derzeitigen Invasion (Hervorhebung von mir) nach Deutschland mit Argumenten wie der Nächstenliebe oder dem barmherzigen Samariter daherkommen?“
Der Text“interpret“ Tscharnke hat also bereits eine konkrete Vorstellung von dem, was sich gegenwärtig abspielt. Es handelt sich nach seiner Wahrnehmung um eine „Invasion“. Das ist ein Wert-Urteil. Und dieses Wert-Urteil macht ihn blind gegenüber den zahlreich (und vor allem wahllos) zitierten Bibel-Stellen, die zumal aus völlig verschiedenen Zeiten stammen, von verschiedenen Autoren sind und auch überaus verschiedene „Zwecke“ hatten. Herr Tscharntke sucht sich wahllos zusammen, was ihm in seinen theologischen Kram passt.
Ein solches Verfahren hat allerdings mit Theologe nichts mehr zu tun. Denn das ist Willkür am Text.
Wer bereits bevor (!) er sich mit dem eigentlichen Bibeltext auseinandersetzt, die feste Vorstellung hat, es handele sich bei den Flüchtlingen der Gegenwart um eine „Invasion“, der findet natürlich auch heraus, was dann als „Konsequenz“ festzustellen wäre:
„Jesus hat im Gleichnis vom barmherzigen Samariter von einem gesprochen, der unter die Räuber gefallen war. Er hat definitiv nicht davon gesprochen, daß wir unser Land von einfallenden räuberischen Horden ausplündern lassen müssten.“ (Man findet diese Textstelle in der „Predigt“ von Herrn Tscharnke weiter oben im link).
Halten wir fest: bei den Flüchtlingen der Gegenwart handelt es sich nach Auffassung von Herrn Tscharnke nicht nur um eine „Invasion“, sondern zudem um eine Invasion „von einfallenden räuberischen Horden“.
Mit biblischer Exegese oder gar mit Theologie hat das nichts mehr zu tun.
Das ist Ideologie.

Ein Kollege von Herrn Tscharnke hat ihn nun angezeigt.
Nach meinem Kenntnisstand ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Das religiöse Mäntelchen der AfD. Der „Bundesverband Christen in der AfD“. Eine Ankündigung.


Die AfD gibt sich gern christlich. In dieser Partei arbeiten Menschen mit, die sich für Christen halten. Ob sie das sind, darüber will ich nicht urteilen. Das steht mir auch nicht zu.
Aber ich will mich auseinandersetzen mit deren Argumenten, mit ihrem politischen Weltbild und mit ihren „theologischen“ Argumentationsmustern. Weil ich der Auffassung bin, dass insbesondere in den öffentlichen Äußerungen des „Bundesverbandes Christen in der AfD“, wie man sie beispielsweise bei facebook und auch auf diversen Homepages und in etlichen print-Publikationen findet, eine Mischung von ausländer- insbesondere islamfeindlichem politischem Gedankengut und einer schon auf den ersten Blick ziemlich verquasten „Theologie“ daherkommt, die unbedingte Auseinandersetzung erfordert, weil sie, völlig fern von jeder exegetisch exakten Erkenntnis, so ziemlich alles mit allem zusammenquirlt – um die eigene politische Ansicht zu legitimieren.
Mein persönlicher Grund, mich dieser nicht vergnügungssteuerpflichtigen Arbeit zu unterziehen, ist ein historischer: eine Theologie, die zur Legitimierung eigener politischer Auffassungen zusammengebastelt wird, stand und steht in der Gefahr, Menschen zu verführen.
Historisches Beispiel ist die Auseinandersetzung zwischen „Bekennender Kirche“ und „Deutschen Christen“ in den Jahren zwischen 1933 und 1945. Mit dieser Zeit beschäftige ich mich nun seit etwa 35 Jahren. Auch, weil ich einen Beitrag leisten will, dass sich politische Verhältnisse, wie sie in jenen Jahren herrschten, nicht wiederholen.
Ich werde deshalb hier im blog in loser Folge einzelne Texte dazu bereitstellen, mich mit einzelnen Protagonisten der „Christen in der AfD“ auseinandersetzen und mit den von ihnen vorgetragenen Argumenten – politischer und theologischer Natur. Ich tue das als Theologe und als politisch denkender Mensch.
Eins ist mir dabei besonders wichtig: es geht um unbedingte theologische Klarheit. Denn – das hat die Auseinandersetzung der „Bekennenden Kirche“ mit den „Deutschen Christen“ gezeigt – nur Klarheit hilft weiter. Ohne die Klarheit von exzellenten Theologen wie Karl Barth oder Dietrich Bonhoeffer wären in jenen Jahren noch mehr Menschen den „Deutschen Christen“ hinterher gelaufen. Es waren viel zu viele, die unter Gebeten „für Volk und Vaterland“ ihren latenten Fremden- und insbesondere Juden-Hass zum Ausdruck brachten. Und die Kirchen haben durch ihr überlanges Schweigen in jenen Jahren Schuld auf sich geladen. Deshalb bedarf es jetzt der frühen und rechtzeitigen Auseinandersetzung und Klärung. Es wäre fatal, wollte man Gruppen wie die „Christen in der AfD“ nicht ernst nehmen. Denn hier wächst eine Melange aus rechtsorientiertem politischem Denken und einer „Theologie“ heran, die nicht ohne Widerspruch bleiben darf. Wenn eine „Theologie“ dazu dient, ausländerfeindliche – im Besonderen islamfeindliche – politische Ansichten zu bemänteln, dann muss ihr widersprochen werden. Denn nichts ist gefährlicher, als wenn Politik im Gewand der „Religion“ daher kommt.
Dies ist ein erster kurzer Text zu diesem Problemkreis, eine Ankündigung gewissermaßen, erste links sind gesetzt, damit sich der Leser eine eigene Meinung bilden kann. Man wird weitere Texte hier im blog künftig unter einer eigenen Kategorie „Christen in der AfD“ finden.

