Hans Werner Richter und der Kopp-Verlag. Eine seltsame Begebenheit aus Bansin

Hans Werner Richter und der Kopp-Verlag. Eine seltsame Begebenheit aus Bansin

Es ist schön in Bansin und in diesem Jahr wollten wir uns mal wieder etwas ausführlicher mit dem wohl berühmtesten Sohn des kleinen Ortes, Hans Werner Richter, befassen, weshalb wir uns ausgiebig mit ihm sowohl im kleinen Museum im „Hans Werner Richter Haus“ (einem ehemaligen Haus der Feuerwehr) als auch mit seinen Büchern beschäftigen, insbesondere mit denen über die von ihm geleitete „Gruppe 47“, zu der so wichtige Autoren wie Günter Grass, Johannes Bobrowski, Ingeborg Bachmann, Walter Jens und viele andere gehörten, die für die literarischen Neuanfänge nach dem Ende des Hitlerschen „Reiches“ so ungemein wichtig geworden sind.

Hans Werner Richter hat in seinen autobiografischen Büchern (etwa in „Spuren im Sand“, auch in „Geschichten aus Bansin“ und „Die Stunde der falschen Triumphe“) nachdrücklich aufgezeigt, wo er politisch stand. Eher im „linken Milieu“, der Sozialdemokratie nahestehend, heute würde man vielleicht etikettieren „links-liberal“. Richter hat sich mit der Gründung der „Gruppe 47“ sehr um die deutsche Literatur-Sprache verdient gemacht, denn diese Sprache war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weitgehend zerstört. Worte wie „Treue“, „Vaterland“, „Gehorsam“, „Heimat“, „Volk“ etc. waren unbrauchbar geworden, es galt, neu zu beginnen, weshalb bei den Treffen der „Gruppe 47“ vor allem scharfe Wort-Kritik geübt wurde. Der Nachkriegs-Literatur hat das sehr gut getan.

Hans Werner Richter starb zwar in München, liegt aber – seinem Wunsch entsprechend – in Bansin begraben. Wir haben ihn besucht; auch das Haus, in dem er mit seiner Familie ab 1908 gelebt hat, „Villa Paula“ in der Seestraße 68 in Bansin, wollten wir sehen. Heute beherbergt das Haus eine Buchhandlung.

Seestraße 68 in Bansin. Hier hat Hans Werner Richter mit seiner Familie lange Jahre gewohnt.

Um das Haus auch von innen sehen zu können, mussten wir bis zum nächsten Tage warten, da war die Buchhandlung geöffnet.
Was ich vorfand, hat mich erschreckt: sehr prominent, gleich unter Büchern zur „Gruppe 47“ präsentiert, der Kopp-Verlag. Der nun gehört zu den umstrittensten Verlagen überhaupt, DeutschlandradioKultur hat mehrfach umfänglich recherchiert und gesendet, u.a. in dem hier verlinkten Beitrag.
Selbst Wikipedia widmet sich dem Verlag überaus kritisch. Man kann erfahren, der Verlag führe  „rechtsesoterischegrenz- und pseudowissenschaftlicheverschwörungstheoretische sowie rechtspopulistische und rechtsextreme Titel.“

Soweit der Befund.
Ich fand, der Verlag habe im ehemaligen Wohnhaus der Gründers der Gruppe 47 nichts zu suchen und schrieb deshalb an den Buchhändler: „Der Kopp-Verlag ist der führende Verlag der organisierten Rechtsextremisten nicht nur in Deutschland, sondern auch für Österreich und die Schweiz. Er munitioniert die AfD und gehört zu denen, die gern „Verschwörungsmythen“ verbreiten. Es wäre sicher nicht im Sinne von Hans Werner Richter, derlei Verlagsaktivitäten zu unterstützen.
Meine Frau und ich haben deshalb darauf verzichtet, bei Ihnen zu kaufen“.

Dann kam eine Antwortmail, die mich nachdenklich gestimmt hat, denn darin war nicht nur das in solchen Fällen Übliche zu lesen, die Bücher seien nicht indiziert, sie seien auch nicht verboten, und was nicht verboten sei, könne gehandelt werden, sondern in der Antwortmail kam eine Verteidigungsrede. Darin heißt es u.a.:

„….vielen Dank für Ihre Mail.

In unserer Buchhandlung ist nicht nur der Kopp-Verlag vertreten, sondern eine große Auswahl von Verlagen mit unendlich vielen verschiedenen Titeln.
Unsere Kundschaft wünscht auch diese Abwechslung, denn die gleiche Literatur, wie in vielen anderen Buchhandlungen Deutschlands ist für uns nicht ausreichend.
Das ist ein Ausdruck von Vielfalt und Toleranz gegenüber verschiedener Standpunkte.
Keines der Bücher in unserem Laden ist indiziert und so viel wir wissen, besteht in unserem Land immer noch Meinungs- und Pressefreiheit. …
Wenn Sie der Meinung sind, dass der Kopp-Verlag rechtsextremes Gedankengut verbreitet, geben Sie uns doch bitte nur ein einziges Beispiel dafür.
Der Zusammenhang mit einer Bundestagspartei und angeblichen Verschwörungsmythen erschließt sich uns nicht.
Hans Werner Richter schätzen wir aus Darstellungen seiner Familie als einen weltoffenen, systemkritischen aber vor allem selbstdenkenden Autoren ein.
Offenbar beziehen Sie allerdings Ihre sehr einseitigen und eingeschränkten Informationen immer noch aus den Massenmedien.
Das tut uns sehr leid.
Denn es gibt in der Zwischenzeit genügend Literatur, für Menschen, die der Wahrheit näher kommen wollen.“

Das ist AfD-Jargon. Da weiß jemand um „die Wahrheit“; da bezieht man seine Informationen nicht mehr „aus den Massenmedien“, Menschen, die das tun (zum Beispiel DeutschlandradioKultur zitieren), gelten als „sehr einseitig und eingeschränkt informiert“ etc. etc.

