Peter Reuter und Jürgen Fiege. Eine Begegnung

Peter Reuter und Jürgen Fiege. Eine Begegnung

Den Peter Reuter hatte ich vor langen Jahren einmal in die Uckermark zu einer Lesung in den Gutshof Wilsickow eingeladen und erinnere mich noch genau, wie er da vor der Lesung unter den Rosen saß und an seinem Pfeifchen schmauchte. Die Lesung dann im gemütlichen Café gleich nebenan habe ich als „urgemütlich“ in Erinnerung. Seither sind wir im Kontakt, verfolgen unsere Lebenswege, nehmen unsere Arbeiten wahr, sind so eine Art Weg-Gefährten geworden.

Und den Jürgen Fiege, Grafiker seines Zeichens, den kenne ich nun auch schon lange, weil er dermaleinst vor langen Jahren eine schöne Grafik entworfen hat für unser Gartenprojekt, den „Rosengarten Hetzdorf“ in der Uckermark, der schnell sehr weit bekannt wurde, weil wir im Internet viel davon erzählt haben. Persönlich haben wir uns leider bislang noch nicht getroffen, der Jürgen Fiege und ich – aber seine Arbeiten – seine vom ZEN beeinflussten ein-, zwei- vielleicht auch mal dreifarbigen Grafiken, die gefallen mir immer noch. „Tuschespuren“ nennt er das, was er da aufs Papier bringt.

Nun haben die beiden zueinander gefunden und zwei neue Bücher vorgelegt. Der Peter hat geschrieben, der Jürgen hat getuscht. Herausgekommen sind „MU – und andere Geräusche“ (Oktober 2023) und „Reagenzpapier“ (März 2023), beide im Kulturmaschinenverlag Hamburg. Peter Reuter sinnt den Worten nach, die ihm „begegnen“, wie er sagt, die also auf ihn zukommen, in seiner Phantasie auftauchen und sich ihm zeigen und bedacht sein wollen – und Jürgen Fiege erzählt diese Begegnungen auf seine Weise weiter. Es handelt sich also um eine Art Dialog zwischen Wort und Bild. Der Leser wird sofort gefragt: Und du? Was steuerst Du bei? Einen Einfall vielleicht?

Eindrücke kann ich beisteuern. Ich finde, man muß mit „Reagenzpapier“ von hinten anfangen, um sich dem Peter Reuter als Person zu nähern, denn im Kapitel „Von dem, was Leben wirklich ist“ – da wird er als Person erkennbar, da zeigt er sich auf eine verblüffend und auch überraschend klare Weise, da gibt es „wichtige Texte“ zu lesen: vom Verstehen des eigenen Lebens als Teil der großen Natur; vom Singen; vom Geschenk der Rückbesinnung auf das, was gewesen ist und als Schatz bedacht werden will. Der Peter versteckt sich nämlich gerne hinter seinen Kurztexten, die man vielleicht auch als Miniaturen bezeichnen könnte, wie er selber sagt. Satirisch, manchmal sehr komisch (wunderbar der Text über Klaus Kinski im „Mu“), im Stil sicher erkennbar kommt er daher, aber man fragt sich, wenn man nicht mit dem „Reagenzpapier“ im letzten Kapitel beginnt, wer denn der Peter als Person so sein könnte?
Mein Eindruck ist: der tänzelt uns was vor. Wie einer vom Zirkus. „Denkt euch was ihr wollt“ lacht er und tanzt weiter. Tuscht Texte aufs Papier, schnelle Einfälle, im Notizbuch Festgehaltenes. Wie so ein Seismograf auf zwei Beinen steht er da in seinem Garten und schmaucht an seinem Pfeifchen und hält die Worte fest, die auf ihn zukommen und die ihm das Leben sind. Anregend sind diese Miniaturen allemal, am Ende schlägt er nicht selten noch einen Haken, so daß man sich verdutzt fragt, ob man grad den richtigen Text gelesen hat? Und dann, ganz unvermittelt, plötzlich steht da so ein Granit-Text wie das „Gebet der Vereinten Nationen“, das man sich „durchaus unmittelbar“ und „mehr als sofort“, wie Peter schreiben würde, hinter den Spiegel stecken kann.

Peter Reuter denkt den Worten nach und Jürgen Fiege tuscht die Fortsetzungen dazu. Mir fällt mein Lehrer Klaus-Peter Hertzsch ein, der uns in einer seiner überfüllten Vorlesungen beibrachte: „unsere Sprache ist älter als wir. Sie enthält Erfahrungen, die wir als Personen vollumfänglich nicht selbst gemacht haben, sie ist reicher als unsere persönlichen Erfahrungen sind, vielleicht ist sie gar weiser als wir selbst – es ist daher lohnend, den Worten nachzudenken, die unsere Sprache für uns bereit hält. Wir werden reicher dadurch.“

Wir sind also in guter Gesellschaft, wenn wir uns dem anschließen, was die beiden da vorlegen. Dabei scheuen sie die „großen Worte“ keineswegs, da geht es auch um „Frieden“, auch um „Gerechtigkeit“, um großartige Sachverhalte also, aber meist sind es die scheinbar kleinen Alltäglichkeiten, die ein Geheimnis in sich tragen, das erzählt werden will. Der guckt ja sehr genau hin, der Peter Reuter, was da in den Worten steckt und dann schreibt er los – und schon schlägt er wieder einen Haken und lacht hinter der Hecke.