Die Weisheit der Sprache


Sonnenaufgang in der Uckermark
Sonnenaufgang in der Uckermark

Die Sprache, die ich nutze, ist älter als ich. Sie ist reich, birgt altes Wissen der Generationen, die vor mir gelebt haben. Diese Erfahrungen sind in Worte geronnen. Manche sind sehr alt.
Die Sprache beherbergt Erfahrungen, auf die ich neugierig bin.
Deshalb denke ich ihr nach, höre ihr nach, spüre ihr nach, bin auf Entdeckungsreise.
In aller Herrgottsfrühe“ war da heute einer aufgestanden, so stand es bei facebook zu lesen.
Ich sehe nach und finde: „Die Bezeichnung „Herrgottsfrühe“ kann sich auf Gott als dem Geber und Herrn der Zeit beziehen, oder aber es handelt sich um einen Hinweis auf das Läuten der Glocke zur Frühmesse „. (www.redensarten-index.de).
Gott als der Geber und Herr der Zeit.
Altes Wissen birgt sich da im Wort.
Alte Erfahrung.
Weitergegeben von Generation. Eingewurzelt nun in unserer Sprache. Damit diese Erfahrung nicht verloren geht.
Das Wort „Gott“ ist selbst eher eine Verdunkelung, denn eine Erklärung, weshalb ich es hier unerklärt stehen lasse, wie einst die Hebräer das Wort JHW. Wichtiger ist mir, was von ihm ausgesagt ist:
nicht wir, sondern „er“ (oder „es“, oder „sie“) ist Geber der Zeit.
Das ist die alte Erfahrung: ich kann meinem Leben nicht eine Sekunde hinzufügen. Leben ist Geschenk.
Alle, die glauben, man könne Leben „verlängern“, irren grundsätzlich.
Wir sind nicht die Herren der Zeit, die uns gegeben ist.
Wer sich morgens, in einem Urlaub vielleicht, die Freude bereitet, einen Sonnenaufgang still zu beobachten, den Moment, in dem ein neuer Tag geboren wird, kann eine Ahnung vom Gemeinten ergattern.
Wenn man ganz still nur beobachtet.
Nicht kommentiert.
Nur wahrnimmt.
Es lohnt sich, hinterher einmal aufzuschreiben, was man da eigentlich genau wahrgenommen hat.
Geschenkte Zeit.
Jochen Klepper dichtet 1937, die Nazis waren schon 4 Jahre an der Macht und glaubten, sie seien nun die Herren:

Der du die Zeit in Händen hast

1. Der du die Zeit in Händen hast, Herr, nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen.
Nun von dir selbst in Jesus Christ die Mitte fest gewiesen ist, führ uns dem Ziel entgegen.

2. Da alles, was der Mensch beginnt, / vor seinen Augen noch zerrinnt, / sei du selbst der Vollender. / Die Jahre, die du uns geschenkt, / wenn deine Güte uns nicht lenkt, / veralten wie Gewänder.