Schade.
Ich habe mir für einen Moment vorgestellt, der alte Hans Werner Richter wäre aus seinem Grabe aufgestanden, um in seinem ehemaligen Wohnhaus mal nach dem Rechten zu sehen.
Ich glaube, er hätte dem Buchhändler mit einem kurzen pommernschen Satze die Gedanken grade gerückt: „Lass den Schiet“. Dann wäre er grummelnd wieder die Seestraße hinauf gegangen und hätte sich wieder dort zur Ruhe gelegt, wo er nun schon seit 1993 liegt.
In diesem Jahr übrigens feiert Bansin den 30. Todestag seines berühmtesten Sohnes. Zahlreiche Lesungen sind zu erwarten.
Ich wünsche diesen besonderen Veranstaltungen viele Besucher.

Vom Ende der DDR. Die ökumenische Jugendversammlung vom 12. – 15. Mai 1988 in Gotha (4). Die Texte.

Vom Ende der DDR. Die ökumenische Jugendversammlung vom 12. – 15. Mai 1988 in Gotha (4). Die Texte.

Wir haben vom Wort gelebt.
Das geschriebene und gesprochene Wort war unser Werkzeug. Wenn ich mir heute noch einmal vergegenwärtige, was die Jahre 1987/88 bestimmt hat: es war das geschriebene und gesprochene Wort. Die Nachrichten vom Überfall auf die Berliner Umweltbibliothek, die Verhaftungen nach der Rosa-Luxemburg-Demonstration etc. – so etwas kriegten wir natürlich „über das Westfernsehen“ mit, auch „über das Radio“ – und über Berichte von Menschen, die „dabei“ waren oder jemanden kannten, der „dabei“ war.
Viele andere Ereignisse aber, die Basisgruppentreffen, die „Werkstätten“ der Offenen Arbeit, die „Rüstzeiten“ in kirchlichen Heimen und auch die „Jugendversammlung“ wurden staatlicherseits verschwiegen. Nichts war in Radio, Zeitung oder gar Fernsehen davon zu erfahren. Es gab keine Handys, keine schnell aufgenommenen Handy-Videos, keine Chats. Nur wer „dabei“ war, war dabei und konnte erzählen. Es gab wohl auch innerkirchliche Berichte – aber eine offizielle Berichterstattung über unsere Arbeit gab es nicht. Allerdings gab es das geschriebene Wort – vervielfältigt auf einfachen Ormig-Abzügen, mit der Schreibmaschine abgetippt (Ich selbst hab die komplette „Alternative“ von Rudolf Bahro mit der Schreibmaschine mit 10 Durchschlägen abgeschrieben, damit wir sie weitergeben konnten).
Bei den Veranstaltungen selbst stand das geschriebene und gesprochene Wort im Mittelpunkt. Die Menschen hörten aufmerksam zu. Es kam „auf die genaue Formulierung“ an, denn vieles verstand man nur „zwischen den Zeilen“, weil es offen nicht ausgesprochen werden konnte. Natürlich war – insbesondere bei Jugendveranstaltungen – auch Musik wichtig, vor allem das gesungene Wort („Vertraut den neuen Wegen“ wurde der Wende-Choral) aber „die Papiere“ von den Synoden, Werkstätten, Rüstzeiten und Versammlungen waren auf eigene Weise wichtig, denn sie konnten abgetippt, vervielfältigt und von Hand zu Hand weitergegeben werden. Wer einen Vervielfältigungsapparat (ORMIG) besaß, war in den Augen der Stasi „im Besitz von Vervielfältigungstechnik“. Sogar Tausendfachstempel zählten schon dazu. Auch beim gesungenen Wort hörte man sehr aufmerksam zu. Liedtexte wurden abgeschrieben, sie gingen von Hand zu Hand. Manch einer fotografierte sie und stellte dann Fotopostkarten davon her, um sie weitergeben zu können.

Texte hatten eine besondere Bedeutung in jenen Jahren. Sorgfalt in der Sprache war tägliche Notwendigkeit.
Wenn man sich das Programm der Jugendversammlung anschaut, sieht man die Bedeutung des gesungenen, geschriebenen und gehörten Wortes sofort:


Bei der Jugendversammlung in Gotha war ich verantwortlich für den Freitagabend.
Wir hatten uns eine „Motette für drei Sprecher zu einer Pantomime“ überlegt. Das Thema: „Umkehr führt weiter“. Im Folgenden nun will ich das dabei entstandene Drehbuch im blog abbilden, damit man ein Gefühl dafür bekommt, wie wir mit Texten arbeiteten. Vier solcher Drehbücher für den Abend sind erhalten und befinden sich noch in meinem Archiv. Jeder der Sprecherinnen und Sprecher, die Beleuchter, die Musiker, die Helferinnen und Helfer im Hintergrund hatten ein solches Drehbuch. Es war einstudiert wie ein Bühnenstück, das es ja auch war.
Wir stellen uns den Abend vor: etwa 300 Jugendliche sitzen im Mai 1988 (über die Aufregungen jener Tage hatte ich in Teil 3 geschrieben) in einer weitgehend abgedunkelten Kirche und sehen diese „Motette für drei Sprecher, Querflöte und Pantomime“. Ich bin Frank Warkus und Andreas Kosmalla für die enge Zusammenarbeit heute noch dankbar, was damals entstanden ist, war vorzeigbar:

Die Wirkung dieses „Impulses“ war stark. Minutenlange Stille, tiefes Schweigen. Es gab Tränen, die jungen Leute waren „angefaßt“, wie man das manchmal sagt. Wir haben das Echo dieses Abends noch lange wahrnehmen können. Die Frage „Sind wir noch brauchbar?“ angesichts der gewaltig gestiegenen Zahl der Ausreisewilligen; die Frage „Sind wir noch brauchbar?“ angesichts der Umweltthemen, der zunehmenden Übergriffe durch Polizei und Staatssicherheit, diese Frage wurden den jungen Leuten drängend. Die nachfolgenden Gespräche in den Kleingruppen (wir arbeiteten mit 40 Untergruppen!) zeigten es.
„Wir bleiben hier!“ war eine vielgehörte Antwort auf die Frage: „Gehst Du auch weg?“ Der leichtere Weg wäre es gewesen, wir versuchten, unseren Beitrag zu leisten, damit das Land selbst auf einen neuen Pfad kam, da konnte man nicht einfach „weglaufen“, sondern hatte sich den täglichen Mühen zu stellen. All das schwang mit an jenem Abend. Wir haben später erfahren, dass einige junge Leute nach der Jugendversammlung ihre Ausreiseanträge zurückgezogen hatten. Sie hatten verstanden, dass man nichts verändert, wenn man flieht. Die jungen Leute wurden „hier“, im eigenen Land, gebraucht. Sonst wäre die Mauer niemals gefallen.
Aber sie ist gefallen, weil es genügend Menschen gab, die ausharrten, sich verknüpften, unterhakten und gemeinsam für Veränderungen im Lande arbeiteten.