Für mich war eben wegen dieser Beobachtung am Text die Reihenfolge beider Bücher interessant, in der sie erschienen sind, denn Reuter nimmt sich ja selber gern auf die Schippe, wie man so sagt, verflüchtigt sozusagen das, was er gerade aufgeschrieben hat. Und so ist es auch bei den beiden Büchern: erst kam „Reagenzpapier“ im März 2023, mit den „großen Worten“, die bedacht sein wollen und mit dem starken Schlusskapitel „Von dem, was Leben wirklich ist“ – und danach kam „Mu und andere Geräusche“. Da werden die Texte noch kürzer, noch minutiöser, wenn es soetwas bei Texten gibt – da verflüchtigt sich jemand, so ist mein Eindruck, da versteckt er sich wieder, der Peter Reuter und sitzt im Garten unter seiner Buche, die er eines Tages umarmen wird, wie er aufgeschrieben hat und wundert sich über die Welt, die so großartig ist.

Was ich sagen will? Die beiden arbeiten ausgezeichnet zusammen, ergänzen sich prima und ich will beide Bücher dem an Literatur interessierten Menschen (sowas gibts noch trotz alledem und alledem) ans Herz legen. Es ist keine „schnelle Lektüre“, die man mal so runterliest, denn die Sachen, die da geschrieben und gezeichnet sind, wollen erschlossen sein. Aber wenn man von hinten her die Sache aufrollt, dann stehen da plötzlich zwei in die Jahre gekommene fröhliche Herren im Garten, die einem etwas mitzuteilen haben vom Leben und von dem Weg, auf dem Leben gelingen kann. Es lohnt, sie zu besuchen.

Den Peter Reuter findet man zum Beispiel hier. Und der Jürgen Fiege ist auch nicht weit.

Lesen lernen (2)

Lesen lernen (2)

Heute nun war die „Kennenlern-Stunde“, ich hab die Kinder zum ersten Mal gesehen. Ich war aufgeregt, doch, das war ich, obwohl es eigentlich keinen Grund gibt, schließlich sind 6 Enkel in der Familie und man hat so seine Erfahrungen miteinander. Man merkt ja schnell, ob man sich sympathisch ist, oder eher nicht; mit Kindern geht das ganz besonders schnell, ob es „klappt“ mit dem Kontakt, oder ob es eher „schwierig“ werden würde. Und selbstverständlich wollte ich, daß wir guten Kontakt finden.

Ich bin jedenfalls sehr viel sicherer wieder nach Hause gefahren: es hat „geklappt“, wir werden miteinander etwas machen können, was den Kindern möglichst hilfreich sein soll.

Erste Stunde also: kennenlernen. Wie geht das? Na, ein paar Fragen stellen zum Beispiel. Und etwas von sich selber erzählen. Der Job des Lese-Paten besteht dann vor allem und zunächst darin, sehr genau zu hören -auch auf die Botschaften „unter“ der gesagten Botschaft.

Da merkt man zum Beispiel eine „Konzentrationsschwierigkeit“. Das Kind wird schon nach 30 Minuten unruhig, steht auf, geht vom Tisch weg, will nicht lesen. Das Kind malt gern, während es einer Geschichte (natürlich wird auch etwas vorgelesen!) zuhört, offenbar malt es, um zu entspannen, Stress abzubauen. Und die Nachfrage: „Du malst gern? Was ist denn dein Lieblingsfach in der Schule?“ „Kunst“ ist die Antwort. Und dann kommt: „Aber ich gehe nicht gerne zur Schule.“

Da also klemmt die Säge und damit werden wir uns natürlich zu beschäftigen haben, denn die Gründe, weshalb das Kind „nicht gern in die Schule geht“, können sehr vielfältig sein. Wenn es aber „nicht gern in die Schule“ geht, wird es auch nicht gern lesen lernen. Wir haben nun verabredet, daß wir jedes Mal, wenn wir uns treffen, an dem heute begonnenen Bild weitermalen, zwischendurch etwas lesen (auch gern mal im Wechsel: jeder einen Satz), dann gibts etwas vorgelesen. Dann lesen wir wieder etwas. Immer im Wechsel. Und das Bildermalen wird uns eine Brücke sein, denn so eine Stunde kann sehr lang sein und wer eigentlich „nicht gern in die Schule“ geht, wird dann schnell unruhig, zappelig, möchte lieber „mit dem Handy spielen, aber das darf man hier ja nicht.“ Nee, besser ist es, das Ding auch mal auszulassen, das stimmt. Aber, wir werden zurecht kommen miteinander, da bin ich sicherer als vorher.

Andere wiederum beginnen damit, dass sie „eigentlich nicht lesen wollen“, signalisieren also Unsicherheit, vielleicht sogar einen Widerstand, dann aber stellt sich heraus, dass es mit dem Lesen eigentlich schon recht ordentlich geht und im Laufe der Stunde stellt sich dann auch heraus, daß es Schwierigkeiten mit den „Lernworten“ gibt. Ok. Da können wir ansetzen und üben helfen. Das Lesen jedenfalls – ich hatte einen sehr einfachen Text von den Gebrüdern Grimm, das Märchen vom „Süßen Brei“ mitgebracht – lief sehr viel besser als befürchtet und es wurde schon bald deutlich, wo der Haken beim Lesen liegt: Umlaute und „Mischlaute“ wie „sch“, „ch“ wie in „Licht“ oder „ch“ wie in „Krach“. Zweimal steht da „ch“ und trotzdem wirds verschieden gesprochen. Knifflige Sache.