3. Wer ist hier, der vor dir besteht? / Der Mensch, sein Tag, sein Werk vergeht: / Nur du allein wirst bleiben. / Nur Gottes Jahr währt für und für, / drum kehre jeden Tag zu dir, / weil wir im Winde treiben.

4. Der Mensch ahnt nichts von seiner Frist. / Du aber bleibest, der du bist, / in Jahren ohne Ende. / Wir fahren hin durch deinen Zorn, / und doch strömt deiner Gnade Born / in unsre leeren Hände.

5. Und diese Gaben, Herr, allein / lass Wert und Maß der Tage sein, / die wir in Schuld verbringen. / Nach ihnen sei die Zeit gezählt; / was wir versäumt, was wir verfehlt, / darf nicht mehr vor dich dringen.

6. Der du allein der Ewge heißt / und Anfang, Ziel und Mitte weißt / im Fluge unsrer Zeiten: / bleib du uns gnädig zugewandt / und führe uns an deiner Hand, / damit wir sicher schreiten.

Lebenszeit.
Geschenkte Zeit.
Ich bin dankbar für jeden neuen Tag, der mir geschenkt wird.
Am klarsten fühle ich diese Dankbarkeit in aller Herrgottsfrühe, wenn der Tag noch klar und jung und unbenutzt vor mir liegt.

Das kommt mir spanisch vor. Oder: etwas von der Madonna.


"Rex Christos" am Ende Europas mit dem Blick nach Afrika.....Tarifa liegt in Andalusien. Dieser „letzte Ort Europas“ an der Straße von Gibraltar birgt zahlreiche Zeugnisse der Begegnung zwischen Afrika und Europa, zwischen Islam und Christentum, zwischen reicher und ärmerer Welt. Ein Foto geht mir nach. Man sieht im kleinen Hafen von Tarifa auf der Kaimauer eine Statue, die nach Afrika hinüber blickt. Auf dem Sockel der Statue eingraviert ein lateinisches „R“ und ein „chi“. „Rex christus“. Das ist gedacht gewesen als Kampfansage des katholischen Spanien gegenüber „den Muslimen“, die, zunächst 710 mit einer kleinen Gruppe von Kundschaftern kommend, dann ab 711 im Lande nach und nach die Macht übernahmen, bis sie – in Tarifa 1292, in anderen Orten später – wieder vertrieben wurden und der spanische Katholizismus seine Macht festigte. Noch heute feiert man diese Ereignisse. Noch heute ist die Auseinandersetzung zwischen spanischem Katholizismus und Islam in den Feierlichkeiten wirksam. Noch heute findet sich der Zusatz „….de la Frontera“ in der Ortsbezeichnung so mancher andalusischen Stadt. Orte „an der Front“.
Vor dieser Statue auf der Kaimauer ist ein Polizeischiff der Küstenwache zu sehen. Es dient auch der Abwehr von Flüchtlingen.
Ich finde solche Zeugnisse bedrückend.
Als sich politische Macht das Christentum aneignete und instrumentalisierte, geschah etwas Ungeheuerliches: der die Gewaltlosigkeit predigende Sohn eines jüdischen Zimmermanns, aufgewachsen in ärmlicher Umgebung, wurde zum Machtsymbol.
Eine entsetzlichere Verdrehung der Botschaft des Christentums ist nicht vorstellbar.
Wenn man sich mit der Geschichte der Entdeckung der „Neuen Welt“ befasst (das bleibt nicht aus, wenn man in Spanien ist), mit der Unterwerfung der dort lebenden Bevölkerungen – in nicht wenigen Gegenden kam diese Unterwerfung praktisch einer Ausrottung gleich- wird erschreckend deutlich, wozu ein missverstandenes „macht Euch die Erde untertan“ geführt hat.
Gegenwärtig rüstet Europa wieder und weiter auf. Vor allem gegen Flüchtlinge aus Afrika. Viele Millionen Dollar werden ausgegeben, um Zäune zu errichten,  um Schiffe auszurüsten, um Fluchtwege zu „verstopfen“.
Dieses Foto mag ein Symbol dafür sein. Wie ein Menetekel steht es da und kündigte schon vor etlichen Jahrhunderten an, worum es gehen würde. Um die Abwehr des Bruders.
Es geht darum, die eigene Macht zu behaupten. Und dabei soll auch die Madonna helfen.