Es hat zahlreiche Reaktionen auf die Jugendversammlung gegeben. Allerdings: Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen berichteten nichts. Wir wurden verschwiegen.
Die Staatssicherheit wertete die Sache aus und unter den kirchlichen Mitarbeitern, aber vor allem auch unter den vielen Jugendlichen selbst wirkte die Versammlung noch lange nach. Noch im Jahre 2021 schrieb mir jemand auf facebook, es sei seine „wichtigste Veranstaltung in jener Zeit“ gewesen und ihn noch heute in starker Erinnerung.

Mein Kollege Aribert Rothe in Erfurt hat früh schon in der Kirchenzeitung über die Jugendversammlung geschrieben, später dann hat er einen Text für die „Gerbergasse“ geschrieben, der hier verlinkt sein soll. Mein Kollege Christhard Wagner, der damals sehr engagiert bei der Vorbereitung und Durchführung der Versammlung beteiligt war, hat eigene Erinnerungen an jene Tage, die er vielleicht noch publizieren wird.
Mir selbst war wichtig, mit der hier vorgelegten Dokumentation über die Jugendversammlung 1988 etwa 30 Jahre später einen Baustein beizutragen, damit ein genaueres Mosaik-Bild über die späte DDR jener Jahre gezeigt werden kann und wir wegkommen von falschen Klischees, die von Leuten verbreitet werden, die nicht dabei waren.

Etwas aus meiner Werkstatt


Internet bedeutet für mich: täglich dazu lernen. Ich bemühe mich schon etliche Jahre, so einigermaßen auf dem Laufenden zu bleiben, aber die Möglichkeiten des Netzes sind so enorm gewachsen, dass ich gar nicht mehr hinterher komme.
Selbstverständlich nutze ich schon seit langen Jahren facebook, twitter, früher auch mal google+, instagram und pinterest, blogge, nutze soundcloud, youtube und all die neuen Möglichkeiten.
Aber dass ich jetzt meine Manuskripte von zu Hause aus sowohl als print als auch als ebook zur Verfügung stellen und dafür e-publishing samt seiner interessanten Vertriebswege nutzen kann, das ist schon eine prima Sache, dass muss ich schon sagen. Ich bin ja schließlich mal in einem Land auf die Welt gekommen, in dem man sich alles was länger als 20 Zeilen war, vom Staat genehmigen lassen musste – das bedeutet allerdings auch tägliches Weiterlernen. Learning by doing. Formatieren, layouten, produzieren lassen – all das.  Aber was für großartige Möglichkeiten gerade für ehrenamtlich Engagierte, für Vereine, für Kirchgemeinde, für Kulturinitiativen sich dadurch ergeben! Ich bin immer noch begeistert.

Diejenigen, die beruflich in der Branche epublishing arbeiten, werden müde lächeln, wenn sie meine Zeilen lesen, ich bitte um Nachsicht, aber für mich sind das schon wichtige Entdeckungen, wenn ich zum Beispiel die Autorenseite bei #amazon entdecke. Oder wenn ich sehe, mit welchem großen Vertrieb #epubli arbeitet. Schließlich mache ich diese Sachen nicht beruflich.

Jedenfalls geht es mir immer noch so, daß ich mich täglich daran freue, was das Internet für überaus praktische Dinge für einen bereit hält und nutze sie gern.  Und: dazulernen hat noch niemandem geschadet.

Die Sprache des Terrors: Volksfeind


Wer seine politischen Gegner vernichten will, bezeichnet sie als „Volksfeinde“.
In der Sprache kündigt sich an, was Tat werden soll.
Die Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts ist voller Belege für diese Beobachtung.
Insbesondere während der Zeit des Stalinismus und des Nationalsozialismus war das Wort „Volksfeind“ ein ideologischer Kampfbegiff.
Deshalb ist es keine Lappalie, wenn Donald Trump in einer weltweit zu sehenden Pressekonferenz die versammelten Journalisten, allen voran namentlich genannte führende Medien als „Feinde des Volkes“ bezeichnet.
In der Sprache kündigt sich an, was beabsichtigt ist.
Trump glaubt, nur er wisse, was „das Volk“ will. Er behauptet, seine Sicht der Welt sei die Sicht „des Volkes“, denn schließlich sei er gewählt.
Und jeder, der seine Ansichten nicht teilt, ist nicht nur sein Gegner, sondern Gegner „des Volkes“.
Wir wissen aus der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, was mit den „Volksfeinden“ geschah.
Man hat ihnen Schauprozesse veranstaltet.
Man hat sie gefoltert.
Man hat sie hingerichtet.
Nicht nur einzeln, sondern in Massen.

Es ist nicht banal, was da vor sich geht.
Der amerikanische Präsident benutzt die Sprache des Terrors.
Und wer solche Sprache benutzt, denkt auch in ihren Vorstellungen.
Und ist bereit, umzusetzen, was er sagt.

Wer andere Menschen als „Feinde des Volkes“, als „Volksfeinde“ bezeichnet, denkt in Kategorien des Terrors.

Vicor Klemperer hat immer wieder darauf hingewiesen, wie bedeutsam und wichtig die Sprache als Seismograf für kommende Veränderungen ist. Man kann an ihr ablesen, was kommt. Seine Beobachtungen waren präzise und sie haben sich bestätigt.

Im Weißen Haus hat nicht nur ein Mann gesprochen, den mittlerweile nicht wenige für „verrückt“ halten.
Da hat jemand gesprochen, der in den Kategorien des Terrors denkt.
Seine Sprache verrät ihn.