So aber kommen wir zueinander. Ich verstehe meine Unterstützung als Lese-Pate so: zunächst einmal sehr genau hinschauen, hinhören, aufmerksam sein – um herauszufinden, wo denn eigentlich das „Leseproblem“ liegt. Und dann üben wir natürlich.
Übrigens gilt: Spaß darf ruhig dabei sein. Wie sagte kürzlich einer der Enkel zu mir: „Mathe kannst du nicht so gut, aber Witze kannste gut.“ Na, wenn das kein Lob ist. Ich freu mich jedenfalls auf die nächste Begegnung in der kommenden Woche. Und ich bin gespannt darauf, wie das mit dem Lesen-Lernen eigentlich genau vonstatten geht.

(p.s.: wer die Beiträge zu meiner Lese-Patenschaft auf einen Blick lesen möchte, kann die neu eingefügte Kategorie „Lesen“ abonnieren, dort jedenfalls werden sie einsortiert.

Anmerkung 2: die Handys übrigens führen nicht dazu, daß Kinder Lesen lernen, eher im Gegenteil. Wie ich heute gelernt habe, verabreden sich Drittklässler zwar per Handy – aber eben nicht mit dem getippten Wort, sondern mit einer VoiceMail. „Mein Handy schreibt den Text, den ich hineinspreche“ sagte mir einer meiner Schützlinge. Deshalb ist es gut und richtig, die Handys in der Schule oder im Lese-Unterricht draußen zu lassen.) Erst muss man die Grundkompetenz wirklich erlernen – dann erst kommt das Handy. Schweden hat deshalb die Digitalisierung an Schulen auch wieder etwas reduziert, man hat bemerkt, daß die Lese- und Schreibkompetenz der SchülerInnen nachließ.

Etwas aus meiner Werkstatt


Internet bedeutet für mich: täglich dazu lernen. Ich bemühe mich schon etliche Jahre, so einigermaßen auf dem Laufenden zu bleiben, aber die Möglichkeiten des Netzes sind so enorm gewachsen, dass ich gar nicht mehr hinterher komme.
Selbstverständlich nutze ich schon seit langen Jahren facebook, twitter, früher auch mal google+, instagram und pinterest, blogge, nutze soundcloud, youtube und all die neuen Möglichkeiten.
Aber dass ich jetzt meine Manuskripte von zu Hause aus sowohl als print als auch als ebook zur Verfügung stellen und dafür e-publishing samt seiner interessanten Vertriebswege nutzen kann, das ist schon eine prima Sache, dass muss ich schon sagen. Ich bin ja schließlich mal in einem Land auf die Welt gekommen, in dem man sich alles was länger als 20 Zeilen war, vom Staat genehmigen lassen musste – das bedeutet allerdings auch tägliches Weiterlernen. Learning by doing. Formatieren, layouten, produzieren lassen – all das.  Aber was für großartige Möglichkeiten gerade für ehrenamtlich Engagierte, für Vereine, für Kirchgemeinde, für Kulturinitiativen sich dadurch ergeben! Ich bin immer noch begeistert.

Diejenigen, die beruflich in der Branche epublishing arbeiten, werden müde lächeln, wenn sie meine Zeilen lesen, ich bitte um Nachsicht, aber für mich sind das schon wichtige Entdeckungen, wenn ich zum Beispiel die Autorenseite bei #amazon entdecke. Oder wenn ich sehe, mit welchem großen Vertrieb #epubli arbeitet. Schließlich mache ich diese Sachen nicht beruflich.

Jedenfalls geht es mir immer noch so, daß ich mich täglich daran freue, was das Internet für überaus praktische Dinge für einen bereit hält und nutze sie gern.  Und: dazulernen hat noch niemandem geschadet.