Madonna und Bodega. Prozession in Sevilla
Madonna und Bodega. Prozession in Sevilla

Wenn man in Andalusien Gelegenheit hat, an einer der vielen dort üblichen Prozessionen teilzunehmen, bei der eine Madonnenfigur aus der Heimatkirche herausgetragen, durch den Ort geführt, öffentlich gezeigt und dann wieder in die Heimatkirche getragen wird, dann wird man den Eindruck nicht los, dass es bei diesen Prozessionen auch darum geht, zu zeigen, wer die Macht im Lande hat. Diese Prozessionen hinterlassen sogar bei Menschen, die sich für areligiös halten, einen starken Eindruck. Über 80 Bläser gehen, in langsamen Schritt, mit Posaunen, Oboen, Klarinetten, Saxophonen, Pauken und Becken musizierend hinter der schwankenden Patronin her, die von Freiwilligen getragen wird, die sich die Augen haben verbinden lassen, nur geführt von sparsamen Signalen eines Vormannes. Junge Männer, denen es eine Ehre ist, die zentnerschwere Madonna zu tragen.
Die Plätze sind voll. Zu Tausenden stehen die Menschen, begrüßen die Madonna, die gleichzeitig immer auch Patrona des Ortes oder einer Zunft ist, klatschen, fotografieren, wollen in ihrer Nähe sein. Man kann den Eindruck haben, da würde eine ägyptische Gottheit durch die Stadt getragen. Ganz Ursprüngliches wird da bei den Menschen berührt. Und die Menschen wollen es. Beteiligen sich. Freiwillig. Kommen zu Tausenden, nicht nur als Besucher, sondern sie wollen „mit der Madonna mitgehen“.
„Ich bin da. Ihr braucht euch nicht fürchten“ so ist eine der Botschaften, die von der Patrona ausgeht, wenn sie mitten durch die Märkte, durch die engen Gassen voller Cafes und Restaurants, vorbei an Kneipen und Bodegas getragen wird. Mitten im andalusischen abendlichen Alltag erscheint sie, geht durch das Volk, und verschwindet wieder…..
Sie zeigt auch, wer die Macht tatsächlich hat im Lande.
Parteien kommen und gehen. Die Madonna bleibt.
Und das Volk liebt sie auf eine Weise, gegen die die scheinbar Mächtigen ganz und gar ohnmächtig sind. Weshalb sie sich mit ihr verbünden.
Das ist jedoch nicht unproblematisch, insbesondere, wenn es um die Beziehungen zu anderen, beispielsweise muslimischen Völkern geht.
Die Geschichte der Verfolgung Andersgläubiger ist lang in Spanien. Schon 100 Jahre vor der Inquisition hat man in Sevilla systematisch mit der Verfolgung von Juden begonnen, denen man vorwarf, nicht wirklich zum Christentum konvertiert zu sein. Die gebildeten Juden flohen in die Metropolen Europas – nach Paris, Hamburg, in die Türkei. Die Handwerker flüchteten nach Nordafrika. Es ist eine grausame, tief schwarze Geschichte, die da in Andalusien und anderen Orten stattgefunden hat. Vom jüdischen Viertel Santa Cruz in Sevilla steht praktisch nur noch ein einzelnes Grab – mitten in einem Autoparkplatz, alles andre ist Legende für Touristen. Von den zahlreichen Synagogen des Viertels gibt es faktisch keine mehr. Sie sind längst zu katholischen Kirchen geworden. Santa Cruz ist das zentrale Beispiel dafür.
Wie also wird es weitergehen zwischen katholischem Christentum und Islam?
Die Auseinandersetzung ist uralt. Gegenwärtig eskaliert die Auseinandersetzung erneut. Das christliche Abendland hat eine Allianz von über 40 Staaten gegen einen radikalen IS geschmiedet, der alles zerstören will, was sich nicht seinem Willen unterwirft.
Die entscheidende Frage aber wird wohl nicht sein, wer gegen wen gewinnt, sondern, ob und wie es nach all der fürchterlichen Geschichte der Intoleranz und gegenseitigen Vernichtung nicht doch endlich gelingen kann, dass die Bruderreligionen in der einen Welt friedlich nebeneinander und vielleicht sogar miteinander leben. Dass die Begegnung der Kulturen auch zu wundervollem Reichtum führen kann, zeigt ja auch gerade Andalusien. Die Begegnung der arabischen Architektur mit der Gotik ist sicher eines der beeindruckendsten Beispiele dafür. Zu besichtigen zum Beispiel in Grenada.
Wie also kann es gelingen, dass die Bruderreligionen lernen, nebeneinander und vielleicht gar miteinander zu leben?
Es wird dabei auf diejenigen in beiden Religionen ankommen, die sich nicht von der Gewalt, sondern vom eigentlichen, ursprünglichen Kern ihrer Religion bestimmen lassen. Es wird dabei auf diejenigen in beiden Religionen ankommen, die von der Versöhnung, von der Begegnung, von der wechselseitigen Bereicherung sprechen und in ihr eine wirkliche Perspektive gemeinsamen Lebens erkennen.
Solche Stimmen haben es gegenwärtig schwer. Es kommt darauf an, sie zu stärken.