„Schüblinge“ in „Ausreisezentren“. Etwas von der entmenschlichenden Sprache deutscher Behörden


Dienstlich habe ich auch mit der Bundespolizei zu tun und so ergibt es sich, dass ich eine Menge lerne. Zum Beispiel etwas von der Sprache.
Heute habe ich gelernt, dass die Beamten von „Schüblingen“ sprechen. „Schüblinge“ sind leibhaftige Menschen, die aus den verschiedensten Gründen aus Deutschland „abgeschoben“ werden.
Das Wort jedoch suggeriert, es handle sich um Sachen.
Tische werden „verschoben“, Pakete, Drogen, Gegenstände, manchmal auch Wahrnehmungen.
Das Wort „abgeschoben“ jedoch hat sich für Menschen etabliert. Nicht nur in der Behörden-Sprache, sondern auch im allgemeinen Sprachgebrauch.
Menschen, die „abgeschoben“ werden, sind nun also „Schüblinge“.
Dieses Wort entspricht offenbar einer offiziellen behördeninternen „Sprachregelung“, denn es wird an verschiedenen Grenz-Standorten verwendet.
Dieses Wort verschleiert.
Es klingt beinahe freundlich. So ähnlich wie „Pfifferling“ oder „Drilling“ oder „Rübling“, den man als Pilz-Freund erkennt.
„Schübling“ also. Eigentlich kennt man dieses Wort für eine Wurst-Ware. In Österreich war das Wort immerhin mal „Unwort des Jahres“, aber das hat keiner so recht mitbekommen.
Wenn nun eine Behörde von „Schüblingen“ spricht,  wird plötzlich nicht mehr der Ingenieur, nicht mehr der Lehrer, nicht mehr der Student ausgewiesen, da wird nun also ein „Schübling“ „abgeschoben“. Da wird nicht mehr die Mutter mit ihren Kindern ausgewiesen, da werden „Schüblinge“ „abgeschoben“.
Aus einer Person wird eine Sache.
Es ist eine entmenschlichende Sprache.
Das ist ja auch der Sinn: auf diese Weise wird den Beamten, die mit diesem Thema Tag für Tag befasst und nicht selten auch sehr belastet sind, erleichtert, „damit“ umzugehen.
Nun hat das Bundesinnenministerium vorgeschlagen, „Ausreisezentren“ einzurichten. Auch dieses Wort klingt freundlich. So, als ginge es darum, die Urlaubsreise mit noch mehr Service beginnen zu können.
Diese Zentren haben den Sinn, die „Abschiebung“ der „Schüblinge“ „deutlich zu beschleunigen“. In diesen Zentren werden nun also Schicksale „gebündelt“. Dramen werden sich „abspielen“, denn durchaus nicht jeder ist mit seiner „Abschiebung“ einverstanden. Wer als Beamter auf einem Flughafen – in Frankfurt beispielsweise – arbeitet, kann davon erzählen.
Die „Abläufe“ einer „Abschiebung“ sollen durch die „Ausreisezentren“ „effizienter“ werden. Denn, so will es die Kanzlerin, es bedürfe nun einer „nationalen Kraftanstrengung, die Abschiebungen zu beschleunigen.“
Menschen werden zu „Sachen“. Und, was mit ihnen zu tun hat, soll „effizienter“ gestaltet werden. So organisiert ein Betriebsleiter seine „Auslieferungsketten“: die Förderbänder müssen geschmiert, die Räder geölt, die Transporte effizienter werden. Das Ergebnis zählt.
Wer solche Sprache erfindet – in der Regel kommen solche „Sprachregelungen“ aus den Tiefen eines Ministeriums (in den seltensten Fällen wird sich konkret nachverfolgen lassen, wer genau sie „erfunden“ hat) – und benutzt, der wird im Verlaufe dieses Sprachgebrauchs Menschen nach und nach wie Sachen, wie Gegenstände betrachten.
Es handelt sich dann schon bald nicht mehr um konkrete Menschen mit Lebensläufen, Schicksalen und Biografien, sondern um „Vorgänge“.
„Schüblinge“ eben.
Es gibt auch aus früheren Zeiten vergleichbare Sprache. Auch in diesen früheren Zeiten wurden Menschen zu „Sachen“, zu „Vorgängen“.
Am Ende ging es darum, bestimmte Abläufe in den Lagern noch effizienter zu machen. Verbrennungen mussten effizienter werden, die Öfen mussten größer werden (in der Erfurter Gedenkstätte Topf&Söhne findet man bedrückende Belege für solches Denken).
Bürokratien stehen ständig in der Gefahr, Menschen zu „Vorgängen“ zu machen, damit man sie „bearbeiten“ kann.
Auf der einen Seite sitzt da irgendein Beamter oder „Entscheider“ hinter irgendeinem Schreibtisch und entscheidet, dass dieser „Vorgang“ geschlossen und der vor ihm sitzende Mensch „abgeschoben“ werden muss.
Der Mensch wird zum „Schübling“.
Sobald man diesen „Schübling“ über die Landesgrenze „abgeschoben“ hat, zeigt die Bürokratie übrigens keinerlei Interesse mehr „an der Sache“.
Was aus diesen Menschen wird, die nun außerhalb der Grenzen Europas durch die Gegend irren, interessiert niemanden mehr.
Der „Vorgang“ ist abgeschlossen.
Der Aktendeckel ist zu.