Besondere Menschen. Eine Erinnerung an Klaus-Peter Hertzsch


Für mich ist er einer dieser wenigen besonderen Menschen, die einem im Leben begegnen.
Dieser zierliche, beinahe blinde kleine Mann mit den von Krankheit gezeichneten Händen und der zarten Jungen-Stimme.
Als mich gestern die Nachricht von seinem Tode erreichte – tauchten sofort Bilder auf. Bilder aus vergangenen Tagen, über ein Vierteljahrhundert liegen sie zurück und sind doch so gegenwärtig. Das Studium an der Friedrich-Schiller-Universität im schönen thüringischen Städtchen Jena unter den Bedingungen der Diktatur. Ich war von Naumburg gekommen, um bei ihm zu lernen.
Er hatte „etwas zu sagen“, etwas von der Sprache und etwas von der Hoffnung.
Als erstes kam die Erinnerung an seine zierliche Gestalt und die große Brille, die er brauchte, wenn er mal – was selten vorkam – etwas ablesen musste. Meistens sprach er auswendig. Sein phänomenales Gedächtnis habe ich immer bewundert. Egal, welches Lied angestimmt wurde – er konnte es auswendig. Früh schon hatte ihn seine Augenkrankheit gezwungen, zu improvisieren. Lesen war schlecht – aber auswendig lernen, das war möglich.
Und dann war da seine Stimme. Diese stets lächelnde, beinahe verschmitzte, oft hintergründige, zarte Stimme.
Wenn er ans einfache Pult trat im größten Raum der „Sektion Theologie“, wie das damals noch hieß, der überfüllt war von Menschen, die die Professor-Ibrahim-Straße aus der dunklen Stadt hinaufgestiegen waren, um ihm zu lauschen, wenn er vortrug. Ging da ans Pult, rückte mit der linken Hand die große Brille zurecht, schwieg einen Moment und begann. Und vom ersten Moment an hatte er uns gepackt, ergriffen, angefasst, berührt.
Vorlesungen über Literatur, die selbst Literatur waren. Gesprochenes Wort, Rede. Ja. Und doch druckreif. Erzählend, packend auch, heiter nicht selten und immer eröffnend. Eine Welt ging mir auf und nicht nur mir, das weiß ich von vielen, die bei ihm auch gelernt haben.
„Schattenland. Ströme“. Johannes Bobrowski und Max Frisch, Christa Wolf und andere. „Unsere Sprache ist klüger als wir“. „LTI“ von Klemperer haben wir gelesen – und daneben lag das „Neue Deutschland“. „Achtet auf die Sprache!“
Die Welt des in Verantwortung gesprochenen Wortes, die er hat er zugänglich gemacht, hat die Türen dahin geöffnet und die Ohren aufgeschlossen für DAS WORT, um das es ihm in allem, was er schrieb und sprach, immer zu tun war.
Erzählkurse gehörten zur Ausbildung. Wir sollten erzählen lernen. Ins gemütliche Dörfchen Tautenburg sind wir gefahren, um zu wandern, gemeinsam zu essen und – erzählen zu lernen.
Und: „Wenn es Ihnen schon möglich ist: legen Sie ihr Manuskript beiseite. Predigt ist Rede, nicht Lese……“
Weshalb wir erzählen lernen sollten?
Seine Antwort: „die angemessene Form, sich dem Geheimnis zu nähern, ist die Erzählung“.
Das war eine Theologie, die mich im Kern berührt hat, dazu hatte ich unmittelbaren Zugang. Das Buch der Bücher erschloss sich auf ganz neue Weise, wurde zum Lehrmeister, zum begehrten Studienobjekt.
Vielen anderen ging es ebenso.

Nun ist er gestorben. Prof. Dr. Klaus-Peter Hertzsch. Ein großer Lehrer. Ein Stiller im Lande, auf den man aber gehört hat, der geprägt hat, der Hoffnung gegeben hat, der uns hingewiesen hat auf die Große Hoffnung, auf die wir zugehen. Nicht nur im kleinen Thüringen, sondern in ganz Deutschland und weit darüber hinaus.

Bei youtube gibt es eine kleine Dokumentation über Ausschnitte aus seinem Leben. Darin sagt Klaus-Peter Hertzsch: „Es ist schön, wenn man einem sterbenden Menschen sagen kann: Auf Wiedersehen. Das ist tragender Glaube.“

Ich sage das nun: „Lieber Professor Hertzsch, ich bin sehr dankbar, dass wir uns begegnet sind. Und ich bin dankbar dafür, dass wir einen für mich sehr wichtigen Abschnitt unserer Lebenswege gemeinsam gegangen sind. Auf Wiedersehen.“

Alte Texte


Ich lebe in Worten. Worte sind Heimat und Fremde seit Jugendtagen. Worte bergen und zerstören. Worte halten und lassen.
In diesen Tagen, in denen die Erde wankt, lese ich alte Worte. Denn die Worte meiner Zeit erweisen ihr Unvermögen.
Seit Jahrtausenden wurden diese alten Worte weitergegeben von Generation zu Generation, von Vater zu Sohn, von Mutter zu Tochter.
Es sind hebräische Worte.
Der große „Steller der Schrift“ Martin Buber hat sie verdeutscht, hat ihre Sperrigkeit und Vorzüglichkeit  in Worte unserer Sprache umgegossen, ihre Form und Gestalt, ihr Inneres bewahrend, damit sie auch bei uns und in unserer Sprache funkeln wie Edelsteine.
Ich lese sie am Morgen nachdem man gestern den Tod gefunden hatte. Man fand ihn in Pfützen. Man fand ihn im Rauch. Man fand ihn in der Erde. Man fand ihn im Meer.
Gestern erfuhr die Welt, dass im fernen Japan, das uns doch so nah ist, der Tod gefunden wurde in Fukushima. 10.000fach seien die Grenzwerte überschritten in jenen Pfützen von Kühlwasser, die man in Kellerräumen fand unter den Reaktoren. Unsere Vorstellungskraft wird gesprengt. Da liegt ein Material in den Kellern, daß noch nach 340.000 Jahren den Tod bringt. Nun tritt es an den Tag.
Behälter bersten und geben den Tod frei.
Er kommt still.
Man findet ihn in Pfützen, man findet ihm im Rauch, man findet ihn im Meer.
Nur der Ticker des Zählers zeigt ihn an.
Unsere Kraft, sich vorzustellen, was das bedeutet für die vielen Millionen Menschen, die in der Umgebung leben, reicht nicht aus.
Dafür haben wir keine Bilder, keine Sprache. Dunkle Ahnungen vielleicht. Annäherungen an das Unvorstellbare. Mehr nicht. 1 Kilogramm dieses Materials genüge, so sagen es Physiker, die Menschheit zu zerstören. Man weiß aber, daß in jenen feuchten Kellern mehrere Kraftwerksladungen lagern….