Etwas über die Liebe und die Politik


Kritik anderer Menschen ist beliebt. Ein Blick in die Gazetten oder die Netzwerke bei facebook und twitter genügt. Freude über die Fehler der „anderen“ hat Konjunktur. Besonders beliebt sind Fehler bei Politikern. Über nichts fällt der Michel besonders gern her als über Politiker. Nun denn, das gehört zum Beruf. Ich bin allerdings schon erstaunt, manchmal sogar entsetzt, welche Brutalität und Gehässigkeit da oft sichtbar wird. Offensichtlich trägt die weitgehende Anonymität des Internets auch dazu bei, daß da der eine oder die andere mal so richtig die Sau raus lässt und der Welt mitteilt, wie er eigentlich im Tiefsten denkt und fühlt. Dinge, die man in der direkten, persönlichen Begegnung einem anderen Menschen vielleicht nur im höchsten Zorn an den Kopf hauen würde, wenn das Gefühl den Verstand überschwemmt, finden sich nicht selten in tweets und postings.
Der Zuschauer sitzt auf seinem Sofa – und kritisiert. Am liebsten heftig. Nicht selten maßlos. Nur manchmal ist die eigene Nase im Weg, wenn die Brille ins Rutschen kommt.
Diese beliebte Kritik anderer Menschen hat einen tiefen Grund: das eigene Wohlbefinden. Denn, wenn ich den „anderen“ schlecht mache, ihn verunglimpfe, in lächerlich mache, mich an seiner Niederlage freue, ihn wohlfeil „bekämpfe“, kann ich mich selbst besser fühlen. Das geht nach dem Motto: „ich bin ja nicht wie die“.
Nur, solches Denken ist ein Irrtum. Denn: alles, was ich einem anderen antue, tue ich mir selbst an.
Die schärfste Form der Verunglimpfung des „anderen“, der Konflikt, der Kampf, die Auseinandersetzung, bezogen auf Menschengruppen oder gar ganze Völker – endet nicht selten im Krieg. Eine der Wurzeln des Krieges ist der Glaube, der „andere“ sei im Unrecht, ich selbst sei im Recht.
Nur, solches Denken ist ein Irrtum. Denn in jedem „anderen“, der auf diese Weise getötet oder verletzt wird, töte oder verletze ich mich selbst. Deshalb sind Krieg und gewaltsame Konfliktlösung niemals ein möglicher Weg. Die UN-Charta spricht nicht ohne Grund von der „Geißel“ des Krieges.
Krieg ist die schärfste Waffe, die ich gegen mich selbst richten kann. Menschen, die sich selbst lieben können, führen keine Kriege. Denn sie brauchen die „Abspaltung“ nicht mehr länger.
Lieben heißt: den anderen Menschen deshalb zu lieben, weil er ist, wie er ist.
Wer Erfahrung im Streit hat – nicht viele haben das wirklich -, weiß, daß gerade die Verhaltensweise, die mich am anderem Menschen besonders aufregt und ärgerlich macht, ein Hinweis auf einen eigenen Anteil in mir selbst ist. Der Andere wird mir zum Spiegel. Er zeigt mich mir. Im Anderen sehe ich mich selbst. Wenn er mir ein Verhalten zeigt, daß ich mir selbst nicht gestatte – dann werde ich ärgerlich. Psychologen und Eheberater haben darüber dicke Bücher geschrieben. Der Alltag in vielen Familien und Beziehungen belegt es tausendfach.