Und immer wieder Klemperer


Victor Klemperers „LTI – Sprache des Dritten Reiches“ (erschienen 1947) gehört zu den Büchern, die mein Leben maßgeblich geprägt haben. Immer und immer wieder ziehe ich es zu Rate. Nicht nur aus historischen Gründen, sondern, um die eigene Aufmerksamkeit zu trainieren. Ich kann mir mein politisches Leben ohne dieses Buch nicht vorstellen. Es ist zum Fundament meines Denkens geworden.
Was ist die Botschaft dieses Buches?
Achtet auf die Sprache! Denn an der Sprache zeigt sich, was kommen wird. An der Sprache kann man ein Beben erkennen, bevor es eingetreten ist. Sprache ist wie ein Seismograph. Ändert sich die Sprache, wird sich bald das Handeln ändern. Klemperer hat die Notizen zur Sprache des Nationalsozialismus in der Not geschrieben, um sich als Linguist, der er war, sinnvoll zu beschäftigen, trotz Arbeitsverbot.
Dieses Buch hat nicht nur mir geholfen, während der Zeit des DDR-Sozialismus die „offiziellen Verlautbarungen“, wie sie zum Beispiel im „Neuen Deutschland“ zu lesen waren, zu decodieren. Dieses Buch hat nicht nur mir die Augen geöffnet für die eigentlich gemeinte Wirklichkeit hinter der veröffentlichten Sprache.
Dieses Buch ist auch eine Anregung, mit der Gegenwartssprache aufmerksam zu sein.
Besonders wichtig ist die genaue Beobachtung der Sprache im Themenkomplex, der sich um die Worte „Flüchtlinge“, „Asyl“, „Asylrecht“ etc. abbildet.
Denn in kaum einem Politikfeld ist die Sprache so verschleiernd, so vernebelnd, so unklar wie in diesem Themenbereich. Und das hat Gründe.
Da ist zum Beispiel davon die Rede, Afghanistan sei „hinreichend sicher“, um Flüchtlinge dorthin „abzuschieben“. („Abschiebung“ übrigens ist ein Wort der LTI).
Es ist offenkundig, dass Afghanistan kein sicheres Land ist. Eher im Gegenteil. Die Unsicherheit im Lande nimmt Tag für Tag zu, die Belege dafür sind zahlreich. Dennoch hört man aus dem Bundesinnenministerium, das Land sei „hinreichend sicher„. Der Bundesinnenminister ist sich auch nicht zu schade, der Öffentlichkeit zu erklären, „ein Drittel“ der gestern von Frankfurt aus nach Afghanistan abgeschobenen Menschen sei „kriminell“ gewesen. Die Botschaft solcher öffentlichen Rede soll sein: „Im Grunde sind sie alle so“.
Die ZEIT hat in einem längeren Text die Genese solcher verschleiernden Begriffe aufgezeigt. Wer diesen Text aufmerksam liest, teilt vielleicht meine Erschütterung. In den Tiefen eines Bundesministeriums, in den Referaten und Abteilungen kommen solche „Wortdrechseleien“, solche verschleiernden Worte aufs Papier. Irgendein Referatsleiter denkt sich eine solche Formulierung aus, damit möglichst freundlich, möglichst elegant klingt, was nicht freundlich und schon gar nicht elegant ist. Der Minister achtet mit der gesamten Leitung des Ministeriums auf eine entsprechende „Sprachregelung„. Ich weiß, wovon ich rede.

Um zu verhindern, dass insbesondere aus Afrika Menschen zu uns kommen, schließt die Bundesregierung nun mit nicht wenigen Staaten Abkommen ab. Solche Abkommen sind im Munde der Bundeskanzlerin „Migrationspartnerschaften„.  Gemeint aber sind politische Deals. Europa gibt Geld, damit afrikanische Regierungen dabei helfen, dass Afrikaner in Afrika bleiben und sich nicht auf den Weg nach Europa machen.
Alle diese verschleiernden Worte dienen der Abwehr von Flüchtlingen. Man muss keine Mauern bauen, um Flüchtlinge „abzuwehren“.
Worte genügen.

Dahinter tritt ein Denken zu Tage, das nur ein Ziel hat: die Abwehr.
Das Wort „Flüchtling“ ist auf diese Weise, Schritt für Schritt, Wort um Wort, Veröffentlichung um Veröffentlichung für nicht wenige Menschen zu einem Synonym für „Bedrohung“ geworden.
So entstehen Feindbilder.
Und wer auf Wilhelm Heitmeyer hört, der wird die Gefahr erkennen, die in solcher „gruppenbezogenen Fremdenfeindlichkeit“ liegt: am Ende richtet sich die Kraft einer Gesellschaft gegen die schon längst von der Sprache ausgemachten „Feinde“.

Stefan Zweig hat darauf hingewiesen, dass die Veränderungen, die am Ende zur Katastrophe führten, während der Zeit des Nationalsozialismus „Schritt für Schritt“ kamen. Es waren leise Veränderungen. Ein Raunen nur. Eine kaum merkliche Veränderung der Sprache. Kaum hatte man sich an eins dieser Wörter gewöhnt, kam die nächste Eskalation. Bis man sich auch daran gewöhnt hatte.
Heitmeyer spricht deshalb von „Gewöhnungsgewinnen„.
Diese Gewöhnung an die „neue Sprache“ – die ist eines der größten Probleme.
Wer sich anschaut, wie sich die veröffentlichte und mittlerweile öffentliche Sprache im Zusammenhang mit dem Thema Flucht und Migration seit dem öffentlichen Auftreten von AFD, von Pegida & Co verändert hat, der bekommt ein ungefähres Gefühl dafür, was da kommt.
Wenn auch die sogenannten etablierten Parteien mittlerweile völlig unverblümt von „Asylmissbrauch“ sprechen und damit „Abschiebungen“ begründen, dann sieht man, wie das gegangen ist: von ganz rechts außen kam das Wort. Und nun ist es mitten im alltäglichen Sprachgebrauch.
Die unterlegte, (noch) nicht ausgesprochene Grundthese dabei lautet: „die sind alle kriminell. Die missbrauchen alle unsere Großzügigkeit. Die gehören alle „abgeschoben““. Das genau ist die Absicht derjenigen, die ihre „gruppenbezogene Fremdenfeindlichkeit“ längst in Hass gewandelt haben.

Wenn aber die veröffentlichte Sprache solche Rede übernimmt, ohne zu reflektieren, was da eigentlich vor sich geht – dann zieht der Hass ein in die ganze Gesellschaft. Und dieser Hass richtet sich dann stets gegen die Schwächsten, gegen die, die Hilfe brauchen.
Es beginnt mit der Sprache.

