Den Peter Reuter hatte ich vor langen Jahren einmal in die Uckermark zu einer Lesung in den Gutshof Wilsickow eingeladen und erinnere mich noch genau, wie er da vor der Lesung unter den Rosen saß und an seinem Pfeifchen schmauchte. Die Lesung dann im gemütlichen Café gleich nebenan habe ich als „urgemütlich“ in Erinnerung. Seither sind wir im Kontakt, verfolgen unsere Lebenswege, nehmen unsere Arbeiten wahr, sind so eine Art Weg-Gefährten geworden.
Und den Jürgen Fiege, Grafiker seines Zeichens, den kenne ich nun auch schon lange, weil er dermaleinst vor langen Jahren eine schöne Grafik entworfen hat für unser Gartenprojekt, den „Rosengarten Hetzdorf“ in der Uckermark, der schnell sehr weit bekannt wurde, weil wir im Internet viel davon erzählt haben. Persönlich haben wir uns leider bislang noch nicht getroffen, der Jürgen Fiege und ich – aber seine Arbeiten – seine vom ZEN beeinflussten ein-, zwei- vielleicht auch mal dreifarbigen Grafiken, die gefallen mir immer noch. „Tuschespuren“ nennt er das, was er da aufs Papier bringt.
Nun haben die beiden zueinander gefunden und zwei neue Bücher vorgelegt. Der Peter hat geschrieben, der Jürgen hat getuscht. Herausgekommen sind „MU – und andere Geräusche“ (Oktober 2023) und „Reagenzpapier“ (März 2023), beide im Kulturmaschinenverlag Hamburg. Peter Reuter sinnt den Worten nach, die ihm „begegnen“, wie er sagt, die also auf ihn zukommen, in seiner Phantasie auftauchen und sich ihm zeigen und bedacht sein wollen – und Jürgen Fiege erzählt diese Begegnungen auf seine Weise weiter. Es handelt sich also um eine Art Dialog zwischen Wort und Bild. Der Leser wird sofort gefragt: Und du? Was steuerst Du bei? Einen Einfall vielleicht?
Eindrücke kann ich beisteuern. Ich finde, man muß mit „Reagenzpapier“ von hinten anfangen, um sich dem Peter Reuter als Person zu nähern, denn im Kapitel „Von dem, was Leben wirklich ist“ – da wird er als Person erkennbar, da zeigt er sich auf eine verblüffend und auch überraschend klare Weise, da gibt es „wichtige Texte“ zu lesen: vom Verstehen des eigenen Lebens als Teil der großen Natur; vom Singen; vom Geschenk der Rückbesinnung auf das, was gewesen ist und als Schatz bedacht werden will. Der Peter versteckt sich nämlich gerne hinter seinen Kurztexten, die man vielleicht auch als Miniaturen bezeichnen könnte, wie er selber sagt. Satirisch, manchmal sehr komisch (wunderbar der Text über Klaus Kinski im „Mu“), im Stil sicher erkennbar kommt er daher, aber man fragt sich, wenn man nicht mit dem „Reagenzpapier“ im letzten Kapitel beginnt, wer denn der Peter als Person so sein könnte?
Mein Eindruck ist: der tänzelt uns was vor. Wie einer vom Zirkus. „Denkt euch was ihr wollt“ lacht er und tanzt weiter. Tuscht Texte aufs Papier, schnelle Einfälle, im Notizbuch Festgehaltenes. Wie so ein Seismograf auf zwei Beinen steht er da in seinem Garten und schmaucht an seinem Pfeifchen und hält die Worte fest, die auf ihn zukommen und die ihm das Leben sind. Anregend sind diese Miniaturen allemal, am Ende schlägt er nicht selten noch einen Haken, so daß man sich verdutzt fragt, ob man grad den richtigen Text gelesen hat? Und dann, ganz unvermittelt, plötzlich steht da so ein Granit-Text wie das „Gebet der Vereinten Nationen“, das man sich „durchaus unmittelbar“ und „mehr als sofort“, wie Peter schreiben würde, hinter den Spiegel stecken kann.
Peter Reuter denkt den Worten nach und Jürgen Fiege tuscht die Fortsetzungen dazu. Mir fällt mein Lehrer Klaus-Peter Hertzsch ein, der uns in einer seiner überfüllten Vorlesungen beibrachte: „unsere Sprache ist älter als wir. Sie enthält Erfahrungen, die wir als Personen vollumfänglich nicht selbst gemacht haben, sie ist reicher als unsere persönlichen Erfahrungen sind, vielleicht ist sie gar weiser als wir selbst – es ist daher lohnend, den Worten nachzudenken, die unsere Sprache für uns bereit hält. Wir werden reicher dadurch.“
Wir sind also in guter Gesellschaft, wenn wir uns dem anschließen, was die beiden da vorlegen. Dabei scheuen sie die „großen Worte“ keineswegs, da geht es auch um „Frieden“, auch um „Gerechtigkeit“, um großartige Sachverhalte also, aber meist sind es die scheinbar kleinen Alltäglichkeiten, die ein Geheimnis in sich tragen, das erzählt werden will. Der guckt ja sehr genau hin, der Peter Reuter, was da in den Worten steckt und dann schreibt er los – und schon schlägt er wieder einen Haken und lacht hinter der Hecke.
Für mich war eben wegen dieser Beobachtung am Text die Reihenfolge beider Bücher interessant, in der sie erschienen sind, denn Reuter nimmt sich ja selber gern auf die Schippe, wie man so sagt, verflüchtigt sozusagen das, was er gerade aufgeschrieben hat. Und so ist es auch bei den beiden Büchern: erst kam „Reagenzpapier“ im März 2023, mit den „großen Worten“, die bedacht sein wollen und mit dem starken Schlusskapitel „Von dem, was Leben wirklich ist“ – und danach kam „Mu und andere Geräusche“. Da werden die Texte noch kürzer, noch minutiöser, wenn es soetwas bei Texten gibt – da verflüchtigt sich jemand, so ist mein Eindruck, da versteckt er sich wieder, der Peter Reuter und sitzt im Garten unter seiner Buche, die er eines Tages umarmen wird, wie er aufgeschrieben hat und wundert sich über die Welt, die so großartig ist.
Was ich sagen will? Die beiden arbeiten ausgezeichnet zusammen, ergänzen sich prima und ich will beide Bücher dem an Literatur interessierten Menschen (sowas gibts noch trotz alledem und alledem) ans Herz legen. Es ist keine „schnelle Lektüre“, die man mal so runterliest, denn die Sachen, die da geschrieben und gezeichnet sind, wollen erschlossen sein. Aber wenn man von hinten her die Sache aufrollt, dann stehen da plötzlich zwei in die Jahre gekommene fröhliche Herren im Garten, die einem etwas mitzuteilen haben vom Leben und von dem Weg, auf dem Leben gelingen kann. Es lohnt, sie zu besuchen.
Den Peter Reuter findet man zum Beispiel hier. Und der Jürgen Fiege ist auch nicht weit.