Deshalb beginnt die Liebe immer mit der Selbstliebe. Und die ist besonders schwer. Denn sie bedeutet, daß ich auch meine eigenen Schattenseiten umarmen lerne.
Erst, wenn ich sie sehen und wahrnehmen kann, wenn ich den Schmerz aushalte, den das oft bedeutet, wenn ich mich meinen Schattenseiten zuwenden und sie akzeptieren kann, vielleicht sogar lieben kann, erst dann kann ich den anderen so sein lassen wie er ist und ihn um seiner selbst willen lieben.
Der alte Psychologensatz ist eben wahr: „Was Hans über Paul sagt, sagt mehr über Hans als über Paul.“
Wenn Hans über Paul sagt, er sei ein „Weichei“, dann sagt es eben etwas darüber, wie sich Hans oft selber fühlt, aber nicht wahrhaben möchte. Er verleugnet seine eigene Zögerlichkeit, Ängstlichkeit, Beklommenheit, Entscheidungsunfreudigkeit. Könnte er sie sehen und akzeptieren, müsste der Paul nicht mit „Weichei!“ beschimpfen.
Feindbilder funktionieren deshalb, weil Menschen ihren eigenen Schatten nicht sehen wollen.
Wer selbst höchst aggressiv gestimmt ist, sieht die Welt voller Aggressoren. Wer seiner eigenen Religion nicht sicher und deshalb einfachen Überzeugungen zugänglich ist, wirft der anderen Religion „Fundamentalismus“ vor.
Kriege wurden deshalb begonnen. Der „Kampf gegen das Böse“ ward ausgerufen. Es galt, den „Feind“ zu „vernichten“; es galt, den „Gegner“ zu „schlagen“.

Nun gab es gestern Nacht bei facebook einen für mich interessanten Dialog mit jungen Muslimen, der sich an einem Zeitungs-Text entzündete, in dem ein junger Muslim über seine Frömmigkeit sprach. Es ist ein sehr persönlicher und darum guter Text. Er spricht von der Liebe. Unser nächtlicher Dialog führte uns auf eine interessante Spur, die alle großen Religionen miteinander verbindet: die Botschaft von der Liebe, die in der Selbstliebe ihren Anfang nimmt. Mevlana Rumi im Islam, Paulus im Christentum, Lehrer im ZEN, Weise im Judentum: sie alle wissen um dieses geheime Band, das die Religionen eigentlich verbindet. Dieses Band heißt: „liebe den Nächsten wie dich selbst“, denn: du bist geliebt – auch wenn du es oft nicht glauben kannst.

Nun sind ja in der Vergangenheit gerade durch die Religionen mit die fürchterlichsten Kriege ausgerufen worden, die man sich vorstellen kann. Mancher führt diesen Umstand als Argument gegen die Religion überhaupt ins Feld.
Schaut man jedoch tiefer – und der Text des jungen Muslim tut dies – dann sieht man, dass es da noch etwas anderes gibt, das uns in der immer überschaubareren Welt eigentlich verbindet. Was sprituelle Meister wie Mevlana, Johannes vom Kreuz, Teresa von Avila, Paulus und andere wußten, was man auch im ZEN kennt – dieses geheime Band des „liebe den anderen, wie du dich selbst liebst“ – das könnte zum Saatkorn für eine neue Völkerverständigung werden.
Ich habe lange nach einem möglichen Beitrag der Weltreligionen zum Frieden gesucht. Es war schwer, angesichts der zunehmenden Fundamentalismen und religiös begründeten Auseinandersetzungen der Gegenwart diese Spur zu finden. Ich habe vierzig Jahre dazu gebraucht. Aber mir scheint, daß diese besondere Frömmigkeit der Liebe, die man mystische Frömmigkeit nennt (dem Unerfahrenen sei gesagt, daß dieses Wort nichts mit dunklen geheimnisvollen Kellern zu tun hat…), ein zeitgemäßer, moderner und höchst willkommener Beitrag der Weltreligionen zu mehr Frieden in der Welt sein könnte. Allen Erfahrungen zum Trotz.
Interessanter Weise ist die mystische Frömmigkeit, die es sowohl im Abend- wie im Morgenland gibt, von den Amtskirchen und „Orthodoxen“ immer bekämpft worden. Denn ihr unmittelbarer Zugang zum Kern der gesunden Spritualität gefährdete den Machtanspruch der Hierarchie. Dies wissend glaube ich dennoch, daß es nichts politisch Vernünftigeres geben kann als eben jene Botschaft: „liebe den Nächsten wie dich selbst“. Denn eine Welt, die offensichtlich drauf und dran ist, sich selbst völlig zu zerstören, braucht nichts dringender als die Erkenntnis, daß die Dinge zusammengehören, eins sind.
Wenn wir erkennen könnten, daß wir uns selbst töten, wenn wir den anderen töten, dann wäre viel gewonnen.

p.s.: Den im Text verlinkten Text empfehle ich sehr der Lektüre ….