Bombenstimmung im Advent

Bombenstimmung im Advent

Das Tempo ist diesmal sehr besonders. Am 13. November 2015 gab es Terroranschläge in Paris. Und bereits am 4. Dezember 2015 beschließt der Bundestag , in den Krieg gegen den IS einzutreten. Es werde „sehr lange dauern“, ist zu erfahren und „gefährlich“ sei das auch. Das wars dann auch schon.
Das Mandat dazu ist überaus schwammig. Man bezieht sich auf die Bitte Frankreichs um Unterstützung und auf einen EU-Vertrag, der zum gegenseitigen Beistand verpflichtet. Ein Mandat des Weltsicherheitsrates gibt es nicht. Und das Mandat bedeutet im Kern einen blanko-Scheck fürs Militär: nicht nur über Syrien soll geflogen werden, sondern über einem Gebiet bis zum Persischen Golf und über dem Roten Meer – also fernab von Syrien.
Das eigentliche Ziel ist unklar, selbst Militärs wundern sich über die unprofessionelle Vorbereitung, denn es gibt nicht mal eindeutige Kommandostrukturen.
Die Regierungsfraktionen werden zustimmen (in der Probeabstimmung 1 Gegenstimme bei der Union, 13 Gegenstimmen bei der SPD); Linke lehnt ab, Grüne lehnen mehrheitlich ab.
Ich erinnere mich gut, wie wir nach den Anschlägen vom September 2001 um eine Position gerungen haben – Afghanistan betreffend. Nächtelang ging das. Tagelang. Freundschaften sind zerbrochen. Um Grundsätzliches wurde gestritten. Niemand hat es sich irgendwie leicht gemacht.
Auch damals ging es ja um den „Krieg gegen den Terror“. Völlig klar war uns: ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates würde gar nichts gehen.
Das ist diesmal alles sehr anders.
Deutschland hat sich an den Krieg gewöhnt.
Es gibt ihn zwar noch, den „Kampf um die Bedeutung der Worte“ – Frau von der Leyen, die derzeitige Verteidigungsministerin, weigert sich strikt, – ähnlich wie einer ihrer Vorgänger im Afghanistan-Krieg – von „Krieg“ zu sprechen, die Armee spricht „selbstverständlich“ von Krieg. Es hat auch rentenrechtliche Konsequenzen, das war schon beim Afghanistan-„Einsatz“ so. „Einsätze“ sind billiger als „Kriege“.

Der eigentliche, der zentrale Punkt aber – der kommt im Grunde gar nicht vor in der Debatte. Es geht um die Frage, die schon Erhard Eppler und andere in früheren Jahren nachdrücklich gestellt haben:
Was kann man tun gegen „privatisierte Gewalt“, die eben nicht von Staaten, sondern von Terrorgruppen oder terrorbereiten Einzelpersonen ausgeht?
Die Regierung vertritt eine „Doppelstrategie“ – einerseits der „Wiener Prozess“, andererseits das militärische Bündnis mit Frankreich („damit Europa nicht auseinanderbricht“ (Steinmeier)). Der „Wiener Prozess“ ist schon deshalb nötig, weil sich die Teilnehmer der „Allianz gegen den IS“ nicht einig sind. Man muss sich überhaupt erst mal über die Frage verständigen, wen man eigentlich zu bekämpfen gedenkt. Das kann dauern.
Solange wird gebombt. (Die Verteidigungsministerin hat gerade gestern und heute darauf hingewiesen, dass die Dauer des „Militäreinsatzes“ vom Erfolg des Wiener Prozesses abhinge).

Aber: kann man mit Bomben privatisierte Gewalt bekämpfen?
Nein, das kann man nicht.
Denn mit jeder Bombe, die das Haus eines Zivilisten trifft – und das wird reichlich geschehen – entsteht eine neue Terror-Zelle. Bomben vergrößern die Gefahr.
Wenn eine Staatengemeinschaft privatisierte Gewalt, wie sie in Terroranschlägen zum Ausdruck kommt, mit Krieg bekämpft, mit Flugzeugträgern, Fregatten, Tornados und Bomben – dann zeigt sie damit lediglich nur, dass sie der Logik der Gewalt folgt – und nicht der Logik des Rechtsstaates.

Denn: privatisierte Gewalt in Gestalt von Terroranschlägen ist nichts andres als ein Gewaltverbrechen.
Und ein zivilisiertes Land stellt Gewaltverbrecher vor Gericht.
Die mittlerweile beinahe „automatische“ Logik auf einen Terroranschlag, nun müsse eine „eindeutige Antwort“ – in Gestalt von Bomben – gegeben werden – das entspricht steinzeitlichem Denken. Haust du mich, hau ich dich. Sprengst du meine Leute in die Luft, spreng ich deine Leute in die Luft.
Mit Rechtsstaatlichkeit hat das jedoch gar nichts mehr zu tun.

Die Völkergemeinschaft wird eine neue Antwort auf die global grassierende privatisierte Gewalt entwickeln müssen.
Ich will mich nicht von der Hoffnung verabschieden, dass es der Völkergemeinschaft schon bald gelingen möge, nicht mehr der Logik der Gewalt, sondern der Logik der Rechtsstaatlichkeit zu folgen. Gewaltverbrecher gehören vor ein Gericht. Und das steht in Den Haag.

Das aber bedeutet: Weltinnenpolitik.
Willy Brandt hat schon 1979 auf die Notwendigkeit eines solchen neuen Denkens hingewiesen.

Die Völkergemeinschaft ist noch weit von diesem Ziel entfernt. Die USA haben bislang Den Haag noch nicht mal anerkannt – aus naheliegenden Gründen.
Aber:
wenn die internationale Staatengemeinschaft der privatisierten Gewalt in Gestalt von Terroranschlägen (die man niemals von der Erde wird verbannen können, sowenig wie man Gewaltverbrechen verhindern kann) wirklich fundamental etwas entgegensetzen will – dann wohl das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.
Und zu diesem Prinzip gehören Anklage und Verteidigung. Es genügt nicht, jemandem zum „Terroristen“ zu erklären und ihm Bomben auf den Kopf zu werfen. Denn das erzeugt nur neue Anschläge.

Das alte Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wurde abgelöst vom Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Das war ein gewaltiger zivilisatorischer Schritt.
Es war ein Ausdruck von hohen zivilisatorischen Standards, dass die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkriegs die Täter nicht einfach abgeknallt haben.
Nein, man hat sie vor Gericht gestellt. Das war der Fortschritt. Wir dürfen nicht zurückfallen in altes Denken.
Das Gegenteil ist not-wendig.
Die Welt braucht mehr Rechtsstaatlichkeit, nicht noch mehr militärische Gewalt.