Die Erde bebte. Und das Meer erhob sich.
Nur eine Welle kam.
Gemessen an der Größe des Ozeans eine winzige. Gemessen an der Größe unserer Zivilisation eine gewaltige.
Sie spülte einfach hinweg, was wir „Zivilisation“ nennen. Ganze Orte. Ganze Häuser. Viele zehntausend Menschen mitsamt ihren Autos und Fernsehern, Kühlschränken und Computern.
Die Zerbrechlichkeit unserer „stolzen Zivilisation“ stand uns plötzlich vor Augen.
Das Menetekel an der Wand. Die Schrift, die der König nicht zu lesen verstand.
In diesen Stunden, in denen das Unvorstellbare Realität wird Stunde um Stunde, Tag um Tag, lese ich alte Worte.
Man hat sie weitergegeben von Generation zu Generation, von Jahrtausend zu Jahrtausend.

Das Menschlein, wie des Grases sind seine Tage,
wie die Blume des Feldes, so blühts:
wenn der Wind drüber fährt, ist sie weg,
und ihr Ort kennt sie nicht mehr.
Aber SEINE Huld,
von Weltzeit her und für Weltzeit
ist über den ihn Fürchtenden sie,
seine Bewährung für Kinder der Kinder
denen, die seinen Bund hüten,
denen, die seiner Verordnungen gedenken,
sie auszuwirken.
ER hat seinen Stuhl im Himmel errichtet,
und sein Königtum waltet des Alls.
Segnet IHN, ihr seine Boten
-starke Helden, Werker seiner Rede-,
im Horchen auf den Schall seiner Rede!
Segnet IHN, ihr all seine Scharen,
die ihm amten, Werker seines Gefallens!
Segnet IHN, ihr all seine Werke
an allen Orten seines Waltens!
Segne, meine Seele, IHN!

(aus Psalm 8, verdeutscht von Martin Buber und Franz Rosenzweig. Stuttgart 1976).

Tante Ma und Tante Hildegard – ein Versuch


Während die twitter- und facebookwelt eine Neuigkeit nach der anderen im Sekundentakt durchs Internet jagt, wächst da eine interessante kleine Geschichte. Die von Tante Ma und Tante Hildegard.
Bei einem Mittagessen entstand die Idee, zwei historische Personen – sie haben tatsächlich gelebt  – wieder zum Leben zu erwecken.
Die eine – Jahrgang 1900; die andere – Jahrgang 1902.
Die historischen Daten sind vertraut.
Nun ist es so, daß sich die beiden alten Damen nicht nur an dem einen oder anderen Gespräch im Internet beteiligen, sondern sich auch ziemlich regelmäßig zum „Kaffeplausch“ treffen.
Dabei werden aus der Idee zwei Figuren.
Sie gewinnen an Kontur, je länger sie miteinander sprechen.
Im Dialog wird erkennbar, was sie geprägt hat, wie sie das Leben gesehen haben mögen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen.
Der Vorgang ist in sofern interessant, als er im Internet stattfindet.
Im Dialog zweier real lebender Menschen.

Nicht ein einzelner Autor denkt sich am stillen Schreibtisch eine Figur aus und gibt ihr Farbe.
Sondern zwei Autoren, die sich persönlich kennen und schätzen, entwickeln da zwei Figuren und geben ihnen Farbe durch den Dialog.
Das hübsche dabei: da werden kleine Geschichten erzählt. Mundartlich manche sogar. Historisch einige.
Man kann die beiden sitzen sehen. Beim Kaffee oder Tee. Wie sie reden über die Zeitläufte.

Es ist ein interessanter Versuch, denn da findet eine Brechung von Lebenserfahrung statt.
Denn, die Enkel oder Großneffen lassen da Menschen wieder lebendig werden, die real gelebt haben und von denen sie ziemlich viel wissen.
Aber: sie sehen es natürlich durch ihre „Brille“.
Und spiegeln es am Gegenwärtigen.
Im Dialog. In der ungeplanten, spontanen Begegnung.

Es ist ein Experiment. Ein heiteres zudem, das Freude und Freunde macht.
Kann man über eine größere Distanz hinweg, wenn man sich zu bestimmten Zeiten verabredet, einen solchen Versuch unternehmen?
Man kann.

Im Netzwerk facebook.
Mit Tante Ma und Tante Hildegard.
Beim Kaffeplausch.
Und Zwischendurch.

Klangfarben im Frost…


Die Wintersonnenwende dieses zu Ende gehenden Jahres werde ich wohl lange nicht vergessen. Als „Blutmond“ war Frau Luna am morgen aufgegangen, hatte gar ihre Finsternis gezeigt. Und am Abend, wir waren schon irgendwo im Nirgendwo kurz vor dem Schneehaus, das uns Herberge sein würde für die Feiertage, zeigte sie sich in einer Größe und Pracht am klaren Winterhimmel, wie ich sie noch nie gesehen habe. Das Schneeland leuchtete, Schatten gab Frau Luna, die wir merkwürdigerweise als „den Mond“ bezeichnen. Ein Ton klang über das Land im Frost, wie ich ihn noch nie gehört habe.
Der Klang des Mondes.
In jener Nacht konnte ich ihn hören.