Alte Texte


Ich lebe in Worten. Worte sind Heimat und Fremde seit Jugendtagen. Worte bergen und zerstören. Worte halten und lassen.
In diesen Tagen, in denen die Erde wankt, lese ich alte Worte. Denn die Worte meiner Zeit erweisen ihr Unvermögen.
Seit Jahrtausenden wurden diese alten Worte weitergegeben von Generation zu Generation, von Vater zu Sohn, von Mutter zu Tochter.
Es sind hebräische Worte.
Der große „Steller der Schrift“ Martin Buber hat sie verdeutscht, hat ihre Sperrigkeit und Vorzüglichkeit  in Worte unserer Sprache umgegossen, ihre Form und Gestalt, ihr Inneres bewahrend, damit sie auch bei uns und in unserer Sprache funkeln wie Edelsteine.
Ich lese sie am Morgen nachdem man gestern den Tod gefunden hatte. Man fand ihn in Pfützen. Man fand ihn im Rauch. Man fand ihn in der Erde. Man fand ihn im Meer.
Gestern erfuhr die Welt, dass im fernen Japan, das uns doch so nah ist, der Tod gefunden wurde in Fukushima. 10.000fach seien die Grenzwerte überschritten in jenen Pfützen von Kühlwasser, die man in Kellerräumen fand unter den Reaktoren. Unsere Vorstellungskraft wird gesprengt. Da liegt ein Material in den Kellern, daß noch nach 340.000 Jahren den Tod bringt. Nun tritt es an den Tag.
Behälter bersten und geben den Tod frei.
Er kommt still.
Man findet ihn in Pfützen, man findet ihm im Rauch, man findet ihn im Meer.
Nur der Ticker des Zählers zeigt ihn an.
Unsere Kraft, sich vorzustellen, was das bedeutet für die vielen Millionen Menschen, die in der Umgebung leben, reicht nicht aus.
Dafür haben wir keine Bilder, keine Sprache. Dunkle Ahnungen vielleicht. Annäherungen an das Unvorstellbare. Mehr nicht. 1 Kilogramm dieses Materials genüge, so sagen es Physiker, die Menschheit zu zerstören. Man weiß aber, daß in jenen feuchten Kellern mehrere Kraftwerksladungen lagern….

Die Erde bebte. Und das Meer erhob sich.
Nur eine Welle kam.
Gemessen an der Größe des Ozeans eine winzige. Gemessen an der Größe unserer Zivilisation eine gewaltige.
Sie spülte einfach hinweg, was wir „Zivilisation“ nennen. Ganze Orte. Ganze Häuser. Viele zehntausend Menschen mitsamt ihren Autos und Fernsehern, Kühlschränken und Computern.
Die Zerbrechlichkeit unserer „stolzen Zivilisation“ stand uns plötzlich vor Augen.
Das Menetekel an der Wand. Die Schrift, die der König nicht zu lesen verstand.
In diesen Stunden, in denen das Unvorstellbare Realität wird Stunde um Stunde, Tag um Tag, lese ich alte Worte.
Man hat sie weitergegeben von Generation zu Generation, von Jahrtausend zu Jahrtausend.

Das Menschlein, wie des Grases sind seine Tage,
wie die Blume des Feldes, so blühts:
wenn der Wind drüber fährt, ist sie weg,
und ihr Ort kennt sie nicht mehr.
Aber SEINE Huld,
von Weltzeit her und für Weltzeit
ist über den ihn Fürchtenden sie,
seine Bewährung für Kinder der Kinder
denen, die seinen Bund hüten,
denen, die seiner Verordnungen gedenken,
sie auszuwirken.
ER hat seinen Stuhl im Himmel errichtet,
und sein Königtum waltet des Alls.
Segnet IHN, ihr seine Boten
-starke Helden, Werker seiner Rede-,
im Horchen auf den Schall seiner Rede!
Segnet IHN, ihr all seine Scharen,
die ihm amten, Werker seines Gefallens!
Segnet IHN, ihr all seine Werke
an allen Orten seines Waltens!
Segne, meine Seele, IHN!

(aus Psalm 8, verdeutscht von Martin Buber und Franz Rosenzweig. Stuttgart 1976).