„Altparteien“ – Anmerkungen zur Rhetorik der AfD


Die demokratischen Parteien seien „Altparteien“ behauptet Björn Höcke, jener seltsame Oberstudienrat aus Westfalen, der nun in Thüringen und anderen Orten den AfD-Einpeitscher gibt.
Das Wort „Altparteien“ ist ein alter, abgenutzter Kampfbegriff der politischen Rhetorik. Schon Joseph Goebbels hat das Wort gern benutzt, um seine „Bewegung“ als jung, modern, aufgeschlossen darstellen zu können. Dafür brauchte er eine dunkle und vor allem „alte“ Projektionsfläche. „Altparteien“ eben.
Dass alle demokratischen Parteien zu Tausenden junge und engagierte Leute an sich binden, übersieht man geflissentlich.
Denn: im Kern geht es um einen Angriff.
Und zwar um einen Angriff auf die Demokratie.
„Wenn wir kommen, wird aufgeräumt“ tönt es aus Erfurt von der AfD.
„Wenn wir dran sind, räumen wir auf“ tönte einst die NSDAP. Was sie ja dann auch getan hat. Mit den Juden, mit den Sinti und Roma, mit den Homosexuellen, mit den Kommunisten und Sozialdemokraten, mit den Polen und den Russen. Sie haben richtig hingelangt.
Allerdings haben sie vergessen, hinterher aufzuräumen.

Was sich jetzt bemerkbar macht.
Denn da sind sie wieder, diese alten, abgedroschenen und hohlen Behauptungen der völkischen Bewegung, die schon um das Jahr 1900 herum durchs Land geisterten.
Das „eigene Volk“ sei „in Gefahr“ und müsse „geschützt“ werden.
Weshalb alle, die mittlerweile in der internationalen, arbeitsteilig organisierten Welt, in der ein Neben- und Miteinander der verschiedensten Herkünfte, Religionen und Weltanschauungen völlig selbstverständlich geworden ist, leben, als „Vaterlandsverräter“ dargestellt werden.
Man geht sogar so weit, die Bundeskanzlerin in einer ausgeheckten Kampagne 400 mal des „Hochverrats“ zu beschuldigen. Auch das ist nicht neu.

Im Kern geht es bei der alten wie der neuen völkischen Bewegung um Rassismus, der im Gewande des Nationalismus daher kommt.
Die Vorstellung wird suggeriert, eine Nation könne und müsse in der modernen globalisierten und arbeitsteiligen Welt vor allem und zunächst „für sich sorgen“. Und zwar deshalb, weil „das eigene Volk“ eben das „bessere Volk“ sei.
Diese Argumentationsfigur begegnet schon um 1900.
Diese Behauptung der völkischen Bewegung wurde von der NSDAP aufgegriffen, adaptiert und später organisiert, wobei es die NSDAP nicht unterließ, die Vertreter der völkischen Bewegung als „Schwärmer“ zu titulieren, als man sie nicht mehr als Steigbügelhalter brauchte.

Weshalb man auf die Worte achten muss, die da jetzt wieder zu hören sind.
Die völkische Bewegung war ein wesentlicher Quell für die menschenverachtende Diktatur des Nationalsozialismus.
Und wenn jetzt wieder Oberstudienräte aus Westfalen und andere mit einer solchen abgedroschenen Rhetorik daher kommen und so tun, als seien sie die „Erfinder“ der „Bedrohung des Abendlandes“ (von einem Geschichtslehrer hätte ich allerdings etwas mehr Kenntnis erwartet) – dann muss man ihnen sagen:
Eure sogenannten „Argumente“ sind die Wegbereiter der antidemokratischen faschistischen Diktatur in Deutschland gewesen.

Ein zweites Mal lassen euch die Deutschen unter dem Deckmäntelchen der „Meinungsfreiheit“ nicht gewähren.
Dafür sind die Wunden noch zu frisch.

(p.s. Wer mehr zur völkischen Bewegung lernen will, kann hier mit seinem Studium beginnen).

Wie die Propaganda der Neuen Rechten funktioniert


Die gegenwärtig hoch emotionalisiert geführte öffentliche Debatte um Flüchtlinge, um Menschen, die in Not zu uns kommen, nutzt die Neue Rechte, um mit Mitteln der Propaganda ihre Interessen durchzusetzen.
Weshalb es sinnvoll ist, sich die wichtigsten Regeln erfolgreicher Propaganda zu vergegenwärtigen, damit man sie entlarven kann.

  1. ständige Wiederholung falscher Behauptungen. („Wir sind überfordert“, „Das Boot ist voll“, „wir können nicht jedem helfen“). Exemplarisch die Behauptung: „Wir sind das Volk“, was keineswegs zutrifft, weil es sich bei der Neuen Rechten nur um einen geringen Teil der Bevölkerung von etwa 5-7% handelt.
  2. die unterschiedlichen Zielgruppen in der Bevölkerung werden mit unterschiedlichen Methoden angesprochen, wiederholen aber immer wieder die falschen Behauptungen.
  3. Ziel ist, das Gefühl der Massen anzusprechen. Dem dienen insbesondere Fotos, Plakate, Aufmärsche und Filme.  (in der Gegenwart multipliziert durch social media)
  4. Nicht das Argument steht im Vordergrund, sondern der Appell. Man will gar nicht mehr diskutieren, man will „durchsetzen“.
  5. Propaganda beschwört Katastrophen und macht den Menschen Angst. („Wenn die jetzt alle kommen!“; „In 30 Jahren ist die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands muslimisch“ etc. )
  6. Propaganda behauptet ein Versagen der demokratischen Parteien. („Merkel muss weg!“; „Das ganze System gehört abgeschafft“; „Die da oben wissen doch schon lange nicht mehr, was das Volk denkt“).
  7. Propaganda nutzt die modernste Kommunikationstechnik (heutzutage insbesondere social media; youtube-videos; clips, Handy-Fotos) (Während der NS-Zeit waren das der neue Tonfilm und das Radio)
  8. Propaganda stilisiert die eigene Seite gern als „normalen Deutschen„, während sie „die anderen“ zu Irren erklärt, die nicht verstünden „was die Stunde geschlagen hat“.
  9. Öffentliche Propaganda funktioniert nicht ohne Uniformen, Fahnen und Symbole (Exemplarisch sei an das in schwarz-rot-gold gefärbte Kruzifix bei Pegida-Demonstrationen in Dresden erinnert).
  10. dem „notleidenden Deutschen“ (hier fehlt nie der Hinweis auf Hartz-IV-Empfänger und Arbeitslose) wird der „gierige Flüchtling“ gegenüber gestellt, der nur komme, um „das Sozialsystem zu missbrauchen“, der „mit teuren Taxis fährt“ und „teure Handys“ benutzt und mit „Markenklamotten“ ankommt.
  11. dem „christlichen Deutschen“ wird der „andersartige Asylant“ gegenübergestellt, der „das eigene Volk überschwemmt“ (an der Sprache wird deutlich, dass es bei Propaganda um Emotion, um Gefühl, nicht um das Argument geht).
  12. Die Verdrehung der tatsächlichen Kräfteverhältnisse ins Gegenteil.
    Beispiel: „Notwehr“. Das Novemberpogrom 1938 wurde zum Beispiel im „Stürmer“ als „Notwehr“ der „deutschen Volksgemeinschaft“ gegen den „übermächtigen Juden“ dargestellt.
    Wir erleben gegenwärtig, dass dieser Begriff der „Notwehr“ wieder – bezogen auf hilfsbedürftige Menschen – in die politische Sprache einzieht.
  13. Verwendung des Dokumentarfilms.
    Goebbels hat sehr darauf geachtet, dass Propaganda möglichst unauffällig geäußert wurde. „Gute Propaganda darf man nicht merken“. Deshalb hat er gezielt den als „neutral“ gesehenen Dokumentarfilm eingesetzt, um die Euthanasie vorzubereiten. (umfänglich analysiert in Moellers „Der Filmminister“). Ähnliche Funktion haben gegenwärtig via Handy aufgenommene und gepostete Ausschnitte von „Übergriffen“ im Verlauf von Demonstrationen oder Veranstaltungen. Die Funktion dieser „Dokumentationen“ ist simpel: „Da, nun könnt ihr ja selber sehen, dass wir Recht haben.“