Mit dem Licht kam der Klang.

Es gibt einen tiefen Zusammenhang zwischen Farbe und Klang. Die Sprache weiß es. Sie hält Worte dafür bereit:  „Klangfarbe“ und „Farbklang“, „Farbton“ auch. Farben klingen.  Töne lassen sich in Farbtönen ausdrücken. Es ist eine Frage der Schwingung. Denn Farben sind nur schneller schwingende Töne. Der „Sonnenton“ – hinreichend oft oktaviert-, ergibt Orange – die Farbe des Mönchsgewandes im Buddhismus. Joachim-Ernst Berendt hat in seinem Buch „Die Welt ist Klang“ darauf hingewiesen.

Die zarten Gräser im Schnee klingen ebenso. Ganz fein ist ihre Farbe, sehr fein ihr Klang. „Schläft ein Lied in allen Dingen“ wusste Eichendorff. Es ist seltsam, wunderbar, merkwürdig – wie die Dinge ineinander fließen. Klänge in Farben, Farben in Klänge. Der Krach, der uns im Alltag umgibt, überdeckt diesen feinen Zusammenhänge. Man braucht tiefe Stille, um eine Ahnung vom Zusammenhang zwischen Klang und Farbe zu bekommen.

Eine Stille ist gut, wenn selbst die Schritte im frostigen Schnee störend und zu laut wirken. Sie ist tief, wenn sich das feine Sirren im Ohr einstellt, das eintritt, wenn die Schritte still stehen.
„Wenn du auslöschst Sinn und Ton – was hörst du dann?“ fragt ein KOAN im ZEN.
Ein KOAN kann man nicht mit dem Kopf beantworten.
Denn es zielt auf eine Erfahrung, die aus der Praxis kommt.
Aus der Praxis der Sammlung.
Aus der Praxis der geübten Stille.

Wenn ich die Stille betrete, vielleicht genauer: wenn ich in sie eintrete wie in einen großen Raum, dann weitet sich der Horizont. Die Welt wird groß. Im Kleinen kann ich das Große wahrnehmen. In der Stille den Klang. Und Altes klingt ganz neu und frisch.
Wir haben alte Lieder gespielt und gesungen an diesen Feiertagen im Schnee, irgendwo im Nirdendwo in einer kleinen Ferienwohnung in einem winzigen Dörfchen irgendwo zwischen Hamburg und Bremen.
Die Stille hatte uns aufgenommen. Der Mond hatte sein Licht und seinen Klang geschickt zum Beginn dieser Tage. Der Klang wurde intensiver, je mehr wir die Stille an uns heran ließen.
Und dann traten die alten Melodien hinzu. Fünfhundert Jahre alte Lieder, manche noch älter. Lieder von der Weih-Nacht. Menschen haben sie immer wieder gesungen, diese alten Lieder. Von dem feinen Sproß, der auch am abgehauenen Stamm wieder wächst. „Es ist ein Reis entsprungen aus einer Wurzel zart…..“.

Wenn ich das stille Jahr bedenke, das nun hinter mir liegt, die Erlebnisse und Erfahrungen, die es gebracht hat, dann fühle ich mich beschenkt. Viel Überraschendes ist da in meine leere Schale gefallen. Diese leere Schale, die ich am Morgen des Tages dem Leben hinhalte, damit es sie füllen möge.
In dem Maße, wie ich mir nichts vornehme für den Tag, in dem Maße werde ich beschenkt. Es ist eine wundersame Erfahrung.
Mein Leben wird reicher, je weniger ich mir vornehme.
Begegnungen werden überraschend.
Je mehr ich lasse, um so gelassener werde ich.
Meister Ekkehart hat wie kaum ein anderer über dieses schöne Wort nachgedacht. „Gelassenheit“.
Es geht um das sich einlassen auf das, was uns im Tiefsten trägt. „Sitz nehmen“, „sich niederlassen“, „seinen Ort finden“ – dazu führt Gelassenheit, die aus dem Los-Lassen kommt. Es ist seltsam, klingt paradox: je mehr ich loslasse, um so mehr erfahre ich mich als eingebunden, verwurzelt, getragen. Gerade das Los-Lassen führt zur Erfahrung von Sicherheit und Halt.
Gerade das Nicht-Tun, das Nicht-Wollen führt zur Erfahrung großer Intensität, führt zur Erfahrung von sprudelnder Lebendigkeit.

Wir haben Nikolai Gogol gelesen. Erzählungen aus der Sammlung „Abende auf dem Weiler in Dikanka“. Geschichten aus der Ukraine. „Die Nacht vor Weihnachten“.
Und die Bauern kamen vom Ofen wieder herunter, auf den sie sich schon gelegt hatten, um den Winter zu überstehen.
Ihre Lieder klangen wieder.
Und ihre schönen alten Geschichten.

Die Frauen hatte ihre schönsten Farben angelegt. Und die Männer ihre schweren Pelze.

Der Frost klang in jedem Schritt der Pferde, die den Schlitten zogen hinüber ins Dorf, wo man schon von ferne die Lieder hören konnte.

Farben und Klänge mischen sich.
Sehe ich das eine, höre ich das andre.

Der Horizont wird weit.
Das Große zeigt sich im Kleinen.
In der Sprache der Alten hören wir: „und Gott wurde Mensch“.