Wehret den Anfängen! Weshalb ich Horst Seehofer angezeigt habe….


Nach meiner Auffassung hat er gestern (9. März 2011) die rote Linie überschritten, die ein Demokrat nicht überschreiten darf. Ich habe Herrn Seehofer deshalb gestern wegen Volksverhetzung nach § 130 Strafgesetzbuch bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Das hat eine Vorgeschichte….
Der bayrische Ministerpräsident hat gestern in Passau eine Rede gehalten. Das kommt vor.
Er hat anlässlich eines „politischen Aschermittwoch“ geredet – das lässt eine besonders „deutliche Sprache“ erwarten, wie es Brauch ist.
Was hat er gesagt? Er hat sich „gegen Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen“ ausgesprochen. Und er hat folgendes weiter ausgeführt: er wolle in der Berliner Koalition „bis zur letzten Patrone“ dafür kämpfen, daß Zuwanderer „nicht in deutsche Sozialsysteme einwandern“.
Nach meiner Auffassung ist das die Herabwürdigung eines Bevölkerungsteils nach §130 StGB und gehört in die Kategorie Volksverhetzung. Deshalb habe ich ihn angezeigt, um gegebenenfalls gerichtlich überprüfen zu lassen, ob sich nach bundesdeutschem Recht die Sache so verhält, wie ich sie sehe.
Nun ist es so: ich habe bislang in meinem Leben noch nie jemanden bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Und das will was heißen nach einem langen Leben in der Zweiten deutschen Diktatur bis 1989.
Nun aber ist nach meiner Auffassung die rote Linie überschritten, die ein Demokrat niemals überschreiten darf.
Weshalb Widerspruch anzumelden ist. Ich kann nicht mehr länger zusehen und schweigen. Das Schreiben von Texten genügt nicht mehr.
Horst Seehofer hat die Rede in Passau in einer Situation gehalten, in der Deutschland nicht zuletzt seit der Publikation des Sarrazin Buch’s „Deutschland schafft sich ab“ vermehrt über Rechtsextremismus „aus der Mitte der Gesellschaft“ diskutiert. Zu Hunderttausenden werden seine Lesungen besucht. Allenthalben ist er Gesprächsgegenstand. Die Rechtsextremen sitzen mittlerweile in etlichen Landtagen. Nach dem Rücktritt des Verteidigungsministers wegen Betrugs war auf zwei Unterstützer-Seiten im Internet rechtsradikale Propaganda zu lesen. Man fand dort Äußerungen wie „Guttenberg ist der fähigste Politiker seit Hitler gewesen“.
In einer politischen Situation, in der wegen der Unruhen in Nordafrika die Frage diskutiert wird, ob Europa nicht auch einen Teil der vielen Flüchtlinge aufnehmen müsse, weil Europa ja auch jahrelang mit den Diktatoren Nordafrikas Geschäfte gemacht habe – in einer solchen Situation spricht der bayrische Ministerpräsident davon, er wolle sich „bis zur letzten Patrone“ dagegen wehren und dafür kämpfen, daß Zuwanderer „nicht ins deutsche Sozialsystem einwandern.“
Der Sprachkundige weiß: auch die Situation interpretiert das gesprochene Wort. Deshalb „klingen“ die Worte Seehofers in dieser Situation besonders brisant.
Sie sind es auch.

Die Rede von der „Verteidigung bis zur letzten Patrone“ hat eine Geschichte. Man hat in Stalingrad so gesprochen. Man hat beim „Kampf um Berlin“ im Frühjahr 1945 so gesprochen, um den „Volkssturm“ auf das „letzte Gefecht“ einzustimmen. Pikanter Weise stammt der Befehl, Berlin „bis zur letzten Patrone“ zu verteidigen, vom 9. März. Man schrieb das Jahr 1945.
Auch das „klingt mit“, wenn man die Worte hört, die der Ministerpräsident sagt und wenn man die Bilder aus jenem Saal in Passau sieht.

Deshalb kann ich nicht länger schweigen.
Ich habe mich mein Leben lang immer wieder intensiv mit der Entstehungsgeschichte des Nationalsozialismus in Deutschland befasst.
Ein zentraler Grund, weshalb die Volksverführer an die Macht kamen war der Umstand, dass das Bürgertum geschwiegen hat, als das kommende Unrecht schon zu erkennen war.
Es begann mit den Worten.
Es begann mit den Reden.
Deshalb: wehret den Anfängen! Denn aus den Worten werden Taten…..