 

Je simpler, je einfacher, je emotionaler eine propagandistische Attacke vorgetragen wird, je öfter sie wiederholt wird, um so wirksamer ist sie.

Etliche der hier vorgetragenen „Grundregeln funktionierender Propaganda“ findet man in dem Beitrag von „Lebendiges Museum online“ wieder, der die Regeln der Propaganda unter Joseph Goebbels thematisiert und den ich hier verlinkt habe.

Also: Augen auf beim Zeitungskauf!

Die Weisheit der Sprache


Sonnenaufgang in der Uckermark
Sonnenaufgang in der Uckermark

Die Sprache, die ich nutze, ist älter als ich. Sie ist reich, birgt altes Wissen der Generationen, die vor mir gelebt haben. Diese Erfahrungen sind in Worte geronnen. Manche sind sehr alt.
Die Sprache beherbergt Erfahrungen, auf die ich neugierig bin.
Deshalb denke ich ihr nach, höre ihr nach, spüre ihr nach, bin auf Entdeckungsreise.
In aller Herrgottsfrühe“ war da heute einer aufgestanden, so stand es bei facebook zu lesen.
Ich sehe nach und finde: „Die Bezeichnung „Herrgottsfrühe“ kann sich auf Gott als dem Geber und Herrn der Zeit beziehen, oder aber es handelt sich um einen Hinweis auf das Läuten der Glocke zur Frühmesse „. (www.redensarten-index.de).
Gott als der Geber und Herr der Zeit.
Altes Wissen birgt sich da im Wort.
Alte Erfahrung.
Weitergegeben von Generation. Eingewurzelt nun in unserer Sprache. Damit diese Erfahrung nicht verloren geht.
Das Wort „Gott“ ist selbst eher eine Verdunkelung, denn eine Erklärung, weshalb ich es hier unerklärt stehen lasse, wie einst die Hebräer das Wort JHW. Wichtiger ist mir, was von ihm ausgesagt ist:
nicht wir, sondern „er“ (oder „es“, oder „sie“) ist Geber der Zeit.
Das ist die alte Erfahrung: ich kann meinem Leben nicht eine Sekunde hinzufügen. Leben ist Geschenk.
Alle, die glauben, man könne Leben „verlängern“, irren grundsätzlich.
Wir sind nicht die Herren der Zeit, die uns gegeben ist.
Wer sich morgens, in einem Urlaub vielleicht, die Freude bereitet, einen Sonnenaufgang still zu beobachten, den Moment, in dem ein neuer Tag geboren wird, kann eine Ahnung vom Gemeinten ergattern.
Wenn man ganz still nur beobachtet.
Nicht kommentiert.
Nur wahrnimmt.
Es lohnt sich, hinterher einmal aufzuschreiben, was man da eigentlich genau wahrgenommen hat.
Geschenkte Zeit.
Jochen Klepper dichtet 1937, die Nazis waren schon 4 Jahre an der Macht und glaubten, sie seien nun die Herren:

Der du die Zeit in Händen hast

1. Der du die Zeit in Händen hast, Herr, nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen.
Nun von dir selbst in Jesus Christ die Mitte fest gewiesen ist, führ uns dem Ziel entgegen.

2. Da alles, was der Mensch beginnt, / vor seinen Augen noch zerrinnt, / sei du selbst der Vollender. / Die Jahre, die du uns geschenkt, / wenn deine Güte uns nicht lenkt, / veralten wie Gewänder.

3. Wer ist hier, der vor dir besteht? / Der Mensch, sein Tag, sein Werk vergeht: / Nur du allein wirst bleiben. / Nur Gottes Jahr währt für und für, / drum kehre jeden Tag zu dir, / weil wir im Winde treiben.

4. Der Mensch ahnt nichts von seiner Frist. / Du aber bleibest, der du bist, / in Jahren ohne Ende. / Wir fahren hin durch deinen Zorn, / und doch strömt deiner Gnade Born / in unsre leeren Hände.

5. Und diese Gaben, Herr, allein / lass Wert und Maß der Tage sein, / die wir in Schuld verbringen. / Nach ihnen sei die Zeit gezählt; / was wir versäumt, was wir verfehlt, / darf nicht mehr vor dich dringen.

6. Der du allein der Ewge heißt / und Anfang, Ziel und Mitte weißt / im Fluge unsrer Zeiten: / bleib du uns gnädig zugewandt / und führe uns an deiner Hand, / damit wir sicher schreiten.

Lebenszeit.
Geschenkte Zeit.
Ich bin dankbar für jeden neuen Tag, der mir geschenkt wird.
Am klarsten fühle ich diese Dankbarkeit in aller Herrgottsfrühe, wenn der Tag noch klar und jung und unbenutzt vor mir liegt.