Am späten Abend des 24. Dezember waren wir in einer Musik. Jaques Brel war unser Wegbegleiter. „Was wäre, wenn es wahr wäre……“ fragt er in einem seiner Lieder.

Was wäre, wenn das wahr wäre: das Große zeigt sich im Kleinen.
Der Klang in der Farbe.

Der Mondklang im Schnee.
„und Gott wurde Mensch“ sagen die Alten.
Ich lausche den alten Worten nach.
Ihre Farben gefallen mir.

Marie und das Lebensrad – eine Rezension


„Weisst du, Marie, ich habe gelernt, Mitarbeiter zu führen, Kunden zu betreuen und Millionen zu investieren. Doch wie ich das eigene Leben gelingend führen soll, das habe ich nie gelernt. Beruflich war ich ein Profi, privat jedoch immer ein Amateur. Du hast recht, wenn du dich der grossen Fragen des Lebens annimmst.“ (16).

Da schreibt ein Mann (Jahrgang 1965) aus der Perspektive eines 11-jährigen Mädchens. Das ist mutig. Und Ausdruck einer großen Einfühlung. Er schreibt vom Gehirntumor des Vaters und von den Gefühlen und Fragen der Tochter.

„Ist das wohl das grosse Geschenk der Schwachen? Sie ermöglichen es den anderen, helfen zu können. Werden wohl deshalb starke Personen zwar geachtet und verehrt, jedoch selten geliebt? Weil sie diese Möglichkeit nicht bieten? Ist das der grösste Irrtum der Menschen, die geliebt werden möchten? Dass sie meinen, je mehr Leistungen und Erfolg sie anhäufen, desto mehr würden sie geliebt? Doch letztlich wird niemand geliebt wegen seiner Leistungen und Erfolge.“ (25).

Es ist eine doppelte Liebesgeschichte. Die des Vaters zu seiner Tochter. Und die der Tochter zu ihrem Vater.
Marie schreibt ihre Fragen auf. Und ihr Vater versucht, sie zu beantworten. So kommen sie sich näher.
Die Krankheit des Vaters führt zu großer Nähe zwischen den beiden.
Marie fragt zum Beispiel: „Wie muss ich leben, damit ich keinen Krebs bekomme?“
Sie fragt auch: „Warum machen wir die Umwelt kaputt?“ (35 ff.) „Ein sonderbares Geschöpf, dieser Mensch“ sagt der Vater. „Wir, die wir die Erde an den Rand des Abgrundes gebracht haben, nennen unsere Zivilisation hoch entwickelt. Und Naturvölker, die über Jahrhunderte auf einfachste Weise im Einklang mit der Natur lebten, ohne diese auszubeuten, nennen wir rückständig oder gar primitiv.“ (38).

Marie fragt weiter: „Wieviel brauchen wir für ein glückliches Leben?“ (38).
Und dann kommt die Idee: Marie soll durchs Haus gehen und alles, was im Haus ist, in drei Gruppen teilen. „I“ markiert alles, was man wirklich zum Leben braucht. „II“, was man nicht unbedingt braucht, was aber Leben und Alltag erleichtert. „III“ bekommen Sachen, „die wir nicht wirklich brauchen, die nur unser Leben bequemer und schöner machen, die uns ablenken oder die unserem Ansehen gegen aussen dienen.“ (40).

„Soll ich auch einmal Mami werden?“ (48 ff).

Kapitel 6: Freundschaft, die Freude schafft (54 ff).
Marie lernt den Unterschied von Kollegen, Freunden und Lebenspartnern kennen.
„Von wem bekommst du Trost und Mitgefühl? Von Kollegen, Freunden oder vom Lebenspartner?“ fragen sie beim Frühstück.
„Und Papa erzählte, wie es ihn schmerzte mit der Krankheit feststellen zu müssen, dass er nur einen einzigen richtigen Freund hatte, mit dem er über alles reden konnte.“ (55).
„Und wie gewinnt man richtig gute Freunde, mit denen man über alles reden kann und mit denen man sich mitfreuen und mitleiden kann?“ fragte ich.
Papa überlegte lange. „Echte Freundschaft entsteht dann, wenn ich alles einbringe. Alles, was ich denke, was ich besitze. Alle meine Gefühle.“
„Wieso tun wir uns so schwer damit?“
„Schau mich an.“ Papa zeigte auf sich. „Vermutlich braucht es Krankheiten, Trennungen und Ähnliches, um sein Inneres nach aussen kehren zu können. Was wir als Lebenskrisen abtun, sind eigentlich Türöffner. Wir werden schwach und damit offen für neue Freundschaften.“ Papa machte eine kurze Pause. „Solange wir uns stark fühlen, zeigen wir nur unser Schaufenster.“ (57).

Kapitel 7 Ruf der Berufung
„Wie finde ich den richtigen Beruf?“ ist die nächste Frage, die Marie auf ihr Engelchen-Zettel schreibt, um sie dem schwerkranken Vater vorzulegen.
„Weißt du, meine Berufswelt war die meiste Zeit wie der Wilde Westen. Alles Cowboys – meine Manager-Kollegen. Zwar Mittagscüli statt High Noon, Krawatte statt Lederhose, Laptop statt Colt – aber alles voll im Griff. Schwächen? Denkste! Gefühle? Nur für Weicheier! Und anstelle der Steigbügel gibt es heute diese kleinen Technogerätchen….“ (61) schreibt Michael Egli, Jahrgang 1965, studierter Staatswissenschaftler, der seit 1992 in diversen Managementfunktionen gearbeitet hat – wie der Klappentext verrät und erzählt uns damit etwas von sich. (61).

Der Vater muss zum zweiten Mal operiert werden. „Diesmal blieb er länger im Krankenhaus. Er musste regelmässig in die Bestrahlung. Er hasste das“ (67).

Kapitel 8 Gedankenlos glücklich. Ein Kapitel über die Meditation und die „Mühle im Kopf“.
„Das ist kein Wegtreten, Marie. Im Gegenteil. Es sind doch diese dauernden Gedanken, die uns ablenken. Wir Menschen sind Denkmaschinen. Und vor lauter Nachdenken über die Vergangenheit und die Zukunft entgeht uns die Gegenwart. Ohne Gedanken sind wir viel aufmerksamer. Wie viele Katastrophen durchdenken wir im Kopf und begegnen ihnen nie im Leben.“ (71)

Kapitel 9 Gefühlsklavier
„Wieso ist man zornig und wütend? Wie soll ich mit meinen Gefühlen umgehen?“ fragt Marie ihren kranken Vater. (79).
Ein schönes Kapitel über Gefühle, Carl Gustav Jung und das Unbewusste.

Kapitel 10 Kann, aber muss nicht
„Ich hatte mir Zeit gelassen mit der nächsten Frage. Absichtlich. Denn ich hatte mit dem lieben Gott eine Vereinbarung getroffen. Er durfte Papa erst zu sich holen, wenn alle meine Fragen beantwortet waren“ erzählt Marie. (89). „Wie weiß ich, daß ich richtig entscheide?“. Ein Kapitel über die Philosophie

Kapitel 11 Du da oben
„Während der Adventszeit musste Papa häufiger ins Krankenhaus….“ (98) Und er zieht sich wieder mal in ein Benediktinerkloster zurück. Marie besucht ihn.
Und hat eine Frage: „War es wirklich so mit der Weihnachtsgeschichte und Jesus in Bethlehem? Gibt es den lieben Gott wirklich?“ (99)
Ein Kapitel über die Weisheit der Klöster, über Mystik und die Welt, über Weihnachten und den Buddhismus.
„Wir Menschen meinen, so wie unsere Sinne und unser Geist die Welt sehen, so sei sie. Das ist die grosse Täuschung. Es gibt sie nicht, die Welt. Wir machen sie uns selber. Tag für Tag.“ (102)
„Je mehr ich über den Tod nachdenke, umso mehr wird mir klar, dass nicht die Angst vor dem Tod es ist, die die Menschen blockiert. Es ist die Angst zu leben.“ (104).

Kapitel 12 Liebe
„Ja, Marie. Wenn der liebe Gott das Meer ist und unsere Seele eine Welle darin, dann ist die Liebe der Wind.“ (114).
„Die Tage wurden wieder länger. Der Frühling nahte. Neues Leben erwachte. Neues Unheil nahte. Als ich am Mittag von der Schule nach Hause kam, winkte mich meine Nachbarin zu sich. „Dein Papa wurde von der Ambulanz abgeholt!“ (119)

Kapitel 13 Zeit läuft davon. Oder etwas über Denki und Smiley
„Es gibt keine weiteren Bestrahlungen mehr, auch keine Chemo. …..“ (122).
„Schön, wieder Zeit mit dir zu verbringen, Marie.“
„Ich weiss Papa. Es ist echt streng im Gymnasium. Ich hatte einfach zu wenig Zeit.“
„Ja, Marie, keine Zeit ist die grosse Plage unserer Zeit. Ich kenne sie nur zu gut. Sie hat mich über viele Jahre verfolgt. Ich meinte immer, diese Plage komme von aussen, bis ich feststellte, dass sie aus mir selbst kommt.“ (124).

Kapitel 14 Lebensrad
„Das, worauf sich deine Aufmerksamkeit richtet, das wächst.“ (138)
„Marie, auf dem Weg der Lebenskunst fällst du immer wieder zurück. Das gehört dazu. Grosser Glaube, grosse Zweifel und grosse Entschlossenheit sind die drei Wegbegleiter. Sie begegnen jedem Wanderer auf dem Weg des Lebens. Grüsse sie freundlich und gehe mit ihnen.“ (138)

Kapitel 15 Kokon und Schmetterling
„Marie, denke immer daran. Wenn du das Rauschen der Tannen hörst, einen Windzug an deiner Wange spürst oder Regentropfen auf deiner Haut, dann bin das vielleicht ich.“ (139).
„Marie, warum stellst du letzte Engelchen-Frage nicht?“
„Welche Frage?“
„Marie, zu den Fragen, wie man leben soll, gehört auch jene, wie man sterben soll.“ (140).

Um es kurz zu sagen: es ist ein sehr gutes Buch! Es gehört zu seiner Qualität, dass es Resonanzen auslöst im Innern.
Ein passendes Geschenk zum Fest. Nicht nur für Jugendliche, sondern für alle, die auf dem Wege sind.

Michael Egli
Marie und das Lebensrad
Eine Erzählung zu den großen Lebensfragen
Lokwort Verlag 2010
150 Seiten € 19,80
ISBN 978-3-906786-37-7